Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 1. Sonntag nach Epiphanias
Luc. 2, 41-52
Der zwölfjährige Jesus in Jerusalem auf dem Osterfeste.
Alle Mannspersonen in Israel mußten auf die großen Feste nach Jerusalem kommen; 2 Mos. 23, 14. Frauen pflegten auf Ostern mitzugehen, Knaben vermuthlich mit dem zwölften Jahre; darum nahmen die Eltern Jesu ihren Sohn Jesum, als Er zwölf Jahr alt war, auch mit, und Er ging gewiß gern mit. Was ist Schöneres als die kirchlichen Festtage, und die gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeinden an denselben? Waren sie schon schön und herrlich im alten Bunde, da die Gedächtnißtage der großen Thaten Gottes, die dem Volke Israel geschehen sind (z. B. die Ausführung aus der Dienstbarkeit Egyptens durch das rothe Meer, die Gesetzgebung und andere wunderbare Erfahrungen), gefeiert wurden: - wie viel schöner und herrlicher sind unsere christlichen Feste und Gedenktage an die Geburt, den Tod, die Auferstehung und Himmelfahrt und Geistessendung Jesu! Wer sollte da zurückbleiben, und nicht gern mit allen Gläubigen sich versammeln, um die großen Thaten Gottes zu hören, zu preisen, und sich auf seinen allerheiligsten Glauben mehr zu gründen!
Da sie, die Eltern Jesu, nun die Tage vollbracht hatten, und wieder heimgingen, da ist merkwürdig erstens: das Zurückbleiben Jesu und Sein Verweilen im Tempel; zweitens: das Suchen und Finden Jesu von Seiten der Eltern; drittens: ihre Anrede und Seine Antwort; viertens: das stille Betrachten der Worte Jesu von Selten der Maria; fünftens: Seine Unterthänigkeit zu Nazareth, so wie Sein Wachsthum.
Der Knabe Jesus blieb zurück zu Jerusalem, und Seine Eltern wußten es nicht. Sie meinten aber, Er wäre unter der Reisegesellschaft, und kamen eine Tagereise. Er hat sich über Sein Zurückbleiben ohne sie nachher hinlänglich gerechtfertigt: aber sie konnten sich über ihre Abreise ohne Ihn nicht rechtfertigen; sie haben offenbar zu wenig auf Ihn gesehen, und sind zu sicher hingegangen und zwar so weit, eine Tagereise! Ohne Jesum muß man nicht gehen und nirgends bleiben; wo Er hingeht, will ich auch hingehen, wo Er bleibt, will ich auch bleiben, muß es heißen. Ohne Ihn keinen Schritt, geschweige eine Tagereise weit. Auf Ihn, auf Seine Gegenwart müssen wir sehen, wie die Israeliten auf die Wolken- und Feuersäule bei Tag und Nacht. Wenn sie sich erhob, gingen sie; wenn sie stille stand, blieben sie auch stehen; sie richteten sich ganz nach ihr mit unverwandtem Auge. Sie war das Signal, das Zeichen zum Aufbruch und zum Stillestand. Jesus ist uns noch mehr und noch näher, Er ist in uns; Sein Naheseyn, Sein Friede, Sein Geist, Seine Salbung ist mehr, heller, bedeutender, leuchtender als die Wolken- und Feuersäule bei dem Heere Israel.
Drum merke dir, mein Herz, das Wort:
Wenn Jesus winkt, so geh'.
Wenn Jesus zieht, so eile fort,
Wenn Jesus hält, so steh'.
Sie suchten Ihn unter den Gefreundten und Bekannten, weil sie meinten, Er wäre in der Reisegesellschaft. Das hätten sie nicht nur meinen sollen; man muß gewiß wissen, wo man seinen Jesum hat, man muß sich nicht mit bloßem Meinen begnügen. Er ist ein zu großer Schatz, als daß man sich damit begnügen und sicher seyn darf. Was meinst du denn, wo dein Jesus ist? Weißt du es nicht gewiß, daß Er bei dir, in dir ist, spürst du Ihn nicht in deinem Herzen, o so sey nicht sicher und ruhig damit, daß du meinst, Er könnte doch da seyn. Unter Befreundeten und Bekannten suche Ihn ja nicht, die haben Ihn gewöhnlich auch nicht, und können Ihn dir wohl gar rauben, wenn du Ihn hast, wenn es dir nicht ganz ausgemacht ist, daß sie Ihm näher stehen und Ihn besser kennen als du; denn es steht ja sogar von den Gefreundten und Brüdern Jesu geschrieben: Auch Seine Brüder glaubten nicht an Ihn.
Und da sie Ihn nicht fanden in der Reisegesellschaft, gingen sie wieder gen Jerusalem, und suchten Ihn. Wer ohne Jesus vorwärts geht, muß wieder zurückgehen, dahin, wo er Ihn gelassen und verloren hat; wer von Jesu auskehrt, muß wieder einkehren zu Ihm; wer sich von Ihm abwendet, muß sich wieder zu Ihm wenden. Und es begab sich nach dreien Tagen, fanden sie Ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, daß Er ihnen zuhörte und sie fragte. Jetzt findest du Jesum nur im Tempel deines Herzens, wenn du Gottes Wort hörst oder liesest, wo Er heute noch lehrt und sich mittheilt, oder in der Sammlung deines Gemüthes, im Gebete, im Gottesdienste, im öffentlichen und häuslichen, in gemeinschaftlichen und besondern Andachtsübungen.
Nun waren die Eltern Jesu fleißiger, sie suchten drei Tage und ließen nicht nach, bis sie Ihn fanden. So muß es seyn. Suchet, so werdet ihr finden, heißt nicht: geh ein Paar Schritte, und wenn du nicht gleich findest, so kehre wieder um und bleib zu Hause, es wird sich schon finden; sondern es heißt: Suche, klopfe, ringe, laß nicht ab, bis du den Gesuchten gefunden hast. „Ich muß Ihn haben, Ihn, Ihn selber musisch haben, und sollte ich mich zu Tode suchen, ich kann ohne Ihn nicht leben,“ so muß es heißen. Drei Tage sind nicht zu viel, und wenn es drei Jahrhunderte wären, haben doch die Alten vier tausend Jahre gewartet, und haben es nicht erlangt, hatten gern nur einen Tag des Menschensohnes gesehen, und sahen keinen. O wenn man Ihn gefunden hat, ist alle Mühe des Suchens wohl bezahlt in einem Augenblick. Eine Stunde, da man Ihn recht in's Herze sucht zu schließen, bringt den seligsten Gewinn, Gnad' und Friede zu genießen. Ein nach Ihm geschickter Blick, bringt viel tausend Lust zurück.
Sie fanden Ihn unter den Lehrern, nicht daß Er die Lehrer lehrte, sondern daß Er ihnen zuhörte und sie fragte, und wohl auch, wenn sie unrichtig lehrten, ihnen widersprach und sie aus der Schrift widerlegte. Aber eigentlich hat Er als Knabe doch noch nicht den Lehrer gespielt, dazu war Er zu bescheiden, und hat Knaben und Jünglingen das Beispiel gegeben, daß sie sollten nicht schon Lehrer seyn wollen, nicht Alles besser wissen und weiser seyn wollen, als die Alten; sie sollten lieber hören und sich belehren lassen. Und wenn auch Jesus mit zwölf Jahren schon gelehrt hätte, so dürfte es Ihm doch kein anderer Knabe nachmachen, so wäre das die einzigste Ausnahme. Man sagt gewöhnlich: der Knabe Jesus „lehrte“ im Tempel. Das ist nicht wahr, es heißt: Jesus hörte und fragte. Darum sagt Jacobus: Es unterwinde sich nicht Jedermann (auch von Erwachsenen) Lehrer zu seyn, und wisset, daß wir desto mehr Urtheil (Strafe, Verantwortung) empfangen werden.
Und Alle, die Ihm zuhörten, wie Er antwortete, verwunderten sich Seines Verstandes und Seiner Antworten. Merke: Seiner Antworten, die freilich belehrender gewesen seyn werden, als die vorgelegten Fragen und Lehren der Lehrer. Denn das ist kein Zweifel, daß Er als Knabe schon besser hätte lehren können, als alle Gelehrte vor Ihm und nach Ihm, aber Er blieb immer in den Schranken des Alters, und erfüllte auch in dieser Hinsicht alle Gerechtigkeit, weil Er in Allem ein untadeliches Vorbild seyn sollte und wollte. Daher die Verwunderung über Seinen Verstand, den Er in Seinen Antworten an de n Tag legte. „Der könnte ja der beste Lehrer seyn,“ dachten sie, „und Er läßt sich bloß belehren, fragt und antwortet.“ Die Sucht der Jugend zu lehren, und Alles besser wissen zu wollen, das Dringen zum Lehramte, ist nie so allgemein und stark gewesen, wie jetzt.
Und da Seine Eltern Ihn sahen, entsetzten sie sich, und Seine Mutter sprach zu Ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das gethan? Siehe, Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Die gute Mutter macht dem besten Sohn Vorwürfe und beschuldigt Ihn, als wenn Er übel gethan und ihnen Schmerzen verursacht hätte. Aber diese Schmerzen haben sie sich selbst gemacht. Warum haben sie Ihn verloren? warum haben Seine Eltern ihren Sohn nicht zuvor gesucht, ehe sie abreisten? warum sind sie ohne Ihn, den ihnen Gott zur Bewahrung anvertraut hatte, von Jerusalem weggegangen? War das nicht nachlässig, daß sie einen ganzen Tag fortreisen konnten, ohne nach Ihm sich umzusehen und zu fragen? So geht es, wenn Eltern ihre Kinder aus den Augen lassen, sie vergessen und sich selbst überlassen, da setzt es allemal Schmerzen ab. War das nicht ein großes anvertrautes Gut, ja das höchste Gut, Jesum, den Sohn des Höchsten als Menschensohn zu haben, zu erziehen und über Ihn zu wachen? War das nicht eine große Ehre und Gnade? Hätte nicht aller Fleiß auf Ihn gewendet werden sollen? Ist aber nicht jedes Kind ein großes Gut, eine unsterbliche, theuer erlöste Seele, die Gott den Elter n zur Bewahrung anvertraut, hat? Sollen sie daher nicht auch allen Fleiß darauf wenden, und sie sorgfältig bewahren? Und wir, meine Lieben, haben wir nicht dasselbe anvertraute Gut, Jesum, unsern Heiland? Ist Er uns nicht auch geschenkt, sollen wir nicht auch Seine Gegenwart zu bewahren, und Ihn stets vor Augen und im Herzen zu haben suchen? Müssen wir die Schmerzen, die wir empfinden, wenn wir Ihn und Seine Nähe verloren haben, nicht uns selbst zuschreiben? Ja wahrlich, „Jesum aus den Augen und aus dem Herzen, macht die Seele voll Höllenschmerzen und Todesangst.“ Doch Gnade ist es und eine Wirkung des heiligen Geistes, wenn wir Schmerzen über diesen Verlust empfinden, und wenn wir Ihn wirklich mit Schmerzen wieder suchen. Aber wehe dem, der gleichgültig und lau bleibt, wenn Er Jesum aus dem Herzen verloren hat. Wer aber seinen Verlust fühlt, seine Fehler bereut, und ernstlich bemüht ist, den Verlorenen wieder zu suchen, nach Ihm sich zu sehnen und zu weinen, der wird Ihn wiederfinden, denn „man hat Ihn, wenn man um Ihn weint.“ Es sind dennoch die edelsten Schmerzen, die heiligsten Leiden, wenngleich Sünderschmerzen und -Leiden, die man um Ihn, wegen Seines Verlustes, wegen Seiner verlorenen Nahe fühlt. Es sind selige Leiden einer göttlichen Traurigkeit, darum sagte Er: Selig sind die Leidtragenden und Traurigen, dem sie werden getröstet werden. Wer Jesum mit Schmerzen sucht, findet Ihn gewiß, oder hat Ihn schon ohne es zu wissen, wie die suchende Magdalena beim Grabe, die um Ihn weinte und nach Ihm fragte, und Er war es, der vor ihr stand, den sie fragte, aber sie wußte es nicht, und meinte, es wäre ein Anderer, der Gärtner. So nahe ist der Herr den schmerzlich Suchenden und Weinenden, aber ihre Augen sind zu trübe von Thränen, sie kennen Ihn nicht.
Und er sprach zu ihnen: Was ist es, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich seyn muß in dem, das meines Vaters ist? Er vertheidigt sich, und zeigt Seinen Eltern, daß Er ihre Vorwürfe nicht verdiene, daß nicht Er, sondern sie gefehlt und Schuld hätten. Denn hätten sie Ihn nicht verloren, so hatten sie Ihn nicht suchen müssen. Hätten sie besser auf Ihn Acht gegeben, und wären sie bei Ihm geblieben und nicht ohne Ihn fortgereist, so hätten sie sich die Schmerzen des Suchens erspart. Und da ihr mich suchtet, machtet ihr euch vergebliche Mühe und Schmerzen, weil ihr mich nicht am rechten Orte suchtet. Das hättet ihr doch wissen sollen, wo ich mich gern aufhalte, daß ich nicht mit den Gefreundten und Bekannten, mit den Vettern und Basen mich herumtreiben und plaudern werde, daß ich im Gegentheil nicht gern wo anders seyn und bleiben werde, als im Hause meines himmlischen Vaters, im Tempel, in der Schule unter den Lehrern, wo Gottes Wort getrieben wird. So weit hättet ihr mich doch kennen sollen. O wie schön und herrlich hat sich da der Heiland vertheidiget, und Seine Unschuld und Gottseligkeit gezeigt! Welch ein Beispiel für die Jugend! Selig der Knabe, der Jüngling, das Mädchen, die man nirgend anders suchen darf und finden kann, als in Uebung der Gottseligkeit, im Gebete, in der Kirche oder Schule, oder bei der Bibel, oder bei Lehrern, frommen Gesellschaften und Erbauungsstunden, kurz da, wo ihr Glaube gestärkt, ihre Liebe gemehrt und genährt, und der fromme Sinn befördert wird. Wie kann ein Jüngling unsträflich wandeln? Wenn er sich hält nach Gottes Wort. In diesem Sinne, nach diesem Beispiele Jesu sollen die Kinder erzogen und frühe dazu angehalten werden, daß sie an nichts Geschmack finden, als was ihres Gottes und Heilandes ist, was sie Ihm naher bringt und in Ihm befestiget. Aber wehe den Kindern, die, wenn sie aus den Augen der Eltern sind, man nirgend anders suchen darf, als bei muthwilligen Gesellen, beim Spiele oder bei unordentlichen und leichtsinnigen Narrentheidingen.
Und die Eltern Jesu verstanden das Wort nicht, das Er zu ihnen redete. Es ging ihnen nicht so gleich ein, sie wollten nicht alle Schuld haben. Die Worte sind klar, aber wenn sie strafen und beschuldigen, mag man sie nicht verstehen. Sie werden sie wohl bald verstanden haben, wenn sie in sich gegangen und darüber gebetet und nachgedacht haben. Das sollen aber auch wir thun, das sollen besonders Kinder thun, daß sie diese Worte Jesu recht verstehen und Ihm nachfolgen lernen. Wenn die Eltern Jesu, die täglich mit Ihm umgingen, Ihn nicht allemal verstanden, ohne daß sie erst gebetet hatten, wie werden wir Seine Worte allezeit recht auffassen und anzuwenden verstehen, wenn wir nicht Ihn selbst im Gebete fragen und mit Ihm in innigem Umgang näher bekannt werden? O daß wir Ihn doch recht verstände, man hätt' nicht halb so viele Müh'!
Und Er ging mit ihnen hinab, und kam gen Nazareth, und war ihnen unterthan. Der Schöpfer aller Dinge, der Herr aller Engel und Kreaturen geht in Knechts- und Knabengestalt an der Hand armer Eltern und ist ihnen unterthan. Den alle Engel anbeten, Der horcht auf das Wort eines armen Zimmermanns, und sieht auf die Winke einer geringen Mutter. Die höchste Gewalt und die tiefste Demuth - der Urheber aller Dinge und Gebieter über alle Kreaturen gehorcht wie das unmündigste Kind, Der Himmel und Erde tragt mit dem Worte Seiner Kraft und Allmacht, läßt sich von der Mutterhand einer armen Jungfrau leiten und gängeln. Das hat Er doch nicht als Gott um Seinetwillen gethan, denn warum sollte Er deßwegen Gehorsam lernen? sondern als Gottmensch um unsertwillen, um uns, und besonders der Jugend ein Beispiel zu geben, daß wir dazu berufen sind, Gehorsam und Unterthänigkeit als unerläßliche Pflicht zu üben. Es ist zum Anbeten, wenn man in Josephs Zimmermanns-Hütte und Werkstätte zu Nazareth hineinsieht, und erblickt den Knaben, den Jüngling, den jungen Mann bis in's dreißigste Jahr, der des himmlischen Vaters und höchsten Gottes eingeborener Sohn ist, den freiwilligsten Gehorsam und die ergebenste Unterthänigkeit üben in allen Stücken, in allen häuslichen Arbeiten, was in einer solchen niedrigen Hütte und geringen Werkstätte vorkommt. O möchten alle Kinder, Knaben und Mädchen, Jünglinge und Jungfrauen, ja alle Menschen oft einen Besuch in dieser Hütte machen und Jesum in Seiner Unterthänigkeit betrachten, um Ihm Seinen Sinn und Sein Wesen, Seine Art und Weise abzulernen, und es sich von Ihm schenken zu lassen, Ihm in diesem, wie in allem Andern gleichförmig zu werden. Denn das ist ja doch Seine Absicht gewesen: einmal, uns Ungehorsame zu versöhnen, für uns das Gesetz zu erfüllen, und dann, uns dadurch Gnade zu erwerben, daß wir Seinem Vorbilde ähnlich werden, und es Ihm nachmachen können und sollen. Was ist schöner und lieblicher in einer Familie und Haushaltung als ein gehorsames Kind? Und was ist häßlicher und betrübender für Eltern als ein ungehorsamer, ungerathener, eigensinniger Sohn oder Tochter? Darum ist ja wohl nichts nothwendiger, als daß Eltern und Erzieher Jesum in Seiner Jugend, in Seinem Gehorsam und Seiner Unterthänigkeit ihren Kindern beständig vor Augen malen, und sie so früh wie möglich mit Ihm bekannt machen. Doch nicht nur auf dem Verstandes-Wege, sondern durch den Glauben Jesum ihnen in's Herz zu bringen, durch Gebet und das Wort Jesu Sinn und Geist in ihre Herzen zu pflanzen suchen; denn als bloßes moralisches Vorbild kann Jesus von den natürlichen Kindern nicht nachgeahmt werden, wenn sie Jesum nicht im Glauben fassen, durch Sein Verdienst und Seines Geistes Wirkungen ihnen nicht neue Herzen geschenkt werden. Sie müssen lebendig an Ihn glauben, und Ihn herzlich lieben lernen. Darum müssen die Eltern, wie Paulus, ihre Knie beugen zum Vater unsers Herrn Jesu Christi, daß Er ihren Kindern Kraft gebe nach dem Reichthum Seiner Herrlichkeit, stark zu werden an dem inwendigen Menschen durch Seinen Geist, daß Christus durch den Glauben in ihren Herzen wohne, und sie durch die Liebe eingewurzelt und gegründet werden, daß sie begreifen mögen mit allen Heiligen, welches da ist die Lange, und die Breite, und die Tiefe und Höhe, und erkennen, daß Christum lieb haben besser ist als alle Erkenntniß rc. Eph. 3, 14. -
Und Maria behielt alle diese Worte in ihrem Herzen, nämlich Alles, was mit ihrem Kinde geschehen ist, und sie gehört und Er selbst gesprochen hat. Das nahm sie tief zu Herzen und betrachtete und bewegte es fleißig. Das konnte ihr auch Stoff genug zum Denken, Beten und Betrachten geben. Und dadurch mußte sie eine hohe Meinung, Ehrfurcht und Liebe zu ihrem Kinde bekommen, es mit der mütterlichsten Treue zu pflegen, und als das größte Pfand der Liebe und Gnade Gottes zu bewahren. Sollen wir aber weniger im Herzen behalten, betrachten und erwägen, was wir von diesem Kinde Jesu, von Seiner Geburt an bis zu Seinem Tode, und bis hinauf über alle Himmel, lesen, hören und wissen? Ist es nicht Alles auch für uns geschehen und geschrieben? Ist Er nicht auch für uns geboren und gestorben? Hangt nicht auch unser Heil, Leben und Seligkeit von Ihm ab? Wird Er unser Heiland und Seligmacher seyn, wenn Sein Wort nicht in uns haftet? Kann etwas in der Welt uns so stärken, beleben, nähren und selig machen als Sein Wort und Sein Geist, der immer mit Seinem Worte verbunden ist, wenn wir es betend und gläubig erwägen und reichlich unter uns wohnen und in uns wirken lassen?
Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. Da Er als wahrer Mensch geboren war, so mußte die menschliche Natur in Ihm wie bei jedem andern Menschen wachsen, zunehmen, Er mußte Alles lernen, in Allem sich üben und fortschreiten, um ein vollkommner Mann zu werden, und um uns in allen Alter n so wie in allen Dingen nicht nur ein Vorbild und Muster zu werden, sondern es uns dadurch auch zu verdienen, daß wir durch Ihn und in Ihm auch so werden, und das vollkommne Mannesalter Christi erreichen können. Denn Er hat ja Alles nicht um Sein selbst willen, sondern um unsertwillen und für uns gethan und gelitten. Wie Er war in dieser Welt, so sind auch wir, Seine Ebenbilder und Glieder in der Liebe, Kinder von Seiner Natur. 1 Ich. 4, 17. Als Gott hat Er freilich eben so wenig wachsen, als leiden und sterben können; aber ebenso wie Er als Mensch leiden und sterben konnte und mußte, so konnte und mußte Er auch als Mensch wachsen und zunehmen an Weisheit, Alter und Gnade, damit Er in Allem als Mensch, wie andere Menschen, erfunden würde, und uns in Allem vertreten und versöhnen, rechtfertigen und heiligen könnte. Und was ist tröstlicher, als eben dieses, daß wir Ihn das menschliche Leben so durchmachen sehen für uns, daß wir Ihn klein und groß, als Kind und Mann vor Augen haben?
Da nun aber Christus so wachsen und zunehmen mußte, und nicht im ersten, zweiten, dritten oder zwölften Jahre schon ein Mann war, nicht schon alle Weisheit und Gnade hatte, sondern stufenweise erhielt, so soll sich ja unser Keiner einbilden, daß Er, wenn Er erweckt oder wiedergeboren wird, schon vollkommen ist, schon alle Erkenntniß, alle Weisheit und Gnade hat, sondern er muß es sich gefallen lassen, auch zu wachsen, zu lernen und sich zu üben in der Gottseligkeit. Darum schreibt auch Johannes 1. Br 2,12. an Kindlein, an Jünglinge und Männer oder Väter. Ebenso muß auch Christus in uns geboren werden, wachsen und eine Gestalt gewinnen bis zur göttlichen Größe, daß wir sagen können: ich lebe, aber nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.
O wie herrlich, daß es also ist, und nicht wir in uns und aus uns selbst es werden müssen, sondern daß, was wir werden sollen zum Lobe Seiner Herrlichkeit, wir nur durch Ihn und Er in uns werden soll und muß! Wie tröstlich, daß wir Ihn, wo wir Ihn ansehen, als Kind, Jüngling oder Mann, allemal als für uns und in uns annehmen und festhalten, und uns Seiner in all Seinen Lebensumständen erfreuen können, so daß uns Sein erhabenes Beispiel nicht drückend und niederschlagend, sondern heilsam, erquickend und belebend erscheint.
O Jesu! Du bist mein, als Kind, Knabe, Jüngling und Mann, mir geboren, hast mir zu Lieb und zu gut als Knabe, Jüngling und Mann gelebt, bist mir gestorben, und lebst auch im Himmel für mich! Lob, Dank und Preis sey Dir! Amen.
Reich an jeder schönen Gabe,
Reich an Weisheit und Verstand,
Jesus, welch ein frommer Knabe
Warst Du an des Vaters Hand,
Warst Du in der Mutter Hütte,
Warst Du in der Lehrer Mitte;
Gott gehorsam in der Jugend,
Warst ein Vorbild jeder Tugend!
Jesu! möchtest Du allein
Meine Lust, mein Vorbild seyn!