Härter, Franz Heinrich - Predigt gehalten am Himmelfahrtsfest 1830
Text: Luk. 24,50-53
Zweimal schied Jesus von seinen Jüngern; das erste Mal, als er abstieg in die Grabeshöhle, das andre Mal, als er auf gen Himmel fuhr; wie verschieden war aber der Eindruck des zweiten Scheidens von dem des ersten im Gemüt der liebenden Jünger. Beim ersten waren sie niedergeschmettert von übermächtigem Schmerz, verschüchtert, geängstigt, eine hirtenlose, verschmachtende Herde; und alle Trostworte, die der göttliche Freund vor seinem Hinscheiden ihnen zugerufen hatte, waren vergessen in der trostlosen Betäubung; vergessen war das beim letzten Lebewohl verheißene baldige Wiedersehen; in der Tiefe ihres Kummers achteten sie der Verheißung nicht mehr, ihre starren Blicke waren bloß auf die dunkle Erde gerichtet, die im kalten Schoß ihre schönste, ihre einzige Hoffnung verschloss, und die Gedanken und Gefühle der armen Verwaisten waren nur beschäftigt mit dem ungeheuren, unersetzlichen Verlust.
Ganz anders finden wir die Jünger heute beim zweiten Abschied, wo Jesus die Treuen hinaus gen Bethanien führte, die Hände betend und dankend erhob, Worte des Segens über sie aussprach, und segnend von ihnen schied und auf gen Himmel fuhr; da erschraken sie nicht mehr, sondern sanken in Andacht nieder, kehrten dann wieder gen Jerusalem mit großer Freude, waren alle Tage im Tempel, und lobten und preisten Gott. Was wars wohl, das ihnen diese unaussprechliche Freudigkeit einflößte? O, meine Freunde, dies ist nicht schwer zu erkennen! Beim ersten Scheiden sahen sie nur auf das Grab, beim zweiten erhoben sich ihre Augen und Herzen zum Himmel. Der Blick zum Himmel hat eine wunderbare Kraft die Seele zu erfüllen mit stiller Freude, selbst in der Stunde der Trennung für die ganze Lebenszeit, denn dort oben wartet ein ewiges Wiedersehen der reinen treuen, in Gott geheiligten Liebe.
So lasst uns nun in dieser Feierstunde, wo das große Werk des Welterlösers im Glanz der Vollendung vor uns schwebt und Leben und Unsterblichkeit aus besseren Welten uns herüber winkt, jeden schmerzlichen Erdengedanken aus unserer Seele verbannen, und
Ein Blick zum Himmel im Andenken an unsere Vollendeten
erfülle uns mit jenem hohen Frieden, der verklärend auch auf unsere dunkelsten Schicksale den Abglanz ewiger Wonne und seliger Hoffnung strahlt.
Unsere Vollendeten! schönes Wort in seiner vielsagenden Kürze! Doch wie dürfen wir es wagen diejenigen noch die Unserigen zu nennen, welche vollendet haben, welche nicht mehr bei uns sind? Wir dürfen es in eben dem Sinn und mit eben dem Recht, wie die Apostel zu Jesus Christus sagten: unser Herr, unser Lehrer, unser Wohltäter, unser Freund! auch da er schon sein Tagewerk vollendet, den Tod überwunden und nach dem Zustand der Erniedrigung die Herrlichkeit erlangt hatte zur Seite des Vaters. Unsere Vollendeten sind also: unsere im Leben mit uns Verbundenen und innig Geliebten, die nun ausgerungen haben, die von ihrer Arbeit ruhen, denen der Morgen eines schöneren Tages aufgegangen ist, und die im Anschauen der Herrlichkeit, welche der Vater dem ewigen Sohne gab, selig sind und in dieser Seligkeit das Erbe mit ihm teilen, als Glieder seiner siegenden Kirche.
Trocknet nur, bittere Tränen wehmutsvoller Sehnsucht, oder verwandelt euch in sanfte Tränen des heiligen Entzückens! Unsere gen Himmel gerichteten Blicke sehen heute, am Fest der Heimkehr des Sohnes zum Vater, keine Trennung mehr, sondern nur jene innige Verbindung, in der wir jetzt schon mit unseren Vollendeten stehen, denn wir leben der frohen Überzeugung:
Dass sie glückselig sind, dass sie uns nahe sind, dass sie Zeugen sind unserer Kämpfe, dass sie mit und für uns beten, dass sie sich unserer Siege freuen, und dass sie uns einst entgegen kommen werden. Dies lasst uns nun, mit Gottes Beistand, genauer entwickeln.
Froh wollen wir im Andenken an unsere Vollendeten gen Himmel blicken, wissen wir doch dass Sie glückselig sind. In der Tat, meine Freunde, die übermäßige Trauer beim Hintritt eines teuren Mitbewohners dieser armen Erde, und wenn er auch durch die innigsten Bande des Bluts mit uns verbunden war, die übermäßige Trauer, sage ich, hat allemal einen unedlen Grund, und ist gar nicht ein Beweis von reiner Liebe. Der Trauernde denkt und fühlt immer nur seinen eigenen Verlust, was aber der Vollendete und Verklärte gewonnen hat und geworden ist, dies beachtet er viel zu wenig, sonst würde er im Andenken an ihn reichen Stoff zur aufrichtigsten Freude finden.
Lassen wir darum solche eigennützige tadelnswerte Traurigkeit jenen unglücklichen Kindern der Finsternis, die in ihrem Unglauben keine Hoffnung haben; wir wollen dem Beispiel der Jünger Jesu folgen, und in Gottes Tempel loben und Preisen den Lenker des Schicksals. Unsere lieben vorangegangenen sind ja gerettet aus aller Gefahr; die Welt mit ihren lockenden Versuchungen kann den Verklärten nicht mehr nahen; allen Leiden, allen Stürmen der Erde sind sie entflohen, und die sicheren Wohnungen unserer Seligen sind unzugänglich den zahllosen feindseligen Gewalten, die dem Körper und Geist hienieden Schmerz bereiten und Verderben drohen.
Nicht herab zu uns möchten wir euch wieder rufen, aber hinauf zu euch möchten wir fliehen, in eure lichtvollen Räume! - So denken wir denn schon wieder an uns, und versündigen uns durch Ungeduld? O, lerne warten, du bewegtes sehnendes Herz; siehe, unsere Vollendeten haben ja auch gewartet, bis ihre Stunde schlug, und nun wird ihr Glaube gekrönt. Sie verstehen jetzt, warum der eine früher, der andere später heimgerufen wird; sie kennen das Maß und Gewicht, nach welchem die Fürsehung des Herrn unsere Erdentage abmisst und unsere Lasten wäget, und die Ratschlüsse der ewigen Gerechtigkeit enthüllen sich vor ihren verklärten Blicken als Ratschlüsse der ewigen Liebe. Und diese Liebe erfüllt bereits an ihnen die gnadenvollen Verheißungen, die jenes Gebet unsers Heilandes ausspricht: „Vater, ich will, dass wo ich bin, auch die bei mir sein sollen, die du mir gegeben hast, dass sie die Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast.“
Welche Seligkeit muss das senn, von Angesicht zu Angesicht zu schauen den Gekreuzigten und Auferstandenen in seiner Himmelsglorie voll Gnade und Wahrheit, und in seinem Dienst zu leben ein Himmelsleben! zu wirken Himmelswerke! Die kühnsten Ahnungen unserer sterblichen Brust wagen es nicht weiter zu dringen in diesen blendenden Glanz der Ewigkeit. Doch gläubig froh erhebt sich unser Auge zu jenen unermesslichen Fernen: Dort, dort, wohin des Menschen Sohn aufschwebte, dort müssen unsere Vollendeten wohnen! - Ach in unermesslicher Ferne! so hallt es wehmutsvoll in unseren Herzen wieder, und schon droht unsere Freudigkeit zurückzusinken in stille Trauer, da ergreift uns belebend ein anderer Gedanke: Unsere Vollendeten sind uns nahe!
Nahe? wie ist das möglich? Ja, vielleicht wenn dieses Nahesein soviel bedeuten soll, als fortdauerndes Andenken, welches das Bild der Heimgegangenen, ihr Beispiel, ihre Worte uns vergegenwärtigt; ein anderes Nahesein wäre nicht denkbar. - Warum nicht denkbar, meine Freunde? Die Denkbarkeit lässt sich allerdings beweisen, ja sogar die Wahrscheinlichkeit, und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit wäre ja Alles was wir fordern könnten, um dem bestimmt ausgesprochenen Glauben der frommen Väter beizupflichten.
Wir Erdbewohner, in unserm beschränkten Wirkungskreis und umgeben von einem trägen langsamen Körper, sind gewohnt Alles nach den kleinlichen Begriffen zu beurteilen, die wir uns von dem Raum und der Zeit machen, worin wir uns bewegen. Daher bezweifeln, leugnen, verwerfen die Menschenkinder in ihrer engherzigen eingebildeten Weisheit gar Vieles nur darum, weil es ihnen zu tief, zu erhaben, zu unbegreiflich ist. Die Vorzeit, welche weniger aufgeblähtes Wissen, aber mehr Liebe besaß, dachte hierin größer als wir, und ihr schönes Vertrauen beschämt unsere Kleingläubigkeit. Die Israeliten und die ältesten Christen glaubten, dass den Seelen der abgeschiedenen Frommen der Zugang zur Erde gar nicht untersagt sei. Nur die Gottlosen und Verworfenen sind mit Banden der Finsternis an ihren Qualort gefesselt; daher jener Wunsch des gepeinigten Sünders im Evangelio, Abraham möchte aus dem Wohnort der Seligen Lazarus als Boten auf die Erde zu seinen Brüdern senden; seine Bitte fand kein Gehör, allein möglich muss das Begehrte doch gewesen sein, sonst hätte ihm Abraham nicht die Unzweckmäßigkeit, sondern die Unmöglichkeit der Gewährung entgegnet, wie er es bei der vorhergehenden Bitte um Linderung seiner Pein getan hatte. Mag also immerhin diese Erzählung nur ein Gleichnis im Mund unseres Herrn heißen, so liegt ihm doch der Gedanke zum Grunde: Zwischen Himmel und Hölle ist eine unübersteigliche Kluft, aber nicht zwischen Himmel und Erde.
Wir wollen nun zwar nicht behaupten, dass alle Seligen aus den Wohnsitzen des Friedens herabsteigen, und noch viel weniger, dass sie dies in sichtbarer Gestalt tun, denn alle sinnlichen Vorstellungen wären eine Entweihung des Heiligen; aber die Möglichkeit ist doch nicht zu leugnen, dass z. B. eine fromme liebende Mutter, die der Tod von ihrem zarten Säugling trennte, sich von dem Allgütigen die Gnade erflehen dürfte dem teuren Kinde nahe zu sein und unsichtbar seine Unschuld zu bewachen; die Möglichkeit ist nicht zu leugnen, dass ein edler vollendeter Freund, der an den noch im Leibe wandelnden Freund mit den Banden der heiligsten Liebe geknüpft ist, als Schutzgeist ihn umschweben möchte, und dass ihm dies gewährt würde. „Sind doch die Engel dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst derer, die ererben sollen die Seligkeit;“ und die verklärten Kinder der Auferstehung sind den Engeln gleich.
Wir treten hier mit leisem Schauer an den Vorhang, der uns die Geheimnisse der Geisterwelt verhüllt, und der Heiland lüftet ihn mit den Worten: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende; und wo zween oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Wie ist das möglich, ruft der Zweifler, wie kannst du zugleich hier sein und dort sein? - Du Tor! weil für den Herrn kein Hier und kein Dort mehr ist; denn diese beiden Begriffe sind nur für deinen engen Verstand durch unermessliche Fernen geschieden; dem verklärten Menschensohn und den in Ihm vollendeten grenzen sie aneinander und fließen zusammen.
Die Jünger zweifelten nicht, sie glaubten und erkannten ihres Herrn und Freundes segnende Nähe, und in diesem Glauben überwanden sie die Welt; denn nichts vermag wohl mehr unseren Mut anzufachen, als der Gedanke: Unsere Vollendeten sind Zeugen unserer Kämpfe.
Die wahre Liebe hört mit dem Tod nicht auf; wenn aber die Liebe in den Himmelsbewohnern nicht erstirbt, sondern nur noch reiner und beglückender wird, so müssen wir auch unseren vorausgegangenen Geliebten zutrauen, dass sie den wärmsten Anteil an unserem Los nehmen, und dass ihnen unsere Anstrengungen und unsere Schmerzen nicht gleichgültig sind. Freilich könnte man dagegen einwenden: der Anblick des menschlichen Leidens musste eine Störung der Seligkeit der Vollendeten sein; allein, vergessen wir nicht, dass der Vollendete bereits die Erdenschicksale im Zusammenhang überschauet, und weil er den höheren Zweck, das nahe Ziel, die segensreiche Auflösung der uns noch unbegreiflichen Begebenheiten kennt vielleicht gerade da Ursache zur Freude findet, wo wir meinen lauter Herzeleid zu sehen.
Nur in Einem Fall lässt sich denken, dass die Vollendeten, die auf uns schauen, mit Wehmut ihre Blicke abwenden müssten; nämlich wenn wir verstockt würden: wenn unser entarteter Sinn allen guten Regungen, allen stillen Warnungen des Geistes Gottes widerstrebend auf bösem Weg dem Verderben entgegen eilte; dann würden sie fliehen, unsere schützenden Engel, sie würden uns bedauern und vergessen; denn wir hätten uns ja von ihnen losgesagt. O es ist ein ergreifender Gedanke: wir haben um uns unsichtbare Zeugen unseres Wirkens und Leidens! Zwar haben wir auch Gott den Allgegenwärtigen zum Zeugen, und das Andenken an ihn soll hinreichen uns vor der Sünde zu bewahren und uns im Kampf getrost zu machen, aber es liegt doch etwas unaussprechlich Süßes in dem Bewusstsein: meine Teuren sind mir nah, sie wissen was ich tue, was ich denke, sie ermuntern mich zur treuen Beharrlichkeit, und ich kann durch mein redliches Streben und standhaftes Dulden ihre Seligkeit noch erhöhen.
O ihr alle, die ihr um einen abgeschiedenen Gerechten jemals Tränen der Liebe weintet und noch weint, wenn euch dieser Gedanke nicht zur Treue begeisterte, so sind eure Tränen eitel und vergeblich gewesen. „Wir haben, jetzt in diesen heiligen Augenblicken, einen Haufen unsichtbarer Zeugen um uns; darum lasst uns ablegen die Sünde, die uns immer anklebt und träge macht, und lasst uns ausharren mit Geduld in dem Kampf der uns verordnet ist.“
Auch sind diese unsere Zeugen gewiss nicht müßige Zuschauer, sondern die Teilnahme, die wir ihnen zutrauen, gibt uns die frohe Zuversicht, dass sie mit uns und für uns beten.
Wenn der Apostel uns versichert: „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernst ist,“ sollte das ernste Gebet eines Verklärten, eines Engels nicht auch etwas vermögen? O gewiss sehr viel, und viel mehr als wir jetzt noch verstehen; denn unsere Begriffe von der Wirksamkeit des Gebets sind viel zu kleinlich, zu engherzig, zu irdisch; wir vergessen noch zu oft, dass die erhabensten Güter, die Güter des Geistes, erbetet werden müssen, und darum mühen wir uns oftmals ab in törichten vergeblichen Bitten, anstatt uns Trost, Kraft, Friede und Freude im heiligen Geist zu erflehen. Und wie oft, ach wie oft! geschieht es, dass der Mensch gerade im entscheidendsten Augenblick nicht beten kann, abgehalten durch unübersteigliche Hindernisse, oder überwältigt von Schwachheit und Betäubung!
Aber wir sind nicht allein wann wir beten; mit uns sinken vor Gottes Thron unsere teuren Vollendeten in Andacht nieder, und beten mit uns, beten besser als wir, und der Allgütige erhört ihre Bitten, und gewährt ihnen unser Glück, das wir selbst noch nicht verstehen, und vielleicht, (selige Ahnung!) vielleicht werden sie selbst gewürdigt als Diener der ewigen Gnade uns die Stärkung von oben zu bringen, ihnen zum Lohn, uns zum Trost.
Wer unter euch, teure Freunde, wäre so arm in sich, dass er nicht schon solche Erfahrungen gesammelt hätte, die ihn hinweisen auf diese Gemeinschaft der Kinder Gottes, die Himmel und Erde umfasst! Wie oft, in den Stunden der Angst und Anfechtung, sanken wir nieder und flehten zum Herrn um Hilfe, um Rettung; und erhoben uns dann wieder mit einem wunderbaren Mut, und mit dem erquickenden Bewusstsein: dein Gebet ist erhört! ohne dass dabei in unserer äußeren Lage etwas geändert wurde. Das Schicksal ging fort seinen schrecklichen Gang, aber seine Schrecken waren für uns verschwunden.
So kämpfte und rang der leidende Erlöser selbst im Gebet mit Todesangst in den Schatten Gethsemanes; und ein Engel kam, und stärkte ihn. Des Menschen Sohn bedurfte eines tröstenden Engels, und wir arme hinfällige Erdenwürmer sollten dieses Trostes nicht bedürfen? O trennt doch nicht, ihr kalten Weltweisen, die Herzen von den Herzen durch eure Zweifel, durch die Ausgeburten eurer Unwissenheit! glaube, du armes verwaistes Kind, dass dein frommer Vater, deine treue Mutter mit dir und für dich in der Ewigkeit beten! glaube, du blutendes Freundesherz, dass in deinen bittersten Stunden, die Seele deines Vollendeten sich liebend an dich schmiegt, und Himmelsbalsam in deine Wunden träufelt!
Gewiss, sie sind uns liebend nahe, unsere Seligen alle, in den entscheidenden Augenblicken des Lebens; sie sind Zeugen unserer Schmerzen; unserer Tränen, sie stehen uns im Kampf zur Seite und beten für uns; aber wenn wir in redlicher Anstrengung überwunden haben, und nach dem Sturm die Ruhe und Heiterkeit wiederkehrt in unsere erschütterte Seele, dann sind sie auch teilnehmende Zeugen unseres Glücks, und freuen sich unserer Siege.
Wenn kämpfend für die Ehre des Vaterlandes seine Söhne in fernen Gegenden einen Sieg mit ihrem Blut erkauft haben, so feiert das Volk ein Siegesfest; aber in seine Freude hallt störend mancher Klageton, und die Menschheit trauert über den Siegeszeichen, die eben so viele Totenmahle sind. Ganz andre Siegesfeste werden im Himmel gefeiert; denn vor den Augen der Himmelsbewohner ist nur der ein rechter Held, der es wagt sich selber zu bekämpfen, und der, mit Gottes Beistand, sich selber besiegt.
„Es wird Freude sein vor den Engeln im Himmel über einen Sünder der Buße tut;“ so sagt unser Heiland, und stellt uns im Freudenmahl, welches der Vater dem zurückehrenden verlorenen Sohn bereitet, ein solches Siegesfest der Seligen im Bild dar. Wahrlich es muss den Unsterblichen ein erhebender Anblick sein den reuigen Sünder zu sehen, der tief gebeugt im Bewusstsein seiner Schuld glaubensvoll Vergebung sucht; und Gnade findet, und nun als ein Wiedergeborener sich mit dankbarer Liebe ganz dem hingibt, der ihn so hoch begnadigt hat. Eine Seele dem Himmel gewonnen! so rufen die Seligen aus, und die Mitfreude, dieses Himmelsgefühl, erhöht noch ihre Seligkeit.
So werden auch unsere Vollendeten sich über uns freuen, bei jeder Sünde, die wir ablegen; bei jeder Versuchung, die wir überwinden; bei jedem heiligen Entschluss, der zur Tat in uns reift. Sie wandeln umher, die unsichtbaren Zeugen, auf der Erde, dieser Pflanzschule für den Himmel; sie sehen mit stiller Wonne die geistigen Saaten heranwachsen, sehen wie das große Werk Jesu Christi sich immer schöner gestaltet, trotz aller Stürme und Gefahren, und erblicken schon von Ferne jenen großen Erntetag, jenes allgemeine Siegesfest, wo das Unkraut vom Weizen gesichtet, das Böse vertilgt, das Gute vollendet wird, und Jesus Christus, der große Sieger, seine gerettete Menschheit sammelt und dem Vater übergibt.
Mit stummem Erstaunen schauen auch wir in diese Zukunft hinaus; doch die Schwingen unseres Geistes ermatten, wir sinken zurück in die engbegrenzte Gegenwart, und unsere alltäglichen Sorgen und Freuden werden bald wieder unser Herz umlagern. Weil wir aber dies wissen, und nicht vermeiden können, so lasst uns tief in dem innersten Heiligtum unseres Herzens als eine geheime Lebensflamme den Glauben bewahren: unsere Vollendeten sind uns nahe, wenn wir sie gleich nicht sehen! sie sind Zeugen unserer Kämpfe, sie beten für uns, sie freuen sich unserer Siege, und kommen uns einst entgegen, wenn wir selbst am Ziel stehen.
Sie kommen uns entgegen die freundlichen Boten aus der Ewigkeit, sie umschweben unser Sterbelager und kühlen mit Himmelslüften den Todesschweiß auf unserer Stirn; sie bringen uns Kunde aus den seligen Gefilden; sie reichen uns die treue Geisterhand und leiten uns auf der unbekannten Sternenbahn den Wohnungen im Vaterhaus entgegen, wo sie schon wissen, welche Stätte uns der Herr bereitet hat. Darum schauen wir auch so gerne zu jenen heiteren Räumen auf, wohin der Erstling der Vollendeten den Augen seiner Jünger entschwebte, und seine Heimkehr erregt in uns ein wunderbares Heimweh. Warte! so ertönt eine leise freundliche Stimme, warte noch eine kleine Zeit, dann will ich wiederkommen, und dich zu mir nehmen, und auch dir die Krone der Vollendung reichen, wenn du durch himmlischen Sinn zum himmlischen Leben gereift bist!
Wer den Blick zum Himmel wendet,
Schauet nicht des Todes Bild.
Dort, im Himmel wird vollendet,
Was mit Ahnung uns erfüllt.
So trockne deine Tränen!
Aus dem Himmel winket Ruh,
Und ein stilles, tiefes Sehnen
zieht das Herz dem Himmel zu.
Amen!