Harnack, Theodosius - VIII. Der gesunde, evangelische Glaube.

Harnack, Theodosius - VIII. Der gesunde, evangelische Glaube.

Predigt am ein und zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Die Gnade unsres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Text: Joh. 4, 47-53.
Und es war ein Königischer, des Sohn lag krank zu Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus kam aus Judäa in Galiläa, und ging hin zu ihm, und bat ihn, dass er hinab käme, und hälfe seinem Sohne; denn er war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Königische sprach zu ihm: Herr, komme hinab, ehe denn mein Kind stirbt. Jesus spricht zu ihm: Gehe hin, dein Sohn lebt. Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und indem er hinab ging, begegneten ihm seine Knechte, verkündigten ihm und sprachen: Dein Kind lebt. Da forschte er von ihnen die Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden war. Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es um die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause.

Geliebte Gemeinde! Nach Anhören des verlesenen Textes kann es Dir nicht zweifelhaft sein, wovon das Wort Gottes heute zu Dir zu reden gebietet und wofür es Deine volle, ungeteilte Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Denn was erzählt der Evangelist von dem Diener des Königs Herodis aus Kapernaum? Zuerst heißt es: Er hörte, dass Jesus kam und ging hin zu ihm und bat ihn; und dann wieder: der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und endlich: er glaubte mit seinem ganzen Hause. Der Glaube, das ist der Grundton unsrer Geschichte, sie ist durch und durch ein Evangelium des Glaubens, das um so erwünschter der Gemeinde und dem Prediger kommen muss, als wir in unsren Gottesdiensten uns eben deshalb versammeln, um den Glauben zu bezeugen und ihn durch Gottes Gnade zu erzeugen, oder zu stärken und zu vollbereiten.

Doch sehen wir näher zu, so haben wir an ihm ein rechtes Evangelium für die Gläubigen unsrer Tage; einen hellen Spiegel, um zu erkennen, wie sie gestaltet sind. Eine klare Lehre für alle aufrichtigen Seelen, dass sie unterscheiden lernen nicht bloß Glauben und Unglauben, Licht und Finsternis, sondern auch Schein und Wesen, Krankheit und Gesundheit; und dass sie sich geben lassen die wahre Gestalt eines gesunden, evangelischen Glaubens. Denn in einer und derselben Person stellt unsre Erzählung den kranken und gesunden Glauben uns vor die Augen: den kranken, der erst Zeichen sehen und dann glauben will und der von dem Herrn gestraft wird mit dem Wort: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht;“ der sich aber auch strafen und heilen lässt, und zu dem gefunden Glauben kommt, welcher allein dem Worte glaubt, ohne zu sehen und zu erfahren, und den der Herr auch krönt mit seiner allmächtigen Hilfe. Wie, Geliebte, das sollte nicht ein Wort für uns sein? Für uns, die wir Kinder sind einer schwächlichen, glaubensfeindlichen und glaubensarmen Zeit. Einer Zeit, deren Stärke ihre Schwäche ist, ich meine - das einseitige und krankhafte Erfahrungschristentum, welches die Gabe der Gnade und die Kraft des Glaubens nach dem Grade der Gefühls-Erregtheit beurteilt, welches die Bedeutung der reinen Lehre aus Gottes Wort verkennend, nur das gelten lassen will, was in wirkliche oder vermeintliche Empfindung und Erfahrung umgesetzt werden kann. Einer Zeit, in welcher sich die Gläubigen das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, aus der Hand winden lassen, meinend mit dem hölzernem Schwert, das sie sich aus ihrem Gefühlsglauben und aus den Aussagen des frommen Bewusstseins bereitet haben, siegen zu können in dem Kampf ich sage nicht mit dem Fürsten und den Gewaltigen der Finsternis, sondern nur mit Fleisch und Blut. Einer Zeit, die keine geistliche Freude und keinen Trost kennt, denn den des Gefühls; die keine geistliche Größe und Macht kennt, denn die des Wissens und des Werks; kurz, die bei dem Glauben auf Zeichen der Sinne, des Gefühls, der Erkenntnis gerichtet ist, und die in ihrer Angst und Not ausschaut nach neuen Aposteln, nach neuen und außerordentlichen Zeichen und Wundergaben, von denen sie Hilfe erwartet. Heißt das stark sein in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke? Heißt das gesund sein im Glauben, und in ihm wachend, nicht träumend stehen, männlich und stark? Wie sollen wir nicht recht krank und schwach sein, und ohne Hoffnung, wenn wir die Heilmittel nicht brauchen, oder doch nicht nach der Verordnung des Herrn, sondern nach eigener Wahl? Wie dürfen wir es nur wagen von dem Herrn andere Zeichen zu verlangen für unser inneres Leben, oder für den Bestand seiner Kirche auf Erden? Ist er denn Schuld an dem Unfrieden in uns und unter uns? Hat er keine Zeichen gegeben? oder sind die gegebenen, auf welchen seine Verheißung ruht, und die bisher seine Kirche getragen und erhalten haben, nicht mehr stark und ausreichend genug? Ach wenn er uns besondere Zeichen und Wunder kommen lassen würde, sie würden erscheinen nicht uns zum Trost, sondern zum Schrecken.

Darum lassen wir uns bei Zeiten schlagen und heilen von seinem Wort, das den kranken Glauben unter uns und in uns aufdeckt und straft, damit wir gesund werden. Lasst uns zu dem Ende erwägen, wie sich der gesunde evangelische Glaube zu dem krankhaften Erfahrungschristentum unsrer Zeit verhält. Aber lasst uns auch bedenken, dass Gottes Wort zu uns redet, dass es sich nicht handelt um einen Streit unter Menschen, sondern um Unterweisung und Zucht aus dem göttlichen Wort, die jeder von uns bedarf, da jeder an seinem Teil von der allgemeinen geistlichen Krankheit angesteckt ist. Darum rufen wir uns zu mit dem Apostel Jakobus: „Liebe Brüder, seid schnell zu hören, langsam zu reden und langsam zum Zorn; denn des Menschen Zorn tut nicht, was vor Gott recht ist; darum so legt ab alle Unsauberkeit und Bosheit, und nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gepflanzt ist, welches kann eure Seelen selig machen.“

Ja, Herr unser Gott, Du allein kannst unsre Seelen gesund und selig machen im Glauben: denn bei Dir ist die lebendige Quelle und in Deinem Lichte sehen wir das Licht! Du hast auch uns gezeugt nach Deinem Willen durch Dein Wort der Wahrheit, so lass denn unter uns Dein Wort kräftig wandeln, öffne ihm unsre Herzen, dass es uns erleuchte, strafe, heile und tröste, und wir Glauben lernen, uns täglich im Glauben üben, und darin wachsen und zunehmen. Binde unser Fleisch und Blut, dass es sich nicht auflehne wider Deine Erkenntnis, und dass wir nicht, redend oder hörend, erfunden werden als solche, die wider Dich kämpfen. Komme, Herr, und rede Dein Wort zum Bauen und zum Zerstören: zur Zerstörung des kranken Glaubens und falschen Friedens; zum Bauen des rechten ungefärbten Glaubens an Dein Wort des Friedens der Versöhnung mit Dir, unsrem lieben Gott und Vater in Christo, und der brüderlichen Liebe und Gemeinschaft unter einander in Einem Geiste und Einem Glauben. Heilige uns in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

Der schon angedeutete Gegenstand, geliebte Gemeinde, den wir auf Grund unsres Evangeliums betrachten wollen, ist der gesunde, evangelische Glaube. Und zwar wollen wir zuerst im Gegensatz zu ihm den kranken Erfahrungsglauben kennen lernen, und dann das Wesen des gesunden Glaubens beherzigen, indem wir zugleich zeigen, wie in demselben Glauben und Erfahren sich zu einander verhalten und mit einander verbunden sind.

1.

Der Königische im Text hatte von Jesu gehört, als von einem allmächtigen, barmherzigen Helfer, und das hatte in ihm die ersten Spuren eines Glaubens geweckt. Da nun sein Sohn todkrank darniederliegt, macht er sich alsbald auf, und sucht bittend bei dem Herrn Hilfe. Aber sein Glaube ist noch auf das Sichtbare gerichtet, er meint Jesus müsse mit ihm gehen und an seinem Sohne ein Zeichen tun, damit er gesunde. Und der Herr, der zunächst den kranken Glauben des Vaters heilen will, straft ihn mit dem Wort: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“

Mit diesem Ausspruch scheidet der Herr Sehen und Glauben, Erfahren und Glauben, und straft jegliche Art des falschen Zeichenglaubens. Wie damals, als der Herr auf Erden wandelte, der Glaube Zeichen- und Wundersüchtig war, so ist er jetzt Erfahrungssüchtig, indem man den Glauben mit den Gefühlen oder Gedanken unsres Herzens verwechselt, und ihn entweder auf das Zeugnis des Gefühls und seiner Empfindungen, oder der Erkenntnis und ihrer Begriffe und Beweise gründet. Das sind die beiden, im Grunde einigen, in der Form geschiedenen, aber im Leben oft verbundenen, Arten des Zeichenglaubens. Beide aber verkennen die Natur des gefunden Glaubens, der nicht Gegenwärtiges, Menschliches und Sichtbares zu seinem Gegenstande hat, sondern Zukünftiges, Göttliches, Unsichtbares; und der den Gnadenstand nicht auf Erlebtes und Erfahrenes gründet, sondern auf Gottes Wort und Werk, gerade da, wo er nicht steht, ja das Widerspiel sieht.

Das freilich ist richtig, man kann nicht glauben, ohne einen Grund für den Glauben, und ein Herz zum Glauben zu haben, denn Glauben heißt mit ganzem Herzen einem festen, gewissen Grunde vertrauen. Aber das ist der Irrtum, dass der Erfahrungsglaube den Gottgelegten Grund außer uns für ungewiss hält, weil er unsichtbar ist, und dass er den Sitz des Glaubens, unser Herz mit seinen Gefühlen und Gedanken, zum Grunde desselben macht. Damit aber sind wir in Gefahr die Gewissheit, Freiheit und Gewissenhaftigkeit des gesunden Glaubens zugleich zu verlieren. Denn Erfahrungen, Gefühle, Beweise, die sind an sich zu gewiss und zu gering, als dass es noch des Glaubens daran bedürfte und lohnte; und doch sind sie wieder zu ungewiss, zu unstet und trügerisch, als dass darauf hin ein voller Christenglaube Versöhnung und Frieden, Seligkeit und Leben sich erglauben könnte. Nein, Geliebte, um sich aufrecht zu erhalten in der Welt und in dem Herzen des Todes, muss der Glaube einen Grund haben außer der Welt und dem eigenen Herzen, in dem Fürsten des Lebens. Er hat nicht genug an dem, was er steht, fühlt, weiß, oder er hat daran übergenug, als dass er nicht wüsste, was für ein Sandgrund dies Alles ist, die frommen Erfahrungen und das gläubige Wissen an sich mit eingerechnet; und welche Torheit es ist, die flüchtige Welle zum Träger des Felsens, und die vergängliche Zeit zum Grunde der Ewigkeit zu machen. Vielmehr, wie der Kern des Glaubens ein unsichtbarer ist, wie alle Gnadengüter unsichtbar sind, so liegen auch seine festesten Stützen in der Unsichtbarkeit, und keine sinnliche, fühlbare Wirklichkeit macht ihn so stark, als die unsichtbare Wahrheit.

Wie seine Gewissheit, so nimmt der Zeichenglaube den wahren Glauben auch seine rechte Freiheit. Denn einerseits ist jener zu frei, zu selbstgebieterisch und willkürlich, zu wenig abhängig von dem göttlichen Willen und der göttlichen Macht außer ihm, und das in dem Maß, in welchem er sich auf sich selbst gründet; und andrerseits ist er zu erzwungen durch äußere Zeichen und Wunder, zu sehr besiegt und ermattet durch Erfahrungen und Beweise, zu sehr zermartert durch gewaltsame und verderbliche Seelenbearbeitung, als dass hier ein freies und frisches, fröhliches und kindliches Vertrauen aufblühen und gedeihen könnte. Der wahre Glaube aber ist nur und ganz und gar ein Glaube von Gottes Gnaden; er kann nicht fest genug und ausschließlich genug darin wurzeln, um dann auf diesem Grunde frei und ungehindert seine Äste und Zweige nach allen Seiten hin zu entfalten.

Endlich ist der kranke Glaube zu leichtgläubig und zu peinlich zugleich, als dass er nicht der Gewissenhaftigkeit des gesunden Glaubens Eintrag tun sollte. Jener macht es sich zu leicht, indem er Regungen des Fleisches, natürliche Gemütsbewegungen, eigne Gedanken für Wirkungen und Erleuchtungen des heiligen Geistes hält, oder gar Teilnahme an gewissen, stehenden Lebensformen, und Aneignung einer gangbaren Redeweise für ein Zeichen der Bekehrung nimmt, und sich des Einen oder des Andern tröstet in falscher Sicherheit. Dann aber macht er es sich wieder zu schwer, quält sich ab mit Seufzen und Verzagen, mit selbstgemachten Zeichen des Gnadenstandes, die nicht eintreten wollen, mit Bedenken und Zweifeln, die er nicht überwinden kann; macht sich aus Allem ein Gewissen, weil nichts ihm göttlich gewiss ist, und kommt um so weniger zum Frieden, je wahrer und aufrichtiger er es dabei noch meint. Der gesunde Glaube dagegen ist so wenig leichtgläubig, so misstrauisch gegen alles Fühlen und Erfahren, und so gewissenhaft, dass er jeden andern Grund, als Gottes klares und gewisses Wort entschieden verwirft, dass er nur glaubt, wo er Verheißung hat; hier aber baut er sich an, bleibt dabei fest und unbeweglich, wenn gleich alle Menschen dagegen wären und die Welt unterginge und die Berge ins Meer sänken; und so findet er Ruhe für seine Seele. Diese Gewissenhaftigkeit folgt ihm auch in das Leben. Er bewacht die Zunge und sitzt nicht da die Spötter sitzen, aber er bindet den Glauben nicht an Formen des Redens und Tuns, noch zieht er im Glaubens und Lebensverkehr mit dem Nächsten da eine Linie, wo Gott noch keine gezogen hat, der da will, dass Weizen und Unkraut miteinander wachsen bis zur Zeit der Ernte. Überhaupt ist die Gewissenhaftigkeit nur da die rechte, wo sie steht in Gottes Wort und zugleich mit der umfassenden und weiten Anschauung verbunden ist, die allein dieser Stand gewährt.

Erkennt, meine Lieben, wie sehr der erfahrungssüchtige Zeichenglaube, wie wir ihn geschildert haben, ein kranker Glaube ist; er ist ungewiss und leichtgläubig, unfrei und willkürlich, peinlich und leichtsinnig zugleich. Er kann auch nicht anders sein; denn wie unsre Erfahrungen, sein Grund, gleich dem unruhigen Meer auf- und abwogen, so ist auch er selbst unruhig und friedelos. Ja es ist ein treuloser Glaube, denn in den wenigen guten Stunden unseres inneren Lebens ist er unser gefährlichster Feind; und in den vielen bösen, den Stunden der Not und Trübsal, der Verzagtheit, der Zweifel und Anfechtungen, da verlässt er uns, und lässt uns gar allein. Gott aber gebe, dass dann einziehe der gesunde Glaube, und jener nie wiederkehre, denn wenn wir ihm auf den Grund sehen, so ist er ein unevangelischer Glaube, und dieser Weg des Gefühls nichts andres, denn ein Weg der Werke.

Nicht wahr, Ihr stimmt dem Worte Gottes bei und verwerft die Rede des Selbstgerechten, der da spricht: erst muss ich Werke tun, und dann kann ich gewiss sein und glauben, dass ich selig werde. Nun seht zu, dass Ihr nicht Euch selbst verurteilt, darinnen Ihr einen Andern richtet. Denn wie redet der falsche Erfahrungsglaube? Erst muss ich bekehrt und wiedergeboren sein, erst solche und solche Gefühle haben, erst diesen bestimmten Wärmegrad des Lebens in mir spüren, erst diese Stufe der Erkenntnis erreicht haben, erst zu dieser oder jener Gemeinschaft gehören und an diesen bestimmten gemeinsamen Werken mich beteiligen, dann darf ich mit Gottes Hilfe hoffen, ja ich darf dann sogar glauben und gewiss sein, dass er mir gnädig ist um Christi willen, und dass ich selig werde. Sagt, wo ist da der Unterschied? Jene reden von Besserung, diese von Buße; jene von Werkgerechtigkeit, diese von Lebensgerechtigkeit; jene von Tugend und Almosen, diese von Frömmigkeit und christlichen Werken! Beide bauen auf sich selbst, auf etwas, was sie an sich selbst wahrnehmen, in sich selbst schaffen und haben können. Beide gründen das Gewisse auf das Ungewisse, den Geist auf das Fleisch, indem sie meinen, wir könnten uns aus unserem Geiste die Gewissheit des Heils verschaffen. Beide sind unevangelisch, weil nicht gehorsam dem Worte des Evangeliums, das jeglichen Ruhm des Fleisches zu Schanden macht durch die törichte und unscheinbare Glaubenspredigt von Christo, der noch heute den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit ist, sintemal die Einen Zeichen fordern und die Andern nach Weisheit fragen.

Ist dem aber so, dann lasst uns bei der Prüfung unsres Zeichenglaubens endlich näher zusehen, ob er wirklich ist, was er sein will: lebendiger Herzensglaube an Jesum Christum? Wir geben zu, er kann sehr tätig sein, ob aber auch lebendig? Er kann auch große Wirkungen hervorbringen, viel Eifer und Widerstand zeigen; aber ist dass die Hauptfrage, die hier in Betracht kommt? Geliebte, seien wir auf der Hut vor uns selbst, und lassen wir uns nicht hinreißen zur Bewunderung jenes Helden Christentums, das sich aus seiner Tätigkeit eine Freude und ein Vergnügen macht! Nicht darüber sollen wir uns freuen, dass uns die Geister untertan sind, sondern darüber, dass unsre Namen im Himmel angeschrieben sind; das aber erfahren wir von keinem unserer Werke und Erfahrungen.

Dem Zeichenglauben droht eine große Gefahr, die nämlich, dass wir uns, ohne es uns zu gestehen, vielleicht unter scheinbarem Vorwand, einen Teil des alten Menschen vorbehalten. Das ist die List des Fürsten der Finsternis. Er stellt sich, als weiche er vor der Gewalt des heiligen Geistes; er verlässt eine Stellung nach der andern, aber sein Rückzug ist ein scheinbarer. Denn er hat noch einen Punkt gefunden und eingenommen, sei es auch auf der äußersten Grenze des alten Lebens, von dem aus er das ganze Gebiet beherrscht. O, wir können großen Eifer bezeigen durch Reden und Tun, wir können alle Erkenntnis haben, alle unsre Habe den Armen geben und unsren Leib brennen lassen, kurz wir können Viel wissen und große Opfer bringen, und doch nichts erkannt und verloren haben, weil das Alles auch ohne die Liebe geschehen kann, die allein aus dem lebendigen Glauben kommt und nicht aus dem erregten und regsamen Gefühlsglauben. Denn unser arglistiges Herz kann lange Zeit auf einen einzigen Zweig seiner Selbstsucht sich beschränken, dort hinein sein ganzes Leben bergen, und hier, scheinbar überwunden, seine Kräfte sammeln, um in einem entscheidenden Augenblick hervorzubrechen und den ganzen Menschen in seine Gewalt zu bringen. Ach, Geliebte, kennt Ihr denn nicht Euer Herz? Ihr redet von der Erfahrung, nun so will ich mich auf sie berufen! Wisst Ihr nichts von jener Art Heuchelei, da der alte Mensch sich selbst und Andern christliche Zustände und Erfahrungen vorheuchelt, von denen er in Wahrheit nur die Hülle hat? Kennt Ihr nicht jene Freude, die er an dem Schutz des Glaubens hat, die er daran hat, der Verfolgte zu sein und doch zu herrschen, Ruhe des Gewissens zu haben und doch zu sündigen, die Welt zu verdammen und sie doch zu genießen. So lange der Zeichenglaube auch nur das Geringste hat, worauf er sich neben dem Wort gründet, so lange ist er kein wahrer Herzensglaube. Denn das, was er für sich behält, verweigert er seinem Gott; und es ist gleich, ob wir Gott das ganze Herz oder nur eine Fiber desselben vorenthalten. Von da an, wo wir es mit Willen und Bewusstsein tun, wo wir aufhören dagegen zu wachen und zu beten, da ist nicht mehr Er, sondern das ihm Verweigerte unser Gott, und da ist unser Glaube kein Herzensglaube; denn unser Herz gehört nicht dem lebendigen Gott.

Lassen wir es uns denn sagen, Geliebte in dem Herrn, wie bei dem Licht des Wortes Gottes besehen, der auf die Erfahrungen, Gefühle und Gedanken unsres Herzens bauende Zeichenglaube kein gesunder Glaube ist, kein Glaube, weil ein ungewisser und friedloser, kein evangelischer Glaube, weil ein Werktreiben, kein Herzensglaube, weil nicht das volle Herz an Jesum allein hängt, nicht auf ihn allein sich gründet, und ihn allein umfasst.

2.

Doch, geliebte Gemeinde, verstehe es recht! Die Meinung ist nicht die, als wäre jeder kranke Zeichenglaube auch mit Bewusstsein und Willen so beschaffen, wie wir ihn geschildert, oder als hätte er gar nichts, auch nicht einmal eine Regung und einen Anfang vom Glauben. Keineswegs. Nur wo er sich nicht strafen und zur Selbsterkenntnis bringen lässt, wo er sich gegen den gesunden Glauben beharrlich auflehnt, da ist er in großer Gefahr einen tiefen Fall zu tun, wenn er ihn nicht schon getan hat. Denn von ihm gilt das Wort des Propheten Jesaias: „Wenn sie aber zu euch sagen, ihr müsst die Zeichendeuter fragen, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott fragen? Ja, zum Gesetz und Zeugnis! Werden sie das nicht sagen, so werden sie die Morgenröte nicht haben.“ Wenden sie sich aber zu des Herrn Wort, so geht ihnen auch der Tag auf; und das, was der Zeichenglaube noch Wahres in sich bergen kann, der schwache verhüllte Glaube an das Wort, wird unter Gottes Hand erzogen zum unbedingten, nicht mehr am Gefühl, sondern allein am Wort hangenden Glauben.

So erfährt es der Königische. Er lässt sich strafen von dem Herrn, der sich ihm so fremd stellt, aber er hört auch nicht auf, ihn zu bitten, und als nun der Herr ihn aufs Neue prüft, zu ihm sprechend: Gehe hin, dein Sohn lebt; da lässt er sich genügen an dem Wort, wie sehr es auch gegen sein Denken und Meinen anstößt. Einsam und allein muss er zurückgehen; dessen Augen zuvor den Sohn todkrank gesehen, der empfängt zu seinem Trost nichts Sichtbares und Fühlbares, nichts als das Wort: Dein Sohn lebt. Und er ging hin, denn er glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte.

Hier lernen wir, was Glaube heißt, der Glaube, der von dem sichtbaren Schein, der irdischen Hilfe, dem spürbaren Trost absieht, und nur das Wort ergreift und festhält. Dieser Glaube gibt dem Zukünftigen die Lebendigkeit der Gegenwart, und dem Unsichtbaren die Gewalt der sichtbaren Wirklichkeit. Dieser Glaube spannt über das irdische Leben die Ewigkeit; er klammert sich fest an den einzigen Ruhepunkt; und indem wir in uns ohnmächtig und schwach werden, erweist er sich an uns als eine Gottes Kraft. Grade dann, wenn wir angefochten werden von Sehen, Fühlen, Erkennen, wenn uns der Widerspruch der inneren und der äußeren Erfahrung überwältigen will, dann fasst er uns und baut uns mitten in den ängstigenden Wogen einen sichern Hafen der Gewissheit und des Friedens. Dieser Glaube allein gibt der Seele eine gewisse Zuversicht, er ist fest und unwandelbar im Wechsel, stark in der Anfechtung, tröstlich in Trübsal, ruhig und klar in allen Verwirrungen des Lebens. Und er ist dies, weil er nicht ruht auf menschlichem, sondern auf göttlichem Grunde; nicht auf unsrer Erfahrung und Überzeugung, sondern auf Gottes Taten und Zeugnissen; weil er allein dem Worte glaubt, und nicht fragt nach Himmel und Erde, aber dem vollen Worte glaubt, ohne es sich zu verkümmern mit dem Maß seiner Empfindung oder Erkenntnis, und dem ganz und gar sich hingibt, ohne Rückhalt und Teilung, ohne Bedingung und Handel.

Und eben solchen Glauben, keinen andern, bedürfen wir auch für unser irdisches Leben. Denn wenn Deine Wege dunkel sind, wenn Deine besten Wünsche und Hoffnungen verloren scheinen, wenn die Erfüllung Deiner Bitten sich nicht zeigen will, wenn eine Sorge um die andere Dich anfällt, und Dich Schmerzen, Krankheit, Elend und Armut treffen, - da gibt es keinen andern Trost, als den gewissen des Wortes Gottes, da müssten wir vergehen in unsrem Elend, wenn wir nicht sein festes Wort hätten, und wo Du daran glaubst, da müssen auch alle Dinge Dir zum Besten dienen. Ferner, wenn wir erkennen, wie die Sünde unsre Natur durchgiftet hat, wie sie immerdar sich regt, und jede Gelegenheit benutzt hervorzubrechen, also dass wir keine Gerechtigkeit an uns finden, da hilft kein andrer Glaube, als der an das Wort der Vergebung der Sünden um Christi willen, als der, welcher die stellvertretende Genugtuung und die Gerechtigkeit Jesu Christi außer uns ergreift, und dem fest vertraut, dass wir ob auch in uns nichts als Sünder, doch gerecht und rein sind um des Wortes willen, das Gott zu uns geredet hat. Vollends dann, wenn wir den Tod vor uns sehen, und das Grab und die Verwesung und das Gericht danach, ach dahin reicht kein Empfinden und Fühlen, da ist nichts zu sehen, denn Schrecken und Zerstörung; dennoch haben wir ein Wort, das auf jedem Blatt vom ewigen Leben redet, und das die Auferstehung des Fleisches verheißt. Wir gehen zwar einsam und allein diesen Weg durch das Todestal, welches Zeit und Ewigkeit verbindet, aber uns ist ein Wort mitgegeben: „gehe hin, du sollst leben“, und wo wir im Glauben das Wort fassen, da hat der Tod keine Macht mehr über uns, ja, da wir noch hinabgehen, sendet uns der Herr schon seine Boten entgegen, die seine Befehle ausrichten zum Dienst derer, welche ererben sollen das ewige Leben.

Darum tut es Not, dass wir uns nicht täuschen lassen vom Scheinglauben, sondern von dem Königischen lernen, was rechter Glaube sei, nämlich Gottes Wort und Verheißung haben, und daran fest hangen wider alles Sehen und Erfahren, des gewiss, es sei so und werde so geschehen, wie das Wort es uns verkündigt. Freilich in gewissem Sinne ist auch der Glaube ein Sehen, aber er sieht den Trost, den kein andres Auge erspäht, und wiederum sieht er nicht das Leid, das sonst gesehen und erfahren wird. Denn er ist nur Auge für das Wort aus dem er geboren ist und das ihm seine Sehkraft gibt; und wo er das aufgedeckte Antlitz der Klarheit Gottes im Worte hat, da fürchtet er sich nicht, denn er sieht, wie Elisas Knabe, dass derer mehr ist, die für uns sind, denn derer, die gegen uns sind. Eben so hat der Glaube auch Zeichen und Wunder, denen er glaubt, aber nicht selbstgeforderte und selbsterwählte, sondern die von Gott gesetzten und gegebenen heiligen Bundeszeichen der Taufe und des Abendmahls, da sich der Herr ein bleibendes Gedächtnis seiner Wunder gestiftet hat. Auf diese Zeichen baut er mit Zuversicht, sie gebraucht er fleißig und treu, denn er weiß, dass durch diese beiden Gottessiegel das Wort Gottes, als der allgemeine Gnadenbrief an alle Welt, auf den Namen dessen geschrieben und dem persönlich zugeeignet wird, der jene Zeichen ernstlichst begehrt und gläubig empfängt. Aber an diesen Gnadenzeichen hat er auch volles Genüge, denn jedes Fordern eines andern Zeichens ist ihm eine Verachtung und Verleugnung Jesu Christi.

Endlich, Geliebte in dem Herrn, stehen erst bei dem gefunden, evangelischen Glauben, Erfahren und Glauben im richtigen Verhältnis; denn erst durch den Glauben wird die Erfahrung in das rechte Licht gestellt, so wie umgekehrt durch die recht verstandene Erfahrung das Wachstum des Glaubens gefördert wird.

Nicht machen Erfahrungen den Glauben, wohl aber macht der Glaube Erfahrungen. Ich will dich in der Felsenkluft stehen lassen, sprach der Herr zu Moses, der sein Angesicht zu sehen begehrte, und will meine Hand ob dir halten, bis ich vorübergehe, und hintennach sollst du meine Herrlichkeit sehen. So erfährt es auch der Königische. Der Herr, der da weiß, was für ein gebrechlich Gefäß wir sind, er kommt unsrer Schwachheit zu Hilfe, und lässt uns, da wir in den Felsklüften liegen und im Finstern wandeln auf nicht sehenden Glauben, in manchen Zeiten und Stunden seine Nähe spüren, seinen Frieden fühlen, seine Hilfe erfahren; und er tut es in verschiedener Weise bei den Einzelnen, je nach der Kraft ihres Glaubens. Ein Abraham muss warten bis zum Aufheben des Opfermessers gegen seinen geliebten Sohn der Verheißung, der Königische dagegen empfängt schon unterwegs die frohe Kunde von der Genesung des Sohnes. Dem Anfänger im Glauben werden solche Stunden öfter zu Teil; aber fragt die Männer in Christo, die Starken im Glauben, die seine Befehle in der Welt ausrichten, sie werden euch sagen, wie solche Empfindungen immer seltener, und wie die Anfechtungen immer häufiger und stärker werden. - Doch wenn wir solch eine Erfahrung machen, da sollen wir sie recht brauchen im Glauben; wie es in unsrem Texte heißt: der Mann forschte nach der Stunde, und merkte auf das Wort, das ihm gesagt wurde. Sie soll uns tiefer in das Wort treiben, damit wir nach dem Wort die Erfahrung prüfen und beurteilen, nicht aber nach der Erfahrung das Wort. So nur sind wir sicher, von den Erfahrungen nicht hintergangen und getäuscht zu werden, so nur lernen wir unterscheiden unser Werk in uns von dem Wirken des Geistes Gottes; denn nur im Lichte des Worts erkennen wir die Spuren seines Waltens und verstehen sein Geben und Nehmen, sein Segnen und Strafen. Und so gebraucht müssen die Erfahrungen durch Gottes Gnade dazu dienen den Glauben, der allein am Wort hangt, immer mehr zu gründen, dass er wachse, stark werde und der Krücken zum Gehen und Stehen nicht mehr bedürfe. Denn, Geliebte in dem Herrn, ob zwar auch der schwächste Glaube, wenn er nur in sich gesund und rechter Art ist, den ganzen Christum hat mit allen seinen Heilsgütern, also, dass das Kind, das eben getauft ist, nicht weniger hat, denn alle Apostel und Männer in Christo, - so bedarf dennoch der Glaube steter Übung durch Erfahrung und Anfechtung, auf dass er auch fassen und festhalten lerne, was er hat, und aus einem schwachen Glauben ein starker werde. Nur der Glaube aber ist ein starker, der mit dem Worte Gottes verwachsen ist; der kein ander Ding weder außer sich noch in sich ansieht, denn diesen Fels des Heils, und darum selbst seiner Felsennatur teilhaftig wird. Er baut vom Anfang bis zum Ende des geistlichen Lebens in allen Erfahrungen, den angenehmen wie den schweren, nicht auf das Veränderliche in uns, sondern auf die unbeweglichen Verheißungen des Wortes Gottes, als auf die göttlich verbriefte und versiegelte Bürgschaft seiner Versöhnung, seines Gnadenstandes in der Zeit, und seiner ewigen Seligkeit. Ja, weit entfernt deshalb stark zu sein, weil er Zeichen und Wunder sieht, schafft er selbst Zeichen und Wunder, weil er so stark ist, und Zeugnis gibt von dem Grund seiner Stärke, den Worten und Taten des Herrn. Wie es auch von dem Königischen heißt: Er glaubte mit seinem ganzen Hause. Der Herr gebe Gnade dazu, dass die Predigt seines Worts in unsern Herzen den gesunden evangelischen Glauben aufrichte und stärke, dann wird er sich alsbald auch in den Häusern wirksam erweisen, und seine Kraft allenthalben im Leben offenbaren.

Geliebte Gemeinde! Versuche, prüfe dich selbst, ob du im gesunden evangelischen Glauben stehst, denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Aber mit dem Glauben zieht Gott selbst in unser Herz. Wo der Glaube ist, da ist der Vater, der uns liebt und uns zu Erben aller seiner Güter eingesetzt hat in Christo; wo der Glaube ist, da ist der Sohn, der uns in der Kraft seines Verdienstes ewiglich vertritt; wo der Glaube ist, da ist der heilige Geist, der uns das Heil zueignet, uns im rechten Glauben erhält, und uns das Siegel und Zeugnis des ewigen Lebens gibt. Und wie wir es hier geglaubt haben, also werden wir es finden zu seiner Zeit in den ewigen Hütten. Hier haben wir es nur im Wort und im Glauben, dort in der Tat, in der Erfahrung, im Schauen.

So lasst uns denn nehmen das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes; lasst das Wort Christi reichlich unter uns wohnen, so werden wir gesund sein im Glauben, stark in dem Herrn und der Macht seiner Stärke, und werden das Ende des Glaubens davon bringen, nämlich der Seelen Seligkeit.

Herr, wo soll'n wir denn fliehen hin
Da wir mögen bleiben!
Zu Dir Herr Christ alleine.
Vergossen ist dein teures Blut,
Das genug für die Sünde tut.
Heiliger Herre Gott,
Heiliger starker Gott,
Heiliger, barmherziger Heiland,
Du ewiger Gott,
Lass uns nicht entfallen
Von des rechten Glaubens Trost.

Amen.

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