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Teil B

Teil B

Die Folgen der Demnächsterwartung

Seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten haben manche Christen das Kommen Jesu als in den nächsten Jahren bevorstehend verkündet. Zu welchen Folgen kommt es, wenn diese Erwartung mehrmals enttäuscht wird? Und überhaupt: Mit welchen Erscheinungen ist diese Demnächsterwartung im evangelikalen Bereich gewöhnlich verknüpft?

Die folgenden Punkte gelten durchaus nicht für alle, sondern jeweils nur für manche Endzeitautoren.

1. Anfangs Eifer, schließlich Resignation und Zweifel

Wenn die Beschäftigung mit Endzeitfragen zu einer Demnächsterwartung führt, so liegen darin offenbar Gefahren. Nun gibt es Versuche, eine solche Demnächsterwartung trotz eingestandener Gefahren positiv zu sehen:

„Natürlich gibt es in Zeiten großer Unruhen und Wirren immer ekstatische Auswüchse mit Kurzschlüssen. Die zu starke Erwartung ist mir aber lieber als der kalte, rechnende Verstand, der gar keinen Zugang zum geistlichen Geschehen findet. So werte ich die starke Naherwartung vieler Israeliten durchaus als positives Zeichen. Beim Beginn des Wochenfestes am 14. Juni 1967 - kurz nach dem Krieg - sind fromme Israeliten auf den Berg Zion gezogen und meinten, die Ankunft des Messias stünde bevor. Kranke und Sieche ließen sich tragen oder fahren. Hunderte verbrachten die ganze Nacht betend auf dem Berg Zion.“ So berichtete und urteilte Kurt Koch in seinem Buch ‚Der Kommende‘ (S. 14).

Sich zwischen zwei schlechten Möglichkeiten entscheiden zu müssen, ist immer schwierig. Was ist mir lieber: Zu starke Erwartung mit wiederholten Datierungsversuchen einerseits oder Gleichgültigkeit andererseits? Die Alternative klingt für mich so wie die Frage: Ist es besser, wenn ich mir den linken Arm breche, oder den rechten? Wie soll man darauf antworten? Wenn irgendwie möglich, sollte ich mir überhaupt keinen Arm brechen, weder den rechten noch den linken. Und so wird man auch zur von Koch aufgeworfenen Alternative sagen: Weder das eine noch das andere Extrem ist gut, vielmehr sollen wir eine ausgewogene Haltung anstreben.

Übrigens hat schon Charles T. Russell, der Begründer der Wachtturmgesellschaft, angesichts des Offenbarwerdens des Versagens seiner Vorhersage unter Rechtfertigungsdruck stehend, diese Falschvorhersage positiv zu sehen versucht: „Der Gedanke, daß die Kirche vor Oktober 1914 in Herrlichkeit vereint sein würde, übte zweifellos einen anspornenden und heiligenden Einfluß auf Tausende aus, von denen demgemäß alle den Herrn preisen können, selbst um des Fehlers willen.“ (S. 118f)

Doch Gott verurteilt das falsche Vorhersagen, egal wie wir die Folgen solcher falschen Vorhersagen einschätzen. Und wenn wir schon versuchen, die Folgen abzuschätzen, sollten wir doch auch die negativen Folgen nicht übersehen. Dazu in den folgenden Kapiteln mehr.

Der Hinweis auf das nahe Ende wird mitunter verwendet, um Christen zur Umkehr zu bewegen, zu neuer Hingabe. Das klingt zwar positiv, es kann sich dabei aber auch um einen Mißbrauch handeln: Wenn jemand unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ('in einigen wenigen Jahren kommt Jesus!') zu dieser Umkehr oder neuen Hingabe bewogen wird … Außerdem, ganz praktisch betrachtet: Sehr oft kann man das nicht machen, denn nach mehreren Malen funktioniert das nicht mehr.

Überhaupt ist damit zu rechnen, daß derart beeinflusste Christen allmählich resignieren und abstumpfen. Somit kann sich eine solche permanente Demnächsterwartung für den Christen schädlich auswirken. Um 1970 las er, daß - laut biblischer Aussagen - für die 70er Jahre die Endzeitereignisse zu erwarten seien. Es geschah nichts. Um 1980 las er dann, daß - ebenfalls laut biblischer Aussagen - für die 80er Jahre die Endzeitereignisse zu erwarten seien. Die Gefahr ist groß, daß ein Christ auf die Dauer mit einer solchen ständigen Hochspannung nicht leben kann. Der Christ, der wiederholt in Aufregung versetzt wird: 'Jetzt gleich kommt es, in den nächsten Jahren!', wird allmählich schläfrig. Nach Jahrzehnten äußerster Spannung wird jeder müde.

Ja, die negative Wirkung auf Christen kann sogar noch weiter gehen, indem sie nämlich überhaupt in eine Glaubenskrise kommen. Manche Christen werden die richtigen Konsequenzen ziehen und aufhören, sich mit dieser speziellen Sorte von Endzeitliteratur zu beschäftigen. Es ist aber zu befürchten, daß andere Christen darüber hinausgehen und überhaupt die Erwartung der Wiederkunft Jesu in Zweifel ziehen, vielleicht sogar die ganze Beschäftigung mit der Bibel aufgeben. Schließlich hatten sie über Jahre hinweg die Bibel immer wieder mit der Brille dieser speziellen Demnächsterwartung gelesen. Daß man die Bibel auch anders lesen könnte, ist ihnen vielleicht nicht bekannt, jedenfalls sind sie darin nicht geübt. Eine Enttäuschung der Demnächsterwartung könnte sich somit auf die Bedeutung auswirken, die die Bibel für manche Christen hat.

2. Aktualität der Bibel beeindruckt vorerst manche, schließlich kommt sie in Mißkredit

Wenn Außenstehenden der Eindruck vermittelt wird, daß die Bibel ein sehr aktuelles Buch ist, so ist das natürlich positiv. Klaus Gerth berichtet, daß Lindseys Buch so auf ihn gewirkt hat. Haben sich vielleicht manche Menschen durch solche Endzeitbücher bekehrt? Ein solches Ergebnis wäre natürlich erfreulich, aber ist die Methode christlich? Wenn es sich dabei nämlich bloß um eine vorgetäuschte Aktualität handelt, so ist das negativ. Ein Beispiel: Wenn dem Leser der Eindruck vermittelt wurde, daß der Expansionsdrang der Sowjetunion (Afghanistan, demnächst Iran) bereits in der Bibel vorhergesagt wurde, so kann man den Leser damit vielleicht momentan beeindrucken. In weiterer Folge wird er jedoch von der Bibel umso enttäuschter sein, wenn er dann feststellen muß, daß er eigentlich einem Trick aufgesessen ist.

Doch jetzt ganz abgesehen von jenen, die anfangs beeindruckt waren. Für den Außenstehenden, dem die sich dann als falsch erweisenden Vorhersagen als biblisch präsentiert wurden, entsteht der Eindruck: 'man kann sich offenbar doch nicht auf die Bibel verlassen!'. Das ist vielleicht der schwerwiegendste Nachteil einer Demnächsterwartung, die sich auf das Kommen Jesu in den nächsten Jahren festlegt: Nämlich die Wirkung auf das Image der Bibel. Da eine solche Demnächsterwartung unter starkem Hinweis auf biblische Aussagen präsentiert wird, kommt beim Versagen der konkreten, auf die nächsten Jahre festgelegten Erwartung nicht nur der jeweilige „Prophet“, sondern gleichzeitig auch die Bibel in Verruf. Viele Menschen unterscheiden nicht so genau; bei ihnen bleibt dann einfach der Eindruck zurück, daß man sich eben auf die Bibel doch nicht so verlassen kann.

Selbst wenn diese Menschen differenzieren und festhalten, daß es einzelne Ausleger waren, die hier von der Bibel ausgehend zu falschen Erwartungen kamen, gerät dadurch doch auch die Bibel in ein ungünstiges Licht. Schließlich war sie die Grundlage, mit der diese Ausleger gearbeitet haben. Die Bibel erscheint dadurch als ein so vieldeutiges Buch, daß man verschiedenste falsche Vorstellungen von ihr ableiten kann.

3. Die Erwartung des Kommens Jesu sowie das Evangelium werden lächerlich gemacht

Von den biblischen Aussagen ist es insbesondere die Erwartung der Wiederkunft Jesu, die durch solchen Übereifer in ein schiefes Licht gerät. Die Öffentlichkeit erfährt - soweit sie derlei Ankündigungen überhaupt registriert - immer wieder, daß es nun gleich soweit ist. Die Ankündigung des Kommens Jesu wird dadurch immer mehr zu einer nicht ernstzunehmenden Sache. Wenn dann ein Christ seine Hoffnung auf das Kommen Jesu - ohne jede zeitliche Festlegung - auch nur erwähnt, denken viele Zeitgenossen aufgrund früherer Erfahrungen sofort an jene übereifrigen Fanatiker, die diese Wiederkunft schon recht genau vorhergesagt haben, ohne daß sie sich tatsächlich ereignet hatte. Die Vorstellung der „Wiederkunft Jesu“ wird auf diese Weise vom Hauch des Schwärmerischen, ja Verrückten umgeben.

Wim Malgo stellt fest: „Überall, auch in Zeitungen, bricht Hohn und Spott auf, wenn es um die Erwartung des Wiederkommens Jesu geht. Das sind Zeichen der Endzeit.“ (Bibel 84) Vielleicht sind das solche Zeichen, doch jedenfalls ist dieser Hohn auch ein Resultat wiederholter voreiliger Ankündigungen, an denen u. a. Malgo mitgewirkt hat (vgl. Kap. E.8).

Solche negativen Folgen wurden übrigens von Hal Lindsey - dessen eigene Vorhersagen wir (in Kap. E,2) einer eingehenden Untersuchung unterziehen werden - klar beschrieben: „Viele Theologen der vergangenen Jahre haben versucht, die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkrieges irgendwie mit den prophetischen Endzeichen in Zusammenhang zu bringen. Als die Voraussagen nicht eintrafen, geriet die ganze Prophetie in Mißkredit. Die Leute, die in die Berge flohen und dort das Ende der Welt abwarten wollten, hatten nicht die blasseste Ahnung von der biblischen Weissagung. Auf Grund solcher und ähnlicher unschriftgemäßer Versuche, genaue Zeitpunkte zu errechnen, wurden viele skeptisch und wandten sich von der biblischen Prophetie ganz ab.“ (S. 48)

Abgesehen von der Wiederkunft Jesu: Auch ganz allgemein wird die Botschaft von Jesus negativ besetzt und somit die Evangelisation erschwert. Viele Menschen, denen nun etwas von Jesus erzählt wird, erinnern sich: 'Ja, von diesem Jesus habe ich schon gehört - von dem reden doch auch die, die schon so oft zu wissen meinten, was in der nächsten Zeit geschehen sollte, und es geschah dann doch nicht. ' Oder sie denken: 'Das ist doch dieser Jesus, von dem es schon so oft hieß, daß er in den nächsten Jahren auftauchen sollte, doch bisher hat noch niemand eine Spur von ihm gesehen …'

4. Eigentliche Aussagen der Bibel kommen nicht mehr zur Geltung

Wenn die gegenwärtigen politischen Vorgänge vorschnell mit irgendwelchen Bibelversen kombiniert werden, so besteht die Gefahr, daß die eigentlichen Aussagen dieser Bibelverse kaum zur Geltung kommen. Sie dienen dann lediglich als Etikett für beliebige politische Vorgänge - so lange, bis deutlich wird, daß die Kombinationen doch nicht passen. Wie schon René Pache feststellte: „Will man in jedem Satz der Propheten das geringfügigste Ereignis der Gegenwart sehen, so läuft man Gefahr, mindestens alle zehn Jahre seine Deutungen revidieren zu müssen.“ (S. 26) Betrachten wir zur Veranschaulichung einige Beispiele.

In Jesaja 19 finden wir eine Vorhersage über Ägypten. Mit lockerer Hand überträgt Malgo sie auf die Kämpfe in den 1970er Jahren zwischen Arabern im Libanon: „Das furchtbare Morden, das sich im Libanon abspielt, hat der Prophet Jesaja bereits vor Jahrtausenden gesehen, als der Herr von den Ägyptern und im weiteren Sinne von den Arabern sprach: '… daß ein Bruder wider den andern, ein Freund wider den andern, eine Stadt wider die andere, ein Reich wider das andere streiten wird' (Jes. 19,2).“ (Schatten 97f) Sehr schnell werden atl. Aussagen auf die eigene Gegenwart bezogen, ohne lange zu fragen, auf welche Zeit sie tatsächlich hinweisen. Und auch das Objekt der Aussage wird schnell ausgetauscht. Auf diese Art passen dann tatsächlich viele Bibelverse auf die momentanen politischen Vorgänge.

Marius Baar neigt ebenfalls zu vorschnellem Gleichsetzen aufgrund möglicher Parallelen.“ Nicht die Araber sind abhängig vom Abendland, nicht wir, sondern sie können uns boykottieren. Wie recht hat die Offenbarung! (Offenbarung 13,17).“ (S. 44f) An der angegebenen Stelle lesen wir, daß niemand kaufen oder verkaufen kann ohne das Malzeichen des Tieres. Ist es wirklich sicher, daß die Verfügungsgewalt der doch in verschiedener Hinsicht uneinigen arabischen Welt über einen großen Teil der Ölvorräte die Erfüllung dieses Offenbarungs-Wortes darstellt?

5. Verzicht auf Zukunftsvorsorge

Genaue, sich später als irrtümlich erweisende Vorhersagen können zu falschen Handlungen führen. Etwa dazu, daß jene, die daran glauben, daß das Ende in den nächsten Jahren kommt, keine Zukunftsvorsorge mehr treffen. Es besteht also die Gefahr einer unrealistischen Zukunftsplanung. Wenn jemand vor 20 Jahren dahingehend beeinflußt wurde, mit der Wiederkunft Jesu und Entrückung in den nächsten Jahren zu rechnen, so besaß er wenig Motivation, für eine längere Zukunft vorzusorgen. Es kann ihm dann passieren, daß er schließlich ohne Pension oder ohne Ersparnisse dasteht. Das umso mehr, als manche Endzeitautoren den finanziellen Bereich direkt ansprechen. So beobachtet Malgo entsetzt: „gibt es noch immer Gotteskinder, die es wagen, auf ihrem Bankkonto Geld anzuhäufen; sie leben von ihren Zinsen und Zinseszinsen. … [er verweist auf Matthäus 6,19] … Was geschieht denn mit deinem Sparguthaben, wenn heute die Entrückung stattfindet? Diese Mittel, die du für die Sache Jesu Christi hättest investieren können, gehen dann in den Besitz des Antichristen über.“ (Aufmarsch 65)

6. Vernachlässigung sozialer Aufgaben

Die Erwartung des nahen Endes hat nicht nur individuelle Folgen, sondern auch politische. Wer glaubt, daß in einigen Jahren das Ende da ist, wird sich kaum besonders für Anliegen engagieren, die bloß langfristig zu verwirklichen sind. Also etwa für eine Änderung sozialer Strukturen, für Entwicklungshilfe, für Umweltschutz … Engagement für Projekte, die erst im Laufe von Jahren wirksam werden, scheint unangebracht zu sein, wenn doch bis dahin ohnehin die Gemeinde entrückt ist und totales Chaos über die Welt hereinbrechen wird.

Im Rückblick betrachtet muß man sagen, daß die Anhänger der Zeugen Jehovas irregeführt wurden. Wiederholt wurde das baldige Ende angekündigt, für 1914, 1918 usw., zuletzt 1975. Seither ist schon einige Zeit vergangen. Ein soziales Engagement wäre im Hinblick auf mehrere nachfolgende Jahrzehnte durchaus sinnvoll gewesen; damals, wenige Jahre davor, erschien das jedoch kaum sinnvoll.

Viele Christen zögern, sich sozialen Aufgaben zu widmen. Den naiven Utopien von Weltverbesserern wollen sie nicht anhängen, da sie für den Christen keinen Auftrag sehen, die Welt zu verbessern. Hier beobachten wir wieder das Pendeln zwischen zwei Extremen: Auf der einen Seite die Erwartung, die Welt könnte durch unseren Einsatz, ohne Jesu Wiederkommen, zu einem guten Zustand kommen; auf der anderen Seite soziale Passivität und somit Unterstützung des doch wahrlich nicht guten status quo. Die Demnächsterwartung bildet einen weiteren Faktor, der dazu führt, daß Christen häufig politisch konservativ sind, trotz ihrer massiven Kritik an den Zeitverhältnissen. Was plausibel gewesen wäre, hätte es wirklich nur noch wenige Jahre bis zum Ende gedauert, wird im Rückblick auf mehrere Jahrzehnte, wo Christen im Hinblick auf das so nahe erwartete Ende sozial inaktiv waren, nicht mehr rechtfertigbar.

Es gibt Möglichkeiten, zur Linderung von Leid beizutragen, ohne dabei der Illusion anzuhängen, die Geschichte der Menschheit werde aus eigener Kraft zum Guten kommen. Denken wir etwa an zwei Christen des vorigen Jahrhunderts, an Henri Dunant, den Gründer des Roten Kreuzes, oder an Friedrich Wilhelm Raiffeisen.

Abgesehen von sozialen Aufgaben ist auch ganz allgemein an die Präsenz der Christen in der Gesellschaft zu denken: An deren soziales (= gesellschaftliches) Wirken im weitesten Sinne also. Christen mit Demnächsterwartung neigen dazu, verschiedenste Kulturbereiche den „Heiden“ zu überlassen. Wenn Christen in den Künsten und in den Medien tätig sind, können sie dazu beitragen, daß das Evangelium dort präsent ist und somit gute Chancen bestehen, daß die Bevölkerung des Landes damit auf verschiedene Weise konfrontiert wird. Eine besonders negative Einschätzung der gegenwärtigen Lage verbunden mit der Erwartung, daß ohnehin in wenigen Jahren das Ende da ist, begünstigt die Neigung, sich aus allen diesen Bereichen herauszuhalten.“ Eine Vernachlässigung der Kultur, der Künste und der Medien birgt jedoch in sich eine große Gefahr, denn gerade diese Bereiche werden dann mangels christlichen Interesses von den materialistischen, säkularisierten Kräften übernommen und für antigöttliche Zwecke eingesetzt.“ (Clouse 168f)

7. Einseitig pessimistische Einschätzung der Gegenwart

Die Vorstellung, daß die Entwicklung der Menschheit auf die Herrschaft des Antichristen zusteuert, hat einen ausgeprägten Pessimismus zur Folge. Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis könnte allerdings auch umgekehrt sein: Wer das Zeitgeschehen sehr pessimistisch beurteilt, wird dazu neigen, mit dem baldigen Ende zu rechnen. (So quasi: 'Schlimmer als es jetzt ist kann es nicht mehr werden … ') Es ist also schwer zu sagen, was hier Ursache und was hier Wirkung ist. Beide Faktoren - Pessimismus und Demnächsterwartung - können sich gegenseitig verstärken.

Ist eine extrem pessimistische Einschätzung des momentanen Zeitgeschehens gerechtfertigt? Sie ist sicherlich nicht aus der Luft gegriffen, aber vielleicht doch einseitig. Denn dabei werden positive Entwicklungen, die gleichfalls vorhanden sind, ignoriert. Darauf weisen insbesondere Postmillenialisten hin, etwa im Hinblick auf jene Länder, wo christliche Einflüsse wirksam waren: „wenn wir an die hilflose Welt von damals, die in der Finsternis von Sklaverei, der Vielehe, der Unterdrückung von Frauen und Kindern, des Mangels an politischer Freiheit, der Unwissenheit, der Armut und der primitiven Krankenfürsorge, - denken, dann muß uns doch klar sein, daß eine Aufwärtsentwicklung stattfindet.“ (Loraine Boettner in Clouse 103) Hinzuweisen ist auch darauf, daß die Bibel soweit übersetzt ist, daß zumindest Teile von ihr für 98 % der Weltbevölkerung in ihrer Alltagssprache zugänglich sind.

Durch eine einseitige Auswahl möglichst negativer Nachrichten wird dem Zuhörer/Leser ein besonders schwarzes Bild vom Zeitgeschehen vermittelt, so daß kritisiert werden konnte: „Psychologische Druckmittel werden angewandt, um bei den Predigtzuhörern eine pessimistische Stimmung auszulösen.“ (Clouse 168) In Kap. A.8 hatten wir uns damit schon beschäftigt.

Mitunter wird dabei die Vergangenheit glorifiziert ('Die gute alte Zeit … '), während ein kritischer Vergleich zeigen würde, daß es auch schon früher ähnliche negative Erscheinungen gab.

Eine solche negative Einschätzung geht oft auch mit der Neigung, hinter vielen Erscheinungen das Wirken von Dämonen zu vermuten, einher. Bei einer solchen Sichtweise ist eine sachliche Auseinandersetzung mit den betreffenden Erscheinungen kaum noch möglich, man beschränkt sich auf laute Warnrufe. Auf diese Neigung wies Lutz von PADBERG hin, und zwar in einem Vortrag über „evangelikale Apologetik“. Unter Apologetik versteht man die Verteidigung des christlichen Glaubens. Padberg ist Historiker und unterrichtet an der Ev. Theol. Faculteit in Löwen (Belgien) sowie an der FTA in Gießen. Er stellte bei seinem Vortrag große Mängel in der evangelikalen Apologetik fest („apologetische Defizite“). Als eine Ursache dafür nennt er „die von manchen Evangelikalen vertretene spezielle Sicht der Endzeit“. Es handelt sich dabei, wie wir noch sehen werden, um genau jene Sicht, die wir in den im Teil E behandelten Endzeitbüchern durchwegs finden. Padberg erläutert:

„Aufgrund ihres Verständnisses der Offenbarung und anderer prophetischer Aussagen der Bibel kommen sie zu einer Art apokalyptischem Fahrplan, in den sie dann Ereignisse des Geschichtsverlaufes einzutragen versuchen. Dieses Verfahren vermittelt ihnen den Eindruck, die Gegenwart habe endzeitliche Qualität. So gelten entsprechende Ereignisse als in der Bibel vorhergesagt, was wiederum im Umkehrschluß als Beweis für deren Autorität herangezogen wird.“ Hier könnte man etwa an die Staatsgründung Israels denken.

Padberg weiter: „Der Zustand von Kirche und Gesellschaft wird als so übel angesehen, daß allein die Wiederkunft Jesu Besserung bringen könne. Konsequente Schlußfolgerung ist die Auffassung, die Gegenwart stehe unter der Herrschaft des Antichristen, weshalb man bei allen möglichen Geschehnissen dämonische Kräfte am Werke glaubt.“

(Der Vortrag wurde veröffentlicht im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 1990, S. 177-189, Zitat S. 182f. )

Die pessimistische Einschätzung des Zeitgeschehens führt auch dazu, daß viele Christen eine möglichst große Distanz anstreben. Anstatt Politik, Kultur und Medien positiv mitzugestalten, ziehen viele Christen sich zurück und überlassen diese Bereiche anderen Menschen. Dadurch können die säkularisierten, mitunter antigöttlichen Kräfte umso ungehinderter wirken.

Padberg nennt keine Namen, keine konkreten Beispiele. Er erwähnt jedoch, daß eine solche Dämonisierung bei der evangelikalen Beurteilung der New Age-Bewegung verbreitet ist. Dabei schreckt er auch vor einer vernichtenden Kritik nicht zurück: „Manche in evangelikalen Verlagen zum Thema erschienenen Bücher sind intellektuell, man muß es leider deutlich sagen, ein Armutszeugnis, finden aber gleichwohl zahlreiche Käufer. Eine genauere Analyse dieser Problematik müßte sich mit der Affinität mancher evangelikaler Kreise zu relativ einfachen Denkmustern und Argumentationsreihen beschäftigen.“ (S. 184) Sollte Padberg recht haben: Wäre es nicht doch nötig, die Situation gründlicher zu beleuchten, und dabei der Klarheit halber auch konkrete Beispiele zu nennen? Wenn wir wollen, daß sich an diesem Zustand etwas ändert, müssen wir wohl Namen und konkrete Sachverhalte nennen. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß die Endzeitliteratur immer wieder ganz oben in den evangelikalen Bestsellerlisten landet - also einen enormen Einfluß ausübt. Für Hal Lindseys Alter Planet Erde etwa wird eine „Weltauflage über 20 Millionen“ angegeben, bei anderen Büchern kommt es eine zeitlang jeden Monat zu einem Nachdruck.

(Wenn Baar die Christen als „Schwarzseher“ bezeichnet, so meint er damit etwas anderes: Nicht unbedingt deren Einschätzung der Gegenwart, sondern deren Ankündigung des kommenden Gerichtes - S. 18. )

8. Angst

Ein bedenklicher Aspekt kann darin gesehen werden, daß die Beschäftigung mit der Endzeit vielleicht nur die äußere Form ist, die sich die in uns wohnende Angst sucht. So meint Michael Weyer-Menkhoff in seinem Artikel Angst vor der Endzeit?, daß sich hinter dem eschatologischen Fieber Angst verbirgt. Er schreibt: „Merkwürdige Allianzen ergeben sich da übrigens. Mit der Computerfurcht, mit der Angst vor neuen Ausweisen und Scheckkarten, vor Volkszählung und EAN-Code sind sie in bester Gesellschaft mit den nichtchristlichen Gruppen in Westeuropa, die auch 'Angst vor dem Computer' und vielleicht Angst vor der Zukunft überhaupt haben. Da scheinen beide vom selben Zeitgeist beeinflußt, hier nur eben christlich gefärbt.“ (S. 5) Und diese Angst sollte wohl grundsätzlich behandelt werden, anstatt ihr ungehindert Raum zu geben. (Eine solche Überängstlichkeit ist das eine Extrem, aber natürlich gibt es auch das andere Extrem: Eine Sorglosigkeit, die real vorhandene Gefahren nicht beachtet. Und wie so oft sind auch hier beide Extreme schlecht. )

Unter diesem Gesichtspunkt sind auch Buchtitel wie Der Antichrist kommt (Gerth) oder Die Apokalypse kommt! (Goetz) zu sehen. Solchen Titeln möchte ich einen anderen Satz entgegenstellen: 'Jesus kommt!' Denn das ist es, worauf sich unser Augenmerk richten soll. Nicht der Antichrist ist es, auf dessen Kommen wir wie gebannt starren sollen, sondern Er, der den Antichrist „beseitigen wird durch den Hauch seines Mundes“ (2. Thess 2,8).

Eine solche Angst wird gefördert durch Nachrichten darüber, daß der Antichrist schon im Anmarsch ist. Und umgekehrt: Wo diese Angst da ist, werden plötzlich antichristliche Indizien wahrgenommen, die es gar nicht gibt. Die Indizien mehren sich, so heißt es dann, daß sein Auftreten schon unmittelbar bevorstehe. Da kann man lesen, „daß Berichten von Besuchern in Jerusalem zufolge die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt, wie Busse usw., auf ihren Nummernschildern die Zahl 666 tragen. Ob das auch ein Hinweis auf Offenbarung 13,18 ist? Jedenfalls ist die Zahl immer öfter anzutreffen.“ (Neumann 139) Nun sind die Nummernschilder von öffentlichen Verkehrslinien gewöhnlich dazu da, die Linien voneinander zu unterscheiden. Schon aus diesem Grund ist es nicht anzunehmen, daß in Jerusalem alle Linien „666“ heißen. Weyer-Menkhoff nennt eine Reihe von Beispielen aus „christlichen“ Traktaten, die Falschmeldungen über das Vorkommen der Zahl 666 liefern (S. 2-5). Sein Resümee über diese Falschmeldungen: Oft werden unklare Behauptungen aufgestellt, die sich kaum überprüfen lassen; ist eine Angabe konkret genug, um sich überprüfen zu lassen, so erweist sie sich zumeist als falsch.

Voraussetzungen für das Aufkommen sowie die rasche Verbreitung solcher Gerüchte sind die in Teil A genannten zwei ersten Fehler: Erstens die Demnächsterwartung; wenn das Auftreten des Antichristen unmittelbar bevorsteht, so wirken alle Nachrichten über bereits beobachtbares Antichristliches (wie z. B. ein Vorkommen der Zahl 666), von vornherein sehr glaubwürdig. Und zweitens die Überbewertung schwacher Anhaltspunkte. Als dritter Faktor könnte hier noch die tendenziöse Auswahl von Nachrichten genannt werden. Es gibt unbestreitbar äußerst beunruhigende Nachrichten, etwa in ökologischer Hinsicht. Oft machen es sich Christen aber zur Aufgabe, vorzugsweise negative Nachrichten zu sammeln und zusammenzustellen. Die solcherart zustandegekommenen Bücher vermitteln dem Leser ein übertrieben einseitig negatives Bild. Allerdings ist es schwer, einem Christen, dessen eigenes Weltbild durch derartige Literatur geprägt ist, klarzumachen, daß dieses Bild zu einseitig negativ ist. Ich greife daher auf ein Beispiel aus dem Jahr 1949 zurück. In Fünnings Israel-Büchlein konnte man lesen: „'Wir hier zittern ob des kommenden Krieges mit Rußland', schreibt ein Prediger aus Deutschland. Und diese schreckliche Angst wird dadurch vermehrt, daß der nächste Krieg höchst wahrscheinlich mit Atom-Bomben geführt werden wird.“ (S. 6) Nun könnten wir hinzufügen: „Diese schreckliche Angst“ wird nicht nur durch Atombomben, sondern auch durch derartige christliche Literatur noch vermehrt. Sicherlich bestand die Gefahr eines Krieges mit Rußland, aber es gab auch starke Gründe, die dagegen sprachen, daß diese Kriegsgefahr Wirklichkeit wurde. Und tatsächlich kam es ja auch nicht dazu. Das Zittern des zitierten Predigers war also unnötig. Fünning konzentriert sich auf derartige Negativ-Nachrichten. Ein amerikanischer Ex-Gouverneur sagte „in einer Ansprache: 'Wenigstens 90 Prozent aller jetzt lebenden Amerikaner werden innerhalb 5 Jahren durch Atombomben getötet sein'. Und doch leben die meisten Menschen, leider auch viele Gläubige, wie in den Tagen Noah's.“ (S. 46) Diese Ansprache behauptete etwas, was zwar möglich schien, aber keineswegs sicher war und sich auch tatsächlich nicht bewahrheitet hat. Die Fortsetzung Fünnings läßt diese feste Behauptung aber unwidersprochen stehen und leitet Verhaltenskonsequenzen daraus ab. Heute, ein knappes halbes Jahrhundert danach, wissen wir, daß dieses Schüren von Angst nicht sinnvoll war. Natürlich ist jedem Christen klar, daß sein Leben jederzeit zu Ende sein kann. Darüber hinaus sollte er sich aber für konkrete Aufgaben einsetzen, anstatt sich auf mögliche Gefahrenmomente zu konzentrieren und diese plastisch und anschaulich auszumalen.

9. Politische Nebeneffekte religiöser Propaganda

a) Förderung der Ausländerfeindlichkeit

Die evangelikale Arbeitsgemeinschaft für Ausländermission (AfA) in Gießen beobachtete, „daß sowohl in säkularen wie christlichen Medien die Meinung herrsche, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa drohe jetzt die Gefahr durch den Islam. Auf diese Weise werde ein neues Feindbild aufgerichtet, … Mit der Furcht vor dem Islam wachse die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland.“ (laut idea-spektrum 1991, Nr. 15, S. 2)

Da Marius Baar die Meinung vertritt, daß der Islam die Machtbasis des bald auftretenden Antichristen sein werde, könnte die Befürchtung der AfA auch Baars Bücher betreffen. Jene Leser, die sich von Baar beeinflussen lassen, werden den Moslems besonders negativ gegenübertreten. Denn die Moslems sind es ja, aus deren Mitte binnen kurzem der Antichrist hervorgehen werde, und sie seien es auch, die ihm durch ihre Unterstützung zur Macht verhelfen. So könnte tatsächlich ein neues Feindbild aufgerichtet werden. Ein Endzeitautor muß sich überlegen, welche möglichen politischen Nebeneffekte seine veröffentlichte Bibelauslegung hat. Wenn Christen dazu beitragen, daß eine bestimmte Gruppe von Ausländern besonders negativ gesehen wird, sind sie auch für die weiteren Folgen mitverantwortlich. Die einen bereiten geistig den Boden, die anderen setzen auf diesem Boden Taten: Etwa militante Rechtsradikale, die Türken zusammenschlagen.

Bei Baar lesen wir z. B.: „Wo Araber hinkamen oder durchzogen, haben sie eine Wüste zurückgelassen.“ (S. 18) Solche pauschalen Urteile könnten zu Vorurteilen gegenüber bestimmten Ausländern führen.

Mitunter kann auch die bei dispensationalistischen Autoren gewöhnlich anzutreffende konservative politische Haltung daran mitwirken, daß Ausländer im eigenen Land nicht gerne gesehen werden. Wim Malgo wurde einmal gefragt: „Wie stellen Sie sich als Mann Gottes zum Asylantenproblem in der Schweiz?“ Seine Antwort: „Den Asylanten, für soweit sie irgend eine Ahnung von der Bibel haben, möchte ich das Wort Gottes aus Psalm 37,3b zurufen: 'Bleibe im Lande und nähre dich redlich. ' Ich meine damit sein Vaterland; denn der Asylant wird, ob in der Schweiz, Deutschland, Holland, Großbritannien oder in welcher Nation er auch sei, immer wieder mit seinem Anderssein als Problem zu kämpfen haben. Er gehört eben in sein eigenes Land, wobei ich jetzt das Problem der physischen Bedrohung in seinem Land nicht näher behandeln will.“ (Mitternachtsruf Okt. 1988, S. 18) Ob Malgo aus diesem Psalm nicht doch etwas zuviel herausliest?

b) Chaosfördernde Propaganda

Die Zeugen Jehovas sind stark auf politische Neutralität bedacht. Dennoch kann auch ihre propagandistische Tätigkeit politische Wirkungen haben. Aber die ZJ sind nur scheinbar neutral. Wenn sie empfehlen, nicht zur Wahl zu gehen, so ist zu bedenken, daß auch die Nichtwähler Einfluß auf das Wahlergebnis haben, so daß ja auch oft von der (größten) „Partei der Nichtwähler“ gesprochen wird. Diese „Partei“ hätte es durchaus in der Hand, jede Wahl wesentlich anders ausgehen zu lassen.

In der menschlichen Gesellschaft findet sich sicherlich sehr viel Kritikwürdiges. Dabei können die Politiker natürlich nicht ausgeklammert werden. Wenn wir auf Mängel hinweisen - welche Form sollen wir wählen? Sollen wir die gesellschaftlich Verantwortlichen scharf und massiv kritisieren? Und sollen wir uns auf diese beschränken, oder müßten wir nicht eigentlich auch die übrige Bevölkerung miteinbeziehen?

In der Zwischenkriegszeit haben die Zeugen Jehovas (ursprünglich noch „Bibelforscher“ genannt) auch in Deutschland die Pamphlete ihres Präsidenten Rutherford verteilt. Darin wurden nicht nur die Verantwortlichen im kirchlichen Bereich mit scharfen Worten kritisiert, sondern auch die politischen und wirtschaftlichen Führer. So wurde etwa eine Broschüre mit dem Titel Gericht über die Richter, die Prediger, die Nationen, die Politiker, die Hochfinanz, die Organisation Satans, und das Volk verbreitet. (Mit „Nationen“ sind hier die nationalstaatlichen Organisationen gemeint.) Die amerikanische Ausgabe erschien 1929, die deutsche Übersetzung wurde teils in den USA, teils in der Schweiz gedruckt. In der Einführung lesen wir (S. 2): „Wissen Sie, warum die Gegenwart ein solch ungewöhnlicher Zeitabschnitt der Weltgeschichte, ein solcher Tag allgemeiner Kritik und Enthüllung von Unrecht ist? Der Welt Richter, Prediger, Nationen, Geldmänner und Politiker, d. h. alle solche, die zu Satans Organisation gehören, stehen vor den Schranken göttlichen Gerichts. Es ist eine gefahrvolle Zeit für diese. Für das Volk aber steht eine gerechte Beurteilung seiner Nöte und Bedürfnisse vor der Tür. Der Ausgang dieses Gottesgerichtes für die Menschheit wird herrlich sein.“

Auf diese Weise trugen die ZJ dazu bei, das Klima der Unzufriedenheit zu schüren und anarchische Zustände zu fördern. Somit haben sie auch ihren kleinen Anteil daran, daß der Aufstieg einer so extremen Gruppe wie der Nationalsozialisten Hitlers möglich wurde.

Zur Verteidigung könnte man sich darauf berufen, daß die Zustände in den herrschenden Schichten tatsächlich kritikwürdig waren. Dennoch: Wer etwas tut, muß sich auch die Nebenwirkungen seines Tuns überlegen.

Mit der Möglichkeit politischer Nebenwirkungen religiöser Propaganda ist jedenfalls zu rechnen.

10. Willkürliche Deutung des Zeitgeschehens

Eine bestimmte Endzeiterwartung kann Scheinerklärungen für verschiedene Vorgänge liefern. Unser Evangelisieren bringt in den westlichen Ländern wenig Ergebnisse? Anstatt nun kulturelle Faktoren zu untersuchen (materielle Übersättigung, vielfältiges weltanschauliches Angebot), gibt es dafür im Rahmen der Demnächsterwartung eine rasche „Erklärung“: Die Zeit der Heiden geht eben zu Ende, nun beginnt die Erweckung bei den Juden. So zu lesen bei Wim Malgo: „Weshalb wandelt sich Israel? Antwort: Israel wandelt sich heute, weil der Strom der Barmherzigkeit Gottes, der sich zwei Jahrtausende lang um Israels Unglaubens willen über uns Heiden ergoß, nun langsam versiegt beziehungsweise umgeleitet wird.“ (Schatten 166) Nun zitiert Malgo Röm. 11,30f und setzt fort: „Welch ein kostbares Wort! Es erklärt alles. Deswegen wird das Evangelisieren in unseren Ländern immer schwieriger. Unser Auftrag besteht darin, die letzten Garben einzusammeln, auch in Südamerika. Denn das Werk ist bald getan! Die Vollzahl ist nicht mehr fern! … nun offenbart Er Sein Volk, das zu Jesus Christus hin verwandelt wird.“ (S. 167) Diese „Erklärung“ ist allerdings voreilig, denn von einer größeren Offenheit für das Evangelium von Jesus ist unter Juden zur Zeit noch überhaupt nichts zu bemerken. Die Mission unter Juden ist in Israel verboten, an Jesus gläubige Juden haben Schwierigkeiten, als Einwanderer akzeptiert zu werden. Gleichzeitig bemerken wir eine starke Hinwendung zu Jesus unter Heiden. Zwar nicht in Westeuropa, aber in anderen Gegenden der Welt, z. B. in Südamerika.

Warum nimmt heute die Isolierung der Menschen, insbesondere in Großstädten, zu? Hier könnten soziologische Faktoren geprüft werden, doch damit hält sich Wim Malgo nicht auf. Die Demnächsterwartung liefert auch hierfür ein einfaches Schema: Das antichristliche Zeitalter zieht herauf, und diese Isolation ist wichtig für die Überwachung durch den Antichristen:

„Das ist Harmagedon, das in unseren Tagen immer dunkler werdende Schatten vorauswirft.

Nicht nur weltweit sehen wir diese unheimlichen Schatten heraufziehen, sondern auch individuell; er erfaßt auch den einzelnen Menschen.

Das zeigt sich zum Beispiel in der Isolierung des einzelnen Menschen. Es wäre vor einigen Jahren unvorstellbar gewesen, daß heute Menschen jahrelang im gleichen Häuserblock wohnen und einander überhaupt nicht kennen… . Diese Isolierung des einzelnen Menschen ist notwendig zur individuellen Überwachung durch die antichristliche Schreckensherrschaft, vergleiche Offenbarung 13,15.“ (Schatten 21)

Mir ist nicht klar, inwiefern diese Isolierung notwendig zur Überwachung ist, oder inwiefern sie zumindest einen Vorteil dazu darstellt. Man könnte zumindest ebensogut im gegenteiligen Zustand - jeder kennt jeden - eine Erleichterung für die Überwachung sehen.

11. Interesse für politische Vorgänge, aber verzerrte Sicht

Positiv an der Beschäftigung mit diesen Endzeit-Fragen finde ich das politische Interesse. Dadurch verfolgen Christen, die sonst vielfach zu politischem Desinteresse neigen, das Zeitgeschehen sehr intensiv.

Allerdings handelt es sich hierbei um ein passives Beobachten. Einerseits sehen die Christen bei dem, was geschieht, intellektuell interessiert zu - andererseits tun sie nichts, um irgendwo unterstützend einzugreifen. Das Endzeitinteresse fördert also eine „Zuschauermentalität“; eine Haltung, wie sie unserer Generation ohnehin schon durch das Fernsehen stark anhaftet. Man beobachtet, um beurteilen zu können, ist aber nicht gewillt, irgendetwas zu tun. Es besteht die Gefahr der Erstarrung.

Ein weiteres Problem liegt darin, daß politische Ereignisse aufgrund von Endzeiterwartungen verzerrt wahrgenommen werden. Manche Autoren sehen alles in Verbindung mit Israel: „Alles in der Welt hängt entweder direkt oder indirekt mit Israel zusammen.“ (Malgo: Israel 70) Konkreter: „… wüten im Fernen Osten jahrzehntelang blutige Kämpfe: erst zwischen Frankreich und Vietnam, dann zwischen Amerika und Korea. Später bekriegten sich Amerika und Vietnam, dann China und Vietnam, Kambodscha und Vietnam. Für viele ist es verdeckt, für manch andere aber offenbar, wer die tiefste Ursache dieser um sich greifenden Auseinandersetzungen ist: Israel, das auf dem Mittelpunkt der Erde liegt. An diesem Volk entzündet sich der Haß der Völkerwelt.“ (Malgo: Heil 31f) Alle Konflikte scheinen alleine Israel als Objekt zu haben, jede Kontaktaufnahme zwischen zwei Staaten wird bereits als Fusionierung angesehen (natürlich mit dem Ziel, gemeinsam gegen Israel vorgehen zu können): „Denken wir nur an den Friedensvertrag zwischen China und Japan, der als ein geschichtliches Ereignis gefeiert wurde. Dadurch wurden zwei große Völker gegen den Strand, Israel, zusammengeschmolzen. Dann haben wir als weiteres den weltbewegenden Zusammenschluß von China und Amerika zu beachten… . mit dem Zusammengehen Amerikas und Chinas kehrt sich Amerika von Israel ab.“ (Malgo: Heil 25f)

Auch für Fritz May scheint letztlich alles im Hinblick auf Israel zu geschehen: „Der Vorbereitung zum Marsch auf Jerusalem dient zweifelsohne schon heute der Krieg, den der Iran gegen den Irak (selbst ein erklärter Feind Israels) führt, um den Weg über Bagdad und den Euphrat nach Jerusalem freizumachen.“ (S. 235) Nun ist dieser Krieg zu Ende - ist deswegen der Iran dem „Marsch auf Jerusalem“ nähergekommen? (Vgl. auch die 13. Folge. )

12. Überlegenheitsbewußtsein im politischen Urteilen

Politische Vorgänge sind oft sehr komplex - daher Vorsicht vor Urteilen! Wir dürfen unsere christliche Haltung nicht vorschnell mit vielleicht einseitigen politischen Urteilen vermengen. Manche Christen meinen, mit der Bibel in der Hand alle aktuellen politischen Vorgänge einschätzen zu können. Sie meinen zu wissen, wie Gott die verschiedenen Vorgänge sieht, und wie Gott selbst darin am Wirken ist. So beurteilt Wim Malgo den Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel (1979) sehr skeptisch; er werde keine Lösung bringen. Warum nicht? „Der Herr ist nicht dabei!“ (Heil 34). Das ist ein gewagtes Urteil, denn erstens hat dieser Friede in den 13 Jahren seither recht gut gehalten (daß mit diesem Vertrag zwischen diesen beiden Ländern nicht die gesamte Nahostproblematik gelöst war, war natürlich allen Beteiligten bewußt), und zweitens beurteilt Gott das Bemühen, zu friedlichen Lösungen zu kommen (anstatt sich zu bekriegen), prinzipiell positiv (vgl. Mt 5,9: „Selig die Friedensstifter“). Wenn Malgo dennoch zu wissen meint, daß hier Gott nicht dabei ist, dann beansprucht er ein sehr genaues Wissen um Gottes Wirken für sich. Ähnlich urteilt Baar: „Dieses Bündnis geschieht nicht nach dem Willen des Herrn.“ (S. 195) „… kann der Friedensbund zwischen Israel und Ägypten … nicht von Dauer sein. Es ist eine Scheinlösung und eine Ersatzlösung, die Gott ablehnen wird, da es nicht sein Friedensplan ist.“ (S. 226)

Von anderen Endzeitautoren wird dieser Friedensvertrag aber positiver beurteilt. Goetz sieht darin die Erfüllung göttlicher Prophetie (S. 69. 111).

Daß sich Malgo mit diesem Friedensvertrag nicht anfreunden konnte, erklärt sich daraus, daß er in Israels Sinai-Besitz bereits den in der Bibel angekündigten Endzustand gegeben sah: „An der Südgrenze zu Ägypten herrscht nun gemäß dem prophetischen Wort Ruhe. Die Südgrenze ist nicht etwa der NIl, sondern der Bach Ägyptens, welcher sich von El Arish durch die Wüste schlängelt.“ (Israel 62) So schrieb Malgo 1974. Nun abgesehen von der Frage der richtigen Bibelauslegung: Stillschweigend vorausgesetzt wird bei einer solchen Bibelauslegung immer, daß wir in der allerletzten Zeit leben, und die heutige politische Konstellation in die Schlußereignisse einmündet.

Aus diesem Überlegenheitsbewußtsein heraus werden dann auch den Politikern Ratschläge erteilt. So meint Malgo: „Präsident Carter ist vorläufig gescheitert, … einen wahren Frieden zwischen Israel und Ägypten zustandezubringen, trotz der jetzigen 'Friedensübereinkunft' vom 26. März 1979.“ (Heil 29) Malgo weiß aber auch, was Carter hätte besser machen können: „Wenn Präsident Carter von seinem Glauben an die Bibel, an das prophetische Wort, getrieben würde, dann wäre manches anders gelaufen, und auch die wiederaufgenommenen Gespräche in Camp David würden ein viel breiteres und dauerhafteres Ergebnis gezeitigt haben: Jordanien und Saudi-Arabien hätten sich angeschlossen usw.“ (S. 30)

Während Jesus die Friedensstifter selig preist (Mt 5,9), wischt Malgo alle menschlichen Friedensbemühungen mit einem Handstreich vom Tisch und bezeichnet sie - Psalm 2 aufgreifend - als gegen Gott gerichtet: „Wozu denn heute all die Konferenzen und Gipfeltreffen, die Helsinki-Friedenskonferenz und so weiter? Das wird nicht ausgesprochen, aber ich sage aufgrund der Schrift: Es ist letztlich alles wider den Herrn und Seinen Gesalbten. Aber der im Himmel sitzt, lacht ihrer.“ (Schatten 169; ähnlich Israel 137) Wäre es also besser, die Konfliktparteien würden mit ihren Armeen aufeinander losgehen, anstatt sich an den Verhandlungstisch zu setzen? Auch hier wird wieder Malgos Überlegenheitsbewußtsein sichtbar: Mit der Bibel in der Hand, ist es ihm ein Leichtes, alle politischen Vorgänge zu be(ver)urteilen.

Malgo weiß auch genau, daß letztlich Gott selbst hinter den innerarabischen Kämpfen im Libanon steht, etwa zwischen Syrern und Palästinensern: Auch über dieses rätselhafte Geschehen gebe uns die Bibel Aufschluß; es gehe dabei „um die ausgleichende Gerechtigkeit Gottes, indem die Mörder von israelischen Frauen und Kindern von ihren eigenen Förderern ermordet werden“ (Schatten 102). Kurz: „Was im Libanon geschieht, ist göttliche Vergeltung,“ (S. 103) Bestimmte Kriege zwischen Menschen als von Gott bewirkt hinzustellen, ist jedenfalls sehr riskant.

13. Willkürliche politische Unterstützung

Die jeweilige Endzeitsicht kann auch zu praktischen politischen Anweisungen führen. So riet Wim Malgo vor der deutschen Wahl vom 5. Oktober 1980: „Wenn Sie am 5. Oktober nicht wählen, dann wählen Sie im Grunde genommen doch. Nur hat dann die Regierung, die nach Gottes Willen an die Macht kommen soll, Ihre Stimme nicht… . Die katholische CDU-CSU aber bejaht das Vereinigte Europa, d. h. das werdende antichristliche Reich, sehr stark. Soweit ich das prophetische Wort erkenne, wird Deutschland früher oder später von solch einer politisch-religiösen Richtung regiert werden, denn das antichristliche Reich muß entstehen. Gottes Wort ist Wahrheit! So würde ich an Ihrer Stelle von zwei Übeln das bessere wählen, und das ist in diesem Fall gewiß Strauß, … weil die CDU-CSU sich nach dem Vereinigten Europa ausstreckt, sprich Wiederherstellung des Römischen Reiches, entspricht sie diesbezüglich der Erfüllung des prophetischen Wortes… . Wird nun Deutschland am 5. Oktober eine konservative Regierung bekommen, sprich CDU/CSU, dann wird die Wiedererrichtung des Römischen Weltreiches beschleunigt.“ (Mitternachtsruf September 1980, S. 20f) Der dahinterstehende Gedanke ist folgender: Das antichristliche Reich muß und wird entstehen, und zwar - hier kommt eine stillschweigende Voraussetzung hinzu - sehr bald. Wir sollen daher möglichst daran mitwirken, daß dieses Reich bald entsteht, denn so ist es der Wille Gottes.

Das ist natürlich ein schiefes Bild vom Willen Gottes, denn demnach sollten wir ja - gemäß dem „Willen Gottes“ - alle antichristlichen Tendenzen möglichst unterstützen, damit das Reich des Antichristen schneller kommt!

Hat Malgo die Konsequenzen seiner Anweisung wirklich bedacht? Oder ist seine Anweisung vielleicht ein Ausfluß einer Neigung zu konservativen politischen Parteien? Manche seiner auf Mode bezogenen Äußerungen lassen eine konservative Grundhaltung vermuten:

„Der langmähnige junge Mann, der vor seiner Bekehrung wie eine Frau ausgesehen hat, wird durch die Wirkung des Heiligen Geistes in ihm bald zum Coiffeur gehen und sich die Haare schneiden lassen. Ebenso wird eine junge Frau, die wiedergeboren wurde zu einer lebendigen Hoffnung, bald einen Ekel davor bekommen, sich wie ein Mann mit Hosen zu bekleiden; ihr Äußeres wird sich mit der Zeit verändern.“ (Heil 70f)

Allgemein läßt sich bei den verbreiteten Endzeitautoren eine stark prowestliche Haltung feststellen. In erster Linie pro Israel, dann auch für die USA, für Westeuropa, gegen die Sowjetunion … Diese Sympathie ist mitunter so einseitig, daß sie die tatsächliche Situation schief einschätzt - wie sich im nachhinein manchmal feststellen läßt. Gerth schrieb 1989 nach Erwähnung Chruschtschows: „Ähnlich militant sind auch heute noch Gorbatschow und seine Genossen, obwohl sie mit Glasnost und Perestroika ihren wahren Charakter vertuschen wollen. Das ganze Ausmaß der sowjetischen Militanz zeigt sich übrigens in dem unstillbaren Durst nach nahöstlichen Ölquellen.“ (S. 98) Diese Einschätzung Gerths müssen wir heute doch als einseitig beurteilen.

Eine voreingenommene Beurteilung des Verhaltens verschiedener Staaten führt auch zu einer einseitigen Unterstützung bestimmter Staaten und Parteien.

14. Blinde politische Parteinahme für Israel

Die in der Bibel berichtete Heilsgeschichte spielte sich in Israel ab; Jesus war Jude, und die Schreiber der Bibel waren zumindest großenteils Israeliten. Schon von daher haben Christen, die sich ja intensiv mit der Bibel beschäftigen, ein emotionales Naheverhältnis zu den Juden. Dieses Empfinden drückt sich in verschiedener Weise aus.

a) Taten und Fähigkeiten von Israeliten werden bewundert

Kurt Koch berichtet über die lange Belagerung und schließliche Einnahme der Burg Masada durch die Römer im Jahr 73 n. Chr. Als die Römer die Burg endlich erobert hatten, fanden sie darin 960 Leichen. Es lebten nur noch zwei Frauen und fünf Kinder, die sich versteckt hatten. Die anderen Frauen und Kinder waren von den Männern getötet worden; danach hatten sich die Männer gegenseitig selbst getötet. Ich will jetzt nicht generell über Selbstmorde urteilen - sicherlich muß man den einzelnen Fall, die einzelne Situation, in der ein Mensch stand, mitbedenken. Aber glorifizieren werden wir einen Selbstmord nie! Im Fall Masada ging es ja auch nicht durchwegs um Selbstmorde, sondern um ein vereinbartes Sich-Töten-Lassen. Wobei vermutlich die Frauen und Kinder nicht gefragt wurden, sondern als Besitz der Männer angesehen wurden - so daß die Männer sie töten konnten, wenn sie der Meinung waren, das sei für sie besser. Daß einige Frauen und Kinder sich versteckt haben, deutet auf die Möglichkeit hin, daß vielleicht noch mehr diesem Tod hätten entgehen wollen. Jedenfalls waren es Israeliten, die das taten, und Koch ist voll Bewunderung:

„Die tapferen Verteidiger hatten es vorgezogen, ihre Frauen und Kinder zu töten… . Woher weiß die Nachwelt von diesem heroischen Zeugnis der Tapferkeit und Freiheitsliebe? Zwei Frauen und fünf Kinder hatten sich versteckt. Sie berichteten den anstürmenden Römern den Vorgang dieses Heldentums… dieser Stätte eines unerhörten Mannesmutes … Dieser heroische Geist lebt heute in Israel wieder auf.“ (S. 25)

Mit einer derartigen Bewunderung des Tötens und Selbstmordens vertritt Koch m. E. keine christliche Position.

Israelbegeisterung zeigt sich auch, wenn AT-Aussagen über Israel überinterpretiert werden: Beim Propheten Sacharja etwa geht es bloß darum, daß Gott sich gegen jene wendet, die Israel ausgeplündert haben. Insofern wird Israel mit Gottes Augapfel verglichen. Daß Israel einen besonderen politischen Durchblick hätte, wird damit nicht gesagt (das läßt sich auch allgemein dem AT nicht entnehmen; nur in dem Maße, in dem Israel auf von Gott gesandte Propheten gehört hat, hatte es den entsprechenden Durchblick, aber nicht von Natur aus, etwa rassisch-biologisch begründet!). Doch Wim Malgo meint: „Man will noch immer nicht erkennen, daß Israel Gottes Augapfel ist (Sach 2,12) und daß Israel deshalb als das Auge Gottes bezüglich der Gefahren, die im Anzug sind, viel besser und klarer durchblickt als die restliche Welt.“ (Heil 34f)

b) Für Gott sein = für Israel und gegen Araber sein?

Für Gott sein bedeutet für viele Christen für Israel sein; wer dagegen für die Araber ist, der ist damit auch gegen Gott: „Das Ergebnis des letzten Nahostkrieges ist, daß die meisten Staaten die Seite der Araber gewählt und sich damit gegen Gott entschieden haben.“ (Malgo: Israel 137) Somit scheint Israel ein Stück weit die Stelle Jesu einzunehmen. Man könnte hier den Eindruck gewinnen, daß sich die Geister nicht mehr an Jesus scheiden, daß nicht mehr die Stellung für oder gegen Jesus über das Heil entscheidet, sondern die Stellung zu Israel. Wer ist Gottes Segensvermittler für die Welt? Etwa Jesus? Bei Malgo ist das zumindest stellenweise Israel! „Israel ist Gottes Segens- und Heilsvermittler für diese Welt.“ (S. 122) Und weiter: „Äußerlich haben Israel und Jesus scheinbar noch nichts miteinander zu tun, aber in Gottes Augen sind sie bereits eins, untrennbar zusammengefügt.“ Hier wird die Nähe (Identität?) zwischen Israel und Jesus ausdrücklich festgestellt.

Und wenn sich israelische Soldaten falsch verhalten? Der Präsident von World Vision hat zu weltweiten Protesten gegen israelische Übergriffe auf christliche Einrichtungen für Palästinenser aufgerufen (nach idea-spektrum 1992, Nr. 8, S. 16). Eine solche Kritik wird man in israelbegeisterter Literatur wie jener Malgos kaum jemals finden.

Wiederholt wird darauf verwiesen, daß Gott zu Abraham sagte: „Ich will segnen, die dich segnen“ (1. Mose 12,3), wobei Israel mit Abraham gleichgesetzt wird. Wir sollen Israel Gutes wünschen; wenn Israel erlebt, daß der Gott der Bibel wirksam ist, dann wird es sich diesem Gott zuwenden. So sagt Malgo, daß zwar die Heiden zuerst glauben müssen, dann werden sie Wunder sehen; aber bei den Juden läuft es umgekehrt: „Bei den Juden handelt der Herr umgekehrt: Er läßt sie Wunder erleben, damit sie glauben!“ (Schatten 166) Das wäre jedenfalls eine neue Linie Gottes, denn als Jesus auf der Erde wirkte, hat er die Wunderforderungen auch seitens der Juden stets zurückgewiesen. In der Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus läßt Jesus die Meinung, daß ein aus den Toten Auferstehender die Brüder des reichen Mannes zur Umkehr bewegen würde, durch Abraham zurückweisen: „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“ (Luk 16,31)

Bei Malgo wird Israel stark mit Licht assoziiert, während andere Nationen Finsternis darstellen. Ist das eine nüchterne Betrachtung der Juden in Israel, die zu 99,95 % Jesu Anspruch, der Messias zu sein, ablehnen? „Wie könnte ein finsteres kommunistisches Regime, das Gott ablehnt, Israel bejahen?! - Da schied Gott das Licht von der Finsternis… . Wie können wir von einem dekadenten und demoralisierten Europa, das die Finsternis, den Sumpf der Unsittlichkeit, lieber hat als das Licht, eine pro-israelische Haltung erwarten? - Da schied Gott das Licht von der Finsternis.“ (Schatten 75) Und schon vorher: „Die tiefste Wurzel des ständigen Nahostkonfliktes finden wir in 1. Mose 3,15, wo Gott der Herr sagt: 'Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. ' Das war die von Gott gewollte Scheidung zwischen Licht und Finsternis, die Er unmittelbar nach der Schaffung des Lichts vornahm (1. Mose 1,4).“ (S. 71)

Den Juden wünschen wir also Gutes, den Heiden mitunter Schlechtes. So meint Steven Lightle in Erinnerung an Israels Befreiung aus Ägypten, daß wir erkennen müssen, welche Götter von den Sowjetrussen angebetet werden.“ Ist es die Wissenschaft, die Militärmacht, der Stolz, die Vaterlandsliebe, der Atheismus? Wir müssen herausfinden, welche Götzen angebetet werden, und in der geistlichen Kampfesführung die Plagen herabbefehlen, damit Gottes Volk frei wird.“ (S. 168f)

Derselbe Lightle berichtet, daß Gott möchte, daß die Juden (unabhängig davon, wieweit sie an Jesus glauben) von uns gesegnet werden sollen. Gott sagte zu Lightle: „Diese Juden werde ich durch Finnland in die Freiheit bringen. In meiner Güte werde ich Finnen und Deutschen die Chance geben, mein geliebtes Volk zu segnen.“ (S. 42)

Steht Gott bei Konflikten zwischen Israelis und anderen immer automatisch auf der Seite der Israelis? Interessant ist, was Jesus den Juden vorhält, die meinen, daß ihnen allein aufgrund ihres Judeseins die besondere Gunst Gottes sicher sei: „In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.“ (Luk 4,25-27)

c) Mögliche politische Folgen der Israelbegeisterung

Viele evangelikale Christen stehen entschlossen auf der Seite des Staates Israel, ganz gleich, was dieser tut. Da solche Evangelikale in den USA einen beträchtlichen Anteil an der Bevölkerung darstellen, sieht ein auf seine Wähler bedachter US-Präsident sich auch von dieser Seite einem gewissen Druck ausgesetzt, Israel finanziell und militärisch zu unterstützen. Die amerikanische Unterstützung wiederum kann dazu führen, daß israelische Politiker sich sicher fühlen und auf arabische Forderungen überhaupt nicht eingehen. So kritisiert Clouse: „die Neigung, die Sache Gottes mit dem Zionismus und dem Staate Israel gleichzusetzen, führt zu einer 'christlichen' Politik, die dem 'Frieden auf Erden' nicht förderlich ist.“ Was ist, wenn auf diese Art Konflikte verschärft und bewaffnete Auseinandersetzungen provoziert werden? Clouse: „dann wären viele evangelikale Christen für die vorherrschende Einstellung mitverantwortlich, die zu einem solchen Konflikt führen könnte.“ (S. 169)

15. Israel wird automatische Nähe zu Gott zugeschrieben

a) Sind Juden und Christen gemeinsam das Volk Gottes?

Israelbegeisterung wird auch darin sichtbar, daß den Juden - einfach aufgrund ihrer rassischen Zugehörigkeit - eine besondere Nähe zu Gott zugeschrieben wird. Auch wenn sie Jesus ablehnen und somit keine Christen sind, werden sie mitunter wie Christen betrachtet: wiedergeboren, voll Geistes, gerettet.

Die Ankündigung der Geistausgießung Joels - von Petrus auf die Ausgießung zu Pfingsten bezogen - wird dann auf nichtwiedergeborene Juden bezogen. Joel hatte geschrieben: „Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Ältesten sollen Träume haben“ (3,2). Diese Ankündigung verbindet Klaus Gerth mit einem Traum, den drei Rabbiner 1979 unabhängig voneinander hatten (S. 88). Sind diese Rabbiner also wiedergeboren, haben sie Gottes Geist empfangen, auch ohne sich zu Jesus bekehrt zu haben?

Auch andere Aussagen, die eigentlich für solche Menschen gelten, die ihr Leben bewußt Jesus übereignet haben, werden dann pauschal auf alle Juden bezogen: Als Eingangsmotto für das Kapitel „Warum hat Israel so viele Feinde?“ nimmt Malgo folgende Ankündigung Jesu in Mt 24,9b: „Ihr müsset gehasset werden um meines Namens willen von allen Völkern“ (Schatten S. 71)

So werden jene, die rein körperlich Juden sind, in vieler Hinsicht mit jenen, die vom Geist Gottes neugeboren wurden, auf die gleiche Ebene gestellt, etwa unter Verwendung von Joh. 10,28: „Hat nicht die Hand, die Israel gehalten hat, auch uns bis auf den heutigen Tag gehalten? Der Herr hat ausdrücklich gesagt: 'Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. ' Also sind wir diesbezüglich auf der gleichen Ebene.“ (Malgo: Schatten 154) Malgo meint auch, daß „wir als Wiedergeborene das Bürgerrecht Israels bekommen“ haben (Schatten 156). Und zwar in folgendem Sinne: Die Juden haben alle dieses Recht, wir haben es nun auch bekommen. Aber das sind zwei verschiedene Dinge. Das Bürgerrecht für das „neue Israel“ haben die Juden nicht schon automatisch mit ihrem Judesein, dieses erhalten nur die „messianischen Juden“.

Malgo bezieht Aussagen Jesu über seine Jünger ausdrücklich auch auf Juden im allgemeinen: „der Herr Jesus sagt nicht nur von der Gemeinde, sondern auch von Seinem Volke Israel in Johannes 17,19: 'Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. '„ Man gewinnt den Eindruck, für die Juden gibt es einen „Königsweg“ zu Gott: Während die Heiden sich bekehren müssen, können Juden diese Hürde überspringen. Doch damit sind wir beim nächsten Abschnitt.

b) Müssen Juden sich zu Jesus bekehren?

Im NT wird den Juden wie den Heiden die Notwendigkeit eingeschärft, sich zu Jesus zu bekehren: „Wie der Sünder aus den Heiden muß auch er Buße tun und bekehrt werden, damit seine Sünden getilgt werden (Apg. 3,19). Da ist kein Unterschied zwischen Juden und Griechen (Röm. 10,12); sie müssen in gleicher Weise durch den erlösenden Heiland gerettet werden. Eine Hoffnung für die Juden aufzustellen, nur weil sie Juden sind, hieße ein anderes Evangelium predigen (Gal 1,8).“ (Grier 92)

Im NT werden die Juden mehrmals gewarnt vor dem Irrglauben, sie hätten alleine deshalb, weil sie körperlich zum Judentum gehören, eine besondere Stellung vor Gott:

„Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, daß ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Mt 3,7-10) So ruft Johannes der Täufer einigen Juden zu. Hat Gott etwa „sein Volk“ verworfen? Jene Juden, die nicht umkehren, verwirft Gott sehr wohl. Jesus anerkennt zwar vorerst, daß die mit ihm diskutierenden Juden Nachkommen Abrahams sind (Joh. 8,37-44). Im weiteren Verlauf behauptet er aber, daß sie eigentlich nicht Kinder Abrahams sind, sondern den Teufel zum Vater haben. Hier wird deutlich, wie wenig der Vorzug, von Abraham körperlich abzustammen, in Jesu Augen zählt. Und Paulus sagt, „daß nur die, die glauben, Abrahams Söhne sind“ (Gal 3,7).

Die Warnungen des Täufers und Jesu gelten insbesondere auch den religiösen Juden. Die Beschäftigung mit der Torah alleine genügt nicht, um von Gott akzeptiert zu werden.

Es stimmt, daß Jesus (und seine Apostel) Juden waren. Aber die bloße körperliche Verwandtschaft mit Jesus bringt keinen besonderen Vorteil. Diese Verwandtschaft betrifft ja in höchstem Maße Maria, seine Mutter. Als eine Frau diese seine Mutter deshalb selig pries, antwortete Jesus: „Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen.“ Auch wenn Menschen mit Jesus aufgewachsen sind, muß das kein Vorteil sein: In seiner Heimatstadt Nazareth wirkte Jesus nur wenige Wunder, wegen ihres Unglaubens (Mt 13,58).

Wir sehen also, wie wichtig es ist, daß sich jemand wirklich Gott zuwendet - das bloße Judesein alleine nützt wenig. Das macht auch Paulus im Römerbrief (2,9-11. 25-29) deutlich. Wesentlich ist die Stellung zu Gott, nicht die körperliche Abstammung.“ Denn nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel“ (Röm. 9,6). So haben wir immer zu unterscheiden zwischen dem jüdischen Volk als Ganzem und dem „Überrest“ - jenen, die auf Gott hören. Manche Aussagen gelten, auch wenn von Israel die Rede ist, eigentlich nur diesem Überrest. In Röm. 9,27. 29 zitiert Paulus Jesaja 10,22 und 1,9 - dort wird auf den Überrest verwiesen.“ Hat Gott sein Volk verstoßen?“ (Röm. 11,1ff) Diese Frage verneint Paulus unter Hinweis auf 7000 Männer zur Zeit des Elija, „die ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben“. Gott hat sein Volk nicht insgesamt verworfen; die ihm treu Gebliebenen nämlich verwirft er nicht.

In diesem Sinne sagt Hallesby im Rückblick auf die Zeit des AT: „Die Verheißungen haben die ganze Zeit dem geistlichen Israel gegolten, nicht dem Israel nach dem Fleisch. Daher hat Gott das halsstarrige Volk wiederholt mit Verhärtung gestraft und nur einen kleinen Rest errettet, der jedoch zu jeder Zeit das wesentliche Israel, das eigentliche Gottesvolk war.“ (S. 58)

Also nicht die körperliche Abstammung ist entscheidend, sondern die Stellung, die jemand zu Gott einnimmt - er sei Jude oder Heide. Das wird von manchen Endzeitautoren übersehen und so getan, als ob Juden automatisch, unabhängig von ihrer Stellung zu Gott, einen besonderen Stand vor Gott haben. So warnt Malgo: „Wer den Versuch unternimmt, Israel mit irgendeinem anderen Volk zu vergleichen, befindet sich bereits auf einem Irrweg… . Es ist sogar so, daß der Herr denjenigen, die Israel auf gleiche Ebene wie andere Völker setzen wollen, schwerste Gerichte voraussagt: . . .“ (Schatten 153) Nun zitiert Malgo Hesekiel 25,8f und setzt fort: „Moab wurde also durch Kriegsgerichte gestraft, weil es Juda mit andern Völkern gleichstellte.“ Da müßten auch Jesus und Paulus von Gott gestraft werden, denn auch sie haben Juda „mit anderen Völkern gleichgestellt“ - indem sie klargemacht haben, daß ein Jude genauso wie ein Heide umkehren muß! Die von Malgo zitierte Stelle aus Hesekiel besagt etwas anderes: Moab wird nicht deshalb Gericht angekündigt, weil es gleichsam wie ein Wissenschaftler einen sachlichen Vergleich angestellt hat, sondern weil es sich gefreut hat über das Unheil, das über Juda hereingebrochen ist. Das geht aus den Versen davor klar hervor.

Malgo rechnet damit, daß die Juden Jesus bei seinem Wiederkommen anerkennen werden: „So nähern wir uns unaufhaltsam dem triumphalen Höhepunkt, daß zwei eins werden, Israel und sein Messias,“ (S. 121) Wie ganz anders lautet doch die Botschaft Malgos an Heiden, an solche also, die nicht an Jesus glauben. Er betont, daß „ein Ungläubiger … durch die unvergebene Sünde sowieso völlig von Ihm getrennt ist“ (Bibel 100). Daher die Warnung: „Wenn du in diesem unbekehrten Zustand bleibst, dann bist du für ewig verloren.“ (Israel 195f, ähnlich Bibel 87) Eine eindringliche Warnung! Eine solche Warnung scheint Malgo für Juden jedoch nicht bereit zu haben, diese seien Gott - so scheint es bei Malgo - auch ohne Bekehrung zu Jesus ganz nahe. Insofern erhält man den Eindruck, daß Malgo ein Sonderevangelium für Juden bereithält. Nach Malgo sind die Juden, auch ganz ohne Bekehrung zu Jesus, Gottes Eigentum: „Israel … ist Sein Eigentum.“ (Israel 118)

Nach Jesu Worten sollten jene Juden, die Moses ernst nehmen, eigentlich an Jesus als den Messias glauben: „Wenn ihr Mose glauben würdet, müßtet ihr auch mir glauben; denn über mich hat er geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben?“ (Joh 5,46f)

Steven Lightle zitiert Hosea 3,4f: „… Danach werden die Kinder Israel umkehren (zurückkehren) und den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, suchen und werden sich bebend zu dem Herrn und zu seiner Güte flüchten am Ende der Tage.“ (S. 143) Lightle setzt fort: „Die Erfüllung dieser Verheißung, die vor mehr als 2500 Jahren gegeben wurde, erleben wir in unserer Zeit mit.“ Dabei übersieht er, daß von einer wirklichen Umkehr zu Gott nichts zu beobachten ist. Weder in dem Sinn, daß die Zahl der orthodoxen Juden zunehmen würde, und schon gar nicht in dem Sinn, daß die Zahl derer, die Jesus als den von Gott gesandten Messias anerkennen, merklich zunehmen würde. c) Wie offen für Gott sind die Juden derzeit?

Bei Malgo hat man als Leser den Eindruck, daß die Juden ohnehin schon äußerst offen für Jesus seien. Er zitiert etwa David Flüsser: „Ich glaube sagen zu können, daß es heute keinen Juden mehr gibt, der etwas dagegen hätte, wenn Jesus der Messias wäre.“ (Israel 116f) Allerdings gibt es in Israel kaum einen Juden, der etwas dafür hat: Nämlich nur 0. 05 %! Die Messiaserwartung nimmt in Israel zu (Israel 118f), Israel ist bereits geläutert (S. 119), Israel wird heute geheiligt (S. 120), „die Entwicklung in Israel zu Jesus hin beschleunigt sich unaufhaltsam“ (S. 121) - so konnte Malgo schon 1974 feststellen. Knapp 2 Jahrzehnte später müssen wir leider registrieren, daß diese „beschleunigte Entwicklung“ doch nicht so unaufhaltsam ist. Wenn sie nämlich im gleichen Tempo wie bisher weitergeht, dauert es noch Jahrhunderte, bis ein nennenswerter Teil der in Israel lebenden Juden sich zu Jesus hin entwickelt! Bei Malgo jedoch sind die Juden bereits wesentlich christlicher als die Gemeinde: „Israel beginnt nach dem Wort zu hungern. Die Gemeinde mit ihren zum großen Teil modernen Theologen verleugnet das Wort.“ (S. 121) (Rechnet Malgo alle Namens-Christen zur Gemeinde?) „Das geistliche Erwachen in Israel wird immer offensichtlicher,“ (S. 194) Malgo weiter: „Bei wem will der Herr wohnen? Doch gerade bei denjenigen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind. Es liegt jetzt auf Israel ein Geist der Zerschlagenheit und der Demütigung.“ (S. 143) „Die Gegenwart des Herrn mitten in Israel ist eine solch starke Realität,“ (S. 181) „Der verborgene Messias ist in Israel gerade jetzt in seinem großen Leid wirklich gegenwärtig. Er geht von Haus zu Haus und tröstet die Trauernden und richtet die Müden und Resignierten wieder auf.“ (S. 244) Und das alles, obwohl sie ihn mit seinem Anspruch ablehnen!

Äußerst bedenklich ist auch, was Malgo über Gottes Zuwendung und Abwendung sagt: Jesus wandte sich von Israel, von Seinem Volk weg, weil es ihn nicht hören wollte.“ Daraufhin wurden wir Gläubigen aus den Heiden zum Tempel, … In unseren Tagen wendet sich Jesus vom geistlichen Tempel weg und wieder hin zu Seinem Volk Israel.“ (S. 121) Daran ist ungefähr die Hälfte falsch. Gott hat sich von Israel abgewandt? Durchaus nicht zur Gänze. Von jenen Israeliten, die Jesus annahmen, hat sich Gott niemals abgewandt. Die gläubigen Heiden wurden zu einem Tempel? Nicht alleine, sondern gemeinsam mit den an Jesus gläubigen Juden! Auch Petrus, Johannes und Paulus gehören zu dem Tempel, zu dem jetzt auch Malgo und Stuhlhofer gehören. Jesus wendet sich vom geistlichen Tempel weg? Das wird er niemals tun!

Wesentlich weniger positiv über die geistliche Verfassung der gegenwärtigen Juden schreibt Baar - obwohl dieser ja auch stark die Partei für Israel ergreift.“ Wenn es auch Israel auf politischem Gebiet heute etwas besser geht, seine Lage auf geistigem und religiösem Gebiet ist doch noch immer die gleiche. Um uns davon zu überzeugen, treten wir in eine Synagoge ein. Was sehen wir da anstatt eines levitischen Kultes? Eine Versammlung von Maklern, die während der öffentlichen Gebete kommen und gehen, spielende Kinder, Leute, deren Haltung Gleichgültigkeit und Verachtung verrät, Rabbiner, die alte Gebetsformeln ohne innere Teilnahme hersagen, Bitten und Lobpreisungen, die ihrem Gewissen und ihrem Herzen fremd bleiben.

Was studieren, was lesen israelische Kinder heute? Die Überlieferungen der Vorfahren, armselige Legenden, eitle Gesetze ihrer Talmud-Lehrer oder geisttötende Schriften des modernen UnglaubenS. Das Wort Gottes - sie besitzen es nicht einmal, höchstens Auszüge daraus gibt man ihnen in die Hand. Materielles Interesse nimmt sie ganz in Anspruch, … Die Decke bleibt auf ihrem Gesicht, wenn Mose gelesen wird;“ (S. 125)

16. Vorbehalte gegen grössere Vereinigungen

Der Christ steht in einer Spannung: Einerseits soll er für Versöhnung und Verständigung auch zwischen verschiedenen Weltanschauungen eintreten, sich aber andererseits insbesondere in religiöser Hinsicht davor hüten, mit allen Richtungen gottesdienstliche Gemeinschaft zu haben sowie alle Richtungen positiv zu beurteilen. Einerseits wird es der Christ befürworten, wenn Meinungsverschiedenheiten durch Verhandlungen ausgetragen werden und nicht durch militärische Mittel (wobei internationale Einrichtungen hilfreich sein können), andererseits weiß er, daß große Verbände auch viel Macht gewinnen und diktatorisch werden können (und im Extremfall ein Instrument des Antichristen darstellen können).

Auf diese Spannung hat Erich Lubahn hingewiesen: „Geboten scheint die Einheit der Welt, wenn man etwa an die Probleme der Umweltverschmutzung denkt, die nur weltweit und einheitlich zu meistern sind. Antichristliche Züge trägt die Welteinheitsbewegung deshalb, weil nach dem Zeugnis der Schrift sich der Antichrist der Einheitssehnsucht der Menschen zu seinem Vorteil bedienen wird. Darin liegt eine gewisse Tragik. Sie macht in besonderer Weise deutlich, daß vordergründig Nützliches und Gutes in der Welt sich am Ende doch negativ auswirkt. Warum ist das so?

Es wird deutlich, daß der Mensch seine Probleme im tiefsten nicht ohne die Erlösung durch Jesus zu lösen vermag. So führt nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gute ohne Jesus hin zum Antichristen.“ (in seinem Buch Was kommt auf uns zu? Apokalyptik - Endzeitfragen, Metzingen 1987, S. 46)

Nehmen wir einmal an, der Antichrist wird nicht aus der UNO hervorgehen bzw. wird nicht die UNO als Machtbasis verwenden. Dann haben jene Christen, die die UNO in Verbindung mit dem Antichristen sahen und deshalb äußerst negativ beurteilten, den im Rahmen der UNO abgelaufenen Bemühungen um den Frieden eigentlich unrecht getan. Daß es oft auch der UNO nicht gelingt, Frieden zu schaffen, und daß bei Beschlüssen der UNO oft unsachliche Gesichtspunkte mitwirken, will ich nicht leugnen. Aber das prinzipielle Bemühen ist jedenfalls anzuerkennen.

Schon vor Jahrzehnten beobachteten Christen argwöhnisch jede Vereinigung, die eine gewisse Größe und Macht erreicht, weil ja aus ihr irgendwann einmal der Antichrist hervorgehen könnte: „Wenn ich recht sehe, wird sich aus dem jetzigen Völkerbund der zukünftige Zehnstaaten-Bund entwickeln, an dessen Spitze der Antichrist stehen wird.“ (Heitmüller 32)

Mittlerweile gibt es den Völkerbund nicht mehr, aber wir beobachten weiterhin insbesondere im Rahmen der Endzeitliteratur ein argwöhnisches Mißtrauen gegenüber allen größeren Organisationen, wie UNO oder EG - denn wer zu groß wird, könnte ja einmal die Basis für den Antichristen darstellen!

17. Einfluss auf politische Entscheidungsträger

Manche Evangelikale haben Kontakt zu wichtigen Politikern. Das wohl prominenteste Beispiel ist Billy Graham, der enge Kontakte zu mehreren US-Präsidenten (inklusive George Bush) hatte. In einem solchen Fall ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ein Evangelikaler Einfluß auf die Politik hat, wobei dann natürlich auch seine spezielle Endzeitsicht mitspielt.

Wenn z. B. Graham amerikanischen Präsidenten und anderen Verantwortlichen den Eindruck nahelegte, es bei Verhandlungen mit dem sowjetischen Generalsekretär mit dem Antichristen oder zumindest seinem unmittelbaren Vorläufer zu tun zu haben, so bedeutet das einen Einfluß, der in Richtung geringstmögliche Kooperation geht. Dieser Einfluß beruhte - soweit wir das heute abschätzen können - eigentlich auf einem Irrtum. Wenn bei heiklen politischen Entscheidungen neben realen Faktoren noch irrtümliche Bibelauslegungen mitspielen, so kann das verhängnisvoll sein. Es geht mir hier nicht so sehr konkret um Graham und um die Frage, ob er tatsächlich Einfluß auf bestimmte Präsidenten hatte. Die Frage, von wem jemand beeinflußt wurde, wird sich ohnehin kaum mit Sicherheit beantworten lassen. Aber prinzipiell ist auch an die Möglichkeit zu denken, daß ein Endzeitautor auf politische Entscheidungsträger Einfluß ausübt. Insbesondere in Verbindung mit Israel fordern manche Autoren ja sogar ganz bestimmte, konkrete politische Entscheidungen.

Dieser Aspekt darf allerdings nicht überschätzt werden. Nur wenige Evangelikale, somit auch nur wenige evangelikale Endzeitautoren, haben eine so anerkannte Stellung, daß sie auf politische Entscheidungsträger Einfluß ausüben könnten.

Doch abgesehen von der Möglichkeit eines direkten Einflusses ist noch folgendes zu bedenken. Wenn ein Endzeitautor viele Menschen eines demokratischen Landes beeinflußt, dann wirkt er damit indirekt auch auf Entscheidungsträger, die ja wiedergewählt werden wollen und daher auf verbreitete Anliegen Rücksicht nehmen müssen. Wir müssen also auch mit der Möglichkeit eines indirekten Einflusses rechnen.

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