Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - VI. Die Erleuchtung.

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - VI. Die Erleuchtung.

Text: Ps. 36,10.

Sind wir durch den Gnadenruf aus dem Sündenschlaf erwacht, so weiset uns der Heilige Geist sogleich zu dem ewigen Gnadenborn, aus welchem das Licht des Lebens fließt. Er ruft uns zu: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! Denn siehe Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir!1)“ Es ist kein natürliches Licht, das uns verkündigt wird, kein Vernunftlicht, sondern das Gnadenlicht von oben.

Ja Du, der uns berufen hat von der Finsternis zu deinem wunderbarem Licht, du bist es selbst, Jesus Christus, ewige Sonne der Gerechtigkeit, die unsre Seelen erleuchtet; denn bei dir ist die lebendige Quelle, und in deinem Licht sehen wir das Licht.

Das ist, was Dr. Luther in seinem kleinen Katechismus, bei der Erklärung des 3ten Artikels so feierlich ausspricht: Ich glaube, dass ich nicht aus eigner Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben noch zu Ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen und mit seinen Gaben erleuchtet.

Dies führt uns in der Gnadenordnung Gottes zu dem Punkt, über welchen der Fürst dieser Welt, der in der Finsternis dieser Welt herrscht, den größten Zorn hat, nämlich dass uns in Jesu Christo die Sonne der Geisterwelt aufgeht, wie der Vater Johannis des Täufers weissagend sprach: „Durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe; auf dass er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsre Füße auf den Weg des Friedens2). Das zeigt uns:

Die Erleuchtung durch Jesum Christum.

In den Berufenen erwacht ein Bedürfnis nach Licht. Den Erwachenden ist noch Alles dunkel umher; sie kennen weder Weg noch Ziel, denn das geistliche Auge ist durch die Krankheit des natürlichen Unglaubens gebunden. Der Gott dieser Welt hat ihre Sinne geblendet, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums, von der Klarheit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes3). Alle Gelehrsamkeit, alles Studieren, kann dem natürlichen Menschen nichts nützen; es sei denn dass der Mensch von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen4). Die Wiedergeburt ist ein Geheimnis, das nicht anders als durch seine Wirkung erkannt wird. Darum flehe nur, wenn du von Jesu Christo hörst, wie jener Blinde Bartimäus bei Jericho: Jesu, erbarme dich meiner!5) Lass nicht nach mit Bitten, bis er dir antwortet: „Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!“

Wenn du Ihn schaust, in seiner stillen Glorie, dann geht dir das innere Auge auf; Er heilt dich von der Blindheit, wie er schon so Viele geheilt hat, durch sein Wort, und du erkennst es, dass er alle Gewalt hat im Himmel und auf Erden; denn durch seine Schöpferkraft ist dir geholfen worden.

Jesus Christus ist das Licht der Welt6) - diese Wahrheit gibt erst unserer Berufung ihre ganze Bedeutung; so lange wir bloß das Ohr geöffnet haben, aber unser Auge noch von Finsternis bedeckt ist, tappen wir mit der Hand, und vermögen keinen sicheren Schritt zu tun, ohne Führer. Das ist der Fall bei denen, die entweder einer Kirche angehören, welche allerlei Fremdartiges, allerlei Menschenwerk an die Stelle des ewigen Evangeliums gesetzt hat, oder die sonst der beseligenden Wahrheit beraubt worden sind, durch das falsche Wissen der Philosophie und losen Verführung, nach der Menschen Lehre und der Welt Satzungen und nicht nach Christo7).

In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Er heilt uns allmächtig, wie er den Blindgebornen heilte8); damals bestrich er die Stelle der Augen mit einer Salbe aus Staub der Erde, um anzudeuten, dass er den irdischen Stoff mit neuen Lebenskräften durchdringt; sodann schickte er den blinden Jüngling an die Quelle Siloah, d. h. gesandt, zum Zeugnis, dass er, der große Gesandte des Vaters, die lebendige Quelle selber ist. Der Blinde wusch sich, und kam sehend; denn zwei klare Augen bewegten sich in ihren Höhlen, dass er mit Staunen Alles umher betrachtete, und laut Den pries, der solches große Wunder an ihm getan.

Noch größer ist aber das Staunen der Seele, die den Zauberbann gelöst sieht, der sie gebunden hielt; sie schaut mit unendlichem Dank zu Dem empor, der sie geheilt hat, und nun blickt sie auch um sich her; der Heilige Geist, der den Grund der Wiedergeburt in sie legte, wirkt auf ihre Vernunft; sie bekommt eine ganz andre Lebensansicht, und betrachtet ihr Dasein aus einem neuen Standpunkt. Sie hat gelernt, was das heißt: Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege9). Und so versteht sie jetzt auch den Eingang des Evangeliums Johannis: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; dasselbige war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, das gemacht ist10). Die Schöpferkraft des Sohnes, der das ewige Wort ist, hat sich an ihr bewiesen, und sie zweifelt keinen Augenblick mehr, dass er der wahrhaftige Gott und das ewige Leben ist, und hat, und geben kann. Mit völliger Freude erkennt sie Den, der von Anfang war.

In seinem Licht sieht sie das Licht, denn: Die Erleuchtung ist eine Gabe Jesu Christi.

Er kann allein unser tiefes Bedürfnis nach dem Licht stillen, wie er selber sagt: Ich bin der Weg, und die Wahrheit, und das Leben; Niemand kommt zum Vater, denn durch mich11). Durch sein teures Blut sind wir mit dem Vater versöhnt; das ganze Gesetz hat er befriedigt; unsre ganze Schuld hat er auf sich genommen, und uns einen freien Zutritt zu Gottes Vaterherzen aufgeschlossen. Welche der Sohn frei macht, die sind recht frei12). Die wahre Freiheit und das Licht der Geisterwelt gehen von dem Sohn aus. Durch ihn gestaltet sich alles Anders, in uns und um uns her; sein Wort ist für uns die Bürgschaft der Wahrheit; darum will er auch, dass wir an seiner Rede bleiben, als seine rechten Jünger, die Ihn durch Glauben ehren, und denen deswegen auch gründlich geholfen wird. Darum trauen wir seiner Rede und leben und sterben darauf, dass sein Wort ewige Wahrheit ist, zu unserer Seligkeit.

In deinem Licht sehen wir das Licht! heißt aber nichts anderes, als: Alle wahre Aufklärung geht von dem Sohn aus; er gibt uns das rechte Schriftverständnis, die rechte Gotteserkenntnis, und die rechte Selbsterkenntnis; denn das ist ein aufgeklärter Mensch, im wahren Sinn, der die Heilige Schrift gründlich versteht als ewige Wahrheit, der in Christo Jesu mit Glaubenszuversicht den Vater sieht, und sich selbst in seiner Gnadenbedürftigkeit an Ihn wendet, der zu dem Aussätzigen sagte: Ich will es, sei gereinigt!

Das rechte Schriftverständnis muss uns Jesus eröffnen, wie er es einst seinen Jüngern getan, dass sie die Schrift verstanden. Und er sprach zu ihnen: Also ist es geschrieben, und also musste Christus leiden, und auferstehen von den Toten am dritten Tag, und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden, und anheben zu Jerusalem. Ihr aber seid des Alles Zeugen13).“

Dass wir dem Zeugnis seiner Apostel glauben dürfen und sollen, hat sein heiliger Mund uns gelehrt. „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.14)“ Hierin ist euer Urteil ausgesprochen, ihr Verächter des apostolischen Wortes; ihr seid nichts anders als Gottesverächter, und werdet danach gerichtet werden.

Wir glauben dem, das geschrieben ist, als von Christo selber dazu berechtigt, im Gehorsam seines Wortes, und lassen uns nicht mehr irre machen, durch den Widerspruch der falschen Weisen, welche ihre kräftig verderbenden Irrtümer anstatt der beseligenden Wahrheit verkündigen, im Dienste Satans, der sich zum Engel des Lichtes verstellt15).

Von sich selber haben die Apostel sagen können: „Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervor leuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstände die Erleuchtung, von der Erkenntnis der Klarheit Gottes, in dem Angesicht Jesu Christi. Wir haben aber solchen Schatz in irdischen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft sei Gottes, und nicht von uns16).“

Das ist die rechte Gotteserkenntnis, dass wir den Vater schauen in dem Sohn, und der Heilige Geist uns das Wesen des dreieinigen Gottes erklärt, wie geschrieben steht: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben; uns aber hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also auch weiß Niemand, was in Gott ist, ohne der Geist Gottes17).“

Wer vor dem Sohn Gottes die Knie beugt, und ihn anruft um die Erleuchtung, wird vom Geist Gottes mit der Salbung begnadigt, die ihn Alles lehrt, was zum christlichen Glauben gehört: „Ihr habt die Salbung (das Chrisma) von dem der heilig ist, und wisst Alles. Und die Salbung, die ihr von Ihm empfangen habt, bleibt bei euch, und bedürft nicht, dass euch Jemand lehre, sondern wie euch die Salbung allerlei lehrt, so ist es wahr, und ist keine Lüge; und wie sie euch gelehrt hat, so bleibt bei demselben18). „

Diese beseligende Erkenntnis lässt in dem Herzen keinen Zweifel mehr aufkommen; sie gibt die gewisse Zuversicht des, das man hofft, und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht19). Mit völliger Klarheit steht im Innersten die Gewissheit fest: Ich bin ein begnadigtes Gotteskind, und meine Sünden sind getilgt durch die Kraft der ewigen Erlösung; ich darf zum Gnadenstuhl hinzutreten; mein Hoherpriester hat meine Seele vom Tod errettet, meine Füße vom Gleiten, dass ich wandeln mag vor Gott im Lichte der Lebendigen20).

Der Rettungsweg ist vor mir aufgeschlossen; ich sehe im Licht Gottes meine Sünden in ihrer wahren Gestalt, und suche dafür keine Entschuldigung mehr; aber der Ankläger ist verworfen, der mich verklagte Tag und Nacht vor Gott; ich habe ihn überwunden durch des Lammes Blut21); das will ich vor aller Welt bekennen, durch das Wort meines Zeugnisses, und hinfort mein Leben nicht mehr lieben bis an den Tod, sondern es dem hingeben, der das höchste Recht darauf hat, da er für mich gestorben und auferstanden ist.

Mit solchen Entschlüssen wendet sich der aufgeklärte Christ zum hellen Morgenstern, der in seinem Herzen aufgeht, und beginnt mit Freudigkeit den Wandel als ein Kind des Lichts, im göttlichen Leben der heiligen Liebe, immerfort mit Jubel wiederholend:

Den Erdkreis fülle Jesu Ruhm!
Sein ewig Evangelium
Muss alle Welt durchtönen.
Mit Engelschwingen fleugt es schon,
Ruft aller Welt im süßen Ton:
Lasst euch mit Gott versöhnen!
Amen, Amen!
Menschen alle,
Folgt dem Schalle,
Dass die Erde
Euch durch Ihn zum Himmel werde!
Amen!

1)
Jesaja 60,1.2.
2)
Luc. 1,78,79.
3)
2. Corinth. 4,4
4)
Joh. 3,3.
5)
Marc. 10,46-52
6)
Joh. 8,12
7)
Col. 2,8
8)
Joh. 9
9)
Ps. 119,18 u. 105
10)
Joh. 1,1-3
11)
Joh. 14,6
12)
Joh. 8,31-36
13)
Luc. 24,45-48
14)
Luc. 10,16
15)
2. Thessal. 2,11.12
16)
2. Cor. 4,6-7
17)
1. Cor. 2,9-11
18)
1. Joh. 2,20 u. 27
19)
Ebr. 11,1
20)
Ps. 56,11
21)
Offb. 12,11
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