Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - III. Wache auf, der du schläfst!

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - III. Wache auf, der du schläfst!

Text: Ephes. 3,14.
„Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“

Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe, auf dass er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsre Füße auf den Weg des Friedens. (Luc. 1, 78-79.) Lass deine Gnade auch uns erleuchten, und deine Wahrheit walte über uns in Ewigkeit! Amen.

Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt: Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir; denn siehe. Finsternis bedeckt das Erdreich, und Dunkel die Völker, aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheinet über dir1).

Die Ermahnung zu wachen ergeht an alle Christen; Christus spricht2): So wacht nun, denn ihr wisset nicht wann der Herr des Hauses kommt, ob er kommt am Abend, oder zu Mitternacht, oder um den Hahnenschrei, oder des Morgens; auf dass er nicht schnell komme, und finde euch schlafend. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wacht!

Ach, wie viele schlafen dennoch fort in geistlicher Trägheit, und das Wort ruft ihnen vergeblich zu: Wie lange liegst du Fauler? Wann willst du aufstehen von Deinem Schlaf? Ja, schlafe noch ein wenig, schlummre ein wenig, schlage die Hände in einander ein wenig, dass du schläfst, so wird dich die Armut übereilen wie ein Fußgänger, und der Mangel wie ein gewappneter Mann3), und kein Tropfen des Trostes bleibt dir dann mehr, wie dem arm gewordenen reichen Mann in der Hölle.

Wenn es noch jemals nötig war, dass eine kräftige Erweckung in den Gemeinen geschah, so ist es in unsern Tagen, wo so wenige sind, die etwas von der Gnadenordnung Gottes aus Erfahrung verstehen. Nur eine wachende Seele sieht es ein, wie notwendig es ist sich aufzumachen, gleich dem verlornen Sohn, und aus dem Sündenstand der Welt in den Gnadenstand der Gemeinschaft mit Christo überzugehen. Die Bekehrung kann erst dann beginnen, wann die Erweckung gründlich geschehen ist, und die Seele sich vom Licht der Welt4) erleuchten lässt.

Darum ergeht heute an uns so nachdrücklich der Erweckungsruf des Heiligen Geistes:

Wache auf, der du schläfst!

1. Der Seelenschlaf; 2. Das Aufwachen aus demselben; soll nun der Gegenstand unserer Betrachtung sein.

1. Der Seelenschlaf

Wenn der Apostel Paulus an die Korinther schreiben musste: Darum sind so viele Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen5); so gilt dies leider vielmehr von unsern Gemeinen, worin der Genuss des heiligen Abendmahles entweder ein unwürdiger ist, oder ganz unterlassen wird. An dem Verlangen nach dem Leib und Blut des Herrn kann man erkennen, ob noch eine Spur von Leben unter den Christen vorhanden ist; aber bei weitem nicht die Hälfte unter uns nimmt daran Teil, und die Teilnehmenden sind bei weitem nicht lauter erweckte Christen. Der Seelenschlaf ist fürchterlich häufig, und die Weckstimmen werden von den meisten in ihrem Schlaf nicht mehr gehört; ja, es ist so weit gekommen dass die Prediger selber großenteils die Schlafsucht fördern, indem sie durch den Unglauben die geistliche Sicherheit hegen.

Da der Bräutigam verzog, wurden alle Jungfrauen schläfrig und entschliefen6), die Törichten wie die Klugen. Diese allgemeine Schläfrigkeit geht auf das Ende der Tage, und ist ein deutliches Zeichen der letzten Zeit. Die törichten Jungfrauen sind unbesorgt um das Eine, was not ist, und schlummern in völliger Glaublosigkeit, eingewiegt in ihre stolzen Träume; die klugen Jungfrauen haben zwar das Glaubensöl für ihre Lampen bereitet, aber sie sind auch sicher geworden, und der Schlaf hat sie überwältigt. Das ist der Zustand der Christenheit in unsern Tagen, wo selbst die Besseren, denen es noch ein Ernst war mit ihrer Seligkeit, sich doch dem allgemeinen Ausgekehrtsein hingeben, das über die Völker gekommen ist. Dazu kommt ein Taumel der sinnlichen Betäubung, den die Heilige Schrift auf eine merkwürdige Weise schildert:

Du wirst sein wie einer der mitten im Meere schläft, und wie einer schläft oben im Mastbaum7). Wir denken uns einen Reisenden, der aus langer Weile zum Vergnügen in den Mastkorb steigt, und dort an der Aussicht sich ergötzt. Er sieht den weiten Ozean, das fliehende Ufer, die im Sonnenschein glänzenden Fluten; das Wiegen des Schiffes schläfert ihn ein, er träumt von einem glücklichen Land, wohin er kommen soll. Dazu weht ein kühler Wind ihn an, und macht dass er noch fester schläft. So eilt die Zeit dahin; der Abend naht dem Schiffer; die Mitternacht schleicht herbei für die schlafenden Jungfrauen, sicher und sorglos achten sie es nicht.

Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe der Bräutigam kommt, geht aus, ihm entgegen! Da fahren die Jungfrauen alle aus dem Schlummer, ihre Lampen zu bereiten; nun zeigt sich erst der Einen Torheit; sie sehen, dass ihnen das Öl fehlt; sie fordern es von den Klugen, die aber kaum für sich genug haben; die Törichten sollen zu den Krämern gehen und kaufen. Unterdessen kommt der Bräutigam; nur die Bereiteten gehen mit ihm hinein zur Hochzeit; spät erst kommen die Andern nach: ach zu spät: die Türe ist verschlossen; vergebens rufen sie: Herr, Herr, tue uns auf! Er antwortet: Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht!

Dies ist die treue Schilderung der großen Zahl der Seelen, die nicht bereitet waren, weil ihnen das Glaubensöl in der Lampe fehlte.

Es sind die Christen ohne den Sohn Gottes, die in der entscheidenden Stunde trostlos und hoffnungslos ihre Zuflucht wieder zu den Aposteln und Propheten nehmen, und dann zu spät einsehen, dass er der Bräutigam ist, der ihnen allein hätte helfen können, und nun sie nicht mehr als die Seinen erkennt, weil sie auf sein Kommen sich nicht bereiteten; darum bleiben sie draußen in der Finsternis, bis auf seinen großen Tag, wann er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.

Noch schrecklicher ist das Erwachen derer, die in der Betäubung des stolzen Wahns sich einwiegten in gefährlichen Träumen, wie der auf dem Mastbaum Schlafende. Das Schiff eilt dahin, die Wellen schaufeln den Schlummernden noch tiefer in den Schlaf. Plötzlich kommt eine Woge, die von einem Windstoß bewegt, das Schiff auf die Seite wirft, und den Schläfer hinaus schleudert in das Meer; nun ist er wach, aber zu spät; er ruft um Hilfe, aber niemand ist da der ihn ein rettendes Seil zuwerfe; der pfeilschnelle Flug des Schiffes lässt ihn weit zurück, und einsam, mit den Fluten kämpfend, versinkt er in die nächtliche Tiefe.

O wie gefährlich ist doch der Zustand unserer Zeit; es gibt der Betäubungsmittel so viele, dass die Warnungsstimmen häufig überhört werden. - Wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird es auch geschehen in den Tagen des Menschen Sohnes; sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis auf den Tag da Noah in die Arche ging, und kam die Sündflut und brachte sie Alle um. Desselben gleichen, wie es geschah zu den Zeiten Lots. Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tag aber da Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel, und brachte sie Alle um8).

Darum: Wache auf der du schläfst!

2. Das Aufwachen.

Herr hilf, Herr lass wohl gelingen, dass wir nicht verloren gehen! Das Aufwachen ist ein Übergang vom Traum zur Wirklichkeit. Aber zu was für einer Wirklichkeit erwacht der Mensch aus seinen eitlen Träumen? Zuerst muss er erkennen, dass Alles, was er bisher gedacht, empfunden und begehrt, ein leeres Schattenwerk war. Die Güter dieser Welt verschwinden mit ihrem Glanz; die Ehre dieser Welt wird zunichte; die Weisheit dieser Welt erscheint in ihrer Hohlheit; die Genüsse dieser Welt geben keine Befriedigung, und das, wonach wir einst mit Sehnsucht trachteten, erscheint uns nicht mehr wünschenswert. - Salomo hatte die Fülle des Reichtums und der irdischen Herrlichkeit; da er jedoch aufwachte, rang er die Hände, und rief: Es ist Alles eitel, es ist Alles ganz eitel! Da wird das Nichts der Erde in Wahrheit erkannt; und die Leerheit des Herzens mit Schrecken empfunden.

Dazu kommt, dass der Mensch anfängt sich selbst zu erkennen als das was er ist, nämlich als ein Sünder, der nicht kann vor Gott bestehen. Bisher hatte er sich für gesund gehalten, nun erkennt er, dass er voller Aussatz ist, den die Lappen der eigenen Gerechtigkeit nicht bedecken können; bisher war er im Wahn etwas Ausgezeichnetes zu leisten, nun sieht er ein, dass er nichts vermag, und dass Gott allein das Wollen und Vollbringen schafft.

Bei dieser Enttäuschung bleibt es jedoch nicht; der Erwachende fühlt wie ein neues Leben in ihn kommt, doch nicht mit Freuden sondern mit Schmerz; denn der Tod weicht zwar mit seiner Gefühllosigkeit, aber das beginnende leben ist ein Leiden, welches nach dem Arzte verlangt; das ist in den Worten angedeutet: Stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten; d. h. Er wird dir zeigen, wie dir zu helfen ist.

Ach, wenn es nur nicht zu spät geschieht! Bis ins Gericht hinein dauert bei Manchen die Verblendung, wo die Könige auf Erden, und die Obersten, und die Reichen, und die Hauptleute, und die Gewaltigen, und alle Knechte und alle Freien sich verbergen in den Klüften und Felsen an den Bergen; und sprechen zu den Bergen und Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dein Angesicht des, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn es ist gekommen der große Tag seines Zornes, und wer kann bestehen9)?

Welch ein Schrecken, wenn es auf einmal heißt: Es ist zu spät! Einer schläft auf einem Schiff das sanft den Strom hinunter gleitet; er hört nicht das Tosen des nahen Sturzes, bis es zu spät ist, bis er nicht mehr das rettende Ufer erreichen kann, und von dem gewaltigen Zug erfasst, stürzt sein Schifflein in den Abgrund und zerschmettert am Felsen, mit dem der darin sorglos geschlafen hat. Die Pforte der Arche ist geschlossen, und vergebens heulen nun die, welche des Noah gespottet hatten, denn es ist zu spät! - Die sichern Bewohner des Tales Siddim verlachen die Warnung des Lot; da bricht der Morgen an, wo die Erde wankt und der Himmel in Glut steht; sie wollen fliehen, umsonst, es ist zu spät! Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken.

Darum erwacht, weil es noch Gnadenzeit ist; jetzt ist der Tag des Heils; heute wo ihr Gottes Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht. Herr, frühe wollest du meine Stimme hören; frühe will ich mich zu dir schicken und darauf merken10)! Ein frühzeitiges Erwachen hat großen Segen, besonders wenn die Seele wach bleibt und ein Gott geweihtes Leben darauf folgt. Da geht eine mächtige Änderung in ihrem Innern vor; Christus erleuchtet sie, und bei dem Erkennen ihres verlornen Zustandes wird ihr doch auch das Vorhandensein der Hilfe kund, welche die ewige Liebe der gefallenen Sünderwelt bereitet hat, durch die Sendung des Sohnes Gottes. Da wird der erweckten Seele ihre Gnadenzeit erst recht wichtig, sie hört, wie der Herr ihr zuruft: Ja, ich komme bald; Amen! und erwidert mit dankbarer Freudigkeit: Ja, komm Herr Jesu! Den wachgewordenen sagt der Heilige Geist durch das Wort: Die Gnade unsres Herrn Jesu Christi sei mit euch Allen! Amen.

1)
Jesaj. 60,1-2
2)
Mark. 13,35-37
3)
Spr. Sal. 6,9-11
4)
Joh. 8,12
5)
1. Kor. 11,30
6)
Matth. 25,5
7)
Spr. Sal. 23,34
8)
Luc. 17,26-29
9)
Offenb. Joh. 6,15-17
10)
Ps. 5,3
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