Harnack, Theodosius - VII. Die Zweifelsucht der Gläubigen unsrer Zeit.

Harnack, Theodosius - VII. Die Zweifelsucht der Gläubigen unsrer Zeit.

Predigt am Sonntage nach Ostern, Quasimodogeniti.

Der Friede unsres auferstandenen Herrn Jesu Christi sei mit Euch Allen, auf dass ihr an ihn glaubt und ihn liebt, wiewohl ihr ihn nicht seht, und das Ende des Glaubens davon tragt, nämlich der Seelen Seligkeit. Amen.

Gemeinde des Herrn! Liebreicher und trostreicher offenbart sich nimmer die Gnade und die Herrlichkeit Jesu Christi, des vom Tode erstandenen, als in der Sorge und Herablassung, in der Schonung und Strafe, der Geduld und Treue, mit welcher er seinen betrübten, irre gewordenen und schuldbeladenen Jüngern nachgeht, um sich ihnen als den Lebendigen zu erweisen, sie mit seinem Osterfrieden zu segnen, und ihnen damit den vollen Ertrag seines Kampfes und Sieges zu eigen zu geben. Der Schlag, mit dem der Herr geschlagen und zu Boden geworfen war, der hatte zugleich das einzelne und das gemeinsame Leben der Jünger getroffen und es zum Verbluten verwundet. Doch nachdem der Herr auferstanden und als Fürst des Lebens dem Tode die Macht genommen, da hat er nichts Größeres und Wichtigeres zu tun als seine Jünger zu suchen und zu sammeln, um ihnen die Frucht seines Todes, das neue Leben, zu schenken, an die Stelle der mit ihm gestorbenen und begrabenen Erlösung, die sie sich eingebildet und vorgestellt hatten, ihnen die wahrhaftige und wirkliche Erlösung darzureichen, die Er mit seiner Auferstehung für alle Ewigkeit ans Licht gebracht hat. Darum sehen wir ihn einhergehen und tatsächlich erfüllen, was der Prophet Ezechiel von ihm geweissagt hatte: „Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Ich will das Verlorene wieder suchen, und das Verirrte wiederbringen, und das Verwundete verbinden, und des Schwachen warten; was stark ist, will ich behüten, und will ihrer pflegen, wie es recht ist.“ (Hes. 34,11.16.)

Obgleich uns schon die vierzig Tage nach Ostern auffordern uns diese Erweisungen des Herrn lebendig zu vergegenwärtigen, mehr noch sollte uns dazu dringen die Beschaffenheit und der Zustand der Gläubigen unsrer Tage im Ganzen und Einzelnen. Seht doch in Euch und um Euch! Wie steht es hier bei uns, wie jenseits der Grenzen unsres Landes mit den Gläubigen der evangelischen Christenheit? Der Herr ist wahrhaftig auferstanden; das wissen die Feinde, die Ungläubigen, die Lästerer, die Rottenstifter sehr gut; deshalb sind sie auch geschäftig zu wirken, so lange es noch Zeit ist. Aber diejenigen, die gläubig sein wollen und es auch sein mögen, die scheinen es sehr schlecht zu wissen, und noch schlechter zu nutzen. Denn was sehen wir an ihnen, was erfahren wir an uns? Wie viel Furcht vor den Menschen und wie wenig Vertrauen auf den Herrn! Wie viel verschlossene Türen für die volle und reine Wahrheit des Evangeliums, und wie viel offene für die eigenen oder die fremden Ansichten und Meinungen, für die Weisheit dieser Welt! Wie viel Verzagtheit und Vermessenheit; wie viel Kraft zum Zweifeln und Schwäche im Glauben; und deshalb wie viel Zersplitterung und Verstreuung, wie viel Parteimachen und Parteitreiben; wie wenig wahre Einheit und herzliche Gemeinschaft! Ach da gehen sie in der Irre, wie Schafe, die keinen Hirten haben; ein Jeder sucht das Seine und sieht auf seinen Weg!

Je mehr aber diese unsre Zustände denen der Jüngerschar in den ersten Tagen nach der Auferstehung des Herrn gleichen, um so wichtiger muss es uns sein zu erkennen, wie sie uns in der heiligen Schrift geschildert werden, worin diese die Ursache derselben findet, wie der Herr darüber urteilt, und besonders wie er sie heilt. Denn von den Jüngern heißt es alsbald, sie alle waren stets einmütig bei einander mit Beten und Flehen. Damit es auch von uns bald, ja bald, also heißen möge - und das walte Gott in Gnaden - dazu lasst uns mit voller Hingabe unsres Herzens an das Wort der Wahrheit die Erweisung des Lebendigen Herrn betrachten, die er gnadenvoll und trostreich acht Tage nach seiner Auferstehung einem irrenden und glaubensschwachen Jünger zu Teil werden ließ, und die wir aufgezeichnet finden in dem Evangelium unsres heutigen Sonntags nach Ostern Quasimodogeniti, das geschrieben steht

Joh. 20,24-31.
Thomas aber, der Zwölfen einer, der da heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei denn, dass ich in seinen Händen sehe die Nägelmale, und lege meine Finger in die Nägelmale, und lege meine Hand in seine Seite, will ich es nicht glauben. Und über acht Tage waren abermals seine Jünger darinnen, und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren, und tritt mitten ein, und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her, und siehe meine Hände; und reiche deine Hand her, und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete, und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott? Spricht Jesus zu ihm: Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben. Auch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubt, Jesus sei Christ, der Sohn Gottes; und dass ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen,

Du hörst es, geliebte Gemeinde, auch diese Geschichte von dem zweifelnden und schwachgläubigen Jünger ist geschrieben - nicht damit Du Dich des Thomas tröstest und rühmst, sondern Jesu Christi, Deines Herrn und Gottes, indem Du glaubst, und durch den Glauben das Leben hast im Namen Jesu.

Herr Jesu, Du Haupt Deiner Gemeinde, der Du uns zur Aufrichtung und Stärkung des Glaubens auch dies Dein Wort gegeben hast, hilf denn in Gnaden durch Deinen heiligen Geist, dass es heute nicht leer zurückkomme, sondern tue und ausrichte, wozu Du es gesendet hast. Amen.

Lasst uns auf Grund unsres Evangeliums von der Zweifelsucht der Gläubigen unserer Zeit mit einander reden, indem wir dabei zuerst die Krankheit selbst und dann ihre Heilung kennen lernen wollen.

1.

Zweifelsucht, das ist die allgemeine Krankheit unsrer Zeit, die alle Stände, Geschlechter, Alter ergriffen hat. Wenn uns vieles Notwendige fehlt, wenn Armut, Entbehrung uns drückt, wenn uns die Güter der Erde und die Gaben des Geistes versagt sind, - an Zweifeln haben wir keinen Mangel. Und umgekehrt, wenn wir Alles haben, Wissenschaft und Kunst, Bildung und Wohlleben, Handel und Gewerbe, Hab und Gut, Eins fehlt uns, der feste, klare und kindliche, evangelische Glaube, und mit diesem Einen fehlt uns der Halt, die Sicherheit und die Zufriedenheit in allen Verhältnissen des Lebens.

Zweifelsucht, das ist besonders die Krankheit der Gläubigen unserer Zeit. Daher ihre Ungewissheit und Urteilslosigkeit, ihre Unentschiedenheit und Unentschlossenheit, daher ihr Umhergeworfenwerden von allerlei Wind der Lehre und des Lebens, daher ihr Fragen, Drängen und Suchen nach dem verlornen Frieden.

Wir wollen darum von den Gläubigen und zu den Gläubigen im allgemeinsten Sinne des Worts reden, d. h. nächst denen, die schon im Glauben stehen, auch von Allen und zu Allen, die schon irgendwie aufgewacht sind aus dem Tode und dem Verderben des Unglaubens, und die wenn auch nur die leisesten Anfänge gemacht haben, nach dem Herrn zu fragen und sich um das Heil ihrer Seele zu kümmern, deren Glauben aber ein schwacher, von Zweifeln durchzogener ist, dem unter der Asche glimmenden Funken gleich, der in jedem Augenblick zu verlöschen droht. Unser Evangelium handelt von einem solchen schwachgläubigen Jünger. Denn Thomas, ob auch häufig so genannt, ist kein Ungläubiger im Sinne des feindlichen, Christum verneinenden und verwerfenden Unglaubens. Diesem, der da spricht: lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot, ist Nichtglaube eine Lust und Freude; er will nicht das Zeugnis der Wahrheit annehmen, will nicht aufgeben seine Sünde, Lüste und Begierden. Thomas dagegen möchte glauben, aber er kann es nicht; ihm werden seine Zweifel eine schwere Last, er ist nicht freudig und getrost bei seinem Leugnen, sondern fühlt sich gedrückt und unruhig, und irrt deshalb einsam umher, friedeleer und hoffnungslos. Er hat sich auch nicht von dem Herrn losgesagt, er liebt ihn vielmehr mit einer Liebe, die ihm jetzt Qual bereitet; aber er, kann nicht an ihn als an den Auferstandenen glauben, denn er hat keine Kraft, das zu überwinden, was von außen und innen gegen die Zuversicht ankämpft, die eben das Wesen des Glaubens ausmacht. Und diese Kraft fehlt ihm, weil er sich nicht dem Wort ganz hingibt, das der Herr vor seiner Auferstehung so oft gesagt hatte, und das er ihm aufs neue von seinen Mitjüngern verkündigen ließ. Teils war er schon zu sehr von der Wahrheit ergriffen, als dass er sich ganz von dem Herrn hätte lossagen können; teils hatte er wiederum zu wenig sie ergriffen, um sich ihm ganz hinzugeben; und so wird er umhergeworfen von dem einen zum andern, und kommt nicht zum Frieden. Zweifelnd schwankt er zwischen Himmel und Erde, zwischen Gottes Wort und seinen Gedanken, zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Leben und Tod.

Seht hier einen Spiegel, in welchem alle Zweifelnden und Glaubensschwachen sich wiederfinden müssen; aber erkennt auch die nächsten und allgemeinsten Ursachen und Wirkungen einer Seelenkrankheit, die so leicht und so oft zum Tode ausschlägt.

Von Zweifeln kann da nicht die Rede sein, wo man noch gar nichts von Christo weiß. Zweifeln setzt immer schon irgend eine Erkenntnis und Erfahrung von Christo voraus, denn es besteht eben in der Geteiltheit, in der Zwiefältigkeit und Zwiespältigkeit unsres Wesens, da man ein Altes nicht lassen und ein Neues nicht abstoßen will, da Finsternis und Licht in uns mit einander kämpfen, wie Nacht und Tag in den Dämmerungsstunden. Darum setzen die Zweifel den Anbruch des Tages voraus, und erstehen in denjenigen Zeiten am stärksten und allgemeinsten, wo wie in den unsrigen Christus der Herr sich lebendig und wirksam erweist. Doch hüten wir uns in ihm die Ursache der Zweifel zu suchen. Gott hat uns einfältig geschaffen; Christus will in uns die Einfalt des Glaubens wirken; jede seiner Erweisungen lautet: Fürchte dich nicht, Friede sei mit dir, Selig bist du, und so fort. Die Zweifel dagegen erfüllen uns mit Furcht, Unfrieden und Unseligkeit. Ihre Ursache muss eine andere sein; worin liegt sie? Zwar hat der Zweifel bei Jedem eine andere Gestalt, aber im Grunde ist er doch bei Allen derselbe; so sind auch seine Ursachen bei Jedem besondere, aber die Hauptquellen sind doch dieselben, wenn sie auch in unzähligen Sprudeln an den Tag kommen.

Nennen wir die erste und äußerlichste, sie liegt in der Macht der Sinne und der uns umgebenden sichtbaren Welt. Thomas will es nicht glauben, dass ein Toter wieder lebendig werden könne, so lange ihn nicht sein Auge und seine Hände von dem Gegenteil werden überführt haben. So sind auch wir hinein gebannt in die sinnliche Welt, gebunden an die sogenannten Gesetze der Natur, und meinen es gebe keine andre Wirklichkeit, denn die sinnliche, keine andre Wahrheit, denn die mit Augen sichtbare und mit Händen greifbare. Und kommt nun dazu das Elend dieses Lebens: die Not der Armut, die Angst der Sorge, die Schmerzen der Krankheit, die Schauer des Todes, die Schrecken des Grabes, dann zagt vollends der geringe Glaube und ist dem Verlöschen nahe. Aber wie? soll denn der Leib den Geist regieren, oder der Geist den Leib? Ist diese sichtbare Welt die Alles bestimmende, oder wird sie selbst von einer höheren Ordnung bestimmt? Soll Gott sich nach den Gesetzen der Natur richten, oder diese nach Gott? Oder sind diese gar selbst der Gott, der da regiert und über Dein Heil entscheidet? Haben wir nicht ein Wort Gottes, voller Gnade und Wahrheit, voller Trost und Verheißung? Heißt es nicht: der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, das man hofft und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht? Ja so ist es, das haben wir, so heißt es. Aber seht, dem Thomas war auch das Wort des Herrn gegeben von dessen Auferstehung, doch er hat neben diesem Wort seine eigene Weisheit, und die stellt er über das Wort.

Die Weisheit, das Wissen, worauf unsre Zeit sich so viel einbildet, das ist die nähere Quelle der Zweifel. Es gibt eine Weisheit aus Gott, die meine ich nicht; aber es gibt auch eine Weisheit wider Gott, die weit verbreitet ist, und von dieser reden wir. Ja die Weisheit der Welt, welche Torheit ist vor Gott, das ist die Göttin, vor der Alle mehr oder minder niederknien und anbeten. Das ist die Göttin, der man schon früh die Kinder opfert, die doch Christo in der heiligen Taufe in die Arme gelegt sind; die Göttin, der die Jünglinge dienen, die doch mit Bewusstsein und Willen gelobt haben Christo allein zu dienen und ihm anzuhangen; die Göttin, die der Stolz und die Kraft, der Schmuck und die Ehre der Männer ist, während es doch heißt: Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen Arm, und weicht mit seinem Herzen vom Herrn. Von dieser falschen Weisheit ist die Gegenwart beherrscht, darum liegen wir so an der Zweifelsucht darnieder. Statt unsere Weisheit auf den Glauben zu gründen, gründen wir den Glauben auf die Weisheit der Menschen, und dieser reißende Strom unterhöhlt den geringen Glauben immer mehr, und macht ihn elend, kraftlos und mutlos. Stütze nur Deinen Glauben auf den morschen Stab menschlicher Vernunft und Kraft, und dieser wird bald zusammenbrechen und Dir in die Hand fahren! Baue nur Dein Haus auf Sand, und der erste Sturm wird es aus den Fugen lösen, es wird über Deinem Haupt zusammenfallen und Dich unter seinem Schutt begraben! Wie der Grund, so der Glaube. Ist jener fest und unerschütterlich, so ist es auch Dein Glaube; ist aber der Grund ein wankender und vergänglicher, so ist auch Dein Glaube schwankend und voller Zweifel. Denn Alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume ist abgefallen, aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. Das ist aber das Wort, welches uns verkündigt ist. Wir haben ein festes, in Ewigkeit bleibendes göttliches Wort, und Ihr tut wohl, dass ihr darauf, als auf einen Felsen, Euch gründet und baut.

Aber hier kommen wir auf die legte Ursache der Zweifelsucht unter den Gläubigen. Es ist die verkehrte Stellung des Herzens zum göttlichen Wort! Man verwirft nicht das Wort, man erkennt es an, lässt es gelten; aber wie geht man damit um, und wie braucht man es? Da tut man, als verstehe es sich von selbst, dass unsere Ansichten und Vorstellungen, Neigungen und Gedanken, dass unsere christlichen Erfahrungen ohne weiteres die richtigen und wahren seien, dass wir diese vor allen Dingen zu bergen und ins Sichere zu bringen haben; und dann erweist man dem Worte Gottes die Ehre, aus ihm so viel zu entnehmen, als sich mit jenen vereinigen lässt, und an ihm so lange zu deuten, bis es mit unsren Wünschen übereinstimmt. Ist das geschehen, dann stellen wir uns selbst das Zeugnis aus, gläubige, evangelische Christen zu sein. Man fragt nicht, welches Urteil spricht Gottes Wort über meine Gedanken und Erfahrungen; sondern, wie urteilen und richten diese über Gottes Wort? Man folgt also auch nicht dem, was Gottes Wort sagt und setzt, sondern was die eigene Vernunft, nehme sich sich dabei auch noch so geistlich, lehrt und meint; und stellt mithin diese über Gottes Wort. Aber, Geliebte in dem Herrn, könnt Ihr ernstlich meinen, dass ein solches selbstbereitetes und zurechtgelegtes Christentum der Glaube sei, der das Herz fest und froh macht? Ihr könnt es nicht meinen, denn die Unruhe Eurer Zweifelsucht zeugt wider Euch! Könnet Ihr meinen, dass ein Glaube, zusammengesetzt aus einigen Bibelsprüchen und frommen Redensarten, eingebildet auf die erlebten oder nachgesprochenen Erfahrungen, gemischt aus kräftigem Unglauben und schwachem Glauben, und bei dem Allen getragen von den Eingebungen unsrer Vernunft, uns wirklich trösten kann, wenn die Sünde uns verklagt, die Welt uns anficht, und der Tod uns dahinrafft? Könnt Ihr meinen, dass ein Glaube, der euch hier in der Zeit unselig macht, Euch dort in der Ewigkeit selig machen könne?. Könnt Ihr meinen, dass Gott mit Euch sei, wenn Ihr das Eure sucht und nicht das Seine; Euren Ruhm, und nicht seine Ehre; Eure Selbstzufriedenheit, und nicht sein Wohlgefallen; wenn Ihr sucht den Frieden mit der Welt, und nicht den mit Gott; die Weisheit dieser Welt, und nicht die seines Worts? Ihr könnt es nicht meinen. Ihr müsst vielmehr darin die letzte Quelle und Ursache der Zweifel suchen, die an der Ruhe eurer Seele nagen Tag und Nacht. Denn das ist gewiss wahr, sobald wir uns über Gottes Wort stellen, so kommen wir auch zu liegen unter Alles, was um uns und in uns ist: unter alle Menschen, unter die ganze sichtbare Welt, unter alle Schicksale und Erfahrungen unsres Lebens, unter unser selbstsüchtiges und hochmütiges Ich, und unter alle Unruhe und Angst, Friedelosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die ewig mit der Zweifelsucht verwachsen ist.

Wie aber die Zweifel aus unsrer Selbstsucht stammen, die sich mit dem Hochmut des Wissens und mit der Macht der sinnlichen Erfahrung gegen Gottes Wort verbündet, so bewirken sie auch selbstsüchtige Vereinzelung, und lösen immer mehr das Band, das uns mit dem Herrn und seiner Gemeinde der Gläubigen verbindet. Wie Thomas mit seinen Zweifeln einsam umherirrt, und deshalb auch die Erweisung des Auferstandenen versäumt, welche den versammelten Jüngern zu Teil ward; wie seine Zweifel ihn verhindern dem gemeinsamen Zeugnis der Jünger: „Wir haben den Herrn gesehen“ zu glauben, oder sich zu gedulden und dessen zu getrösten, dass er in Galiläa, wohin der Herr alle die Seinen beschieden, ihn erfahren und sehen werde; so zerstört auch heute noch die Zweifelsucht alle wahre Gemeinschaft, und verstreut die Gläubigen in alle vier Winde, so dass jeder seinen Weg zieht. Denn heute noch hat der Herr seit jenen Tagen seiner Auferstehung sein Galiläa auf Erden, seine Eine, heilige, allgemeine, christliche Kirche, welche ist die Gemeinschaft aller wahrhaft Gläubigen, verbunden durch Einen Herrn, Einen Geist, Einen Glauben. Hier ist er für uns, für einen Jeden wahrhaft gegenwärtig und wirksam; hier wird er geglaubt, bekannt und gepriesen als der Lebendige; hier werden ihm auch seine Kinder geboren, wie der Tau aus der Morgenröte. Das ist sein heiliger Wille, und seine von ihm geordnete Veranstaltung. Der Zweifelnde dagegen verfolgt seinen eignen Weg, ist für sich allein, ist gleichgültig gegen das Zeugnis und das Bekenntnis der Gemeinde Jesu Christi, und weiß sich wohl was darauf, dass er nicht auf Menschenwort seinen Glauben gründen wolle; als ob jenes Zeugnis: „Wir haben den Herrn gesehen, er ist wahrhaftig auferstanden“ eine Erfindung der Jünger und nicht ein wahres, festes Gotteszeugnis gewesen, obgleich es ein von Menschen gesprochenes Wort war.

Seht hier in der Zweifelsucht den Grund der beklagenswerten und schmerzlichen Zersplitterung und Verwirrung unter den Gläubigen der evangelischen Christenheit. Wie sollte es auch anders sein! Der Jünger ist nicht über seinen Meister, noch der Knecht über seinen Herrn. Wo mit Gottes Wort wie mit einer Ware gehandelt wird, da muss Anstoß genommen werden an einem Bekenntnis, das wider solch Verfahren zeugt, indem es uns lauter und rein, einfältig und bestimmt die evangelische Wahrheit verkündigt. Sagt nicht, es komme vornehmlich auf die Liebe zu Christo an, und nicht auf Einheit, Bestimmtheit und Reinheit im Glauben und Bekennen. Gewiss, wo der Glaube ist, da muss auch die Liebe sein, sonst ist jener ein toter; aber die wahre Liebe liegt diesseits und nicht jenseits des Glaubens, sonst fällt sie unter das Gericht des Worts: Was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde. Seht, Thomas liebte den Herrn auch; aber den Herrn, nicht wie er ist, sondern wie er ihn wollte und sich dachte. Seine Liebe ist die gekränkte und verletzliche, die empfindsame und empfindliche, sinnliche und fleischliche Liebe. Die wahre Liebe treibt die Furcht aus, Thomas aber ist voller Furcht und Unruhe; jene ist eine selige, seine Liebe dagegen macht ihn unselig; jene ist aus dem Glauben, die seine wider den Glauben; jene sucht nicht das Ihre, duldet und hofft Alles, die seine ist selbstsüchtig, ungeduldig und hoffnungslos; jene verbindet und erbaut, die seine vereinzelt und zerstört alle Gemeinschaft. Ja wo es mit dieser selbstsüchtigen, glaubenslosen, zertrennenden Liebe zum Herrn hinaus geht, das sehen wir bei Thomas und bei allen Gläubigen, die, wie die Meereswoge vom Winde, so von ihren Zweifeln und von allerlei Wind der Lehre umhergeworfen werden. Vermessen verlangt er für sich ein besonderes Zeichen, wenn er glauben solle an den Auferstandenen. So weit ist es mit ihm gekommen. Das erste noch unschuldig klingende: „ich kann es nicht glauben,“ hat sich verwandelt in das: „ich will es nicht glauben.“ Zwar stellt er noch eine Bedingung, aber dieser bedingte Unglaube ist nicht sehr fern mehr von dem unbedingten, von jenem hochmütigen Trotz, da der Sünder lieber untergeht, als dass er sich demütig der Wahrheit und Ordnung Gottes unterwerfe.

Erkennt aber auch daraus wie die Zweifelsucht die Mutter des Zeichen- und Gefühlsglaubens ist. An ihm liegen wir Alle mehr oder weniger krank darnieder. Seine Verbreitung unter den Gläubigen unserer Zeit, die Pflege, die Anerkennung und Vertretung, die er findet, ist ein rechtes Zeichen der Schwäche, Verwirrung und Krankheit unsres Christentums. Wir wollen dabei gern gestehen, dass in ihm noch ein Funke lebendigen Glaubens verborgen sein könne; aber nimmer können wir zugeben, dass er, wofür er von Vielen angesehen wird, der zu erstrebende, der festzuhaltende, der wahre und seligmachende Glaube sei. Er liegt vielmehr auf der Grenze zwischen Glauben und Unglauben. Er hat seine Quelle in den Zweifeln unsres Herzens, in dem Mangel an Vertrauen zum lebendigen, auferstandenen Herrn, der kraft seiner Verheißung bei uns sein will alle Tage bis an der Welt Ende; er lässt sich nicht genügen an dem Wort und den Zeichen, die wir zum glauben bedürfen, und an welche der Herr die wirksamen Erweisungen seiner Gnadengegenwart geknüpft hat. Und dieser von Zweifeln angenagte und durchlöcherte Glaube kann uns auch nicht selig machen; wo er wohnt, da muss man hungern bei aller Fülle, fürchten trotz aller Verheißungen, immer lernen und doch nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; da läuft man hin und her, greift bald zu diesem, bald zu jenem Mittel, sucht hier eine Gemeinschaft oder dort eine auf, hängt sich bald an diesen bald an jenen Menschen, und kommt doch nimmer zum Frieden. Ja es ist noch viel, wenn dabei der Funke unter der Asche nicht verlischt, wenn wir nicht gar untergehen, sondern noch mit Scham und Reue den Thron der Gnade suchen, Christum den Auferstandenen finden, und zum Glauben, dem einfältigen, nicht sehenden Kinderglauben gelangen.

Ach, wer wollte nicht befreit sein von der Angst und Unruhe des Zweifel- und Gefühl-Glaubens; wer nicht fest und getrost sein im einfältigen Glauben an Christum, seinen Herrn! Wer nicht mit Christo ganz aus dem Tode zum Leben auferstanden sein! Wer wollte nicht, dass der Hader und der Streit unter den Christen ein Ende hätte, dass der Herr seinen Weinberg heimsuchte und seine zerstreuten Jünger sammelte; dass er sie wieder vereinigte zu einer lebendigen wahren Gemeinschaft der Gläubigen?! Ist das Euer Ernst, nun so merket auf die trostreichen Erweisungen des Herrn, auf sein Reden und Tun nach seiner Auferstehung, und lernt in ihnen das Heilmittel erkennen, das einzige aber sichere gegen die Krankheit, die wir in ihren Ursachen und Wirkungen uns vergegenwärtigt haben.

2.

Das lasst uns aber vor Allem gesagt sein: wir selbst können uns so wenig in eigener Kraft aus unsren Zweifeln helfen, als es Thomas vermochte, und als überhaupt nicht der Mensch sein eigener Heiland und Totenerwecker sein kann. Vielmehr je größer und übermächtiger die Ursachen sind, die uns zum Zweifeln versuchen und verlocken, um so mehr bedarf es eines Stärkeren, der über sie komme, und uns ihrer Gewalt entreiße. Es ist ein köstliches Ding, dass das Herz fest werde, aber es geschieht doch nur aus Gnade und ist allein Christi Werk. Der Herr aber will es auch tun, denn von ihm steht nicht umsonst geschrieben, dass er das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen werde und den glimmenden Docht nicht auslöschen.

Als solchen erwies er sich dem Thomas. Er überlässt ihn zwar acht Lage seiner Friedelosigkeit, um ihn zu demütigen, aber dann erscheint er ihm mit seinem Osterfrieden, doch nicht ihm allein, sondern ihm in Gemeinschaft der Jünger, denen er nicht geglaubt hatte. Und nun lässt er sich zu seiner Schwäche herab, gewährt ihm das gewünschte Zeichen und spricht zu ihm sein strafendes und schöpferisches Wort: sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Seht einen solchen Hohenpriester haben wir, der da Mitleid hat mit unserer Schwachheit und Gebrechlichkeit, und der uns mit großer Treue, Geduld und Barmherzigkeit nachgeht, um das Verwundete zu heilen, das Schwache zu stärken, das Verirrte und Zerstreute zu sammeln. Und wenn er auch eine lange Zeit sich zurückgezogen hält, wenn er uns dahingegeben zu haben scheint, wie wir es verdient hätten, unsren Zweifeln, unsrer Unruhe und Friedelosigkeit, er tut es nur, um uns erst zu beugen und zu demütigen, um uns den ganzen kraft- und trostlosen Zustand des Herzens erfahren zu lassen und um uns geschickt zu machen für die Einfalt des Glaubens, die er uns geben will, die ihn nicht mehr meistert, noch ihm vorschreibt, wie er uns selig machen soll, sondern die, selbst keinen Rat und keine Hilfe mehr wissend, nur das Eine will: Vergebung der Sünde in Christi Blut, Gerechtigkeit vor Gott in Christi Verdienst, Frieden mit Gott und Leben aus Gott, in Kraft der Auferstehung Christi.

Hier muss alle Überwindung gesucht, der Zweifel und alle Stärkung der Glaubensschwäche. begonnen werden. Wir müssen zu der Frage kommen: was ist der tiefste Grund aller deiner Unruhe? Was allein vermag diese zu stillen? und zu der Antwort gelangen: ich brauche Jesum Christum, seinen Tod und sein Auferstehen, seine Gerechtigkeit, sein Leben und seinen Frieden. Wir müssen wieder aufsuchen die verlassene Gemeinschaft seiner Gläubigen, die in reiner Lehre und rechtem Gebrauch der Sakramente Allen den Zugang offen erhält zum Hort der Gnade, dessen Quelle uns die Propheten und Apostel eröffnet haben. Wir müssen zu diesen Quellen selbst greifen, um aus ihnen die ersten Wahrheiten des christlichen Glaubens, die Wahrheiten des Katechismus wieder zu lernen, und damit einen neuen Anfang und Grund zu legen. Wir müssen Gottes Wort lesen, regelmäßig und anhaltend lesen, mit Ernst und Gebet lesen. Und wo Du also aufrichtig und ernstlich nach dem Herrn und seinem Heil verlangst, da sei gewiss, er kehrt sich bald zu Dir und hört Dein Schreien und hilft Dir aus. Er hat ein Mutterherz für alle, die gedemütigt und zerschlagen sind, und wie lange er auch verzöge, endlich heißt es auch von ihm wie von Joseph geschrieben steht: „und er konnte sich nicht länger enthalten vor Allen, die um ihn her standen, und er rief: „Lasst Jedermann von mir hinausgehen, und er weinte laut, und sprach zu seinen Brüdern: ich bin Joseph, euer Bruder.“„ „Ich bin Jesus, dein Heiland und dein Herr, dein Gott und dein Bruder, spricht er auch zu uns. Mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden und Mühe in deinen Missetaten; aber siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünde nicht. Friede sei mit dir.“ Dann geschieht es wohl auch, dass er in großer Herablassung uns erfahren lässt die Zeichen, die wir in großer Vermessenheit verlangten; immer aber straft er solch Verlangen als Unglauben, und spricht auch zu uns: „sei nicht ungläubig sondern gläubig.“

Merkt wohl auf, meine Lieben, so beurteilt und bezeichnet der Herr den Gefühlsglauben; und wenn er dennoch unsrer Schwachheit zu Hilfe kommt, so geschieht es nicht, weil er sie billigt, sondern weil er uns von ihr heilen und uns zu dem Glauben führen will, der nicht sieht und doch glaubt; der sich nährt, aufhellt, schützt und stützt allein aus Gottes Wort, und den allein der Herr selig preist. Wir pflegen wohl diejenigen Zeiten als selige zu bezeichnen, da wir seine Nähe fühlen, seinen Trost erfahren, seine Gemeinschaft genießen. Der Herr aber urteilt anders. Er preist den Glauben selig, der nicht sieht, der sich nicht anklammert an das Sichtbare und Gegenwärtige, der nicht ein Werk ist unsrer Vernunft und Kraft, und der mitten unter den wechselnden Gestalten der Innen- und Außenwelt, alle Ursachen der Zweifelsucht überwindet, weil er zu seinem festen Trost und seiner gewissen Grundlage nichts Irdisches, sondern die ewigen Bundesgnaden Gottes hat, die ihm im Worte verbrieft und in den Sakramenten versiegelt sind. Wo wir das erkennen, erleuchtet vom Geiste Gottes, da fällt es wie Schuppen von unsren Augen, da brauchen wir keine andren Zeichen mehr zum glauben, noch verlangen wir solche; sondern fallen reuig, beschämt und gläubig vor Christo, dem Auferstandenen, nieder, und bekennen mit Thomas, ja mit der gesamten Gemeinde der Gläubigen: Mein Herr und mein Gott; und sprechen mit Assaph: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens, Trost und mein Teil.

Geliebte in dem Herrn! Möge das Ende der Predigt für uns alle der Anfang einer ernsten und fortgesetzten Selbstprüfung vor dem Herrn sein. Seht, der Zweifel- und Gefühlsglaube ist ein Übergangszustand. Von ihm aus führen zwei Wege; der eine hinauf zum nicht sehenden Glauben, der da selig macht, der andere hinunter zum entschiedenen Unglauben, der ins ewige Verderben führt. Unentschieden bleiben zwischen beiden können, dürfen wir nicht! Es muss mit uns entweder rechts oder links, vorwärts oder rückwärts, aufwärts oder abwärts gehen. Gott der Herr walte in Gnaden über uns, dass wir Alle nach dem Glauben ringen und zu ihm gelangen, der nicht sieht, und den der Herr selig preist. Dazu lasst uns ihn anrufen, ihm huldigen als unsrem Gott und Herrn, und miteinander gemeinsam anstimmen:

Herzlich lieb hab' ich Dich, o Herr!
Ich bitt', wollst sein von mir nicht fern
Mit Deiner Hilf' und Gnaden.
Die ganze Welt erfreut mich nicht,
Nach Himmel und Erden frag' ich nicht,
Wenn ich Dich nur kann haben.
Und wenn mir gleich mein Herz zerbricht,
Bist Du doch meine Zuversicht,
Mein Heil und meines Herzens Trost,
Der mich durch sein Blut hat erlöst.
Herr Jesu Christ!
Mein Gott und Herr, mein Gott und Herr;
In Schanden lass mich nimmermehr. Amen.

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