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Güder, Eduard - Gethsemane

Inhaltsverzeichnis

Güder, Eduard - Gethsemane

Passionspredigt, gehalten den 28. Februar 1858

Text: Markus 14,32-42.
Und sie kamen zu dem Hof, mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzt euch hier, bis ich hingehe und bete. Und nahm zu sich Petrus, und Jakobus, und Johannes, und fing an zu zittern und zu zagen. Und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; enthaltet euch hier, und wacht. Und ging ein wenig fürbas, fiel auf die Erde, und betete, dass, so es möglich wäre, die Stunde vorüber ginge. Und sprach: Abba, mein Vater, es ist dir Alles möglich, überhebe mich dieses Kelchs; doch nicht was Ich will, sondern was Du willst. Und kam, und fand sie schlafend. Und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermöchtest du nicht Eine Stunde zu wachen? Wacht und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Und ging wieder hin, und betete, und sprach dieselben Worte. Und kam wieder, und fand sie abermals schlafend; denn ihre Augen waren voll Schlaf, und wussten nicht, was sie ihm antworteten. Und er kam zum dritten Mal, und sprach zu ihnen: Ach wollt ihr nun schlafen und ruhen? es ist genug, die Stunde ist gekommen. Siehe, des Menschen Sohn wird überantwortet in der Sünder Hände; stehet auf, lasset uns gehen; siehe, der mich verrät, ist nahe.

Wir stehen am offenen Eingang eines großen Heiligtums. Sein Altar ist das Kreuz. Das Opfer, das auf diesem Altar gebracht wird, ewig gültig, ist das Lamm Gottes, tragend die Sünden der Welt. Aus dem Heiligtum ergießt sich ein unversiegbarer Strom in die verschmachtende Welt, und die Wasser, die er führt, heißen Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott, ewiges Leben. Heran, ihr geängsteten Gewissen! Tretet herzu, friedlose Gemüter!

Aber was ist das für ein rätselhaftes Bild, das gleich beim Eintritt in dieses Heiligtum unsere Augen fesselt? Vor uns liegt der Garten Gethsemane, in die Schatten der Nacht gehüllt. Da kniet Einer, zur Erde gebeugt, zitternd und zagend. Wie er kämpft, als mit dem Tod ringt! Wie er aufsteht, nach seinen Freunden steht, wieder auf die Knie sich niederlässt! Wie er immer ernstlicher betet; sein Schweiß Blutstropfen gleich zur Erde fällt! Wer ist's? Ist's ein Verzagter, über dessen Haupt die Wellen des Unglücks zusammenschlagen, an den Rand eines ehrlosen Grabes gedrängt?: Ist's ein Sünder, vom Sturm der Buße geschüttelt, der von seinem Gewissen geschlagen sich vor den nahenden Gerichten in die Arme des Erbarmers zu flüchten versucht? O ihr wisst wohl, nein; es ist vielmehr Der, welcher nie eine Sünde getan hat, welcher darum auch nie etwas gewusst hat von dem, was wir Furcht nennen. Nein, es ist kein Sünder, nicht ein Verzweifelter. Ihr kennt ihn, Christen. Es ist der Eingeborne vom Vater, der Mächtige und Starke, dem jetzt alle Dinge unter die Füße getan sind; es ist der liebe Heiland der Welt, der Herr Jesus Christus, der Erlöser von Sünde, Tod und Hölle, hochgelobet in Ewigkeit. Der liegt da, wie ein Wurm im Staub sich windend. Nun so lasst uns hier stille stehen, Geliebte, und in heiliger Ehrfurcht Zeugen sein von unsers Herrn tiefer Seelenangst und großem Seelenkampf.

Sehen wir zuerst auf den Herrn selbst; lenken wir sodann den Blick zurück auf uns.

Dir aber, treuer Herr und Heiland, Anbetung und Dank, dass du dich uns zeigst unter allen Wechseln und in allen Lagen deines Lebens. Lehre uns verstehen dein Zittern, Beten und Kämpfen. Hilf, dass auch wir einstehen an unserm Teil, wie du getan, bis dass wir durchdringen zum Sieg in deiner Kraft. O lass deine Seelenpein, nicht an uns verloren sein. Amen.

I.

So kommt denn, meine Freunde, seht euch den Herrn an in Gethsemane.

Auch sonst etwa hören wir, wie er betend eine Nacht in stiller Zurückgezogenheit zugebracht habe auf einem Berg. Anwandlungen von Traurigkeit begegnen wir gleichfalls dann und wann im Leben des Menschensohns. Er seufzt über sein Volk, wenn es nur Zeichen zu sehen begehrt, ohne sich bekehren zu wollen zu seinem Gott (Mark. 8,12). Er hat es keinen Hehl, wie bange ihm sei, dass an ihm vollendet werde die Taufe, damit er sich müsse taufen lassen (Luk. 12,50). Er bricht nur wenige Tage zuvor in die Worte aus: „Jetzt ist meine Seele betrübt; und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde. Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen“ (Joh. 12, 27). Aber so zitternd und bebend, so von namenloser Bangigkeit umfangen, so in Angstschweiß gebadet, so vor seinem ewigen Vater ringend, liegt er nur im Garten Gethsemane. Es wundert uns daher im Geringsten nicht, dass die Welt sich abwendet von diesem Angstbild innerer Schrecken. Wir können es uns auch ganz leicht erklären, wenn selbst unter den Gläubigen Manche es sich wegwünschen möchten. Denn in der Tat scheint dieser düstere Vorgang nicht wohl zu stimmen mit dem hehren Gottesbild dos Erlösers, das sich in unsere Seelen gezeichnet findet. Sonst stand es so fest bei ihm, es müsse sein Leben gelassen sein zu einem Lösegeld für Viele. Mit Entrüstung hatte er die Zumutung des Petrus zurückgewiesen, die Straße des Leidens nicht zu betreten. In trostreichen Reden hatte er noch kurz vorher mit den Seinen vom nahen Scheiden gesprochen, hatte ihnen Alles zuvorgesagt: wie es gut sei, dass er hingehe, und wie er auferstehen werde am dritten Tag, und wieder kommen und sie zu sich nehmen. Im herrlichsten Gebet, mit vollendeter Zuversicht, hatte er endlich noch ganz zuletzt sein Werk dem Vater befohlen. Jetzt aber bangt, kniet, betet er da, möchte des Kelchs überhoben sein, erschüttert in den untersten Tiefen des Gemüts. Seine Seele ist betrübt bis in den Tod. Wie deuten wir uns diese Erscheinung? Wil euch nicht dünken, es sollte der sonst so glorreiche Herr hier dastehen, beim Anbruch der Nacht, darin seine Bahn untergeht, gleich einem Fels im Meer, an dem die feindliche Brandung sich bricht? Möchtet ihr nicht wünschen, ihn zu schauen im Garten Gethsemane in der Fassung des kriegsgeübten Helden vor blutiger Schlacht, wenn er festen Blickes dem Tod entgegensieht? oder in jener siegesfrohen Heiterkeit, mit der eine lange Reihe von Märtyrern und Märtyrerinnen sich um seinetwillen den Qualen und Schrecken eines grausamen Todes unterzogen hat? Und nun das gerade Gegenteil von allem dem! Ist denn das euer Heiland, der starke Löwe aus Juda, welchem ihr getrost euch anvertrauen dürft im Leben und im Sterben? wird Der die Stürme eures Herzens beschwören; Der euch zu halten vermögen unter den Erschütterungen eures Lebens? wird er euch sicher bringen können durch des Todes finsteres Tal?

Aber still, meine Seele! nicht zu vorschnell! Sieh noch einmal hin in's geheimnisvolle Heiligtum. Ja, es ist wahr, er zittert und zagt; er bebt und bangt; seine Seele ist betrübt bis in den Tod. Es ist wahr, er ruft sogar zu Gott: „Abbas mein Vater, es ist dir Alles möglich, überhebe mich dieses Kelchs.“ Nichts desto weniger stille, meine Seele; du kennst ihn ja! Es wird dir doch noch Licht aufgehen über dem Dunkel, in das hier dein Herr gerückt ist. Blicke einen Augenblick auf dich selber hin; vergegenwärtige dir deine eigenen Erlebnisse. Oder wäre uns noch nie begegnet, dass einem großen Sieg der Entsagung und Selbstverleugnung ein Sturm der Versuchung auf dem Fuß gefolgt ist? Trug uns nicht etwa schon der Glaube wie mit Adlersflügeln auf selige Himmelshöhen, und nicht lange nachher, vielleicht noch am nämlichen Tag, war unsere Seele wieder von Anfechtungen umdüstert? Dazu kommt, dass es einen sehr merkbaren Unterschied bildet für unsere Empfindung, ob tiefes Leid uns erst noch in Aussicht stehe, oder aber, ob es nun da sei, und anhebe mit seiner vollen Bitterkeit. Wir können zum Beispiel den Gedanken mit ziemlicher Fassung ertragen, dass ein teures Leben dem Ende entgegeneile, während das Herz auf einmal zusammenbricht, sobald nun die Augen für immer sich schließen. Sollte demnach nicht auch bei dem Herren etwas Ähnliches denkbar sein? Nannte er sich umsonst des Menschen Sohn? Ist er nicht in allen Dingen uns gleich geworden, ausgenommen die Sünde? Sollte es uns also so befremdlich erscheinen, wenn er empfand, wie wir empfinden, und wenn ihn ein Bangen ankam, Verwandt mit demjenigen, das uns zu Zeiten erfasst, zumal in jener zukunftsschwangeren Stunde der Entscheidung? Er spricht es unumwunden aus, was seine Seelenangst hervorrufe. Ein Kelch, vor ihn hingestellt, dass er ihn an die Lippen hebe und austrinke, ist die Ursache. Und was für ein Kelch! Kein goldener Freudenkelch, wegzunehmen die Sorgen des Lebens nach einem sauren Tagewerk! Kein glänzender Ehrenkelch, ihm dargereicht in Anerkennung seiner Liebe und Treue! Nein, ein leidens- und Todeskelch, gefüllt mit allem Leid und Weh der Erde, ein Kelch, wie er nie einem Sterblichen geboten worden ist, ihm bereitet von der Sünde der Welt und ihrem Fürsten. Dieser Kelch stand jetzt da. Jetzt sollte er seine Hand an ihn legen, dass er ihn leere. Die Stunde schlug, da er fallen sollte in der Sünder Hände, da in raschester Entwicklung sich entluden über des Menschen Sohn alle Wetter des Unrechts, alle Untiefen der Schmach, alle Qualen menschlicher Bosheit. Vergebens schien der Same des Himmelreiche ausgestreut, vergebens die Gnade Gottes der Welt angeboten. Umsonst schien die Liebe ihn vom Himmel gezogen zu haben zum verlorenen Geschlecht. Dies war seine Lage im Garten Gethsemane.

Indes, selbst damit sind wir der Sache noch nicht auf den Grund gekommen. Denn dieser Kelch, wie bitter auch, er würde zwar wohl den Ausspruch erklären: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Hingegen für sich allein genommen erklärt er doch nicht genügend das betende Wort, dass, so es möglich wäre, die Stunde vorüberginge jene Stunde der Anfechtung, des Bangens und Erbebens, nicht das wiederholte Beten, noch die ganze Schwere des Kampfs. Sondern der Leidens- und Todeskelch, jetzt zum Anfassen ihm vorgesetzt, er führte etwas mit sich, das dem Herrn noch schwerer wog als leibliches Leiden; und was er mit sich führte, das war nichts Geringeres als die letzte, große Versuchung für den Herrn. Es legte sich ihm nämlich noch einmal die Möglichkeit nahe, den Kelch zurückzustoßen. Warum sollte doch der Sohn Gottes sich durch die entfesselte Sünderwelt, ohne Recht, in den blutigen Tod werfen lassen! Konnte er denn nicht den Anschlägen dieser Welt, die feiner nicht wert war, sich entziehen? nicht die Gottlosen schlagen mit dem Odem seines Mundes? nicht ihrer zeitlichen Gewalt seine göttliche Macht entgegensetzen, und sie zu Schanden machen? Allerdings konnte er dies, konnte es ohne Mühe, und besser hätte die Welt es nicht verdient. Aber das gerade war die Versuchung! Dann wäre er nicht gehorsam geworden bis zum Tod am Kreuz. Dann wäre das Werk nicht vollführt worden, dazu der Vater ihn gesandt hatte; dann wäre auch sein Blut nicht vergossen zur Vergebung der Sünden für Viele.

So erst, meine Brüder, werden wir die Seelenangst des Herrn recht verstehen, wenn wir das Gewicht der Versuchung in Anschlag bringen, die in jener Stunde an seine heilige Seele drang. In der unwirtlichen Wüste einst hatte der Versucher ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit vorgehalten und verheißen, so er vor ihm niederfallen und ihn anbeten wollte. Hier im anmutigen Garten waren es alle Leiden, alle Schmach und alles Weh der Welt, das ihm verführerisch den Weg vertrat. Damals galt es der Lust der Welt, durch die er gelockt ward. Hier war es die Angst, waren es die Schrecken der Welt, die ihn bestürmten. Nicht sowohl die Pforte des Leidens, an deren Eingang er stand, als vielmehr diese Versuchung, an der Pforte vorüberzugehen, erfüllte seine in Gott sich bewegende Seele mit jenem namenlosen Grauen und Bangen. Wie einsam gelassen vom Vater, fand sie sich im entscheidenden Augenblick von einer Not umgarnt, davon unsere gefallenen Herzen sich kaum eine schwache Ahnung bilden können. O wenn es möglich ist, so gehe diese Stunde vorüber! Aber sie kann nicht anders vorübergehen denn durch Kampf, durch Kampf vor Gott und mit Gott.

Welch ein Kampf, meine Brüder! ein Kampf nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit den Mächten der Finsternis. Und wie der Herr ihn dort streitet, in aller Seelennot dennoch als ein Held! Er streitet ihn einmal vor Gott allein. In den Garten zurückgezogen, von den Schatten der Nacht gedeckt, verbirgt er ihn völlig vor der Welt. Die Mehrzahl der Jünger lässt er gleich im Anfang zurück, dass sie kaum Etwas merken davon. Selbst den Vertrautesten unter ihnen, Petrus, Jakobus und Johannes, gestattet er nur einen Blick in seine Betrübnis; sie dürfen mit ansehen, wie er zittert und zagt. Hingegen, wie. Jesajas spricht, die Kelter tritt er allein, und ist Niemand unter den Völkern mit ihm. Wie seine Seele arbeitet, die Einsame, wie er hingestreckt ist auf die Erde als ein Wurm und nicht als ein Mensch, - dies sieht Gott allein. - Er streitet sodann den Kampf mit sich, wie er vor Gott nicht anders gestritten werden kann, - in wiederholten Ansätzen des Gebets. Abba, mein Vater, es ist dir Alles möglich, überhebe mich dieses Kelchs,“ lautet sein erster Ruf. Gerade wodurch er versucht wird, das bringt er zur Sprache vor dem Vater; offen legt er es vor ihn hin. Denn hier vor des Vaters Angesicht, in seiner lichten Gegenwart, wird nicht nur die Versuchung vollständig durchschaut, sondern vor ihm muss sie auch zerfließen und sich auflösen. Im anhaltenden Gebet vor dem Vater wird der angefochtene Geist wieder stark, also dass er überwindet die Schwachheit des Fleisches. Im Gebet vor dem Vater, Darin die Seele mit sich selber ringt, wird es am Ende immer heißen: „Doch nicht was ich will, sondern was du willst!“ Dies ist der Sieg, dies das wahre Amen des Gebets: die unbedingte Hingebung in den Willen des Vaters, der volle Gehorsam gegen ihn. Nunmehr war das Opfer gebracht; das Einssein mit dem Vater war neuerdings fest gemacht; die böse Stunde war vorüber. Das Herz war feuerfest geworden für alle Stürme, Leiden und Qualen, die im Anzug waren. Die Erhörung hatte sich eingestellt, nicht zwar in der Überhebung über den Kelch, aber um so herrlicher, in der Siegesgewissheit, in der er jetzt hingehen kann, zu tragen die Sünde der Welt und zu betreten in ungebrochener Liebe den Todesgang, welchen der Hass der Welt ihm zurechtmachte. Im Garten des Paradieses war der erste Adam erlegen, im Garten Gethsemane hat der zweite Adam den Sieg davon getragen! Von diesem Augenblick sagt daher ein gottbegeisterter Dichter1): Jetzo sangen die Himmel: sie ist, der erhabensten Leiden erste Stunde, die ewige Ruhe den Heiligen brachte, jetzo ist sie vorübergegangen! Auf ihn vorzugsweise bezieht sich auch, wenn der Hebräerbrief schreibt: Er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu Dem, der ihm von dem Tode konnte aushelfen; und ist auch erhört darum, dass er Gott in Ehren hatte2).

II.

Wenden wir nun von der Seelenangst und dem sieggekrönten Seelenkampf des Herrn den Blick auf uns selbst, auf unsere Seelennöte und Seelenkämpfe.

Die Welt verlangt einen verhaltenen Schmerz. Wie es auch blute im Inneren, es soll davon nichts auf die Oberfläche dringen. Sie will ein tränenloses Angesicht, eine kalte, von allen tieferen Erregungen des Gemüts abgelöste, eiserne Standhaftigkeit. Bangen und Zittern sieht sie für verächtliche Schwäche an. Für Stärke gilt ihr nur das sich Steifen und Trotzen auf eigene Kraft. So, meint sie, sollte also auch der Heiland uns entgegentreten, als eine starre Heldengestalt, felsenhaft den Wettern die Stirn bietend. Aber geht uns mit diesem Heiland! Der, den ich bedarf, den meine Seele juckt, er muss ein andrer sein. Ich muss in ihm erblicken können nicht ein gekünsteltes, sondern ein wahrhaftes, ein lebenswarmes Menschenbild. Ich muss einen Heiland haben, der echt menschlich fühlt und empfindet, echt menschlich bangt und ringt, der versucht wird, kämpft und betet, bis er kämpfend und betend siegt. Ich muss einen Heiland haben, der mich versteht in meinen inneren Ängsten und Nöten, in meinen verborgenen Zweifeln und geheimsten Kämpfen, in meinen Schmerzen und Todesleiden; der diese Ängsten und Nöten des armen Menschenherzens an sich selber durchgemacht, diese Versuchungen und Kämpfe bei sich selber durchgestritten, der diese Schmerzen und Todesleiden überwunden hat. Einen solchen müssen wir haben, wie der Brief an die Hebräer ihn zeichnet: „der allerdinge seinen Brüdern gleich sei, auf dass er barmherzig würde und ein treuer Hohepriester vor Gott, zu versöhnen die Sünden des Volkes; denn darinnen er gelitten hat und versucht ist, kann er helfen Denen, die versucht werden;“ nicht einen, „der nicht könnte Mitleiden haben mit unsrer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben gleich wie wir, doch ohne Sünde; auf dass wir - wie weiter fortgefahren wird - mit Freudigkeit hinzutreten können zum Gnadenstuhl, und Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wann uns Hilfe Not sein wird.“ Gottlob, ein solcher gerade ist uns gegeben! In Gethsemane ist er zu sehen. Wie düster sich daher immerhin dieses Bild des in den Tod Betrübten, des Zagenden und Zitternden ansieht, - gerade Er ist und bleibt unser selige Trost. Wenn Betrübnisse unsere Seele zerfleischen, und wir können es fast nicht mehr fassen, warum unser Gott solche Schmerzenswege mit uns geht, - wir schauen hinüber nach Gethsemane, wo des Vaters liebes Kind in den Tod betrübt zur Erde niedersinkt. Der versteht unsere Traurigkeit, und in ihm lernen auch wir sie verstehen. Wenn die schwersten Erschütterungen unseres Lebens wie ein Gepanzerter an unser Haupt langen, und nicht die Glieder allein, sondern auch das Innerste zittert, bangt und zagt, und es sinkt jeder Halt dahin, - wir wenden das Auge Gethsemane zu, wo Der zittert und bangt, der jetzt erhöht ist über alles, was genannt werden mag. Sein Zittern und Zagen richtet uns auf. Wenn ein Heer von Versuchungen uns umlagert und bestürmt, dass wir schon den Augenblick wahrnehmen, wo unsere Schwachheit Verderben über uns bringt; - wir raffen uns auf, und Gethsemane steht vor dem Geist. Der in Gethsemane die letzte Versuchung überwunden, er weiß wie elend es dem schwachen Menschenherzen zu Mute wird unter den Anfechtungen des Versuchers; er hilft uns auf. Ja in all den mancherlei Stunden, von denen wir seufzen, dass, so es möglich wäre, sie vorübergehen möchten, ist je und je Der in Gethsemane unser unvergleichliche Trost, dem wir nahen dürfen, der auf unser vollstes Zutrauen Anspruch machen kann, der uns ganz und gar begreift, der deshalb Mitleiden haben kann mit unserer Schwachheit.

Der in Gethsemane ist unser köstlicher Trost. Der in Gethsemane ist nicht weniger auch unser Vorbild, ein Vorbild des Kampfes, den die Treue gegen Gott, den der Gehorsam und die Erprobung der stillen, starken Ergebung in seinen heiligen Willen zu bestehen hat.

Wollt ihr's erfahren, wie ihr kämpfen sollt unter dem Ach und Weh eurer Tage, erfolgreich kämpfen unter den Versuchungen der Welt, lernt's von eurem Herrn in Gethsemane. Er kämpft einsam, zurückgezogen, nur ein paar Freunde in der Nähe, vor Gott allein. So, ihr Christen, stellt auch euch mit euren Schmerzen und Geisteskämpfen nicht auf den Marktplatz der Welt. Sie versteht euch nicht; sie kann euch nur verwirren. Ihr mögt vertraute Seelen, im Glauben geübte und erfahrene Gemüter, schon etwas schauen lassen von den Stürmen, die euch zerarbeiten. Sie dürfen wohl Zeugen sein von euren Tränen, von eurem Zittern und Bangen, von den Ausbrüchen der Schmerzen, die euch das Herz brechen wollen. Ihr braucht euch dessen nicht zu schämen. Aber es gibt Geheimnisse in diesen Kämpfen, es gibt ein Streit mit sich und mit seinem Gott sogar, es gibt nagende Zweifel, und tiefste, innerste Erregungen des gläubigen Gemüts, - die gehören vor keinen Menschen, auch vor den nicht, vor dem wir sonst kein Geheimnis haben. Sie lassen sich nicht sagen… Sie wollen niedergelegt sein für die Ewigkeit in den geheimen Schoß eures Gottes und Heilandes allein, als der allein sie lösen und zum Sieg führen kann. Mit diesen steigt in euer Kämmerlein, in die hinterste Ecke eures Hauses, dass ihr sie dort zu Ende streitet! Machts wie es im Spruche heißt: Leid, meid und vertrag, dein Unglück Niemand klag, an Gott nicht verzag.

Die Waffe sodann, deren der Herr sich bedient, ist rückhaltloses, ausharrendes, ergebungsvolles Gebet. Eine bessere also kennt selbst der Heiland nicht. So nehmt denn auch ihr sie zur Hand, so oft der Gott des Trostes und des Friedens euch einen Kelch der Bitterkeit hinhält, so oft es ihm gefällt, euch ein Gethsemane zu bereiten. Zu ihm geflüchtet in der Anfechtung! Vor ihn hingekniet in der Versuchung! An ihn sich gehängt in den großen Trübsalen, die euch betreffen. Er wird sie wenden. Zu ihm geredet, wie ein Vertrauter mit seinem Freund, wie ein Kind mit seiner Mutter redet! Freilich, je banger die Stunden, desto mehr gibt es Fragen, die sogar bis in's Gebet hineinreichen und ihm jede Sicherheit zu rauben drohen. Um was darf ich denn beten in meinen größten Lebensnöten? Wenn meine Stellung, mein Glück, wenn Alles bedroht ist, was des Lebens Last mir erträglich macht, darf ich beten alsdann: Herr, reiß mich heraus aus diesen Gefahren! errette meine Seele vom Schwert, meine Einsame von den Hunden?“ Darf die weinende Mutter beten um die Erhaltung ihres darniederliegenden, dem Tod zuwankenden Kindes; der bekümmerte Mann um die Genesung seines erkrankten Weibes; das Kind um die Wiederherstellung des sorgsamen Vaters? O ihr geängstigten Seelen, hört doch euren Herrn, wie er betet: Abba, mein Vater, es ist dir Alles möglich, überhebe mich dieses Kelches! Warum also solltet ihr nicht ein Gleiches tun dürfen! Aber allerdings, je rückhaltloser und ausharrender euer Gebet ist, je mehr ihr unter demselben lernt sehen auf das Unsichtbare und nicht auf das Sichtbare; je mehr Gott euch höher gilt, als zeitliches Lebensglück, als Kind und Mann und Weib: desto bälder wird euer Gebet sich auflösen in stille; zuletzt selige Ergebung. Habt ihr angefangen mit dem Ausbruch des Schmerzens: Es ist dir alles möglich, überhebe mich dieses Kelches! - so werdet ihr enden zuletzt: Doch nicht was ich will, sondern was du willst. Dann ist ein Erdengut, eine Erdenlust, ein Erdengewinn zwar geopfert. Die Treue eures Gottes erspart euch vielleicht den bitteren Trank des Kelchs nicht. Aber gewonnen ist dagegen ein Himmelsgut, eine Himmelslust, ein Himmelsgewinn, der nicht wieder verloren geht. Und an der Stärkung durch die Engel des Trostes, an seliger Freude in Gott, wenn auch mit Wehmut gewürzt, wird der Herr es nicht mangeln lassen. Er wird das Erdenopfer als eine Perle in den Kranz des Lebens winden, den er euch rüsten will auf jenen Tag.

Wo sind aber nun die Siege, die wir gewonnen haben in Zeiten äußerer Not und innerer Prüfung? Unser Auge fällt auf so manche beschämende Niederlagen, auf Verlust statt auf Segen von oben. Der Kampf hat uns überrascht; wir waren nicht gerüstet auf ihn; die Waffe des echten Gebets war nicht zur Hand, und geschlagen gingen wir aus der Anfechtung hervor! „Simon, schläfst du?“ Jetzt, da du deine Seligkeit schaffen solltest mit Furcht und Zittern, jetzt, da dein Leben sich je länger je ernster gestaltet, da der Feind im Hinterhalt liegt, willst du der Ruhe pflegen! Ach, dass du es erkennen möchtest, es sei nicht Schlafenszeit, sondern vielmehr Kampfeszeit! Dass wir uns wach rufen ließen durch die bittende, klagende Stimme des Herrn: Wacht und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt! und nicht erst durch das Rollen seiner Gerichte aufgeschreckt würden. Wer nicht kämpfen will des Glaubens guten Kampf, wird seines Lebens nimmer froh.

Der uns den Herrn verrät, ist immer noch nahe, - nahe in viel tausend Gestalten. So lasst uns aufstehen und wandeln als die Wachenden, damit wir nicht überfallen werden. Und beten lasst uns, damit der Herr für uns streite. Nur wachend können wir beten wie sich's gebührt; nur betend im Kampf uns behaupten; nur kämpfend zum Sieg gelangen. Nur wer beharrt bis an's Ende, wird selig. Amen.

1)
Friedrich Gottlieb Klopstock, Der Messias
2)
Heb. 5,7
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