Göbel, Karl - Der Hohepriester Josua und Satan, sein Verkläger.
Menn man vom stellvertretenden Tode Christi, von seiner Genugtuung und von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott in Ausdrücken der Kirchensprache predigt, so setzt man sich häufig dem Vorwurf aus, man übertrage die menschlichen Vorstellungen von einem Rechtshandel auf göttliche Verhältnisse. Dieser Vorwurf ist unbegründet; denn zunächst muss jedermann zugeben, dass es keine Anschauung gibt, die biblischer wäre als diejenige, nach der sich das Verfahren Gottes mit dem Sünder als ein Rechtshandel vor Gericht darstellt; mag man dabei an das Weltende denken, oder an den Tod Christi auf Golgatha, oder an die Rechtfertigung des Sünders vor Gott. Schon vor der Sintflut weissagt Henoch, der Siebente von Adam, dass der Herr kommen werde mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten1), und alle Propheten und Apostel bezeugen einstimmig, dass das Ende der Wege Gottes mit den Menschen auf Erden das Weltgericht sei. Weil die Schrift bezeugt, dass Gott beschlossen habe durch Einen Mann den Weltkreis zu richten (Apg. 17,31); weil wir alle offenbar werden müssen vor dem Richterstuhl Christi, darum bekennen die Artikel unseres alten, allgemeinen, ungezweifelten, christlichen Glaubens, dass Christus kommen wird, „zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Ins Gericht kommen, oder nicht ins Gericht kommen d. h. schuldig oder unschuldig befunden werden, ist das Endschicksal jeder Menschenseele. - Auch auf Golgatha wurde Gericht gehalten, und zwar nicht nur von Pilatus, sondern auch von Gott. Die Endgeschichte Jesu verläuft nicht nur vor Gericht, und erzählt von Anklägern, Verhör, Zeugen, Urteil, Vollziehung; sondern auch der Geist der Weissagung sieht die Sache innerlich gerade so an, wie sie äußerlich sich zutrug, wenn z. B. der Hohepriester weissagte, es sei besser, wenn ein Mensch für das Volk sterbe, als dass das ganze Volk verderbe. Nicht nur bedeutungsvolle Vorbilder, wie die Losgebung des Barabbas, belehren uns, was es in den Augen Gottes mit der Verurteilung Jesu für Bewandtnis habe, sondern die Lehrschriften aller Apostel sprechen beim Erlösungswerk Christi von Schuld, Bezahlung, Freisprechung, Vertretung. Kurz gesagt, das Wort „Gericht“ bezeichnet nicht eine menschliche Vorstellung, sondern einen göttlichen Gedanken, ja eine göttliche Tat. Dass es menschliches Gericht und menschliche Richter gibt, ist keine menschliche Erfindung, sondern ein Ausfluss des göttlichen Richteramtes. Wer in der Welt dürfte sich unterstehen, mich zu richten, wenn nicht alles Gericht Gottes wäre und der menschliche Richter Gottes Stellvertreter?! Gottes Gericht ist demnach nicht eine Nachahmung des menschlichen Gerichts, sondern umgekehrt das menschliche Gericht ist eine Nachahmung des Gerichtes Gottes. Lasst uns nicht dem Landpfleger Felix gleichen, dem es peinlich war, wenn Paulus vom Gericht predigte, sondern lasst uns bei dem Gedanken ans Gericht verweilen und heute einen Rechtshandel betrachten und zwar einen solchen, der uns die Rechtfertigung des Sünders bei Gott vor Augen stellt. Unser Text steht Sacharja 3,1-4.
Und mir ward gezeigt der Hohepriester Josua, stehend vor dem Engel des Herrn: und der Satan stand zu seiner Rechten, dass er ihm widerstände. Und der Herr sprach zu dem Satan: Der Herr schelte dich, du Satan; ja der Herr schelte dich, der Jerusalem erwählt hat. Ist dieser nicht ein Brand, der aus dem Feuer errettet ist? Und Josua hatte unreine Kleider an und stand vor dem Engel, welcher antwortete und sprach zu denen, die vor ihm standen: Tut die unreinen Kleider von ihm! Und er sprach zu ihm: Siehe, ich habe deine Sünde von dir genommen und habe dich mit Feierkleidern angezogen.
Als Cyrus nach Ablauf der siebenzig Jahre der babylonischen Gefangenschaft den Juden die Heimkehr ins gelobte Land und den Wiederaufbau des Tempels erlaubt hatte, kehrten sie unter der Führung des Fürsten Serubabel und des Hohenpriesters Josua nach Jerusalem zurück und begannen den Neubau des Tempels. Aber diesem Werk stellten sich Hindernisse entgegen, die Samariter suchten den Tempelbau zu hindern und erwirkten wirklich ein Verbot vom Nachfolger des Cyrus, wodurch der Bau ins Stocken geriet. Da ermunterte der Prophet Haggai den Fürsten Serubabel zur Wiederaufnahme des Baues und gab ihm die tröstliche Verheißung, der Herr habe ihn erwählt und werde ihn bewahren wie das Kleinod eines Siegelringes. In gleicher Weise, wie Haggai den Serubabel, den Fürsten, tröstet und ermuntert, richtet der Prophet Sacharja Josua, den Hohenpriester, auf, indem er ihm verkündigt, dass er bei Gott in Gnaden stehe und keine Anklage des Satans ihn aus diesem Gnadenstand hinaussetzen könne. Dem Hohenpriester Josua diese tröstliche Versicherung zu geben, ist der Zweck des Gesichtes, das der Prophet Sacharja in unserem Text geschaut hat. Wir betrachten demnach
- den Ankläger,
- den Angeklagten,
- das Urteil Gottes.
I. Der Ankläger
Und mir ward gezeigt der Hohepriester Josua stehend vor dem Engel des Herrn (V. 1). Der Prophet Sacharja sah also den Hohenpriester Josua in dem im Bau begriffenen Tempel stehen, woselbst er entweder Gnade suchte, oder Aufträge erwartete, oder Rechenschaft ablegte vor dem Engel des Herrn, der sich in Begleitung einer Schar von anderen Engeln herabgelassen hatte, im Tempel zu erscheinen. In diese Verhandlung zwischen dem Herrn und dem Hohenpriester mischt sich Satan, der arge Feind der Gemeinde und des Werkes Gottes. Er will die Wiederherstellung des Gnadenverhältnisses zwischen Gott und seiner Gemeinde verhindern; kühn und keck wie einer, der unabweisbare Ansprüche zu machen hat, stellt er sich zur Rechten des Hohenpriesters Josua und denkt diesen zu vernichten und das neugegründete Verhältnis zum Herrn zu stören. Satan macht durch sein Erscheinen und seinen Einspruch die Verhandlung zwischen dem Engel des Herrn und dem Hohenpriester zu einer Gerichtsszene. Satan stand zu seiner Rechten, dass er ihm widersachte (V. 1). Weswegen wird der Hohepriester Josua angeklagt vom Satan? Das wird uns nicht ausdrücklich gesagt, sondern wir können es nur schließen aus dem, was der Engel des Herrn verfügt. Statt nämlich ein Verhör anzustellen und die Verteidigung des Josua zu vernehmen, weist der Engel des Herrn den Ankläger mit seiner Klage ab und bedroht ihn mit den Worten: Der Herr schelte dich, du Satan (V. 2), d. h. Er rüge und bestrafe deine Böswilligkeit. Es ist wichtig, zu bemerken, wie säuberlich hier der Engel des Herrn mit dem Satan verfährt. Zwar weist er ihn zurück und zwingt ihn, seinen Platz zur Rechten des Angeklagten zu verlassen, woraus zu ersehen, dass die Anklage, mag ihr auch etwas Wahres zu Grund gelegen haben, böswillig und ungebührlich war - zwar, sage ich, weist er ihn zurück; aber mit Würde und Ernst und ohne Verwünschung oder gar Lästerung. Ebenso hatte schon früher einmal der Erzengel Michael den Satan abgewiesen, als er mit ihm um den Leichnam Mosis stritt, und ungerechte und ungebührliche Ansprüche geltend machen wollte. Der Erzengel Michael wagte nicht, das Urteil der Lästerung zu fällen, sondern sprach: Der Herr strafe dich2)! Auch Jesus Christus widersteht zwar dem Satan kräftig, wo er persönlich mit ihm in Berührung tritt, (z. B. in der Versuchungsgeschichte in der Wüste); er weist ihn entschieden zurück, aber ohne Spott und Hohn, mit heiligem Ernst und göttlicher Würde. Daraus ist zu lernen, dass es uns armen Menschenkindern in keinerlei Weise zusteht, stolze oder gar höhnende Worte wider den Teufel zu reden; denn er ist eine fürstliche Majestät, wenn gleich eine gefallene. Die Schrift redet mit keuscher Zurückhaltung über das Verhältnis des Teufels. Sie bezeugt zwar einerseits seine Gewalt über das Reich des Todes, sie redet von seiner Macht, die er durch die Sünde und über die Sünder übt, sie belehrt uns, dass er der Verkläger ist, der die Erlösten Tag und Nacht verklagt und sie verdammen möchte; sie bezeugt zwar andererseits, dass er wie ein Blitz vom Himmel gefallen sei, und seine Werke von Christo fort und fort zerstört werden, weshalb wir ihm auch im Glauben zu widerstehen vermögen; aber sie gibt uns, hilflosen Kreaturen, die wir kaum aus seiner Gewalt erlöst sind, in keinerlei Weise das Recht, in trotzigen und kecken Reden gegen ihn loszufahren und am allerwenigsten ihn zum Gespött und Gegenstand des Volkswitzes und Volksschauspiels zu machen. Der Teufel ist kein Schalk, sondern ein Lügner und ein Mörder, kein Lustigmacher, sondern ein brüllender Löwe, kein verächtlicher Feind, sondern der Gott dieser Welt und der Fürst der Finsternis. Wenn selbst die Engel nicht wagen, sich mit dem Satan in zankenden, schmähenden Wortwechsel einzulassen, sondern sich auf Gott den Herrn als Richter und Rächer berufen, wie viel weniger dürfen wir, die Verführten und Geknechteten es wagen, ohne Bürgen, ohne Fürsprecher mit ihm anzubinden. Welch ein fürchterlich heißer Kampf erforderlich war, um den Teufel zu überwinden, sehen wir an Jesu in Gethsemane, wo er Gottes bedurfte, um von einem Grauen errettet zu werden, das seinen Schweiß zu Blutstropfen machte, und seine Seele mit Zittern und Zagen erfüllte. Da enthielt sich der Herr Jesus alles Rühmens und Stolzierens, sondern fiel auf sein Angesicht und betete und opferte starkes Geschrei und Tränen. Und wer sind wir, dass wir pochen und trotzen oder gar spötteln wollten? Spreu sind wir, die gesichtet wird. Wird auch einer der im Rachen des Löwen war und eben erst errettet ist, Lust haben, über den Löwen zu spotten?! Und sind wir denn schon völlig errettet? Haben wir alle Anfechtungen bereits überstanden? Sind wir die Sieger, die der Schlange den Kopf zertreten haben? Nein und abermals Nein, sondern es gilt für uns, mit Furcht und Zittern schaffen, dass wir selig werden und in aller Demut nüchtern sein und wachen, dass wir nicht von dem brüllenden Löwen verschlungen werden.
Dem Herrn sei Dank, dass er für uns gebetet, dass unser Glaube nicht aufhöre, dass er für uns betrübt war bis in den Tod. Der Löwe aus Juda hat überwunden den alten Drachen. Er hat ihn besiegt und vom Himmel fallen machen, aber noch nicht vernichtet. Der Streit mit ihm geht noch fort; aber zwei Worte haben Siegesmacht: Der Herr schelte dich! und: Hebe dich weg von mir Satan! Der Glaube ist der Sieg, denn er gewinnt Christum zum Vorkämpfer und Bundesgenossen. Der Glaube, der demütige Glaube kann singen:
Mein Fels hat überwunden!
Der Hölle ganzes Heer,
Der Drache liegt gebunden.
Die Sünde kann nicht mehr
Mich durchs Gesetz verdammen;
Denn alle Zornesflammen
Hat Jesus ausgelöscht.
Hüten wir uns, dass wir nicht selbst zum Satan, d. h. zum Versucher und Ankläger werden. Wie man wider Wissen und Willen anderen zum Versucher werden kann, sehen wir am Beispiel des Petrus, den der Herr bloß darum Satan schilt, weil er „nicht dachte, was göttlich, sondern was menschlich ist,“ und solche menschlichen Gedanken dem Herrn törichterweise einreden wollte. Man kann aber auch zu einem Satan werden durch ungerechte Anklage wider die Personen der Brüder, oder durch Widerstreben gegen die gute Sache der Brüder. Richtet nicht, sagt der Herr. Seufzt nicht wider einander, sagt der Apostel. Verderbt es nicht, es ist ein Segen darin, sagt der Prophet3). Du siehst vielleicht einen Flecken an deinem Bruder und bist schnell bereit, ihn bei Gott zu verklagen, aber du weißt nicht, wie oft er bußfertig vor Gott gestanden und sich gedemütigt; und bedenkst nicht, dass ein jeder seinem Herrn stehet und fällt. Es wird an einem Werk gebaut, gegen das du Vorurteile hast und es in deiner Verblendung nicht für ein Werk Gottes erkennen kannst, darum widerstehst du, und zerstreust auch schon dadurch, dass du nicht sammelst. Hüte dich, dass du nicht in die Sünde der Samariter fällst, die den Tempelbau hinderten, und nicht wussten, dass sie dazu gestachelt wurden durch keinen andern, als den Satan, der zu demselben Zweck eine Anklage gegen den Hohenpriester Josua vor dem Engel des Herrn zu erheben versucht. - Befleißigen wir uns der Leidenschaftslosigkeit und der Mäßigung, der Nüchternheit und Besonnenheit, damit wir nicht ungerechte Ankläger werden, die wider Gott streiten und von ihm gescholten und hart angelassen werden. Das geht ohne Schmerz und Scham nicht ab.
II. Der Angeklagte
Lasst uns nun auch sehen, wer der Angeklagte war. Es war der Hohepriester Josua, wider den die Anklage erhoben wurde. Ist es nun schon befremdlich, dass eine so ehrwürdige, geweihte Person wie der Hohepriester vom Satan verklagt werden konnte, so muss unser Erstaunen wachsen, wenn wir den Ort, wo Josua sich befand und das Geschäft, welches er gerade betrieb, als ihn die Anklage traf, ins Auge fassen. Er stand im Tempel vor dem Engel des Herrn, seiner Befehle gewärtig. Ein gesalbter Mann, im heiligsten Beruf, am heiligen Ort, und doch angeklagt! Wenn wir an diesem Exempel wahrnehmen, wie die frömmsten, zu den heiligsten Ämtern berufenen Menschen, auch wenn sie vor dem Herrn stehen, der Anklage des Widersachers nicht entgehen können; wie wollen wir derselben entfliehen, wenn wir so oft, statt wachsam und bereitwillig vor dem Herrn zu stehen, in Gefahr und Versuchung, in Lauheit und Erschlaffung uns befinden? - Josua verteidigt sich nicht, er schweigt, und überlässt es seinem Richter, ob er zugleich sein Verteidiger sein und seine Sache führen wolle. Josua stand übrigens nicht als Einzelperson unter der Anklage, sondern als Hohepriesterliches Haupt und Führer des Volkes, als Mitleiter des Tempelbaues. Dass er nicht für seine Person allein in den Anklagestand versetzt war, ersehen wir unter anderem aus den Worten des Engels: Der Herr schelte dich, der Jerusalem erwählt hat (V. 2). Hätte die Anklage allein der Seele des Josua gegolten, so würde der Herr entgegnet haben: ich habe Josua erwählt. Nun aber ist Jerusalem die Erwählte und Josua hatte für seine Person Teil an der Gnadenwahl der heiligen Stadt, deren Hoherpriester er war, wie er auch Teil hatte an ihrer Schuld. Überhaupt steht kein Mensch, am wenigsten ein berufener Diener Gottes, für sich allein in der Welt, sondern Jeder ist ein Glied einer Kette, ja mehrerer Ketten, die sich in einander schlingen. Solche Ketten sind: die Gemeinschaft der Heiligen, die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Kirche, das Leben in einer Familie, in einem Volk, in einem Zeitalter. An der Sünde Adams hatten alle Menschenkinder Teil, aber an der Rechtfertigung des Lebens, die durch Christum gekommen ist, haben auch alle Menschen Teil. An der Ehre und Schande, an Erhöhung und Erniedrigung Davids hatten alle Glieder seines Hauses wie seines Volkes Teil. Eine solche Mitschuld an den Sünden des Volks hören wir den Esra, der doch gewiss persönlich zu den Besten seines Volkes gehörte, in den Worten seines Gebetes bekennen: Mein Gott, ich schäme mich und scheue mich, meine Augen aufzuheben zu dir, mein Gott, denn unsere Missetat ist über unser Haupt gewachsen und unsere Schuld ist groß bis in den Himmel4). -
Wenn also Ein Glied angeklagt wird, werden alle mitangeklagt, wenn Eines sündigt, werden alle in Mitleidenschaft gezogen, wenn Eines gestraft wird, haben alle mit darunter zu leiden. Es besteht mithin ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen Haupt und Gliedern und zwischen den Gliedern der verschiedenen Gemeinschaften, in welche Gott die Menschen eingefügt hat, untereinander.
Der Herr fährt fort zu Gunsten des Josua zu sprechen: Ist dieser nicht wie ein Brand, der aus dem Feuer errettet ist? Das ist ein Bild der Errettung aus der allerhöchsten Not, aus dem wahrscheinlichsten, bereits eingetretenen Verderben. In wie weit die Benennung eines aus dem Feuer erretteten Brandes auf das persönliche Leben des Josua passt, können wir nicht beurteilen, da er nicht für sich allein, sondern zugleich als Haupt der Gemeinde vor dem Herrn stand; aber, dass diese Bezeichnung auf Viele von uns passt, sagt uns leider unwidersprechlich unser Gewissen. Möchte das Bild von dem Brand, der ein aus dem Feuer erretteter ist, nur auf uns alle passen. Möchte keiner ein brennender Brand heißen, sondern jeder ein herausgerissener. Freilich ist es demütigend und beschämend, sich mit einem schon angebrannten Scheitholz verglichen zu sehen, aber die Wahrheit lässt sich nicht verbergen. Nicht nur ein Sündenknecht, in welchem das Feuer unreiner Lüste glüht, ist ein Brand, sondern jeder, der aus der Gefahr des ewigen Feuers errettet ist, ist ein gelöschter Brand; jeder der in Sünde gefallen war, wie ein Unvorsichtiger in die Flamme, ist ein erretteter Brand.
Josua war zwar ein erretteter Brand, doch hatte er noch unreine Kleider an, als er vor dem Engel stand (V. 3). Wenn wir genötigt würden, in besudelten Kleidern in eine Festversammlung einzutreten, würden wir uns nicht schämen und sträuben? Wenn wir in schmutziger Wäsche vor einem hohen Herrn erscheinen müssten, würde uns das nicht zur Qual gereichen? Was ist aber unsaubere Kleidung, was ist schmutzige Wäsche, was ist der Unflat des Fleisches gegen die Unreinigkeit des Herzens? Was ist eine Festversammlung gegen das Weltgericht? Was ist der größte Machthaber auf Erden, gegen des Menschensohn in seiner Herrlichkeit, der Augen hat wie Feuerflammen, so dass ihm Johannes, der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Füßen fiel wie ein Toter, obwohl er ehedem an seiner Brust gelegen hatte? Unreine Kleider sind ein Bild der durch die Befleckung der Sünde verunreinigten Seele. Wir Menschenkinder sind aber nicht nur unreinen Herzens, sondern wir haben einen Born der Unreinigkeit in unsern Herzen, aus welchem trotz alles Waschens unreine und arge Gedanken herausquellen. So in seiner natürlichen Unreinigkeit, in der verschuldeten Befleckung durch Sünde vor dem reinen Herrn stehen zu sollen, dessen Heiligkeit ein verzehrendes Feuer ist, das ist qualvoll und fürchterlich, auch wenn kein Ankläger und Widersacher uns zur Rechten stände, uns zu verderben. „Wehe mir ich vergehe; denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen!“ so rief Jesaias, als er den Herrn sitzen sah auf einem hohen und erhabenen Stuhl5). Ihr Berge fallt über uns und ihr Hügel bedeckt uns! werden die Menschen schreien, wenn einst der Himmel wie ein aufgerolltes Tuch entweicht, und das schreckliche Angesicht des, der auf dem Stuhl sitzt, den Menschen enthüllt, und sie zwingt, den unverdeckten Zorn des Lammes anzuschauen.
III. Das Urteil Gottes
Es bleibt uns nun noch übrig, das Urteil des Herrn über den Hohenpriester Josua kennen zu lernen. Der Engel des Herrn sprach zu den anderen Engeln, die vor ihm standen: Tut die unreinen Kleider von ihm! (V. 4). Was das zu bedeuten habe, brauchen wir nicht erst zu fragen, denn der Engel des Herrn sagt es selbst, wenn er spricht: Siehe ich habe deine Sünde von dir genommen und habe dich mit Feierkleidern angezogen (V. 4). Dieser Teil des Gesichts vergegenwärtigt uns den Vorgang der Rechtfertigung des Sünders vor Gott. Wie der Vater für den verlorenen Sohn, als er ihn wieder angenommen, das beste Kleid hervorbringen ließ; wie der König, der seinem Sohn Hochzeit machte, seinen Gästen, den Bösen wie den Guten, den Armen und Krüppeln, den Lahmen und Blinden von den Landstraßen und Zäunen, ein hochzeitliches Kleid schenkte; so wurden in dem Gesicht unseres Textes dem Hohenpriester Josua Feierkleider angezogen, zum Zeichen, dass der Herr ihm seine Sünde vergeben, ihn abgewaschen, geheiligt und gerecht gemacht habe. Wie der Hohepriester Josua zuerst seiner unreinen Kleider entledigt und dann ihm reine Kleider angezogen wurden, so besteht die Rechtfertigung des Sünders vor Gott aus einem doppelten Akt: 1) aus der Wegnahme der Sündenschuld, 2) aus der Schenkung der Gerechtigkeit Gottes. Der ganze Vorgang der Entkleidung und Bekleidung des Josua ist ein Bild der Heils- und Gnadenordnung, die in Gottes ewigem Ratschluss gegründet ist und in der Erlösung durch Christum ans Licht getreten. Vor Gott stehen wir Alle, mögen wir ihm dienen, oder zur Rechenschaft über unser Tun und Lassen gefordert sein. Verklagt sind wir auch Alle und zwar von einem Verkläger, der viel schwerer abzuweisen ist als der Teufel. Der Satan ist abgewiesen, weil er aus Bosheit und mit Übertreibung verklagt und Christus auf dem Wege Rechtens seine Ansprüche zu Nichte gemacht hat. Ebenso ist jedes menschliche Gericht abzuweisen, wie Paulus sagt, es sei ihm ein Kleines, von einem menschlichen Tag gerichtet zu werden. Aber unser Gewissen ist nicht abzuweisen und noch weniger das heilige Gesetz Gottes, denn diese beiden verklagen uns mit Recht und darauf vermögen wir nichts zu antworten. Das Gewissen muss beruhigt werden und dem Gesetz Gottes muss sein Recht werden. Da tritt denn nun, wenn wir verstummen müssen, das gnädige Wort des Herrn ins Mittel: Ich habe dich erwählt. Auf Gottes Gnadenrat, auf Gottes Friedensgedanken, auf Gottes Wohlgefallen in Christo beruht einzig und allein unsere Rettung. Der Satan, das Gewissen und das göttliche Gesetz haben darin Recht, dass wir keine Gnade verdienen. Aber gleichwohl ist Gott um des Bürgen willen, der den Schuldbrief zerrissen und Alles bezahlt hat, auf unserer Seite; und ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus zur Rechten Gottes vertritt uns, auch wenn Satan noch so keck und anmaßend sich als Verkläger neben uns hinstellt. Weil Gott uns in Christo erwählt hat, darum kann der Engel des Herrn zum Satan sprechen: Der Herr schelte dich! Diese Erwählung hat sich an den Gläubigen bereits kräftig erwiesen durch die Tat. Wir sind errettete Brände, während wir ohne Gottes gnadenvolle Dazwischenkunft längst zu Asche verbrannt und von dem Feuer verzehrt wären, das nicht erlischt. Gottes Güte ist es, dass wir noch nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern hat uns zu Exempeln gemacht, an denen sich seine errettende Gnade verherrlicht hat und weiter verherrlichen will.
Trotz der Erwählung, trotz der Errettung aus dem Feuer, sehen wir aber den Josua noch in unreinen Kleidern vor dem Herrn stehen. Aber auch die unreinen Kleider werden von ihm getan. So soll es auch uns gehen. Trotz der Vergebung der Schuld, trotz der Lossprechung im Gericht, haben wir noch die unreinen Kleider der inneren Befleckung mit Sünden au uns und müssen in denselben vor Gottes Angesicht erscheinen. Aber sie sollen von uns genommen werden. Kommen müssen wir in unsern Kleidern vor Gott, das gehört mit zu unserer Errettung und Heiligung. Kommen müssen wir, so wie wir sind. Nur Gott kann uns die unreinen Kleider nehmen. Wir selbst können uns nicht reinigen. Die Scham über unsere Befleckung soll das Verlangen nach Reinigung nur um so dringender machen und uns antreiben, in allen Stücken unser Vertrauen einzig und allein auf die rechtfertigende und heiligende Gnade Gottes in Christo zu setzen.
Siehe ich habe dich mit Feierkleidern angezogen. Damit war das rechtfertigende Urteil in Vollziehung gesetzt. Josua konnte nun vor Gott bestehen. Dieser Feierkleider bedürfen auch wir, um vor Gott zu bestehen. Sie bedeuten die vollkommene Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi, die uns geschenkt und in solcher Weise zugerechnet wird, dass Gott uns ansieht, als hätten wir nie keine Sünde begangen noch gehabt und selbst allen den Gehorsam vollbracht, den Christus für uns geleistet hat. Dieser Feierkleider bedürfen wir, um vor Gott bestehen zu können in dieser Welt, wie in der zukünftigen. In dieser Welt bedürfen wir derselben, um als Gerechte vor Gott stehen zu können; in der zukünftigen bedürfen wir derselben, um bekleidet und nicht bloß erfunden zu werden. Wir wissen, dass uns Allen eine Entkleidung bevorsteht. Wenn der Rock des Fleisches im Tod ausgezogen ist, was hat dann die Seele für ein Kleid? Ist die Seele dann nackt und bloß? Da wir nicht gleich nach dem Tod überkleidet werden mit dem verklärten Auferstehungsleib, so bedarf unsere durch den Tod entkleidete Seele für jenes Leben eines Gewandes, und es wird ihr kein anderes gegeben werden als jenes reine helle Kleid, das den Seelen unter dem Altar gegeben wurde, in welchem sie der Auferstehung entgegen harren konnten6). Dies helle Kleid ist aber einzig und allein die Gerechtigkeit Christi, welche die Gerechtigkeit der Heiligen geworden ist. Wie das hochzeitliche Kleid im Gleichnis ein geliehenes, nicht aber das eigene Kleid der Gäste war, so sind die Feierkleider, die der Herr uns anziehen lässt, nicht unser eigenes Werk oder Wesen, sondern sie sind die Kräfte Seiner Auferstehung. Diese himmlischen Kräfte dessen, der um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt ist, werden uns gegeben zu einem vorläufigen Anzug, in welchem wir in der zukünftigen Welt so lange einhergehen können, bis unser eigener Leib uns in der Auferstehung wieder gegeben, und dem verklärten Leibe Christi ähnlich gemacht sein wird. Darum gilt für dieses, wie für das zukünftige Leben der Vers:
Christi Blut und Gerechtigkeit
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich zum Himmel werd eingehn. Amen.