Harms, Claus - Von der Heiligung - Vorwort.
Wenn ich diese Predigten zusammen benenne: „Von der Heiligung“, so stelle ich keineswegs in Abrede, dass sie diese Benennung nicht würden bekommen haben, wenn eine früher herausgegebene Zahl nicht hieße: Von der Erlösung. Eben so wenig begehre ich zu leugnen, in der Benennung der gegenwärtigen Predigten, wie sie gegeben ist nächst jener, liege etwas Missleitendes; es wird eingestanden von mir: In dem Verstande und in der Weise wie dort von der Erlösung, ist hier nicht von der Heiligung gepredigt worden. Allein, von der Heiligung doch, doch. Wie in der Bibel das Wort gebraucht wird, im Neuen Testament besonders, nämlich, wenn nach geschehener Geburt aus dem Geiste der Christ nun mit den ihm dazu gegebenen Kräften ausgeht und rottet aus das Schlechte, das in ihm ist, und macht sich das Gute, das ihm fehlt, zu eigen, mit Einem Bibelspruch zu reden, mit 2 Kor. 7,1: „Dieweil wir nun solche Verheißung haben, meine Liebsten, so lasst uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen und fortfahren mit der Heiligung in der Furcht Gottes“ in diesem Verstande des Worts habe ich von der Heiligung gepredigt, so will auch das Titelwort verstanden sein, und darin sehe ich eine Berechtigung für mich, dass ich dieses Titelwort genommen habe. Nach dieser abgegebenen Erklärung erwarte ich denn keinen Vorwurf deshalb.
Die Herausgabe dieser Predigten, weiter, fällt eben in eine Zeit, da sich zwischen rechtgläubigen Theologen eine Differenz hervorgetan hat über „Sünde und Gnade“ wie tief jene gedrungen sei, was diese noch in dem natürlichen Menschen vorfinde, wobei sie ihn anfassen könne. Meine Absicht ist es nicht, in diese Sache mit hineinsprechen zu wollen und sie zur Entscheidung zu stellen; ihre Führer haben mehr Geschick dazu, als ich mir zutraue, auch haben sie ein geeigneteres Feld. Auf welcher Seite ich übrigens stehe; das geben diese Predigten kund; fehle ich ja, so will ich lieber fehlen nach der Seite, wo nach meinem Dafürhalten beide die Sünde und die Gnade größer erscheinen. Indessen und damit ich nicht missverstanden werde, räume ich ein mit hellem Wort: Sünde bleibt Sünde und Gnade bleibt Gnade bei derjenigen Auffassungsweise ebenfalls, der ich nicht beitreten kann.
An meine lieben Mitverkündiger des Evangeliums richte ich noch bei dieser abermaligen Gelegenheit die erneuerte Vorstellung, mein ceterum censeo1): Wer gebunden ist an Perikopen, der suche doch bald tunlichst frei zu werden! Gewiss, es geschieht bei ihnen entweder dem Wort der Perikope ein Unrecht, dass man nicht in dessen Gemäßheit bleibt, oder der Wahrheit geschieht ein Unrecht, dass, die doch will geredet sein, so manchen Sonntag gänzlich geschwiegen wird. Wofern es noch nicht an der Zeit ist, dass wir durchaus ohne Text predigen, nicht mehr aus der Bibel und ihr nach, post, sondern bloß nach ihr secundum, und mit ihr predigen. In der seitherigen Weise, die meinige, versteht sich, einbegriffen, wird nach einigen Jahren die Predigt verstummt sein aus Mangel an Zuhörern; wir behaupten ihr die Stätte im Gottesdienst nicht, oder wir brechen ihr eine ganz neue Bahn. Gegeben ist schon der Vorschlag eines rein liturgischen Gottesdienstes und er hat einen, mich wenigstens gar nicht befremdenden Anklang gesunden hin und wieder, ob ich ihn gleich für durchaus unausführbar halte im protestantischen Deutschland und für ebenso durchaus unprotestantisch d. h. unevangelisch, d. h. unchristlich.