Heliand - 32 - Auf dem Meere wandeln.
Da verliefen sich die Leute über all dem Lande,
Das Volk zerfuhr, da ihr Fürst entwichen war
Hinauf ins Gebirge, der Gebornen Mächtigster,
Der Waltende nach seinem Willen. An des Waßers Gestad
Sammelten die Gesellen sich, die er selbst sich erkoren,
Die Zwölf ob ihrer Treue. Sie zweifelten nicht:
Im Dienste Gottes wollten sie gerne
Ueber den See setzen. Sie ließen in schneller Strömung
Das hochgehörnte Schiff die hellen Wogen
Schneiden, die lautre Flut. Das Licht des Tages schied,
Die Sonne gieng zum Sedel und die Seefahrer hüllte
Nacht und Nebel. Ihr Nachen trieb
Vorwärts in der Flut. Die vierte Weile
Der Nacht war genaht. Der Nothretter Christ
Sah den Wogenden nach. Der Wind wehte mächtig,
Ein Unwetter erhob sich, die Wogen heulten
Den Stamm umströmend. Angestrengt steuerten
Wider den Wind die Männer: ihr Herz war bewegt,
Ihre Seele sorgenvoll: sie wähnten selber nicht,
Die starken Steurer, das Gestad zu erreichen
Vor des Wetters Wuth. Da sahn sie den waltenden Christ
Selber auf dem See geschritten kommen,
Zu Fuße wandelnd: in die Flut mocht er nicht,
In den See versinken, da seine Kraft ihn,
Die heilige, hielt. Das Herz war in Furchten,
Den Männern der Muth, daß es der mächtige Feind
Sie zu täuschen thäte. Da sprach ihnen Trost zu
Der heilige Himmelskönig, daß er ihr Herr wäre,
Ihr mächtiger Meister: „Nun sollt ihr Muth,
Festen euch faßen, ohne Furcht sei euer Herz,
Gebahret muthig! Gottes Geborner bin ich,
Sein eigener Sohn: Wider den See will ich euch,
den Meerstrom schützen.“
Da sprach der Männer Einer
Vom Rand des Schiffes, der ruhmwerthe Mann,
Petrus der gute: „Keine Pein soll mir machen
Des Waßers Wuth, wenn du der Waltende bist,
Unser Herr, der gute, wie mich im Herzen dünkt.
So heiß mich zu dir gehn über die zürnende Flut,
Trocken über die Tiefe, wenn du der Theure bist,
Der Menschen Mundherr.“ Da hieß ihn der mächtige Christ
Ihm entgegen gehen: und gerne gehorcht' er,
Stieg aus dem Stamme und stapfend gieng er
Fort zu seinem Fürsten. Die Flut ertrug
Den Mann durch Gottes Macht, bis sein Muth begann
Die Tiefe zu scheuen, da er treiben sah
Die Wogen mit dem Winde, denn Wellen umwallten ihn,
Rings hohe Strömung. Wie das Herz ihm zweifelte
Wich das Waßer und in die Woge
Versank er, in den Seestrom. Da schrie er empor
Zu dem Gottessohne und begehrte flehentlich
Daß er ihm hülfreich nahte, da er in Nöthen war,
In harter Bedrängniss. Der Herr der Völker
Empfieng und faßt' ihn und fragte sogleich
Warum er verzweifle. „Du solltest nicht zagen,
Denn wiße in Wahrheit, daß des Waßers Strom
Hier in der See deinem Schritt nicht mochte
Nachgeben, wo du giengest, wenn du Glauben fest
Im Herzen hieltest. Nun will ich dir helfen,
Der Noth dich entnehmen.“ Ihn nahm der Allmächtige,
Der Herr, bei den Händen. Da ward ihm die helle Flut
Wieder fest unter den Füßen und fort giengen
Sie beide bis sie über Bord des Schiffes
Aus dem Strome stiegen, und am Steuer niedersaß
Der Gebornen Bester. Da war die breite Flut