Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 6. Sonntag nach Epiphanias
Evang. Matth. 17, 1 - 9
Verklärung Christi.
Sonst sehen wir den Heiland in den Evangelien immer in armer Knechtsgestalt umherwandeln, unter Armen, Kranken, Elenden und Krüppeln. Heute erblicken wir Ihn in Seiner herrlichen himmlischen Gestalt, als verklarten Gottes-Sohn auf dem Berge. Er ist überall schön und herrlich. Ja, wenn Er Sich immer auf Erden nur so, wie heute auf dem Berge in Herrlichkeit gezeigt hätte, würden wir nicht so viel Muth und Freude haben, als wir nun haben, da wir Ihn gewöhnlich unter den Elenden und Sündern in Knechtsgestalt, so leutselig und voll Erbarmen finden, wie Er die Kranken heilt, die Sünder annimmt, die vom Satan Ueberwältigten befreit, die Unwissenden lehrt, die Traurigen tröstet, die Schwachen trägt und stärkt und Allen Alles ist. Und wenn wir Ihn nicht auch auf Golgatha am Kreuze und in Gethsemane in blutiger Todesangst fanden für unsere Sünden, wir würden verzagen und Seine Herrlichkeit auf Tabor würde uns zerdrücken. Darum singt ein Gläubiger:
„Wenn ich auf Augenblicke
Auf Tabor dürfte steh'n,
Ich würd' doch bald zurücke
Nach Golgatha hinseh'n.“
Nun haben wir beide Blicke: in Sein Leiden und in Seine Herrlichkeit. In beiden Gestalten hat Er Sich uns geoffenbaret, und das macht unsere Freude vollkommen. Wir sehen Ihn herrlich, himmlisch, göttlich aus Tabor, und denselben als den Allerunwerthesten und Verachtetsten am Kreuze erbleichen und für uns sterben. Das giebt uns Muth und Vertrauen. Denn da der Sterbende eine so hohe und herrliche Person ist, was muß Sein Leiden uns austragen! Darum lasset uns Ihn heute nur recht ansehen in Seiner Herrlichkeit, Seinem Tode und Seiner Auferstehung werden. Darum geschah das erst im Stillen. ,Verklart wurde Er sehr heimlich, erniedrigt, geschmäht und gekreuziget wurde Er öffentlich vor aller Menschen Augen. So werden die Wunder der Gnade und Herrlichkeit uns sehr heimlich und verborgen im Innersten der Seele mitgetheilt, aber geschmäht und gelästert, erniedrigt und verfolgt werden wir öffentlich und laut vor aller Welt.
Und nach sechs Tagen nahm Jesus zu Sich Petrum und Jacobum und Johannem, dessen Bruder, und führte sie beiseits auf einen hohen Berg. Und ward verkläret vor ihnen, und Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Warum Jesus nur diese drei, und gerade diese drei zu Zeugen Seiner Verklärung nahm, ist wohl (unter anderm was wir nicht wissen) die Ursache diese, daß erstens in zweier oder dreier Zeugen Mund alle Wahrheit stehet, zweitens: weil diese wohl die eifrigsten, theilnehmendsten und vertrauenswürdigsten waren und drittens: weil sie nachher auch die nähern Zeugen Seiner Leiden und Todesangst am Oelberg seyn sollten und waren. Wer mit Jesu auf Tabor zu stehen kommt, und Seine Herrlichkeit hier schon zu schauen und zu schmecken bekommt, wie diese drei Jünger, der muß hier auch mit Ihm an den Oelberg und an das Kreuz, muß als Mitgenoß Seiner Verklärung auch Mitgenoß Seiner Erniedrigung und Marter werden; wie Paulus, der im dritten Himmel war und unaussprechliche Dinge hörte und sah, aber auch sagen konnte: Ich bin mit Christo gekreuziget, ich habe einen Pfahl im Fleische, den ich nicht wegbeten kann; wir haben allenthalben Trübsal, wir tragen um allezeit das Sterben Jesu, werden immerdar in den Tod gegeben. 2 Cor. 4, 8.
Er führte sie beiseits auf einen Berg. Er wollte Seine Herrlichkeit nicht öffentlich vor allen Leuten, selbst nicht vor allen Seinen Jüngern zur Schau ausstellen. Sie mußte zwar offenbar werden, aber nur durch Zeugen, und nur vor so vielen, als gesetzlich nöthig waren, und allgemein bekannt sollte sie durch diese erst nach Seinem Tode und Seiner Auferstehung werden. Darum geschah das erst im Stillen. Verklärt wurde Er sehr heimlich, erniedrigt, geschmäht und gekreuziget wurde er öffentlich vor aller Menschen Augen. So werden die Wunder der Gnade und Herrlichkeit uns sehr heimlich und verborgen im Innersten der Seele mitgetheilt, aber geschmäht und gelästert, erniedrigt und verfolgt werden wir öffentlich und laut vor aller Welt.
Die Verklärung und Verwandlung Seines Angesichts in ein Sonnenangesicht, und Seiner Kleider in ein Lichtgewand sollten den Jüngern und uns zeigen, wie Er eigentlich aussieht, wie Seine natürliche Gestalt ist, die Ihm gebührt, auf daß wir Ihn desto mehr in Seiner Erniedrigung und Knechtsgestalt erkennen als Bürgen und Versöhner unserer Sünden. Ist das der, müssen wir ausrufen, wenn wir Ihn am Oelberge und auf Golgatha erblicken, ist das der, der auf Tabor wie die Sonne glänzte, dessen Kleid wie Himmelslicht strahlte? So hat sich dieser Herrliche, Verklärte, dessen Glanz und Herrlichkeit nicht zu ertragen war, so hat Er sich erniedrigt! solche Schmach und Verachtung, solche Schmerzen und Wunden, solches Kreuz hat Er auf sich genommen! Was trieb Ihn doch aus jener Taborsherrlichkeit in solche Leiden und Schmach hinein, wenn nicht Liebe und Erbarmen zu uns Armen und Elenden? Warum ließ sich dieser glänzende, anbetungswürdige Gottes-Sohn so verwerfen, anspeien, schlagen und kreuzigen? Darum, sagt der Prophet: auf daß wir Friede hätten, daß wir auch Seiner ewigen Herrlichkeit theilhaftig, auch verwandelt und verklärt werden in dasselbige Bild von einer Verklärung zur andern. 2 Cor. 3, 18. Ja, wie Er Selbst betet: „auf daß sie meine Herrlichkeit sehen, und die Liebe, womit du mich liebest, sey in ihnen und ich in ihnen. Joh. 17.
Wie wird Er dorten, im Reich Seiner Herrlichkeit glänzen, wenn Er hier im Fleisch auf Tabor schon so schön war. Und wie wird uns seyn, wenn wir Ihn sehen werden, wie Er ist? - Doch wer eine solche Hoffnung hat, der wälzt sich nicht im Kothe, sondern reinigt sich, gleichwie Er rein ist. 1 Joh. 3, 1 - 3.
Und siehe, da erschienen ihnen Moses und Elias und redeten mit Ihm. Was haben diese hier zu thun? Sie sollen auch Seine Zeugen seyn vor den Jüngern, daß Er der ist, den sie prophezeiten, auf den sie warteten, daß man nicht an ihnen hangen bleiben, nicht bei ihnen stehen bleiben, sondern an Ihn glauben soll, daß Er Herr und Heiland, der Sohn des Hauses, sie nur Knechte seyen. Das ist den Jüngern gewiß aufgefallen, welch ein Unterschied ist zwischen Ihm und diesen Beiden, wie groß Er und wie klein sie sind gegen Ihn; wie viel größere Klarheit Christus, das neue Testament, als Moses und Elias, das alte Testament hatte. 2 Cor. 3, 8. So mußte der Jude in den Jüngern ein Christ werden im Angesichte Mosis und Elias. So mußte Christus in ihnen wachsen und Moses abnehmen.
Petrus aber antwortete und sprach zu Jesu: Herr, hier ist gut seyn; willst Du, so wollen wir hier drei Hütten machen, Dir eine, Mosi eine und Elias eine. Wo bleibt denn die deine? du vergissest dich selbst vor Freude und Friede. Du bist schon zufrieden auch ohne Hütte. O Petrus! o Petrus! der Herr hat dich erst einen Teufel geheißen, und nun ist dir schon wieder so wohl, daß du Alles vergißt, und nun nur gleich im Himmel bleiben möchtest! So geht's von Tiefen zu Höhen, und von Höhen zu Tiefen, Berg auf, Berg ab, nicht wie das Fleisch und die Eigenliebe will, sondern wie der arme Mensch es nöthig hat. So möchte man es ja freilich immer haben, wie in den ersten Gnadentagen, wenn Jesus herrlich im Herzen erscheint, und Seine Gnadenherrlichkeit in lauter Vergebung der Sünden und Ausgießung Seiner Liebe und Seines Geistes im Herzen sich offenbart. Da sieht man sich hoch auf dem Berge, und möchte nicht mehr herunter. Man fühlt sich im Himmel und will nicht mehr heraus. Aber so bleibt's noch nicht. Der arme, nun so reiche und selige Petrus muß wieder herunter vom hohen Berge, muß an den Oelberg, muß in des Hohenpriesters Hof, muß in's Feuer der Prüfung, muß offenbar werden, was er eigentlich ist, daß er noch nicht so heilig und lauter ist, daß er schon in den Himmel, in die ewigen Hütten taugt; er muß erst bitterlich weinen, muß erst den gebundenen, verdammten, zergeißelten, gekrönten und gekreuzigten Jesus sehen; muß erst ein Examen bestehen: „Petrus! hast du mich lieb?“ - Und dann geht's noch nicht gleich nach Tabor zurück und in den Himmel hinein, sondern da heißt es erst: „Da du jünger warest, gürtetest du dich selbst, und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein Anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst? Joh. 21, 18. d. h. Petrus mußte erst viel leiden und endlich des Martertodes sterben. Das Alles folgt auf hie Tabors-Augenblicke, die man gleich so gern verewigen möchte. Selig ist, wer sich daran nicht ärgert. So kann eine Seele, die schon so herrlich und selig, mit Jesus und Moses und Elias in den Himmel versetzt sich fühlte, wieder herunter müssen, ihre Schwachheit, Untreue und Sündhaftigkeit erfahren, wie Petrus, kann wieder verläugnen, schwören und fluchen: ich kenne den Menschen nicht. Wie, Den nicht, den du auf Tabor mit Moses und Elias sahest, der dir so herrlich sich offenbarte? - Ja, so geht es jedem armen Petrus, der nicht wacht, nicht betet am Oelberge, der auf sich vertraut, viel verspricht, und nicht Kraft hat zu halten. Doch läßt der Herr solche armen Seelen nicht, wenn sie weinen, Er läßt sie zuerst und vor allen Andern wieder grüßen am Auferstehungsmorgen.
Da Er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören! Da kriegt Petrus die Antwort auf seinen Vorschlag, aus dem Himmel. Da wird ihm und allen Menschen gesagt, was diese Verklärung, diese Herrlichkeit und dieser selige Genuß der himmlischen Seligkeit auf diesem Berge zu bedeuten und zu sagen habe. Da erklärt der Vater vom Himmel herab Jesum als Seinen Sohn, auf dem Sein Wohlgefallen ruht, und den die ganze Welt hören und Ihm folgen soll. Nicht Hütten bauen, sondern auf Jesum schauen, Ihm nach durch Kreuz und Schmach; Sein Wort hören, glauben, beobachten, das ist des Vaters Wille und Gebot. Das war das Zeugniß Gottes des Vaters, das Er schon am Jordan bei der Taufe Johannis öffentlich gegeben hat von Seinem Sohne, hier besonders noch den drei auserwähltesten Zeugen: daß nämlich Jesus Christus Gottes Sohn und der Welt Heiland sey, dessen Wort allein gelte, gehört und geglaubt werden müsse. Darum schreibt hernach Petrus 2 Br. 1,16. „Wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund gethan haben die Kraft und Zukunft unsres Herrn Jesu Christi, sondern wir sind Augenzeugen Seiner Hoheit gewesen, da Er empfing von Gott dem Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die zu Ihm geschah von der majestätischen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe! Und diese Stimme haben wir gehöret vom Himmel gebracht, da wir mit Ihm waren auf dem heiligen Berge.“ Das ist ein fester Grund, der Grund der Apostel, auf den sie baueten, und auf den auch wir bauen. „Bei diesem Grunde will ich bleiben, so lange mich die Erde trägt -.“ Wer aber bei diesem Grunde bleibt, d. i. Jesum als den einzig wahren wohlgefälligen Sohn Gottes hält, der muß es dadurch beweisen, daß er Ihn hört, Sein Wort als die Regel und Richtschnur seines Glaubens und Lebens, Redens und Handelns gelten läßt und sich daran hält ewiglich. Bei jedem Worte Jesu im Evangelio soll uns die Stimme des Vaters in die Ohren und Herzen tönen: „Den sollt ihr hören!“ Das heißt so viel als „was Er euch sagt, das thut,“ glaubt, hofft und liebt.
Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht, und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührete sie an, und sprach: Stehet auf, und fürchtet euch nicht. Wie schwach! Vorher so selig, so fröhlich, jetzt so furchtsam, so erschrocken da der Vater redet und Seinen Sohn empfiehlt! Der arme Mensch, der arme Sünder kann nichts aus dem Himmel hören oder sehen ohne sich zu fürchten und zu erschrecken, und es kommt doch aus seiner Heimath! er soll und will doch dahin! - Darum muß es noch anders mit uns werden, und wir müssen ganz von oben herab geboren werden, wenn wir ohne Furcht und Schrecken von oben etwas sehen und hören wollen. Nur wenn Jesus kommt und die Furchtsamen anrührt und tröstet, dann erholen sie sich wieder. Aber wen Jesus nicht anrührt und tröstet, der kann des Vaters Stimme nicht ertragen. So muß Er in Allem unser Mittler seyn.
Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie Niemand als Jesum allein. Er ist genug, mag Moses und Elias immer verschwinden, mag selbst der Vater Sich uns noch verbergen, wenn wir nur Sein Wort, wenn wir nur Jesum haben. Jesum allein erblicken und haben ist genug. Wer noch mehr sieht neben Jesum, der sieht zu viel, und hat eben darum Jesum nicht, wie er Ihn haben soll. - allein. Mögen alle Gesichte und Offenbarungen, Tabors Herrlichkeiten und Seligkeiten, und was genannt werden kann, verschwinden, wenn nur Jesus uns bleibt.
Und da sie vom Berge herabgingen, gebot ihnen Jesus, und sprach: Ihr sollt dies Gesicht Niemand sagen, bis des Menschen Sohn von den Todten auferstanden ist. Alles, selbst die Wahrheit hat ihre Zeit, wann sie gesagt, und nicht gesagt werden muß. Du mußt nicht jede Offenbarung der Gnade und Liebe Jesu, die dir geworden ist, sogleich Andern und Allen mittheilen, wenn du sie nicht verlieren willst; sondern warte bis es Zeit ist, bis es einen Zweck hat, wo du nicht mehr dich und deine Ehre, sondern nur des Herrn Willen und Ehre im Auge hast und haben sollst. Es wäre gewiß zur Unzeit gewesen und hatte viel geschadet, wenn die Jünger gleich diese Geschichte, so wahr sie war, bekannt gemacht hätten. Sie mußten es erst für sich behalten und in ihren Herzen wirken lassen, sie mußten erst die ganze Geschichte erleben und Alles mit Ihm erfahren, dann konnten und durften sie erst Alles sagen und schreiben.
O Herr Jesu! verkläre Dich auch in uns Allen, und gieb, daß wir Dich hören, Dir glauben, bei Dir allein bleiben, Dir allein vertrauen und Dich in Allem verherrlichen wögen. Amen.