Harnack, Theodosius - I. Nazareth und Golgatha.
Predigt am Tage Mariae Verkündigung.
Gnade sei mit Euch, und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesu Christo. Amen.
Herr Jesu Christe, Du zweigestammter Hoherpriester und König Deiner erkauften Gemeinde, komme zu uns und grüße uns mit dem Gruß Deiner herzlichen Barmherzigkeit.
Du ewiger Gott, der Du uns besucht hast aus der Höhe und es nicht verschmäht hast einer Jungfrau Sohn und unser Bruder zu werden, der Du der Schlange den Kopf zertreten und uns erlöst hast von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, wir bitten Dich, suche uns heim mit dem Segen Deines Wortes und Geistes, und heilige Dir unsre Herzen zu einer Stätte, da Deines Namens Ehre wohnt. Gib und erhalte dazu uns solchen Glauben, der mit Deiner hochbegnadigten Magd allein auf Dich sieht, Deinem Worte vertraut, und sich Deiner Verheißung und Gnade allezeit herzlich getröstet; auf dass wir im Leben und Sterben, ja in Ewigkeit Dein seien und bleiben, der Du durch Leben und Sterben für alle Ewigkeit unser Hoherpriester und König geworden bist. Herr, wir sind Deine Knechte und Mägde; uns geschehe, wie Du in Deinem Wort gesagt hast! Amen.
Geliebte Gemeinde! Wir begehen heute ein Fest, das zu unsrem protestantischen Bekenntnis wenig zu stimmen scheint, ein Marienfest, das Fest der Verkündigung Mariae! Dennoch ist es nur Christus, dem wir auch dies Fest feiern; Christus an den wir glauben, als an den Gottmenschen, unsern Heiland. Denn von den vielen Festen der Art, welche sonst noch in der Christenheit begangen werden, hat unsre Kirche nur die beiden Feste beibehalten, durch welche sie sich an Tatsachen aus dem Leben des Herrn selbst erinnern lässt, - an seine Ankunft ins Fleisch, und an seine Darstellung in dem Tempel. Aber um dieser Tatsachen willen können wir auch nicht gleichgültig an der auserwählten Magd des Herrn in Nazareth vorübergehen, deren Niedrigkeit er angesehen hat, indem er, der eingeborne Sohn des Höchsten, ihr Sohn geworden. Zwar gehörte auch sie zum sündlichen Menschengeschlecht, und bedurfte wie Alle der errettenden Gnade; weshalb ihr auch angekündigt wurde, nicht dass sie Recht, sondern dass sie Gnade bei Gott gefunden. Dennoch bezeugt unsre Kirche mit dem heutigen Festtag, dass wir um Christi willen auch diese begnadigte Davidstochter ehren können und sollen, wenn wir wirklich an die Menschwerdung Gottes glauben, und dieser die volle Ehre geben wollen; dass wir die ehren und selig preisen dürfen und sollen, welche der vom Thron der göttlichen Majestät gesandte Bote als die Gebenedeiete unter den Weibern begrüßte, welche vor allen ihres Geschlechts so hoher Gnade von Gott gewürdigt ward, dass er sie zur Mutter unsres großen Gottes und Heilandes auserkoren, und welcher unser Herr gedient hat und untertan gewesen ist, wie ein Kind seiner Mutter gehorcht. Demgemäß will also unsre Kirche auch mit der heutigen Festfeier nur Christi Ruhm erhöhen, indem sie uns zum Preis seiner vollen Mittlers-Gnade und -Ehre auffordert durch die Freuden-Predigt: Seht, das persönliche Wort Gottes ward Fleisch, und wohnte unter uns.
Doch wie stimmt solch frohe Weihnachts-Verkündigung zu der Betrachtung der heiligen Passion unsres Herrn? Fällt nicht unser Freudenfest störend in diese ernste Zeit, die uns um das Kreuz auf Golgatha versammelt? Keineswegs! Freude und Ernst schließen sich im Christenleben überhaupt nicht aus, sondern ein; und Nazareth und Golgatha, soweit sie auch räumlich von einander entfernt sein mögen, in der Person des Herrn, in seinem Werk zu unsrer Erlösung berühren sie sich und verbinden sich aufs allerinnigste. Zu Nazareth tritt der Heilige, sich selbst erniedrigend, in die Menschenwelt, auf Golgatha vollendet er seinen irdischen Wandel, und zugleich seinen Stand der Erniedrigung. Zu Nazareth hebt sein Tod an, dessen Ende auf Golgatha erfolgte, und Golgatha ist die Vollendung seines Menschseins in dem vollkommenen Gehorsam, der zu Nazareth begonnen. Das auf der Schädelstätte aufgerichtete Kreuz lässt uns in seiner Aufschrift den Namen Nazareth wieder lesen und verbindet so diese beiden Stätten. Ja so wenig wir Christum zertrennen und teilen können, noch dürfen, so wenig dürfen wir Nazareth und Golgatha voneinander reißen. Nehmt Eines von dem Andern weg, und Ihr habt keines von beiden; Ihr versteht die Bedeutung weder des Einen, noch des Andern. Wenn Nazareth uns von der Person des Herrn predigt, von der wunderbaren Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in ihm, so lässt es uns doch die Fragen unbeantwortet: wozu dies Wunder geschehen? Das sagt uns allein Golgatha. Aber indem die Schädelstätte von dem Versöhnungswerk Christi Zeugnis ablegt, müssen wir nach Nazareth zurück, wenn wir erfahren wollen, ob der Gekreuzigte Macht und Recht habe, die sündige Welt mit Gott zu versöhnen.
So gehören denn zur vollständigen Verkündigung von Christo beide Stätten; an beiden finden wir auch die Mutter des Herrn, die zu Nazareth und unter dem Kreuz Gnade gefunden hat; und unser Festtag widerspricht mithin der Passionszeit so wenig, dass er sich vielmehr mit derselben notwendig und innig zusammenschließt zu Einer Predigt von dem gekreuzigten Gottmenschen, zu Einem Bekenntnis des Glaubens, wie es das apostolische Symbolum in unsrem Katechismus bekennt: „Ich glaube an Jesum Christum, Gottes einigen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist von dem heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, und der gelitten hat unter Pontio Pilato, gekreuzigt und gestorben ist.“ Diese Predigt lasst uns demnach beherzigen, wie wir sie aus dem Worte der heiligen Schrift vernehmen, das wir unsrer gemeinschaftlichen Erbauung zu Grunde legen, und das geschrieben steht Hebr. 2,14.15.
Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleichermaßen teilhaftig geworden, auf dass Er durch den Tod die Macht nehme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel; und erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten.
Unser Text redet von Jesu Christo, der als ein barmherziger und treuer Hoherpriester uns allerdinge gleich geworden, und vor Gott getreten ist, um unsre Sünden zu versöhnen. Zuvörderst heißt es von ihm, dass er teilhaftig geworden ist unsres Fleisches und Blutes; - das ist geschehen zu Nazareth, durch die Kraft des heiligen Geistes, als die Himmelsbotschaft der Jungfrau Maria verkündigt wurde. Darauf eröffnet unser Text uns den Zweck der Menschwerdung Christi in den Worten: auf dass er durch den Tod die Macht nehme dem, der des Todes Gewalt hatte; das aber ist geschehen zu Golgatha am Kreuz; und endlich fasst er die vereinigte Wirkung von beiden Tatsachen zusammen, die darin besteht, dass wir erlöst würden, die wir durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten. So mögen uns denn aus unsrem Text
Nazareth und Golgatha
predigen; und zwar wollen wir zuerst die besondere Verkündigung jeder einzelnen Stätte hören; und dann die vereinte, beiden gemeinsame Predigt vernehmen.
O heiliger Geist, gib uns Deinen Schein,
Lehr uns Jesum Christum kennen allein,
Dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland,
Der uns gebracht hat ins rechte Vaterland.
Kyrie Eleison!
1.
Ein armes und geringes, zum Sprichwort der Juden gewordenes Städtchen, Nazareth in der verachteten Provinz Galliläa, nicht Rom, nicht Alexandrien, auch Jerusalem nicht, hat Gott zum Schauplatz der Offenbarung seiner erbarmenden Liebe erwählt. Der Hohe und Erhabene, dessen Name heilig ist und der in der Höhe wohnt, er sieht auf das Niedrige, und erwählt das Unedle und Verachtete vor der Welt, und was da nichts ist, auf dass er zunichte mache, was etwas ist, damit vor ihm sich kein Fleisch rühme. Still und verborgen lebte hier eine fromme, auf Israels Trost wartende Israelitin aus dem verarmten und vom Throne gestoßenen Geschlechte Davids; und sie ist die erste von Gott Gebenedeite ihres Geschlechts, nachdem über unsrer Aller Stamm-Mutter der verdiente Fluch ausgesprochen worden. Denn durch sie wird die Verheißung von dem Schlangentreter erfüllt, die einst jener gegeben war; von ihr soll kraft des heiligen Geistes geboren werden das Kind, dessen Name ist Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst. Nazareth ward die Stätte des Wunders aller Wunder, der Fleischwerdung des Sohnes Gottes. Von ihm predigt Nazareth: „Nachdem nun die Menschenkinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleichermaßen teilhaftig geworden.“
Wir stehen, meine Lieben, vor dem kündlich großen Geheimnis, in das auch die Engel gelüstet zu schauen: Gott offenbart im Fleisch. Achten wir auf die einzelnen Worte unsres Textes. Er ist, heißt es, teilhaftig geworden unsres Fleisches und Blutes. Geworden? Wie kann dieser als ein teilhaftig Gewordener bezeichnet werden, wenn er nicht ein früher Gewesener ist? Und wer war er, wer ist er? Unser Brief, die ganze heilige Schrift, die ganze christliche Kirche, sie bezeugen es einstimmig mit dem himmlischen Boten der Verkündigung: er ist der eingeborne Sohn Gottes. Der von Maria Geborne, er hat ein doppeltes Geschlechtsregister; wir lesen bei den Evangelisten Matthäus und Lukas das eine, bei Johannes das andere. Eines geht bis auf Abraham und Adam hinauf, das andere stammt aus der Ewigkeit. Vom Vater geboren vor der ganzen Welt, Gott von Gott, Licht vom Licht, ist er Mensch geworden vom Menschen und Fleisch vom Fleische. O welch eine Tiefe und Höhe der freien Gnade und Herablassung Gottes! Darum aber auch welch ein Anstoß für das ungläubige Herz gleich an der Schwelle des Christentums und der Kirche. Doch, Geliebte in dem Herrn, wenn wir schon die Verbindung von Leib und Seele an uns selbst zu begreifen nicht im Stande sind, so muss es uns noch viel unbegreiflicher sein, wie sich in Jesu von Nazareth mit der Menschheit die Gottheit verbinden konnte. Um ihrer Unbegreiflichkeit willen an diese Gottestat nicht glauben zu wollen, das kann darum auch keineswegs den Ruhm der Vernünftigkeit verdienen. In Wahrheit ruht auch ursprünglich aller Unglaube, und besonders die Gestalt desselben, die in unsrer Zeit an dem Umsturz des Christentums arbeitet, nicht so sehr in der Vernunft, als vielmehr in der natürlichen Abneigung und in der Feindschaft unsres Herzens gegen das Evangelium; um diese durchzusetzen, dazu muss dann der Verstand, sei es auch oft mit Unverstand, seine Kräfte und Gaben, seine Zweifel und Gründe hergeben. Doch wie die Sonne dennoch am Himmel steht und leuchtet, wir mögen sie sehen oder nicht, so bleibt auch Gottes Wahrheit dennoch stehen, wir mögen daran glauben zum Heil, oder nicht glauben zum Unheil; so bleibt es stehn, dass wir in Jesu nicht bloß einen Menschen haben, mit dem sich etwa der göttliche Geist verbunden, wie bei den Propheten und Aposteln, sondern, dass zu Nazareth der Sohn Gottes, ohne etwas dem Wesen und der Unveränderlichkeit seiner göttlichen Natur zu vergeben, sich in die wahre und wesentliche menschliche Natur versenkt hat, indem er sie annahm, und sich mit ihr für alle Ewigkeit innig und persönlich verbunden hat; so innig und doch so unvermischt, dass obgleich beide Naturen ihre Zustände und Eigenschaften sich wechselseitig mitteilen, er doch nicht ein vermenschlichter Gott oder vergöttlichter Mensch ist, sondern der Gottmensch. O, meine Lieben, wenn irgend etwas, das greift uns ins Herz, das beugt und erhebt uns, und gibt uns einen starken Trost, wenn wir ihn sehen, wie er so reich und so arm ist, so allmächtig und so ohnmächtig, so majestätisch und so demütig. Er, der Schöpfer, wird ein Geschöpf; vor dessen Drohen Himmel und Erde in ihren Grundfesten erbeben, ein lallendes, hilfloses Kind; der Allem Leben, Odem und Nahrung gibt, bedarf, dass er geboren und genährt werde, dass Mutterhände ihn tragen, und Mutterliebe ihn pflege. Er ist der Selige und leidet, er ist das Leben und stirbt. Wie auch die heilige Schrift sagt: der Herr der Herrlichkeit ist gekreuzigt, der Fürst des Lebens getötet worden, und Gott hat sich eine Gemeinde durch sein eigen Blut erworben. (1 Kor. 2,8; Apostelgsch. 3,15; 20,28.)
Durch ihn den Gottmenschen ist nun unser ganzes Leben von der Geburt bis zum Tode in die nächste und innigste Gemeinschaft mit Gott gebracht; er hat unser ganzes Sein und Leben nach Leib und Seele geheiligt, und hat unser Fleisch und Blut hoch erhoben zur Rechten der göttlichen Majestät. Denn er ist unsers Gleichen, unser Verwandter, unser Bruder geworden. Sagt doch unser Text: nachdem wir Fleisch und Blut haben, ist er es gleichermaßen zu Teil geworden. Hören wir recht darauf, fassen wir es fest ins Auge, dies „Gleichermaßen.“ Nicht in einer himmlischen, hehren Erscheinung ist er herabgekommen, von der wir uns in ehrfurchtsvoller Ferne zu halten hätten; nicht Gott und die ursprüngliche Natur sind in ihm vereinigt, so dass er ein uns fremder, zweiter neugeschaffener Mensch geworden wäre. Nein, aus unsrer Natur ist er herausgeboren, doch ohne Sünde; das ewige Wort ist herabgestiegen bis zur Unmündigkeit; der, vor dem auch der Seraph nicht rein ist, hat unser der Sünde und dem Tode verfallenes Fleisch und Blut an sich genommen, doch frei von aller sündlichen Befleckung. Die beiden, Gott und unser Fleisch, hat er vereinigt, so dass er als unser Bruder uns allerdinge gleich geworden; dass Alle, ohne Unterschied des Alters und der Person, zu ihm ein Herz fassen, mit ihm rückhaltslos verkehren, und an seiner Brust ruhen können, wie Johannes, der Jünger.
Stoßen wir uns denn nicht an der Niedrigkeit Nazareths, an der Armut der Magd des Herrn, und an der Gestalt des sündlichen Fleisches. Freilich alle menschliche Hoheit, Weisheit und Kraft wird hier zu Schanden, und sie soll es auch; aber in dieser Hülle ist uns erschienen die Fülle der Gottheit. „Das hat er Alles uns getan, sein' groß' Lieb' zu zeigen an.“ Eben die Niedrigkeit soll unsre Freude sein; denn dadurch ist der ewige Gott so ganz der unsrige geworden, dass wir ihn ganz in unsre Natur herabziehen dürfen. Er ist unser als Mensch, unser als Kind, unser als Genosse der Armut, der Trübsal und Angst, der Versuchungen und Anfechtungen, denn auch er ist allenthalben versucht worden; ja er ist unser in den grausigen Tiefen des Todes. Wahrlich Nazareth predigt uns der Wunder Größtes, denn über dieser Stätte öffnet sich uns das Herz des dreieinigen Gottes voller Liebe und Erbarmen, und in derselben wird das ewige Wort Mensch in der Gestalt des sündlichen Fleisches. Wer es fassen kann, der fasse es und bete an. Um es aber zu fassen, müssen wir dies Wunder entweder von der Gotteshöhe aus ansehen, von welcher der Herr herabkam, und so Gott selbst sein, oder von der Tiefe aus, zu der er sich herabließ, von der Tiefe der Kindeseinfalt aus, von der Tiefe der Sünde und des Todes, in welche sich Christus auf Golgatha versenkte, und in welcher allein wir glauben lernen wie die Kinder. Herr wir glauben, hilf unserm Unglauben!
Doch wozu diese so große, unerhörte Veranstaltung? Meine Lieben, schon von der Größe und Einzigartigkeit des Mittels müssen wir auf die Größe der Absicht schließen, des Werkes, das durch jenes ausgeführt werden soll. Gott ist ein Gott der Weisheit und der Allmacht, seine Mittel entsprechen immer dem Zweck, dem sie dienen, und sind diesem genau angemessen. Es muss etwas Großem gelten, wo solche Kräfte in Bewegung gesetzt werden; ja es muss hier mehr bezweckt werden, als die Schöpfung einer Welt, denn dazu brauchte Gott nicht Mensch zu werden; dazu bedurfte er nur seines Worts „es werde,“ und es ward. Worin aber dieses Größere besteht, darauf antwortet Nazareth noch nicht, wenigstens nicht bestimmt; wir werden vielmehr auf das Ende des Wandels Christi gewiesen, auf eine Stätte der Schädel, auf einen Richtplatz.
Ein neuer Anstoß! Wir wollten schon nach Rom gehen, die Hörsäle der Weltweisen durchforschen, oder in Jerusalem Fuß fassen, um zu erfahren, was es denn noch Größeres für Gott geben könne, als eine Welt zu schaffen! Verliert nicht Eure Kraft, und müht Euch nicht vergeblich; denn jene Alle raten umher, widersprechen sich untereinander, treffen nicht das Rechte, und müssen verstummen. Nur Golgatha, die Stätte des Abscheues und des Fluches, das mit dem Blute des Herrn getränkte Golgatha, gibt die rechte Antwort; doch eine Antwort bei der abermals unser Verstand stille steht, und die uns wie ein Blitz durch Mark und Bein zuckt. Das Größere was Gott getan hat, ist, dass er, ans Kreuz geheftet von Sünderhänden, daran hat sterben können! Meine Teuren, verlangt nicht, dass ich vor dem aufgeschlagenen Worte Gottes anders rede; denn ihr seid nicht zu Herren über die Predigt, wir beide sind nicht zu Herren über das Wort eingesetzt, sondern das Wort gebietet über uns beide. Und dieser unser Text, er enthält des Anstößigen noch gar viel von Wort zu Wort. Doch selig, dreimal selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren! Golgatha predigt aus unsrem Text, dass der ewige Gottessohn deshalb teilhaftig geworden unsres Fleisches und Blutes „auf dass er durch den Tod die Macht nehme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel!“
Nun wir hören es! Es galt ein Werk auszuführen, dem auch der höchste Engel vor Gottes Thron nicht gewachsen ist; es galt zu sterben und doch zu leben, damit der Tod sterbe. Meint Ihr, wenn diese Aufgabe auf einem andern Wege als auf dem vom Himmel zur Erde, und von Nazareth nach Golgatha, hätte gelöst werden können, dass Gott seinen eingebornen Sohn in den Tod dahin gegeben haben würde? Wäre es möglich gewesen, wahrlich der Vater hätte noch dann, ja dann gewiss, mehr denn zwölf Legionen seinem Sohne gesandt, als dieser sich, wie ein Wurm im Staube krümmend, betete: Vater ist's möglich, so lass diesen Kelch von mir gehen! Es war nicht möglich! Darum ward er Mensch in der Gestalt des sündlichen Fleisches, um auf der Erde, diesem großen Totenhause, sterben zu können. Weil er aber Gott war, darum konnte ihn der Tod nicht halten, darum besiegte er die Höllenmächte, und zersprengte die vom Teufel geschmiedeten Bande des Todes. Er ist der Todestod, an dem sich der Tod zu Tode sterben musste.
„Es war ein wunderbarer Krieg, da Tod und Leben rungen;
Das Leben, das behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen.“
Christus ist der verheißene Nachkomme des Weibes, der, in die Ferse gestochen, der Schlange den Kopf zertreten hat. Die Geschichte des Sündenfalles im Paradiese, sie wiederholt sich, aber mit entgegengesetztem Erfolg, auf Golgatha. Auch hier der Baum der Erkenntnis Gutes und Böses, das Holz des Kreuzes; auch hier das Werkzeug des Teufels, die Schlange, die Sünde und der Tod, am aufgerichteten Baum in dem Fleische dessen, der für uns zur Sünde und zum Tode gemacht ist; auch hier eine Stammmutter, das Gegenbild der ersten, unter dem Kreuz mit dem Schwert, das ihr Herz und in dem ihrigen das Herz durchbohrt, welches einst der Stimme des Verführers gelauscht hatte und ihr gefolgt war. Doch der Ausgang ist hier ein ganz anderer. Die Sünde, hier hat sie ausgetobt und sich ausgesündigt; der Tod, hier ist er ausgestorben; der Versucher, er hat sich hier ausversucht: seine feurigen Pfeile sind zerbrochen, seine starken Bande zerrissen, seine listigen Anschläge aufgedeckt, seine furchtbare Macht vernichtet. Jesus von Nazareth muss zwar sterben, dem Satan ist Macht gegeben alle Todesgewalten gegen ihn in Bewegung zu setzen; und er stirbt auch wahrhaftig, er erfährt die volle Bitterkeit des Todes, er leert den Todeskelch in vollen Zügen bis auf die Hefen, bis zur gänzlichen Gottverlassenheit, bis zur gewaltsamen Trennung von Leib und Seele. Aber weiter reicht auch nicht die Macht des Todes über den Herrn des Lebens. Er hatte Macht, sein Leben freiwillig zu geben in den Tod, und er hatte Macht, es wieder zu nehmen aus dem Tod. An Christo muss der Tod sterben, und mit dem Tode wird die Macht dem genommen, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel.
Hier nennt uns unser Text die Quelle, den Urheber alles Bösen. Es gäbe kein Böses, wenn es nicht einen Bösen gäbe. Sünde und Tod sind sein Werk, er ist der Fürst der Finsternis und des Todes. Wollen wir Christi Werk nicht oberflächlich nur erfassen, so darf nicht geschwiegen werden von dem Teufel und seinen Werken, die er zu zerstören erschienen ist. Wollt Ihr es Aberglauben nennen, so tut es mit Verleugnung des Werkes Christi, und bei verschlossener Bibel; aber angesichts der Person Christi und der heiligen Schrift könnt Ihr es nimmermehr. Denn Christus hat mit dem starken Fürsten der Welt gerungen, er hat dem Gewappneten in heißem Kampf das Zepter aus der einen und die Beute aus der andern Hand gewunden, und hat ihn aufs Haupt geschlagen. Auf ihren ersten Blättern redet die Schrift von dem Sieg des Versuchers, und von dem Jammer und Elend, der Schuld und dem Fluch, der Sünde und dem Tode, den dieser Menschenmörder von Anfang über die Erde ergossen; und auf ihren letzten preist sie den Sieg des Löwen aus dem Stamme Juda, der die Macht und das Reich an sich gebracht, den Verkläger verworfen, und ihn mit Ketten gebunden in den Abgrund gestürzt hat. Nun dem Satan die Macht genommen, ist der Tod, der Zepter dieses Fürsten verschlungen in den Sieg; ist die Sünde, der Stachel des Todes, überwunden; ist das Fluchgesetz, die Kraft der Sünde, aus dem Mittel getan. Denn der dies alles umschlingt und vereinigt, der es unauflöslich macht für Menschenkraft und Menschentun, der ist durch Christum geschlagen und besiegt. Tod wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg! Nun ist das Heil, und die Kraft, und das Reich unseres Gottes und seines Christus geworden. Auf Golgatha ist uns wieder erblüht das Paradies; ein schöneres als das erste, denn die Schlange hat keinen Zutritt zu demselben, und in dem Holz des Kreuzes ist der Baum der Erkenntnis Gutes und Böses mit dem Baum des Lebens vereinigt.
Jetzt erst vermögen wir recht die Bedeutung unsres heutigen Festtages zu erkennen; wir müssen erst die Predigt gehört haben, die von Nazareth und von Golgatha her gehalten wird, um zu verstehen, was es auf sich habe, dass Gottes Sohn Fleisch geworden ist. Wollen wir wissen, was es heißt Fleisch sein, wir brauchen nur auf die beiden Endpunkte unsres Lebens, seinen Anfang und seinen Schluss zu blicken. Mag uns das Leben selbst noch so sehr täuschen, besonders wenn es sich nach allen Seiten hin in seiner Kraft und Fülle entfaltet, an diesen beiden Punkten erscheint es unverhüllt in seiner ganzen Niedrigkeit und Ohnmacht, seiner Bewusstlosigkeit und Hilflosigkeit, seiner Sünde, seinem Elend, seinem Tod. Und in diese beiden tiefsten Lebenszustände und Daseinsstufen hat sich unser Gott und Herr versenkt. Nazareth verkündigt uns den Eintritt des Gottmenschen in unser armes Fleisch und Blut, Golgatha predigt uns seinen Tod am Kreuz; beides ist geschehen, um durch den Tod, dem die Macht zu nehmen, der des Todes Gewalt hatte. Beide bezeugen, dass er ist wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, der zweigestammte Held über Sünde, Tod und Teufel.
Indem wir aber so die besondere Predigt einer jeden einzelnen Stätte, und den gegenseitigen Zusammenhange beider erkannt haben, vereinigen sich uns Nazareth und Golgatha zu einer und derselben, gemeinsamen Verkündigung von der wunderbaren Bedeutung, die das Wunder der Fleischwerdung und das Wunder des Todes, für uns und alle Menschen hat. Wir sehen es, geliebte Gemeinde, unsre Prediger aus Galliläa und Judäa, sie führen uns von einem Wunder zum andern; und wie sollte es auch anders sein, wenn wir armen Sünder die Spuren des Weges verfolgen dürfen, den der dreieinige Gott in der Offenbarung seiner Gnade und Wahrheit für uns gegangen ist. Dazu, sagt unser Text, -und so predigen Nazareth und Golgatha aus einem Munde – „dazu ist der Sohn Gottes Fleisch geworden und hat durch den Tod dem Tode die Macht genommen, auf dass er die erlöste, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten.“
2.
Wer sind diese, von denen unser Text redet? Wir doch nicht, höre ich sagen; wir haben keine Furcht des Todes, wir sind nicht Knechte unser Lebenlang, wir leben frei, und fröhlich! Meine Brüder, ich dachte mir's! Zeigt mir ein gefallenes Menschenherz, das nicht so spräche, wenn es aus sich selber redet. Man weiß zwar um mannigfache Not, bittern Jammer, vielgestaltige Trübsal, schweres Herzeleid; aber, dass Todesfurcht und Sündenknechtschaft das Wesen und die Wurzel von dem Allen sei, wer glaubt solcher Predigt? Und doch, zu wem redet hier Gottes Wort, wenn nicht zu uns; wen will es trösten, wenn nicht uns? Seht, der Gottmensch ist für uns gestorben! Sollte der Trost, der aus diesem Tode fließt, deshalb unter uns keinen Raum finden, weil er uns aufdeckt den Abgrund der Sünde und des Todes, in welchem wir wirklich versunken liegen, und weil wir dies nicht wahr haben wollen? Wollen wir uns deshalb nicht retten lassen, weil uns an der Art der Rettung, an der Größe des Mittels, an der Person des Erretters, die Tiefe unsres Verderbens klar wird? Ach dahin hat es die falsche Lehre, die eingebildete Bildung, die verkehrte Erziehung unsrer Zeit gebracht. Gott bietet uns das Köstlichste, was er für uns hat, seine Gnade, und wir nehmen sie nicht, weil wir nicht gnadebedürftige Sünder sein wollen; wir stoßen sie weg, weil sie uns schlechterdings gar kein Verdienst lässt, weil sie unsrem Hochmut widersteht. Christliche Gemeinde aus deutschem Stamm! Siehe, es hat in der Geschichte unsres Volks Zeiten gegeben, in denen unsre Vorväter, dazu vorbereitet durch schwere Drangsale, sich nach dem Worte der freien Gnade sehnten, wie ein dürres Erdreich nach Regen; und als dies Wort erscholl, da fand es seine Stätte bei ihnen, und ward mit herzlicher Begier aufgenommen. Jetzt ist es anders. Man hört und redet wohl viel von Christo, aber es ist nicht der rechte Christus. Denn sobald das Wort von der Schächersgnade, von der Grundverdorbenheit des menschlichen Herzens, von der Gerechtigkeit und vom zukünftigen Gericht erschallt, da erschrickt man wie der Landpfleger Felix vor dem predigenden Apostel Paulus, und spricht: Gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegene Zeit haben werde, will ich dich rufen lassen. Deshalb ist auch unser evangelisches Christentum ein so mattes, schlaffes, kern- und lebloses, dass es kaum noch diesen Namen verdient. Wir bringen es zu einigen Gefühlen, rechnen uns diese hoch an, und bleiben die Alten. Das, woran es fehlt, es ist die aufrichtige Demütigung vor Gott dem Herrn, der unbedingte Gehorsam unter sein Wort, die gründliche Herzensbuße und Herzensbekehrung. Dass es dazu nicht kommt, rührt daher, weil wir uns nicht als dem Tode Verfallene und als Knechte der Sünde erkennen wollen; doch damit es bei uns dazu komme, seht, darum werden auch wir jetzt von Gott dem Herrn gezüchtigt, darum hat er dem Satan Raum gegeben, unsre Kirche an allen Orten zu sichten wie den Weizen; darum werden wir heimgesucht von Trübsalen, Leiden und Drangsalen mancherlei Art. Wenn wir von diesen Leiden uns ausdecken lassen unsren verzweifelt bösen Schaden, wenn sie in uns wecken den Hunger und Durst nach der Sünden vergebenden und Tote erweckenden Gnade, die in Nazareth und Golgatha erschienen, dann wird uns geholfen werden und wir werden stehen und nicht fallen, trog allen Gewalten. Bleiben wir aber im alten Wesen und Treiben, ärgern wir uns nach wie vor an dem Wort von der alleinigen Versöhnung im Blute Christi, dann wird sich auch Gott an uns ärgern, und wir werden abgehauen werden wie ein erstorbener Baum, der fürs Feuer reif ist. Ja, die blinden Heiden, die da wissen, dass ohne Blutvergießen keine Sündenvergebung geschieht, sie werden uns, die aufgeklärten Christen, verurteilen, wenn wir das Versöhnungsblut des neuen Bundes gering achten. Ach Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinen Knechten; und wenn sich auch alle Schrecken der Welt und der Menschen gegen uns erheben, sei du uns nur nicht schrecklich, sondern lass leuchten deine Gnade über uns, und segne dein Volk und seine Kinder, dass es genese und wieder erstehe zum evangelischen Glauben und Leben!
Kehren wir darum den Textesworten unser volles Herz zu. Wir haben keine Wahl, entweder hat sich Gott geirrt über unsren Zustand, indem er ihn für schlimmer angesehen als er ist, und viel zu viel Mittel aufgewandt hat, uns zu erlösen; oder wir täuschen uns über uns selbst und unsre Herzensbeschaffenheit, indem wir sie für besser und gefahrloser halten, als sie wirklich ist. Ich darf es Euch nicht länger verschweigen; es ist zwar ein neuer Anstoß, aber hier ist Gottes Wort: Ihr seid die, welche durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein müssen. Wir alle sind es, das ganze Menschengeschlecht ist es, so lange wir nicht die Fleischwerdung und den Tod Jesu Christi als für uns geschehen erglaubt und erfahren haben.
Blicken wir auf unser Leben um uns und in uns. Was sehen wir? Wer ist der Zwingherr, dem die ganze Erde unterworfen ist, der sie mit unbedingter, eiserner Gewalt beherrscht; was ist das zuverlässig Gewisse mitten in der Wandelbarkeit alles Irdischen? Der Tod ist's; nichts anderes als Tod. Betrachte das Leben um dich her, die Welt mit ihren Gütern und Reichtümern, mit ihren Lüsten und Freuden; die Menschen mit ihren Plänen, ihrem Drängen und Treiben; dich selbst mit deinen Worten und Werken, dein Herz mit seinen Gedanken und Sorgen, deinen Leib vom ersten Atemzuge an, - mit welchem allumfassenden Namen willst du das Alles bezeichnen, wenn nicht mit dem Namen Tod? Freunde, nehmet Christum aus dieser Welt heraus, so gehört die ganze Macht der Verblendung dazu, die Welt nicht für eine Behausung des Todes und für ein Grab zu halten. Ohne Nazareth und Golgatha ist die Erde unaussprechlich elend; sie ist eine dürre, brennende, todbringende Wüste, in welcher die gewissem Tode anheimgefallenen Wanderer durch reizende und lockende Luftspieglungen grausam getäuscht werden, um noch grausamer enttäuscht zu werden. Der Tod ist der König der Erden, der Tod ist unser Begleiter auf allen unsern Wegen, der Tod lässt uns nicht einen Augenblick aus den Augen. Und wie ist es so furchtbar und schrecklich ohne Christum mit ihm allein zu wandern! Wenn er sich zu dir setzt aufs Krankenlager und seine kalte Hand dir aufs Herz legt, oder wenn er dich überrascht mitten in deiner Lust, oder wenn er verborgen von deinem ersten Hauche an, an deinem Leben nagt, und deine Seele ist allein mit ihm, wie solltest du ihn nicht fürchten und vor ihm erschrecken!
Darum heißt es auch, dass wir durch Furcht des Todes Knechte sind unser Lebenlang. Wähnen wir auch noch so frei und selbständig zu sein und zu handeln, wir sind ohne Christum Knechte der Welt, der Sünde und des Todes; denn einen Herrn muss der Mensch haben, weil er nicht Gott, sondern ein Geschöpf ist. Aber dieser Knechtsdienst, er ist ein entehrender und verderbenbringender. Nur wer in Christo lebt, lebt frei von der Welt; wer ohne Christum dahingeht, der ist auch der Knechtschaft der Welt und des Todes verfallen. Von Furcht des Todes getrieben, dient er der Welt des Todes, hilft bauen ihr Reich, und hat doch nur Unruhe und Angst von ihr. Denn ihre Freuden betrügen ihn, ihre Forderungen verzehren, ihre Sorgen ängstigen, ihre Leiden verfolgen ihn; er ist ein Schuldner und Sklave des Todes. Von Todesfurcht getrieben, darf er keinen aufrichtigen Blick in sein Herz tun, er würde enttäuscht werden, würde seine Leere fühlen, seine Ruhe und seinen Gleichmut verlieren; darum sucht er sich zu zerstreuen durch Lust und Freude, und darum ist auch sein Vergnügen nur ein Opfer, das er dem Tode und der Furcht vor dem Tode darbringt. Indes erhebt sich die Stimme seines Gewissens, doch er hört nicht, oder will nicht hören; indes jammert und schreit sein armes Herz, seine unsterbliche Seele im tiefsten Grunde nach Freiheit und Leben, nach dem lebendigen Gott, für den es geschaffen, - und je weniger der Mensch darauf achtet, je mehr er diesen Durst mit erträumtem Wasser stillt, je tiefer er sich vergräbt in die Brunnen der Welt, die doch kein Wasser geben, um so mehr bezeugt er, dass er durch Furcht des Todes ein Knecht ist sein Lebenlang. Und was folgt in der Ewigkeit? So gewiss der Tod der Sünde Sold ist, so gewiss bringt er auch da nichts als Elend und Verderben; das Wort Gottes weiß auch von einem ewigen Tode!
Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott,
Heiliger barmherziger Heiland, Du ewiger Gott,
Lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not!
Lass uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost!
Ob auch der Tod herrscht über alles Fleisch, es gibt eine Erlösung vom Tode, von allen Sünden und von der Gewalt des Teufels. Das predigen uns Nazareth und Golgatha. Ein Strom wahrhaftigen, ewigen Lebens hat sich von diesen beiden Stätten über die ganze Erde ergossen für uns. Christus ist der Bezwinger des Todes, er hat Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht für uns. Denn unsre Sünde hat ihn zum Sünder, unser Tod zum Tode gemacht, auf dass seine Gerechtigkeit und sein Leben unser würde. Mir hast du, spricht er, Mühe gemacht in deinen Sünden, und Arbeit in deinen Missetaten, aber ich tilge alle deine Übertretungen um meinetwillen, und gedenke deiner Sünden nicht; ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird den Tod nicht sehen ewiglich. Ich bin der Herr und ist außer mir kein Heiland. Seht, hier ist ein Born wider Sünde und Tod; wer da durstig ist, der komme und trinke das Wasser des Lebens umsonst und ohne Geld. So furchtbar es ist mit dem Tode allein zu sein, so ist doch seine Macht gebrochen, seine Schrecken sind vertrieben, wo wir Christum für uns und bei uns haben. Denn das Blut Jesu Christi, vergossen am Kreuz, wo es im Glauben erfasst wird, das erlöst und errettet uns. Christus hat uns erlöst von allen Sünden, den vergangenen, den gegenwärtigen und den zukünftigen, den Übertretungen und den Unterlassungen; von allen Sünden, keine einzige ausgenommen, welche es auch sei, wie lange sie auch von uns geübt, wie lieb sie uns auch geworden. Christus hat uns erworben vom Tode, von jeglicher Gestalt desselben, sei es der leibliche oder der geistliche, der zeitliche oder der ewige Tod. Christus hat uns gewonnen von der Gewalt des Teufels. Wie dieser nichts an Christo hatte, so hat er auch nichts an denen, die Christi sind, und sich zu Christo halten. Weder hier noch dort, weder im Leben noch im Sterben, weder in der Auferstehung noch im Gericht darf er uns verklagen und verdammen, denn Christus ist hier, der gestorben ist, vielmehr der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.
Seht, eine solche vollkommene, ewige, für uns am Kreuze vollbrachte Erlösung von der Knechtschaft der Sünde und von der Herrschaft des Todes predigen uns Nazareth und Golgatha. Und in dieser Verkündigung begegnen sich unser heutiger Festtag und die heilige Passionszeit. Gott der Herr, der das Wunder aller Wunder zu Nazareth und Golgatha getan, der wolle in Gnaden das Wunder der Wiedergeburt an unsren Herzen tun durch seinen heiligen Geist, auf dass wir im bußfertigen, festen und lebendigen Glauben zur Seligkeit ergreifen die Erlösung, die durch den Tod des Gottmenschen für uns geschehen und bereitet ist. Er wolle es uns geben, dass wir im Leben und im Sterben bei solchem Glauben verharren, und dass wir lebend und sterbend, aufrichtig und von ganzem Herzen, mit Wort und Tat das gute und selige Bekenntnis sprechen mögen:
„Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben, gewonnen, von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blute, und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei und, in seinem Reiche unter ihm lebe, und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden von den Toten, lebt und regiert in Ewigkeit. Das ist gewisslich wahr.“ Amen.