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Thesen aufstellen und begründen

Thesen aufstellen und begründen

Bisher haben wir uns damit beschäftigt, Fehler in der Sachverhaltsdarstellung zu erkennen und die Qualität einer Argumentation zu beurteilen. Ein Sachbuch besteht aber nicht nur aus der Anhäufung einzelner Aussagen und einzelner Argumente, sondern auch aus Gedankengängen, die sich über mehrere Seiten hinziehen. Und zwar dann, wenn versucht wird, eine bestimmte Behauptung zu begründen.

Wir wollen in diesem Kapitel üben, solche Gedankengänge zu skizzieren. Am Beginn halten wir die These fest, die in dem betreffenden Text bewiesen/begründet werden soll. Danach - in Kurzform - die einzelnen Aussagen. Schließlich überlegen wir, ob die einzelnen Aussagen aufeinander aufbauen, oder einfach nebeneinanderstehen (indem die These durch verschiedene Gesichtspunkte beleuchtet werden soll). Daneben halten wir auch fest, um welche Art von Argumenten es sich handelt, und ob mögliche Einwände übersehen wurden. Dieses Skizzieren üben wir vorerst anhand eines Kurztextes (wobei wir dessen eingedenk sind, daß eine sorgfältige Begründung natürlich nur von einem ausführlicheren Text erwartet werden kann). Betrachte also folgenden Text und versuche, zuerst die These festzuhalten (= das, was gezeigt werden soll), und dann die einzelnen Aussagen, die der Begründung der These dienen sollen:

107 „Es sollte an dieser Stelle bemerkt werden, daß die moderne Wissenschaft im 16.Jahrhundert unter Menschen begann, die Christen waren. Sie brachen mit den griechischen, polytheistischen Vorstellungen, die das Universum als launenhaft und unregelmäßig und deshalb als ungeeignet für systematisches Studium betrachteten, und folgerten, daß das Universum doch geordnet und der Untersuchung würdig sei, weil es das Werk eines intelligenten Schöpfers ist. Indem sie der wissenschaftlichen Forschung nachgingen, waren sie überzeugt, sie dächten die Gedanken Gottes wieder.“

Wenn Du mit der Aufgabe fertig bist, betrachte meine Lösung:

These: Die moderne Wissenschaft wurde von Christen begründet

(Nicht ausdrücklich gesagt, aber angedeutet: Das christliche Welt- und Gottesbild war zur Begründung der modernen Wissenschaft besonders geeignet.)

Begründungen: Die griechischen Vorstellungen (Universum = launenhaft) waren ungeeignet als Grundlage für Naturforschung.

Die christliche Vorstellung war dazu geeignet (in der Natur sind die Gedanken einer intelligenten Person erkennbar).

Findest Du die These, wie sie im Text 107 erkennbar wird (unabhängig von meiner Wiedergabe), präzise? Und ist die Begründung ausreichend, oder fehlt etwas?

Lösung:

Zur These: Anstelle von „Wissenschaft“ sollte genauer „Naturwissenschaft“ gesagt werden (im Englischen stand dort wohl science), denn nur darum geht es.

Was ist mit moderner (Natur-)Wissenschaft gemeint? Wodurch unterscheidet sie sich grundlegend von „vormoderner“ Wissenschaft?

Zur Begründung: Es klingt so, als hätte das Christentum in Europa erst im 16. Jh. begonnen. Es begann hier ja schon wesentlich früher, ohne daß es deswegen gleichzeitig auch zur Entwicklung der modernen Naturwissenschaft gekommen wäre. Das Christentum alleine war also keine ausreichende Ursache, es ist eine Kombination mehrerer Ursachen anzunehmen.

Umgekehrt: Warum waren andere Religionen - etwa der Islam - nicht geeignet zur Hervorbringung der „modernen Wissenschaft“? Die arabische Naturforschung erreichte im Mittelalter eine beachtliche Höhe.

Nun wollen wir noch einige zuvor behandelte Texte ansehen und die darin erkennbar werdende Argumentations-Struktur skizzieren.

Lies nochmals Text 50; dazu noch folgenden Text, danach versuche eine Skizze!

108 „…. werden im Neuen Testament alle Jünger als 'Heilige' bezeichnet, und zwar immer in der Mehrzahl. Nie wird gesprochen vom 'heiligen Petrus' oder von der 'heiligen Maria'. Aber das sollte sich bald ändern. … Was lesen wir nun bei diesen Kirchenvätern? In ihren Schriften werden auch einzelne Christen als 'Heilige' bezeichnet, und zwar seit der Mitte des 2.Jahrhunderts. Der Bericht über das Martyrium des Polykarp spricht vom 'heiligen Polykarp', und im Bericht über die Märtyrer von Lyon heißt es 'die Heilige' und 'der heilige Pothinus'. Diese terminologische Verschiebung drückt die Verschiebung in der Anschauung aus: Der Christ hat Leistungen vorzuweisen; die Erfolgreichsten werden besonders herausgehoben aus der Masse der 'gewöhnlichen' Christen. Es ist kaum ein Zufall, daß das Eigenschaftswort 'heilig' in der Einzahl erstmals gerade auf Märtyrer angewandt wird.“

Lies nochmals Text 69.

Lies nochmals Texte 77, 78 und 79.

Lösungen:

96 + (nochmals) 50: These: Der späteren Heiligenverehrung liegt ein anderes Verständnis von „Heiligen“ zugrunde als im NT.

Begründung: Im 2.Jh. und danach finden wir „heilig“ in der Einzahl auf bestimmte Menschen (anfangs auf Märtyrer) angewandt, in der Bibel nicht - dort sind alle Christen Heilige.

Mögliche Einwände:

Ob diese terminologische Verschiebung durch die beschriebene Verständnis-Verschiebung bewirkt wurde, ist nicht zwingend nachgewiesen.

In Mk 6,20 wird Johannes der Täufer als „gerechter und heiliger Mann“ bezeichnet - also doch heilig in der Einzahl.

Die Begründungen bauen tw. aufeinander auf.

69: These: Daß Gott uns auffordert, ihn zu loben, ist berechtigt

Begründung: Auch sonst überall funktioniert es so: Wir sind von manchem begeistert, bringen das auch zum Ausdruck, erwarten von anderen, daß sie unsere Begeisterung teilen.

Die Begründungen bauen aufeinander auf.

77 bis 79: These: Jesu Abendmahlsworte können symbolisch gedeutet werden.

Begründungen: Wir heute verwenden eine ähnliche Ausdrucksweise; im AT wurde sie verwendet; von Jesus wurde sie verwendet.

Nebeneinanderstehende Begründungen.

Wir wollen ein solches Skizzieren nun anhand von Texten üben, die sich über mehrere Seiten hinweg erstrecken. Solche kann ich natürlich nicht mehr in diesem Rahmen zitieren. Ich nenne daher eine Reihe von Büchern, die im evangelikalen Bereich sehr verbreitet sind, so daß die Chance besteht, daß der einzelne Leser einige davon selbst besitzt (oder Freunde hat, von denen er sich diese ausborgen kann). Von den Dir zugänglichen Texten fertige Skizzen an, anschließend vergleiche Deine mit meinen.

Die einzelnen Punkte können sehr kurz gefaßt werden - der Zweck einer solchen Skizze ist ja die Überschaubarkeit. Die bisher behandelten kürzeren Texte können auch so überschaut werden, aber bei einem ganzen Kapitel oder einem ganzen Buch wird das schwieriger. Da kann es durchaus sein, daß ein Autor durch eine Fülle von Vergleichen und Zitaten beeindruckt, ohne die eigentliche Frage zu beantworten (bzw. die eigentliche These zu begründen). Dann kann eine Skizze helfen, die Gesamtargumentation zu überschauen und mögliche Mängel aufzuspüren.

109 Fritz Rienecker (Hg.): Lexikon zur Bibel (Volksausgabe 1972) Sp.688f: Stichwort Jesaja, Abschnitt IV („Die Literarkritik zweifelt …“)

110 Werner Gitt: Fragen - die immer wieder gestellt werden (1990) p.18f: „FG7: Durch Kriege hat Gott …“

111 Wilhelm Busch: Jesus unser Schicksal, 1.Vortrag: „Gott ja, aber wozu Jesus?“

112 Peter Hahne: Leid. Warum läßt Gott das zu? (1988) [das ganze Buch] Lösungen:

109 These: Das gesamte Buch Jesaja geht auf den Propheten dieses Namens zurück.

Begründungen:

  • Die für eine Dreiteilung vorgebrachten psychologischen und stilistischen Argumente sind nicht ausreichend (Argumentations-Art: wie bei Text 70).
  • Jesus und die Apostel schreiben den ganzen Text dem Jesaja zu (vgl. dabei aber das zu Text 23 Gesagte!).
  • Qumran-Handschrift von ca. 120 v.Chr. bestätigt die Einheit.

- Die 3 Begründungen stehen nebeneinander.

110 These: Der Gott des AT ist identisch mit dem Gott des NT; er ist sowohl liebend als auch zornig.

Begründungen:

  • Aussagen über Gottes Liebe finden wir nicht nur im NT, sondern auch im AT.
  • Umgekehrt finden wir Aussagen über den Zorn Gottes, Sünde betreffend, nicht nur im AT, sondern auch im NT (dort wird auch das zukünftige Gericht über Sünde angekündigt).

-Die beiden Begründungen ergänzen einander.

Mögliche Einwände:

Die Frage bezieht sich speziell auf die von Gott gegebenen Verhaltensanweisungen an Menschen, nicht allgemein auf Gottes Haltung.

Bei der Sintflut starben auch unschuldige Kinder; das Gericht an den Amalekitern wurde erst Jahrhunderte nach der schuldiggewordenen Generation vollzogen - diese Beispiele werfen daher neue Probleme auf, eignen sich daher nicht so gut zur Beantwortung von Fragen Außenstehender.

111 These: Es genügt nicht, in irgendeinem Sinn an etwas Höheres („Gott“ genannt) zu glauben, wir müssen zu Jesus kommen.

Begründungen:

Bei der Paßkontrolle ist es wichtig, einen gültigen Paß zu haben.

Jesus bezeichnet sich als die Tür zu Gott.

„Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“

  • Gott ist verborgen, in Jesus hat er sich geoffenbart.
  • Gott ist zu fürchten.
  • Auch Chinesen wissen: Wir brauchen Versöhnung.
  • Im Krieg war ich hinter dem Schutzschild geborgen.
  • Unser größtes Problem ist unsere Schuld.
  • Für jede Sünde wird uns - bildlich gesehen - ein weiteres Kettenglied angehängt.
  • Bunyan wurde seine Last am Kreuz los.
  • An Jesus können wir uns in schweren Situationen anhalten.
  • Im Hinblick auf den uns allen bevorstehenden Tod brauchen wir Jesus.

Die Argumente stehen nebeneinander.

(Die meisten der Argumente sind Vergleiche und einzuordnen wie Text 69; bedenke auch das zu Text 90 über „voraussetzen“ Gesagte.)

112 Zwei Thesen:

a) Insgesamt gesehen, ist die Menschheit am Leid selbst schuld;

b) individuelles Leid hat seinen Platz im Plan Gottes.

Begründungen:

Zu a: Kölner Dom nach dem 2.Weltkrieg

Gott kann nicht angeklagt werden

Die Menschen bewirken das Böse

Leidfrage oft nur als Alibi aufgeworfen

Viele Krankheiten sind selbstverschuldet

Der Mensch hat sich von Gott gelöst, nun ist das Weltgeschehen

chaotisch, der einzelne ist darin gefangen

Gott ist zornig, nicht „lieb“

Zu b: Individuelles Leid dient letztlich zu unserem Guten

Teppich, von hinten und vorne betrachtet

Nach vorne schauen!

Auch Christen machen Leid durch

Gerade im Leid merken wir die Nähe Gottes

Wir verstehen vieles nicht bei individuellem Leid

Leid verändert uns positiv

Gott selbst hat in seinem Sohn das Leid auf sich genommen

Die Argumente stehen eher nebeneinander.

(Es gilt bezüglich der hier verwendeten Argumente auch das zu Text 111 Gesagte.)

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