Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 4. Sonntag nach Epiphanias
Evang. Matth. 8, 23 - 27.
Jesus stillt den Sturm des Meeres.
Jesus hatte Seine Jünger schon oft Zeugen seyn lassen, wenn Er dem Glauben half und Wunder that an Andern, welche Noth und Elend zu Ihm trieb, weil sie Glauben hatten, daß ihnen Jesus helfen könne. Nun sollten aber die Jünger selbst in diese Schule geführt werden, selbst glauben lernen, selbst in Noth kommen, die den Glauben in ihnen erwecken, und sie in demselben üben sollte. Dazu wählte der Herr das Meer, Sturm und Gefahr.
Bisher ging es auf ebenem Boden und festem Lande, da laßt sich noch leichter glauben. Aber nun hieß es: auf's Meer, das keine Balken hat, und in die Meeresstürme hinein, wo kein Anker hält, als der Glaube an Gott. Nun mußte der Glaube geprüft werden.
Und Er trat in das Schiff und Seine Jünger folgten Ihm, ohne zu wissen wohin, und was da kommen würde. Der Jünger muß dem Meister nach, es gehe hin, wohin es wolle. Geht der Meister mit und voran, so darf dem Jünger nicht bange seyn, der Meister steht dafür. Hätten sie vorher gewußt, in welche Gefahr Er sie führte, sie würden Ihm kaum gefolgt seyn, wenigstens viele Einwendungen gemacht haben. Aber der Herr fuhrt uns mit verbundenen Augen, Er läßt uns nicht vorhersehen, was da über uns kommen wird, sonst würden wir wohl auch oft nicht in die Dinge hineingehen und. uns einlassen mit Ihm und Seiner Sache.
Und siehe, da erhob sich ein groß Ungestüm im Meer, also, daß auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward. Fürchten sich denn die Stürme auf dem Meere nicht vor ihrem Herrn und Schöpfer, wenn Er auf dem Meere fährt und mit Seinen Jüngern im Schifflein ist? Allerdings nicht. Er ruft sie vielmehr und läßt sie wehen. Ist auch ein Unglück in der Stadt und auf dem Meere, das der Herr nicht thut? Er heißt die Winde wehen, wenn Er sie braucht die Seinen zu prüfen. Oft ist das Schifflein worin Jesus mit Seinen Jüngern ist, mit Wellen bedeckt, und Ungestüm droht ihm den Untergang. Das war nun ein Vorbild von allen den Stürmen der Verfolgungen und Versuchungen, die innerlich und äußerlich über die Kirche Christi im Allgemeinen, und über die Gemeinden und einzelnen Christen kommen. Welche Stürme der grausamsten Verfolgungen kamen die ersten drei Jahrhunderte über die Kirche Christi! Wie oft war das Schifflein mit Wellen bedeckt! Und wo wäre ein Christ, der nicht in solche Stürme käme, und nicht dieselbe Erfahrung machte, daß gar oft die Wellen der Versuchungen und Anfechtungen über dem Schifflein seiner Seele zusammenschlagen und es ganz bedecken, daß nichts zu sehen ist? Wer hat sich je mit Jesu eingelassen, und ist nicht von Ihm über's Meer geführt worden, und nicht in Stürmen der Anfechtungen nahe an Schiffbruch gekommen? Wer hat je im Reiche Gottes zur Ehre des Herrn, und zum Heile der Menschen etwas unternommen, ohne daß die Welt und der Satan dagegen ein Ungestüm erhob, dagegen stürmte und raste, und das Schifflein, das Werk, das Unternehmen mit Wellen und Wogen der Lästerungen und Schmähungen, ja mit thätlichen, gewaltsamen Verfolgungen bedeckte? Wer, wenn Jesus in's Schiff steigt, Ihm folgt, der kommt nicht ohne Sturm über das Meer seines Lebens.
Und Er schlief. Das ist das ärgste. Es stürmt, es tobt das Ungestüm so sehr, und Er nimmt sich nicht der Seinen an. Er kann schlafen oder zu schlafen scheinen, als wüßte Er nichts oder wollte Er nicht wissen um die Gefahr der Seinen, die doch im Vertrauen auf Ihn mitgegangen sind, sich in die Gefahr begeben haben - die wohl sicher wurden, weil Er auf dem Schiffe war und dachten, nun hat es keine Gefahr. Wenn man im Anfang den Herrn so nahe hat, und Seinen Beistand so kräftig fühlt, so wird man nach und nach lau und sicher, läßt nach im Gebet und Wachen; wird schläfrig und schläft, und da ist's denn, wenn ein Sturm kommt, als wenn Jesus schliefe; als wenn der Heiland wie todt wäre, und sich gar nicht mehr um uns bekümmere. Aber der Hüter Israels schläft und schlummert nicht, Er wacht doch über die Seinen, wenn Er auch zu schlafen scheint, und wir meinen, Er bekümmre sich nicht um uns. O nein! das kann Er nicht, in Seine Hände sind wir gegraben. Kein Haar auf unserm Haupte ist vergessen. Er will nur geweckt seyn. Gebet kann Ihn wecken - und das will Er, wir sollen Ihn anrufen, wir sollen zu Ihm kommen in der Noth, wir sollen fühlen, daß wir ohne Ihn verlorene Leute sind.
Und die Jünger traten zu Ihm, und weckten Ihn auf, und sprachen: Herr, hilf uns, wir verderben! Das ist das einzige Mittel in aller Noch: zu Ihm hintreten, sich in's Gebet begeben; Ihn aufwecken durch dein gläubiges, zuversichtliches Gebet. Schreie zu Ihm in deinem Herzen, aus der Tiefe deiner Seele, wie der Psalmist. Sollte Der nicht hören, der das Ohr gemacht hat? Wenn ein ungerechter Richter, der weder Gott noch Menschen fürchtet, endlich hört und erhört ein armes Weib um ihres unablässigen Bittens willen, sollte der Barmherzige und Gnädige nicht hören Seine auserwählten Kinder, die Tag und Nacht zu Ihm schreien? Luc. 18. Wenn keine Noth da ist, giebt es kein Drang-Gebet, kein ernstliches Rufen zum Herrn. Nur die Noch lehrt beten. Wir fühlen unsere Abhängigkeit, unser Nichts, unsere Ohnmacht und Schwäche nicht im gewöhnlichen Leben, erst wenn die Noth, Trübsal, Gefahr an unsere Thüre klopft und bei uns einkehrt, da werden wir gewahr was wir sind, und daß wir gar nichts vermögen, daß jede Kleinigkeit uns niederwerfen kann, ohne daß wir wieder aufstehen können; daß wir beim Sturm auf unsern eigenen Beinen nicht stehen können, und uns nirgend halten und stützen können als allein am Herrn. Ist keine Noth und Gefahr da, so lassen wir den Herrn schlafen und schlafen mit, d. h. wir wähnen Ihn nicht so zu bedürfen, Seine Nähe nicht so nöthig zu haben, als wenn es auch ohne Ihn ginge. Bei günstigem Winde ließen die Jünger Ihn ruhig schlafen; aber beim Sturm fühlten sie bald mit Schrecken die Nothwendigkeit Seines Wachens und Seiner Hülfe. Ist Er aber nicht immer der Erhalter, der Leben und Odem und Alles giebt, auch wenn es gut geht, wenn keine Gefahr da ist? Giebt Er nicht auch den guten Wind, der das Schifflein forttreibt, das es sicher segelt? Das merkt man nicht, glaubt es nicht, dankt nicht dafür, darum muß Er Sich schlafen legen, d. h. Seine fühlbare Nähe entziehen, muß Stürme und widrige Winde kommen lassen; Untergang und Verderben muß uns drohen, damit wir sehen, daß Er es ist, der uns erhalten und erretten kann, damit wir nach Seiner Gegenwart und Nähe uns umsehen, und erkennen, es geht nicht ohne Ihn. Er muß aufstehen und Seine Macht zeigen in uns, oder wir verderben. O so lasset den Herrn nicht schlafen in euren Herzen, wecket Ihn stets vor der Gefahr, betet zu Ihm ohne Unterlaß, so wird die Gefahr nicht so schrecklich und verderbendrohend seyn. Wer sagen kann: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil,“ kann auch sagen: „Vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“ Ps. 27. „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hülfe in den großen Nöthen, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenn gleich die Welt unterginge, und die Berge mitten in's Meer sänken, wenn gleich das Meer wüthete und wallte, und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben.“ Ps. 46, 1 - 5. Ja, wenn du wachst, so schläft der Herr auch nicht, du kannst sagen: „Ich habe den Herrn allezeit vor Augen, denn Er ist mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben.“ Ps. 16, 8.
Da sehen wir an den alten Glaubenshelden der Bibel, daß, wenn man den Herrn nicht einschlafen, d. i. den Glauben an den Herrn, das Gebet zu, und den Umgang mit dem Herrn nicht schlafen oder matt und müde werden läßt, so steht man furchtlos in Gefahr und Stürmen von außen und innen. Doch wenn wir denn auch, wie die Jünger, es versehen und versäumt haben, wachsam zu bleiben, und vergessen haben, daß wir den Herrn bei uns haben, und erst die Gefahr uns aufwecken muß, so ist doch nicht Alles verloren, der Herr ist noch nahe, in unserm Schifflein; ein Schrei der Noth: „Herr, hilf, wir verderben!“ kann Ihn wecken. Augenblicklich wacht Er auf, schilt und spricht:
Ihr Kleingläubigen, warum seyd ihr so furchtsam? Und in demselben Augenblick steht Er auf, und bedräuet den Wind und das Meer; da wird es ganz stille. Sieh doch, wenn Er auch schläft, so ist er doch nahe, mit Seiner Hülfe nahe, wenn Er nur in deinem Schifflein, in deinem Herzen schläft, wenn du nur weißt, Er ist da, und nicht meinst, du müssest Ihn über den Wolken, im hohen Himmel suchen und herabholen. Er stillt zuerst den Sturm in den Jüngern, und dann den Sturm außer ihnen auf dem Meere. Denn die innern Stürme des Zweifels, des Unglaubens oder Kleinglaubens, Mißtrauens, sind gefährlicher als die äußern. Darum wendet sich der Heiland zuerst zu den Jüngern, und schilt ihren Kleinglauben und ihre Furchtsamkeit, und spricht ihnen dadurch Muth und Glauben zu. Unverzagt und ohne Grauen muß der Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen. Von der innern Noch muß zuerst geholfen werden. Wir aber meinen, die äußere müsse zuerst entfernt werden, der Sturm auf dem Meere müsse zuerst gestillt werden. Nein, wenn im Herzen Friede, Glaube, Zuversicht, Stille und Ruhe im Herrn ist, kann kein äußeres Uebel, es sey noch so groß, schaden oder Verderben bringen. Alle Dinge müssen denen, die Gott lieben, zum Besten dienen. Der äußere Sturm des Meeres, das heftige Toben des Windes hat Er bald gestillt, denn es muß Ihm Alles gehorchen, alle Dinge sind Seine Knechte, Er hat Alles in Seiner Hand. Es darf uns nichts schaden, nichts länger gegen uns wüthen und toben, als Er es erlaubt. Er hat die Stille bald hergestellt, wenn auch alle Elemente in Aufruhr sind. O daß es nur an der Herzensstille nicht fehlte, daß nur der Glaube nicht aufhöre und der Furcht Platz mache! Wo Glaube ist, da ist Furchtlosigkeit, Muth, Stille und Friede, aber wenn der Glaube sinkt, sinkt das Schifflein, und wird hin und hergeworfen von den Wellen des stürmenden Meeres.
Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, daß Ihm Wind und Meer gehorsam sind? Ja, das ist der Mann, der im Anfang war und bei Gott war und Gott war, der Mann, durch den alle Dinge gemacht sind, und ohne den nichts gemacht ist, was da ist. Das Meer und Alles was darinnen ist, so wie Himmel und Erde und alle Kreaturen haben diesem Manne ihr Daseyn zu danken, und sind durch Ihn, und bestehen in Ihm, und Er ist vor Allem, der allen Leben und Odem und Alles giebt. Das sahe man Ihm aber nicht an; nur wenn Er sprach und handelte, blitzte Seine Allmacht und Allgewalt durch und verrieth Ihn, daß Er mehr ist, als alle Sterbliche sind. Das ist der Mann, an den wir gewiesen sind, durch den wir allein selig werden können, wenn wir an Ihn glauben, und zwar so an Ihn glauben, wie Er der Allerschwächste und Verachtetste war, wie Er Blut schwitzte und durchbohrt an Händen und Füßen am Kreuze unsere Sünden trug, Tod und Teufel überwand, und durch Seine Auferstehung Leben und unvergängliches Wesen an's Licht brachte. Verwundert euch nicht, daß Ihm Wind und Meer gehorchen, das ist das kleinste Seiner Werke; verwundert euch, daß Er gehorsam ward bis zum Tode am Kreuze, daß Er unsere Sünden trug, und sich für uns in's Angesicht speien und schlagen, sich geißeln und mit Dornen krönen ließ. Das ist das größte Wunder Seiner Liebe und Barmherzigkeit, welches vor Allem bewundert, geglaubt und ewig unvergeßlich bleiben muß. Darum ist Er auch der Mann, dem die Winde und Stürme, die sich in dir und deinem Herzen erheben, gehorchen müssen, wenn du dich zu Ihm wendest, der dir allein Ruhe und Stille geben, und dich in allen Gefahren retten kann. Darum darfst und sollst du dich auch in aller Noth zu diesem Mann der Schmerzen wenden, denn Er ist dir durch Seine Noth am Oelberg und Kreuze von Gott gemacht zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Amen.
Laß die Wellen immer schwellen,
Wenn du nur bei Jesu bist.
Er wird machen, daß die Sachen
Gehen, wie es heilsam ist.
Wer sich kränket, weil er denket,
Jesus liege in dem Schlaf,
Wird mit Klagen nur sich plagen,
Und das ist des Unglaubs Straf'.