Harms, Claus - Das Vater Unser in 11 Predigten - Die siebente Predigt.
Und vergib uns unsere Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern.
Gesang 701, 1-4.
Hierauf eines andern Gesanges Wort, betet alle mit:
„Verschon' uns, Gott, mit deiner Strafe!
Wir haben uns von dir verirrt;
Drum such' uns, wie verlorene Schafe,
Als ein erbarmenvoller Hirt!
Ergreif uns, (deine Macht ist groß)
Und samml' uns noch in deinen Schoß!“ – 1)
Es steht im Gesang 432.
Danach zur Predigt. Wir stehen vor einer Predigt, auf welche, wie mir bekannt geworden, die Aufmerksamkeit Einiger vornehmlich gerichtet ist. Möchten diese sich nachher befriedigt finden, wofern anders ihre Aufmerksamkeit auf die rechten Punkte und richtiges Wegs geht und unbegleitet von fertig gelegenen Meinungen: so müsse es sein, anders könne, dürfe es nicht sein. Zum Andern sag' ich dazu und sage das Allen, die hier sind: Die Aufmerksamkeit ist wohl eine gute Freundin der Predigt, allein die Andacht ist doch eine bessere. Andächtige, so meine ich euch alle, die hier gegenwärtig sind, anreden zu dürfen und meine mich nicht zu irren, aus Grund eurer Teilnahm' an den seitherigen Vaterunser-Predigten, Andächtige, wir stehen vor einem schweren Werk, sei Gott angerufen von Jedermann mit Seufzer und Blick nach oben. Denn ein vielfach verzäunter Weg ist zu betreten, Gefahr des Irrgangs sieht die Rede an mancher Stelle, lauernde Feinde, die uns des Baren und Wahren zu berauben beflissen sind, finden sich überall, falsche Propheten, in dem heutigen Evangelio sind sie benannt, die nicht sowohl vor uns stehen, sondern die mit uns gehen, eigene missgeleitete und missleitende Herzensgedanken. Zwischen diesen hindurch, an den gefährlichen Stellen vorüber und den Zaun vor der Wahrheit des evangelischen Wegs niedertreten, das, Christen, nenne ich unser Werk in der heutigen Predigt. Geber des Vaterunsers, du, und der fünften Bitte darin, habe deinen Anteil du an der Predigt darüber auch, und hilf ihr vollbringen, worauf sie in dieser Stunde ausgeht. Sei angerufen zugleich um dieses dein Mitunssein, wenn wir bitten um Alles, was du gelehrt hast, dass wir darum bitten sollen.
Vaterunser.
Das teure Gebet schließt also mit der vierten Bitte nicht, wir sollen vorwärts beten und nicht lassen die vierte Bitte unser ganzes Vaterunser sein, wie es leider wohl mit vielen Betern der Fall ist, die, ob sie auch die drei vor und die drei nach mitsprechen, doch diese eine nur eigentlich beten, in dem Maß, wie sie der zwei und zwanzig Stücke der vierten Bitte teilhaftig sind, in dem Maß ihren Himmel auf Erden habend und nach keinem andern verlangend. Ihr nicht also, von der fünften Bitte ins Gotteshaus heute gebracht und den Vortrag über sie zu hören willig. Habt ihn denn. Nehmt des Lesens, des Forschens, des Betens Frucht, die ich bringe - und stelle euch die fünfte Bitte vor in diesem ihren dreifachen Dienst an dem Beter:
1) dass sie ihn seiner Schuld geständig macht;
2) dass sie ihn ihrer Last ledig macht;
3) dass sie ihn der gesetzten Bedingung kundig macht, macht und erhält, kundig der Bedingung, ledig der Last, geständig der Schuld ihn macht und erhält.
I.
So nah ist das Vaterunser uns bisher noch nicht gekommen, liebe Brüder, als es uns mit dieser Bitte kommt. In der Anrede, in den drei ersten Bitten, da nimmt es uns bei der Hand und führt uns auf die Gottessachen, sein Name möge geheiligt werden, sein Reich möge kommen, sein Wille geschehen. Auch die vierte Bitte, wie sehr unsre eigene Sache betreffend sie auch scheint und noch so vielen Menschen als ihre eigenste ja einzigste Sache erscheint, sie ist es nicht. Das „unser“ hat sie, unser tägliches Brot gib uns heute. Aber hört's heraus, wie knapp zugeschnitten: heute! und abermals knapp: unser tägliches Brot! mehr nicht als das, wenn wir Nahrung und Kleider haben, so lasst uns begnügen, heißt die Paulinische Auslegung, ungleich der Lutherischen. Geht noch weiter. Sollte denn ein Mann nicht können einem Weibe nachsprechen? Ein Weib aber sprach, Esther, Kapitel 4: Komm' ich um, so komm' ich um. Und sollte ein Christ nicht können, ob auch in einiger Entfernung allezeit, dem Apostel nachsteigen auf die Höhe, da der sprach, Römer 8: In dem Allen überwinden wir weit? Er hatte unter mehreren den Hunger und die Blöße genannt. Last euch, meine Lieben, auch auf das Wörtlein „und“ weisen, das hier zum ersten Mal zwei Bitten verbindet, und zieht in seiner Kraft uns schnell, ohne Punkt und Komma zu setzen, uns dazu die Zeit nicht lassend, von der vierten Bitte zu der fünften hin. Die ist es denn, die erste, welche so recht eigentlich uns betrifft, das Brot dem Leibe, die Vergebung aber meiner Seele, d. h. mir selber, meinem Selbst, der Seele noch nötiger als dem Leib das Brot, dieweil ich den Leib kann verhungern, verdursten, erfrieren sehen und bleibe dennoch, was ich bin. Das köstliche Wort Assaphs darauf, Psalm 73: Wenn ich nur dich habe, so frag ich nach Himmel und Erde nichts, und wenn mir auch Leib und Seele, zu verstehen die Seel' im Leibe, verschmachten, so bist du doch meines Herzens Trost und mein Teil. Wer dieses Teil und diesen Trost hat! wer jenen Du hat! wer wie das Vaterunser auch den Vater unser hat! Was nicht einerlei ist. Er, der Vater, fragt durch Maleachi: Bin ich Vater, wo ist meine Ehre? er klagt durch Jesajas: Ich habe Kinder auferzogen und sie sind von mir abgefallen. Wie denn ja zwischen Eltern und Kindern oft Dinge vorfallen, dass der Vater sagen muss: So kann ich dein Vater nicht sein! und die Mutter: Sohn, Tochter, nenne mich doch nicht länger dein, du Vergessender, Vergessende, dass du warst mein. Was aber vorfällt zwischen Eltern und Kindern, davon das Band los' wird und reißt, wie weit es kann, gar ab, eben dasselbe ist bekanntlich, sprech' ich, was Menschen und Gott voneinander scheidet. Spreche ich tieferen Nachdrucks halber mit Bibelworten, Jes. 59: Eure Untugenden scheiden euch und euren Gott voneinander, und eure Sünden verbergen das Angesicht von euch, dass ihr nicht gehört werdet. Weiter daselbst: Eure Hände sind mit Blut befleckt, und eure Finger mit Untugend; eure Lippen reden Falsches, eure Zunge dichtet Unrechtes, die Füße laufen zum Bösen und die Gedanken vertrauen aufs Eitle. In eigenem Wort weiter: Buhlerei ist gang und gebe, Fleischesbefriedigungen sind unversagte Genüsse, Gelderwerb geht über Alles euch, der Ehrgeiz durchdringt den inneren Menschen wie der Rauch ein Haus auf dem Lande, das gegebene Wort, welches bei den Vätern wie ein Mann stand, geht in unserm Geschlecht auf eines einjährigen Kindes Beinen, und Eide werden geschworen als sänge man ein Weinlied, das Amt, welches den Mann fordert, bekommt den Brocken nur einiger Tagesstunden, während in Vergnügungen und Liebhabereien die beste und schönste Zeit getötet wird, Herrndienst geht über Gottesdienst und Fürstengunst lässt nicht fragen: Wie steh' ich mit dem Allmächtigen? Wozu sag' ich das? Ich halte mich an. Dazu sag' ich das, um die Hörer in die fünfte Bitte hinein zu bringen, dass sie ihrer Schuld geständig sein, wenn sie sprechen: Vergib uns. unsre Schuld, nach Lukas, unsre Sünden. Ja, darauf ist's abgesehen gewesen bei der eben gemachten Vorführung, ich frage jetzt, ob das damit erreicht worden sei? frage hiernach bei dir und bei dir und bei einem Jeden, nach welchem ich sehe und mich umsehe. Was wird geantwortet? Weisung wird gegeben; ich möchte vor der Versammlung mich manierlicher ausdrücken und auf die Unschuldigen nicht träufen, (Micha 2,6) wie der Regen ohn' Unterschied der Person nass macht. Gehört. Ich unterscheide auch, doch kann ich nur unterscheiden zwischen mehr und weniger, zwischen schwerer und leichter, zwischen länger und kürzer, zwischen alt und frisch, d. h. zwischen so und anders. Aber das begehre niemand, dass auch nur mit einem Einzigen eine Ausnahme gemacht werde. Denn darin ist einmal kein Unterschied, dass alle Menschen Sünder sind und mangeln des Ruhms, der Herrlichkeit: Gott an ihnen, insgesamt. Dies ist Gottesurteil von ihnen, und den er gesandt hat zum Wiederhersteller des Verlorenen, der uns auch das Vaterunser und die fünfte Bitte darin gegeben hat, derselbe hat, indem er Alle für vergebungsbedürftig erklärt, Alle für Sünder erklärt. Das ist der Dienst der fünften Bitte; wer sie betet, den macht sie seiner Schuld geständig. Geständige Schuld, damit ist manchmal viel erreicht, aber nichts ist erreicht noch steht etwas zu hoffen, so lang dieses Geständnis fehlt. Hat Gott es bekommen von dir, als wir vorhin das Vaterunser beteten? und von dir? Oder war dein Gewissen bei unserm Beten und nachher bei meiner Rede ein verzäunter Weg? Die Behauptung kennen wir, das Vaterunser sei kein Gebet für alle Menschen, für die schlechten wohl, doch für die guten nicht, die müssten vor der fünften Bitte umkehren, oder wenn davor umkehren eben nicht, in Gedanken ein anderes Wort sprechen, nicht Schuld, nicht Sünde, sondern ein milderes, einen Fehler etwa, eine Schwachheit, ein jeweiliges Zurückgebliebensein von Vollkommenheit und Heiligkeit. So wird behauptet, gelehrt, willig gehört, so geschrieben, mit Beifall gelesen. Demnach müssten wir diese Bitte im Vaterunser ausstreichen, wenn es anders ein allgemeines Gebet bleiben soll, zu welchem es sich gemacht hat, ich spreche: gemacht ist. Besinnen wir uns darauf, wem ursprünglich dieses Gebet gegeben sei, dass sie es beten sollten. Den Jüngern Jesu. Wer doch will besser als die sein? War ein Judas darunter freilich und ein Petrus, jener verriet und dieser verleugnete ihn, so doch auch ein Johannes, der an Jesu Brust lag, und alle elf von ihm Freunde genannt und nach seiner Auferstehung einmal: Kinder, - seine Erwählten und des Apostelamts Gewürdigten alle elf. Was er diesen zu beten gegeben hat, das sollte von unser einem nicht können gebetet werden? dazu wäre dieser und jener von uns zu rein, zu gut? Wie magst du es sagen! Und die christliche Kirche, in welcher mit Bibel und Sakrament und Glaubensbekenntnis das Vaterunser das vierte Allgemeine geworden ist, sollte sich geirrt haben darin, dass sie es zu einem allgemeinen Gebete gemacht hat? Und so viele Männer, welche besser als du und ich sind, die aber täglich gesprochen haben: Vergib uns unsre Schuld, und haben sich damit der Schuld geständig erklärt, die sollten sich selbst Unrecht getan haben? gebetet haben um das, um welches sie zu bitten nicht Ursache hatten, sie nicht? Stehe von deiner stolzen Meinung ab, gib Jesu und seinem Gebet die Ehre der Wahrheit und sage: Ich trage, trage Schuld, glaube, dass ich Ursache zur fünften Bitte habe wie ein andrer und will auf die gegebene Lehre in mich gehen. Ja, ja gehe in dich, finde dich, finde dein Herz und gesteh' deine Schuld, du bis dahin nur Glaubender, ein Wissender jetzt und ich hoffe, ein Fühlender zugleich, und sprich einstimmig mit uns andern allen: Vergib uns unsre Schuld.
II.
Befremdend würde es sein und durchaus unerklärlich, dass Jemand seine Schuld leugnen könnte, wenn nicht jedermann wüsste, wie die Sünde sich ihrem eignen Täter zu verbergen beides geneigt und geschickt ist. Die Sünde treibt dieses ihr Werk manchmal mit solchem Erfolge, dass sich jemand in ihrem Kote kann zehnmal umgekehrt haben und er spricht doch: Ich bin rein. Meine Rede greift zu und nimmt, wen sie findet und sagt zu ihm: Sei wahr und bekenne, dass du dieses an dir selbst weißt, welchen Betrug die Sünde gespielt habe mit dir. Freund, sage ich weiter, als dir aber endlich die Augen aufgingen über dies Spiel, war's nicht als eine Offenbarung, die du von Gott bekamst? Ja, Zuhörer, wie wir auch gewohnt sind, die Gnade eine Offenbarung zu nennen, ein Leuchten von himmlischen Licht in unser Herz herein, so verhält sich's doch mit der Wahrnehmung der Sünde gar nicht anders, ist eine Offenbarung gleichfalls. Gott stellt uns das Böse unter die Augen, Ps. 50, tut die Augen auf, wenn sich jemand von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott bekehret, Apostelgesch. 26, danach er die Vergebung der Sünde empfängt, auf seine Bitte: Vergib mir meine Schuld. Wie weit sind wir jetzt gekommen, meine Andächtigen? In der Predigt zum zweiten Teil, o möchten wir auch alle im Herzen und Gewissen eben so weit gekommen sein, vom Geständnis, das die fünfte Bitte zuwege bringt, zu der Bitte selbst, es zu versuchen mit ihr, ob sie uns nicht der Last ledig mache, was sie tut. Doch eins noch will ich Gott helfe mir es tun! - eins noch in meine Hände nehmen und es zerreiben, es unter meine Füße nehmen und zertreten, dieses, was sich auch finden mag bei Jemandem hier, wie sich's gefunden hat namentlich bei einem Jüngling zu unsrer Zeit dieses, dass man wohl erkennt seine Verschuldung oder vielmehr seine Abgewichenheit vom Tugendwege, von der Gottesfurcht, vom Christentum, dieses wohl erkennt, wenn Leib und Seele zu Grunde gerichtet und Elternfreuden in das bitterste Elternherzeleid verwandelt sind, hierzu hat ein Jüngling gesprochen: „Ein Unkraut bin ich, aber du hast mich gesät, und ich bin auf dem guten Wege nicht verirrt, ich bin von demselben weggepeitscht und habe nur Notsünde begangen.“ Ich spreche und nehme einen Nahen zum Zeugen meines wahren Worts: Du lügst das, Verblendeter, blenden Wollender! Und mein naher Zeuge? Das bist du selber. Denn in dir erhebt sich eine Stimme, die spricht: Wenn du rein wärst, so würdest du ruhig sein, aber dass du unruhig bist und geiferst Gotteslästerung, das eben ist dein äußerster Versuch, mich zu dämpfen in dir, und kannst es doch nicht. So spricht eine innere Stimme und bezeugt, dass mein Wort an dich Wahrheit ist.
Aber, warum willst du untergehen in fortwährendem Nagen deiner unvergebenen Sünden? Komme mit uns andern, mit uns andern allen und lern' verstehen, danach beten: Vergib uns unsre Schuld. So wirst du deiner Last ledig. Bringt sie uns unter die Schuld hinunter, ihr erster Dienst, so bringt sie uns auch wiederum unter der Schuld heraus. Gemeinde hier, erfahr' es!
Vergib uns unsre Schuld, was lehrt doch dieses Wort zunächst anders, als dass eine Vergebung zu finden sei, zu erlangen sei. Wenn nicht, wahrlich dann hätte uns Jesus in der Gestalt des Brots einen Stein gegeben, davon er doch sagt Matth. 7, dass kein Vater das bei seinem Sohn täte. Und kennen wir Jesum so, dass er solches wohl könnte tun? Freuen wir uns aber, dass ins Vaterunser eben diese Lehre von ihm gestellt worden ist. Ja, Freunde, daselbst findet sie, wer sie etwa aus der Bibel nicht herauslesen könnte, daselbst findet sie, wer die Lehre in der Beichte zu selten hört oder wer die Absolution, diesen Kern des Werks, nicht mit Glaubenshand heraus nehmen kann, für wen das Abendmahl kein Entsündigungsmahl ist, wem die fünf Wunden des Gekreuzigten nicht entgegenleuchten daselbst, im Vaterunser findet die Lehre von der Sündenvergebung, wer den Alten und den Neuen Bund zusammen zu fassen nicht versteht und hat den tieferen Blick auf Gottes Gnadengang nicht, daselbst, im Vaterunser, findet der Sünder tagtäglich diese Lehre. Wenn er das Brot sucht, das seinen Leib erhält, und spricht Gott darum an, dass er ihm das gebe, so ist das Wort Gottes da: du sollst es haben, aber siehe, wir halten uns nicht dabei auf, was für ein Anderes, Besseres ich gleichfalls für dich habe, Vergebung der Sünden! bitte mich nur um sie! spricht der Vater unser. Vergib uns unsre Schuld. Zeihe man Christum einer Unwahrheit und seine Lippen eines Betrugs, wo nicht, so hat er mit dieser Bitte die Lehre erteilt, dass die Schuld überhaupt, alle Schuld, alle Sünde vergeben werde. Ist uns nicht gedient mit dem Trost dieser Bitte? Sie ist ein kleines Gefäß, aber von einem wie großen Gelass! Kommt mit eurer Schuld her. Jene eine, davon es freilich heißt, die bleibe unvergeben, unruhige Seel', das ist deine Sünde nicht; wer die begangen hat, weiß selbst es nicht und hat keine Sorg' ihretwegen, wofern sie überhaupt in unsern Zeiten noch kann begangen werden. Kommt, die ihr den Tempel des Heiligen Geistes, wie euer Leib genannt wird, 1 Korinth. 7, entweihet, geschändet habt, es kann vergeben werden! Kommt, die ihr eure Seele gegen den Leib habt zurückgesetzt, ihn genährt habt und sie darben lassen seither, es kann vergeben werden! Kommt, die ihr Andre betrübt, gekränkt, unglücklich gemacht habt, und könnet sie nicht glücklich wieder machen, ihr Leben verkürzt habt und könnt sie nicht wieder lebend machen, es kann vergeben werden. Kommt, die ihr seid Spötter des Glaubens, Verächter des Worts, des Gebets Unterlasser und aller Frömmigkeit Hasser gewesen seid, Unterdrücker und Ausrotter jeder heiligen Empfindung gewesen seid, die in euch aufgekommen, vergeben kann es werden. Alles kann vergeben werden, so wahr die fünfte Bitte heißt: Vergib uns unsre Schuld. Das war Cain, welcher anders dachte: Meine Sünd' ist größer, denn dass sie mir vergeben werden könnte; wessen Wort soll uns mehr gelten, Kains oder Jesu? Jesus hat mit der fünften Bitte gelehrt: dass sie alle, die schwersten auch, können vergeben werden. Ach wenn doch in den Minuten, welche die Rede darüber gewährt hat, recht viele von euch gekommen wären mit ihrer Schuld und mit dieser Bitte, eine wie schöne Erfahrung hätten die auf der Stelle gemacht! welche Erledigung von ihrer Last hätten die gefunden! Sprich noch, noch: Vergib uns unsre Schuld.
Die wissen denn auch, was die Vergebung der Sünden sei, und denen braucht es nicht gesagt zu werden. Wenn ich aber doch meine, dass ich es sagen muss, so tue ich's um Andrer willen, und kann die Antwort kurz geben so: Wer's glaubt, dass sie ihm vergeben sind, dem sind sie wirklich vergeben, wer's glaubt. Ich sage noch einmal: Wer's glaubt. Ob eben auch eine Empfindung dabei ist, eine beugende und beschämende mehr, dass ihm, dem Unwürdigen, so viel Barmherzigkeit widerfahren, davor er zur Freude nicht kommen, noch nicht kommen kann und schlägt die Augen nieder, tut den Mund nicht auf, Hesekiel 16 im letzten Vers, - oder dass die Seel' in ihm vor Freude aufjauchzt und sucht einen Dankpsalm, Dankrede genügt ihr nicht, solche Empfindung will gesungen sein, - ob solche Empfindung eben dabei ist oder nicht dabei ist, der Glaube ist es eigentlich, der tut's, der Glaube an Gotteswort, das zur Stunde und auf sein Gebet an den Beter gerichtet worden ist: Dir ist deine Schuld vergeben. So macht die fünfte Bitte den Betenden seiner Last ledig.
III.
Sie täte das? Mit fünf Wörtern würde die Vergebung ergriffen, erhascht? Was jener Zöllner betete: Gott, sei mir Sünder gnädig - waren auch fünf Wörter nur und doch heißt es von ihm: derselbe ging hinab gerechtfertigt in sein Haus. Ihr sprecht: Ja, der stand mit Scham und Reue da und schlug an seine Brust, gleichwie der verlorene Sohn, welcher auch nicht ein einziges Wort sprach, in sich geschlagen hatte, beide doch etwas getan, eine Bedingung erfüllt hatten, - aber hier soll es bloß die Bitte tun? - Ich möchte dem, der so spricht, zu bedenken geben, ob denn wohl Jemand mit Wahrheit und. Aufrichtigkeit so bitten werde, der nicht Reue und Leid hat? Eben so wenig wie Jemand die vierte Bitte tun wird, der nicht das Bedürfnis kennt und hat, von Gott sein Brot zu erhalten und es bewahrt und gesegnet von Gott zu behalten. Dinge, die sich verstehen, sind nicht Bestandteile der Gotteslehre geworden, oder werden nicht eben aller Orten wiederholt. Indes hier, die fünfte Bitte enthält doch auch eine Bedingung, und damit bleiben, die das Vaterunser beten, der gesetzten Bedingung kundig.
Ich nenn' es eine Bedingung, unter welcher uns die göttliche Vergebung zu Teil werden soll. Ob Andre auch nicht so meinen, sondern halten den Zusatz zu der Bitte für einen Beweis, dass uns vergeben sei, und für ein Wahrzeichen, daran wir dies abnehmen könnten, ich finde eine Bedingung darin. Allerdings dient auch unser Vergeben als ein solches Wahrzeichen uns. Denn freilich, wer seinem Schuldiger nicht vergibt, dem hat Gott nicht vergeben, nicht vergeben können, dieweil derselbe ja noch die Sünde, Eine Sünde liebt und übt in der Übertretung des Gebots: Vergebt! und steht aus diesem Grunde als ein Ungehorsamer vor Gott. Als Beweis dient ebenfalls dieser Zusatz, denn nur schwer wird Jemand seinem Nächsten von Herzen vergeben können, dessen Herz nicht gebrochen schon ist, in dessen Herz die Gottesvergebung nicht eingedrungen ist und hat den Zorn, den Hass, die Rache, die Schadenfreude aus dem Herzen verdrängt. Prüfe selbst hiernach, wer des Falles ist, dass er Jemand etwas zu vergeben hat. Aber ich, meines Teils, ich kann nicht anders als eine gesetzte Bedingung in den Worten erkennen: als wir vergeben unsern Schuldigern. Nach der Sachen Gleichheit und in jenes Wortes Gemäßheit: Vergebt, so wird euch vergeben, und wie der Herr unmittelbar nach dem Vaterunser beim Evangelisten Matthäus spricht, bejahend und verneinend: denn so ihr den Menschen ihre Fehler vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben, wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, so wird euer himmlischer Vater euch eure Fehler auch nicht vergeben, Grund dessen muss ich in der fünften Bitte eine gesetzte Bedingung finden, deren das Vaterunser uns kundig macht und, zu beten, d. h. oft zu beten verordnet, uns auch kundig erhält. Lasst mich sagen, lieben Freunde, und findet kein Ruhmsagen darin: Ich begreife diejenigen nicht, welche diesen Hinzusatz eine so schwere Forderung nennen, und ich verstehe diejenigen nicht, welche, wie auch vor Alters so geraten ist, geraten haben, dass der Beter dies Wort lieber gar nicht sprechen möge. Wahrlich, mir scheint, wer dies nicht mitsprechen kann, der darf keine Silbe von diesem Gebet über seine Lippen bringen, er spottet schon mit der Anrede Gott, wenn der Hasser Vater unser sagt, denn er hat ja in Wahrheit kein unser. Ich begreife ferner auch diejenigen nicht, welche aus Grund dieses Hinzusatzes das Vaterunser lediglich eines weitgeförderten Christen Gebet heißen. Freilich, wenn die Gottesvergebung in meine Seel' ist ausgegossen, so werde ich meinem Schuldiger umso eher vergeben; denn wenn es stark vom Himmel regnet, so laufen die Tonnen unterm Dach über. Allein, das wäre doch hart von allen Nichtchristen geurteilt, wenn die nicht sollten im Stande sein zu vergeben. Ein Christ ist's nicht gewesen, der das Wort gesprochen hat: Gleichwie der Sandelbaum, wenn er gefällt wird, der Axt, die ihn fällt, einen Wohlgeruch gibt, so sollen wir auch unsern Mörder segnen. Wer so hat sprechen können, der muss auch fast soviel haben tun können. Das Wort klingt stark nach innerer Wahrheit bei dem Sprechenden. Eine Bedingung lasst uns das Wort: als wir vergeben unsern Schuldigern, heißen, von den mehreren eine, die Gott gesetzt hat, wie ihm doch ja das Recht zustehen muss, was er geben will, an eine Bedingung das zu knüpfen, die er will. Und nicht wahr, wir haben Ursache mit dieser zufrieden zu sein? Ja, Liebe, dies umso mehr, als eine Verstattung darin liegt, auch einmal mit etwas Eigenem vor ihn zu treten. Eine andere gesetzte Bedingung, Röm. 3, 23: „Gott hat Christum vorgestellt zu einem Sühnopfer durch den Glauben in Christi Blut“ das hat Gott genommen aus seinem Herzen hier aber: „als ihr vergebt“, das nimmt er aus unserm Herzen. Und eben, womit wir wohltun Anderen und uns selbst, wie so sehr durch keine andere Herz und Haus beglückende, beseligende Tat, das will Gott ansehen als unser Bringen vor ihn, darauf er Gnad' und Vergebung erteilt. Noch mehr, noch eine gütigere Gottesherablassung. In der dritten Bitte hieß es: wie im Himmel also auch auf Erden, hier dagegen: wie auf Erden also auch im Himmel. Der Himmel soll sich nach der Erde, Gott will sich nach den Menschen richten. Ps. 103: Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten. König Christians des Dritten lieber Spruch. Und Jes. 49: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? und ob sie desselbigen vergäße, doch ich deiner nicht, spricht der Herr, dein Erbarmer. Seht, da lässt sich Gott herab, Gleichnis an Menschen zu nehmen und zu tun, was Gutes und Liebes sich bei ihnen findet in ihrem Herzen. Wohlan denn. Wir sehen den Schlüssel zum Gottesherzen in unsre Hand gelegt, vergeben muss er, wenn wir vergeben. Hört das, ihr, die ihr bisher die Versöhnungshand verweigert habt. Ist's nicht genug, dass ihr den Schuldiger beglückt, ist's nicht genug, dass ihr sein Haus beglückt, ist's nicht genug, wenn ihr in demselbigen Hause wohnt, dass ihr euer Haus und euer Herz beglückt, wenn ihr vergebt: so tut es darum, dass euch Gott vergebe, und ihr nicht mit eurem Hass in die Hölle fahret und mit euren andern unvergebenen Sünden. Als wir vergeben unsern Schuldigern, als, ich ziehe das Wörtlein als, wie es ehedem allgemein gebräuchlich war, dem Wörtlein „wie“ vor.
Dem „wie“ hängt die Vorstellung des Maßes sich so leicht an, wobei wir zu kurz kämen. Ach, wir armen Menschen, wenn uns Gott nicht mehr vergebe, als wir einander! Ich wüsste keine drei Menschen zu nennen, denen ich etwas zu vergeben hätte, und weiß nicht Einen, für den nicht die Vergebung bereit liegt. Wenn mir Gott nicht mehr vergeben wollte! Dahingegen das Wörtlein „als“, das geht auf kein Maß ein, bleibt in der Ähnlichkeit. Wenn ich nur vergebe! Ist's viel, so vergibt Gott mir viel, ist's wenig, so vergibt mir Gott auch viel. Darum nur vergeben, meine Lieben, nur vergeben, mit Hand, Angesicht, Wort und mit dem durch diese drei sich darbietenden Herzen. Zu bitten sind wir angewiesen: Vergib uns unsre Schuld, - aber nicht die Verheißung allein ist darin niedergelegt, dass wir werden auch erhört werden, sondern als unter den Fuß ist uns gegeben, was einer Berechtigung gleich sieht, dass wir es dürfen fordern, Gott will sich zwingen lassen, will ja Gnade als ein Recht ansehen lassen, das er täte. O große Bitte! eine Macht über Gott, die uns mit ihr gegeben wird. Sprechen wir sie noch einmal hier und in vollem Gefühl, wie viel mit ihr: Und vergib uns unsre Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern! - reißend auch hier schon das Amen heran, Amen.