Hauser, Markus - Unser Beten
Das Gebetsleben ist der Gradmesser unseres Geisteslebens. Nur wenig Zug und Trieb hat zum Gebet, wer innerlich noch los ist von dem Herrn. Wenn dir das Gebet nicht eine Notwendigkeit ist, nicht ein Bedürfnis deines Herzens, wie Essen und Trinken ein Bedürfnis des Leibes, so bist du noch nicht aus Gott geboren. Der Weltgeist treibt in äußere Dinge und Zerstreuungen hinein, Gottes Geist drängt zum Gebet. Prüfe dein Gebetsleben und du kannst daraus ersehen, wie du zu deinem Herrn stehst. Aufrichtige Jünger sollten nicht ruhen, bis sie stets innerlich betend sein können.
Durch herzliches Beten öffnen wir uns den Einflüssen der himmlischen Welt. Wenn du möglichst oft vor dem König der Könige die Knie beugst, wenn du Tag und Nacht, bei aller Arbeit und Ruhe im Geiste betend bist, so spürst du das Nahen des Herrn; er kann dich erleuchten, kann dein Denken und Wollen leiten, er kann dich weise machen, er kann dich vor Fehltritten behüten, er kann deines Geistes Leben sein. Das Verharren im Gebet ist deshalb höchst wichtig für Leute, die dem Heiland sich ergeben haben. Es ist ein beständiges Aufblicken zu unserem Haupte im Himmel, dem wir kindlich und vertrauensvoll alle Anliegen unterbreiten. Der Herr weiß es, daß seine Jünger ohne ihn nichts tun können; sind wir hiervon nun auch überzeugt, so will und kann er, der über dem Staube thront, seinen Willen und seine Macht an und durch uns offenbaren. Das Stehen unter der Leitung des Herrn ist das Herrlichste hienieden.
Durch treues, beharrliches Beten schließen wir dem Teufel die Eingangstore unserer Seele zu. Seine Anschläge sind uns nicht unbekannt; aus der Heiligen Schrift und aus Erfahrung wissen wir, daß er uns stets umschwärmt, und daß er Einfluß auf unser Herz zu gewinnen sucht. „Er geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ Wenn wir aber Herz und Sinn auf den Herrn richten, wenn wir betend sind im Geiste, so kann er sein Gift nicht einflößen in unsere Seele.
Unsere Gedanken, Gefühle, Entschlüsse und Handlungen sind mehr, als wir es uns vorstellen, von der jenseitigen Welt beeinflußt. Stets stehen wir unter scharfer Aufsicht und unsere Seele öffnet sich, je nachdem, was uns bewegt, dem Himmel oder der Hölle. Der treue Beter atmet Balsamdüfte ein aus dem Heiligtume, der leichtfertige, zerstreute Mensch aber wird vom Gifthauche der uns umgebenden finsteren Geister durchdrungen.
Durch ernstliches Gebet zerstören wir die Befestigungen Satans, die Sündenburgen um uns her. Treue Beter sind beharrliche Sieger. Es wird manches anders in der Welt durch sie. Solange Gläubige immer nur mit sich selber zu tun haben, solange sie immer wieder am Versinken sind, so lange können die Sünder über sie lachen; wenn sie aber einmal die Last Christi tragen können, wenn sie mit ihrem Geiste ins Heiligtum hineingehen, wenn sie ernstlich den Satanismus in der Welt bekämpfen, so muß mancher Sünder erzittern, er muß es verspüren, daß er ein Gebundener des Teufels ist. Bete immer ziel bewußt, so vermagst du etwas auf Erden; die Finsternis um dich her muß weichen.
Durch das anhaltende Gebet gewinnen wir es, daß über der Gegend, wo wir wohnen, die Himmel sich öffnen, und daß deshalb eine Bewegung von oben vieler Herzen erfaßt. Die Lebensgnaden des Heilandes werden flüssig für Aufrichtige, wenn beharrliche Beter da sind. Nebst geistgesalbter Verkündigung des Wortes Gottes ist das anhaltende Gebet ein Hauptfaktor zur Erschütterung der sicheren Sünder. Treue Beter werden klar und stark im Geiste, eine himmlische Weihe und eine göttliche Salbung heiligt ihre Person, der Herr kann durch sie in die Körperwelt hineinleuchten. Kraft geht von ihnen aus, weil sie in der Gegenwart Gottes wandeln. Wo allezeit betende Christen sich finden, da ist eine direkte Verbindung mit dem Himmel hergestellt, die Atmosphäre um sie her ist rein; darum kann der Herr an solchen Orten mächtig wirken und große Wunder tun.
Um was handelt es sich im Gebet?
1. Das Gebet ist der richtige Ausdruck der Zusammengehörigkeit mit Gott. Wir haben eine enge Beziehung zu Gott, er kann mit uns verkehren, und wir können sein Herz finden, wir sollen nicht getrennt sein von ihm. Wer betet, der gibt kund, daß sein Herz nach Gott verlangt, und je näher jemand dem Herrn gekommen ist, desto mehr betet er. „Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch.“ Das Beten ist ein Reden mit Gott, da naht er und spricht auch; eine gegenseitige Berührung findet statt. In Gott ist ein Zug zum Menschen hin, und im Menschen ist ein Zug zu Gott hin. Deshalb beten wir, und deshalb fühlt sich Gott geliebt und geehrt, ja beglückt, wenn wir beten.
2. Das Gebet ist eine Verherrlichung Gottes. Wir würden beten, auch wenn wir nicht von Gott abhängig wären, auch wenn wir keine ungestillten Bedürfnisse hätten. Je reiner der Geist ist, je ähnlicher dem Herrn ein Jünger ist, desto mehr strömt sein Herz in Lob und Anbetung über. Nicht nur auf Erden, auch im Himmel wird gebetet, ja nirgends mehr als dort. Wir können dort unmöglich Aufnahme finden, wenn wir nicht vom Lobe Gottes erfüllt wären. Das letzte, was ich auf Erden zu tun gedenke, ist: Ich will beten; und das erste, was ich im Himmel zu tun willens bin, ist: Ich will fortfahren zu beten. Hier will ich's lernen, damit ich's dort kann.
3. Das Gebet ist die Pflege der Gemeinschaft mit Gott. Ohne gegenseitige Mitteilung kann keine Freundschaft und keine Gemeinschaft, kann kein Verbundensein bestehen. Wer aus Gott ist, der hat ihm immer wieder etwas zu sagen, und so hat auch der himmlische Vater seinen Kindern immer wieder etwas mitzuteilen und ans Herz zu legen. Diese Gemeinschaftspflege geschieht durchs Gebet. Eine Kälte, eine Entfremdung würde schnell eintreten, wenn wir nicht Gottes Angesicht im Gebet suchen würden. Wer nicht betet, der entzieht Gott die Gelegenheit zu segnen.
4. Wie unsere Zusammengehörigkeit mit Gott, so kommt auch unsere Abhängigkeit von ihm zum Ausdruck im Gebet. Ohne ihn können wir nichts tun. Und ohne ihn können wir kein Geistesleben in uns haben. Jesus hat das Leben in ihn selber, er ist die Wahrheit und das Leben; die Seinen aber haben das Leben in ihn, sie sind in allen Dingen, diesseits und jenseits des Grabes, auf den Herrn, der ihr Leben ist, angewiesen. Darum sollen sie verharren im Gebet, sie treten eben dadurch in Fühlung mit ihm und er kann sich ihnen mitteilen.
5. Im Gebet handelt es sich somit auch um Stillung unserer Bedürfnisse. Unsere Leere stillt seine Fülle, unsere Ohnmacht deckt seine Allmacht, unserer Unwissenheit kommt seine Allwissenheit zu Hilfe. Was immer uns drückt und quält, was uns fehlt und mangelt, das vermag er zu geben.
Wie sollen wir beten?
„Gott ist Geist und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4, 24). Viele beten ~ in fleischlicher Gesinnung, mit fleischlichem Willen und zu fleischlichen Zwecken; ihr Herz und Sinn ist noch fleischlich, in fleischlicher Weise flehen sie um himmlische und göttliche Dinge, darum kann sie Gott nicht erhören, so bereitwillig er sonst ist, Gebete zu erhören. Laß deinen Hochmut und Eigensinn und dein fleischliches Treiben fahren, dein Denken und Sinnen und Wollen gehe auf Gott allein, so kommst du dazu, im Geiste und in der Wahrheit zu beten. Nur Gleichgesinnte können in der rechten Weise dies tun, darum muß dein Beten und Streben zu allererst auf die geistliche Gesinnung gehen.
Unser Beten sei ein liebendes Hangen am Herrn, ein Brennen in Liebe gegen ihn. „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Diejenigen finden sein Herz, die ihn lieben. Das schafft die rechte Demut und Weichheit; die herzliche Liebe bricht das hochfahrende Wesen, sie zuerst findet Fühlung mit dem Gott aller Gnaden. Die stürmische Art kommt schwer zum Ziele, aber die innige Zuneigung zum Herrn, da man ohne ihn nicht leben kann, wird bald gestillt. Wer die in Jesu erschlossenen Gnaden überschaut, der gewinnt ihn lieb, das liebende Herz des Herrn steht offen vor ihm, darum kann er vertrauensvoll beten. Gottes Liebe gibt Zuversicht, macht stark im Hoffen.
Alles Schwanken und Zweifeln ist ausgeschlossen, wenn du innerlich erfaßt von der Liebe Gottes, ihn herzlich und kindlich liebst. Prahle nicht, meistere und tadle den Herrn nicht, liebe, 0 liebe ihn! Dann kannst du beten in der Fülle des Glaubens, und er gibt dir nach deinem Glauben. Sei nicht nur ein kühner, sei vor allem ein inniger, herzlicher, kindlicher Beter: trage Sehnsucht, trage ein brünstiges Verlangen nach deinem Heiland, so wirst du los von Welt und Sünde, und die Sonne des Heils geht dir immer wieder auf in vollem Glanze.
Das Gebet sei das Element, in dem du dich beweist. „Betet ohne Unterlaß“, ruft der Apostel uns zu. Der Herr lehrt, daß wir allezeit beten und nicht lasch werden sollen. Gebet muß die Grundstimmung unserer Seele sein. Das faßt die Anbetung im Geist und in der Wahrheit in sich. Recht beten können wir erst, wenn wir innerlich immer auf den Herrn gerichtet sind. Das ist aber keine so schwere Sache, wenn wir nur in der Liebe stehen. Die Liebe bindet uns an den geliebten Heiland. Da ist dann die Seele Tag und Nacht, in Freud und Leid, in Arbeit und Ruhe mit ihm beschäftigt, aber ohne diese Liebe ist das Beten eine unvermittelte, abgelöste, in Widersprüchen gehende Same. Habe nur den Herrn über alles lieb, liebe ihn, weil er uns zuerst geliebt hat, weil er lauter Liebe ist gegen seine erlösten Menschen, so wird dir das Beten zur : Seligkeit, zur Wonne, zum unabweislichen Bedürfnis.
Das Geheimnis des Erfolges im Gebet hängt aufs engste zusammen mit der Stellung unseres Herzens und unseres Lebens zu dem heiligen Gott. Wenn wir Jesus als den wahrhaftigen Gott und als das ewige Leben erkannt haben, wenn wir ihn lieben, wenn wir seine Gebote halten, wenn er in uns wohnen kann, wenn wir sein Wort unseres Fußes Leuchte und das Licht auf unserem Wege sein lassen, so können wir bitten nach seinem Willen, und er erhört uns. Der Beter muß wissen, wie er zu Jesus steht, und sein Verhältnis zu ihm muß das der herzlichen Liebe sein. Solange wir eigene Wege wandeln und die Gebote Jesu nicht halten, können wir nicht freudig auf Erhörung hoffen.
Zum erfolgreichen Gebet gehört ein mächtiges Durchdrungensein davon, daß Jesus lebt, daß er für mich lebt, daß er, der Herr der Herrlichkeit, in sein Herz mich geschlossen hat w und liebend an mich denkt, daß er mich vertritt vor Gott und daß er bereit ist, himmlische und irdische, geistliche und leibliche Güter mir aus Gnaden zu geben. Der Glaube an den „ persönlichen, lebendigen, die Seinen innig liebenden Heiland“ ist die Grundlage des erhörlichen Betens. Wenn wir bekennen, daß Jesus nicht tot ist, daß er lebt, so muß sich das durch „ Lebenskundgebungen des Herrn als Wahrheit erweisen. Ein Götze kann nicht hören und nicht antworten, der lebendige Gott aber offenbart sich denen, die ihn anrufen, er hört ihr Schreien und hilft ihnen.
Auch ist es für den Beter notwendig zu glauben, daß über den Gläubigen der Himmel offen und daß Jesus Christus, der Herr, ihnen nahe ist, daß er auf uns acht hat und als ein warmer Freund am Wohl und Wehe der Seinen innigen Anteil nimmt. Der Verkehr mit Jesus muß ein Verkehr sein von Herz zu Herz. Wer sich in der Hand dessen weiß, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, der kann erhörlich beten.
Dem Beter muß es fest stehen und über alle Zweifel erhaben sein, daß Gott treu und wahrhaftig ist und daß er die herrlichen Verheißungen gegeben hat, weil er sie erfüllen und realisieren will. Die Treue und Wahrhaftigkeit des Herrn ist der Gebete sicherer Stützpunkt. Es macht dem gnadenreichen Gott Freude, wenn wir ein großes Zutrauen zu ihm haben; uns wohlzutun ist seine Lust. Wir müssen nur recht stille und geduldig sein und kindlich und vertrauensvoll warten, wenn der Weg, den der Herr uns führen muß, um uns erhören zu können, ein dunkler, rauher und unverstandener Weg ist. Bete fort und warte, verzage nicht und werde nicht stürmisch, harre des Herrn; wenn seine Stunde gekommen sein wird, kann alles aufs Herrlichste sich gestalten, habe nur nicht deine, sondern seine Ehre im Auge. Gott kann als der Wunderbare sich erweisen, er kann es tun, wenn wir ihn anrufen; wieviel das ernste Gebet vermag, das wird treuen Betern immer wieder aus Erfahrung klar: „Glaubt nur, und nichts wird euch unmöglich sein!“ (Matth. 17, 20.)