Heliand - 46 - Die Steuerzahlung.
So erfuhr ich, daß im Weihthum der waltende Christ
An der Tage Jeglichem, der theure Herr,
Unterwies und lehrte. Viel Leute umstanden ihn,
Groß Volk der Juden, hörten ihn gute Worte
Und süße sagen. So selig war Mancher
In der Menge der Menschen, es zu Gemüth zu nehmen.
Sie lernten die Lehre, die der Landeswart
In Bildern sprach, der Geborne des Herrn.
Doch leid war Andern die Lehre Christs,
Des Waltenden Wort. Ihm widrigen Sinn
Hegten, die in der Herschaft die höchsten waren,
Die Fürsten des Volks. Gefährde sannen ihm
Die ergrimmten Männer und hatten ihm einen Gegner
Sich zu Hülfe geholt, des Herodes Knecht,
Des Königs Kämpen: der kam und stellt' ihm nach
Mit widrigem Willen seine Worte behorchend:
Wofern er sich verfienge, daß sie in Feßeln ihn,
In Gliederbande legen könnten
Den Sündelosen. Die Gesellen giengen hin
Bitterböse dem Gebornen Gottes
Und wandten das Wort an ihn, die Widersacher:
„Du bist Gesetzgeber den Völkern gesamt
Und weisest die Wahrheit nur. Du würdigst nie
Ein Wort zu meiden einem Manne zu Lieb
Weil er reich und vornehm ist: das Rechte sprichst du,
Damit du der Männer Menge auf Gottes Weg
Mit deinen Lehren leitest. Nicht den leisesten Tadel
Findet dieß Volk an dir. Nun sollen wir dich fragen,
Gewaltiger Volksherr: Welches Recht hat
Der Kaiser von Rom, von dem Könige hier
Zinsen zu fordern und die Zahl zu bestimmen,
Wieviel wir jedes Jahr ihm geben sollen
Vom Haupt als Steuer? Laß hören, was dünkt dich,
Ist es recht oder nicht? Rathe deinen
Landsleuten wohl: deiner Lehre bedürfen wir.“
Verneinen sollt ers nur; doch genau erkannt er
Ihren widrigen Willen.
„Weshalb, ihr Heuchler,
Fragt ihr so verfänglich? Es soll euch nicht frommen,
Daß ihr Betrüger mit tückischer List
Mir Fallstricke legt.“ Da befahl er die Münzen
Zur Schau herbeizuschaffen, die sie schuldig seien
Als Gülte zu geben. Die Juden brachten
Einen Silberling herbei. Da sahen Manche zu,
Wie er gemünzt sei. In der Mitte sah man
Des Kaisers Bild, sie erkannten wohl
Ihres Herren Haupt.
Da fragte der heilige Christ,
Wessen Bildniss da gebildet sei?
Sie erwiederten, es wäre des Weltkaisers Bild
Von Romaburg, der des Reiches all
Ueber die weite Welt Gewalt besitze. -
„So will ich euch denn in Wahrheit rathen,“
Sagt' er zu ihnen, „daß ihr ihm das Seine gebt:
Dem Weltherrn sein Bild, und dem waltenden Gott
Selber was sein ist, daß eure Seelen seien
Den guten Geistern.“
So ward der Juden Absicht
Bei der Anfrage vereitelt. Den Uebelthätern
Ward es so wohl nicht wie sie doch wünschten,
Daß sie ihn mit Falschheit fiengen. Das Friedenskind Gottes
Nahm sich in Acht vor den Argen und antwortete
Mit lauterer Lehre, obwohl sie so glücklich nicht waren,
Sie aufzufaßen, wie es ihr Frommen wäre.