Göbel, Karl - Abraham - der Mann der Hoffnung.
Gottes Gedanken sind nicht Menschengedanken und Gottes Wege sind nicht Menschenwege, sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch Gottes Wege höher denn der Menschen Wege und Gottes Gedanken, denn der Menschen Gedanken1). Die menschlich denkenden Jünger fragen in ihrer Ungeduld den Herrn vor seiner Auffahrt: Herr wirst du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? aber das Wort Gottes antwortet: Tausend Jahre sind vor dem Herrn wie Ein Tag. Als der Herr zu den Jüngern sagte: Über ein Kleines werdet ihr mich sehen, so hat gewiss keines Menschen Herz daran gedacht, dass dieses „Kleine,“ dieser kleine Zeitraum, noch heute nicht erfüllt sein werde; eben sowenig, dass „die Kürze,“ in der das in der Offenbarung Johannis Geweissagte geschehen soll, sich zu einer Länge von 1800 Jahren werde ausdehnen können. Diese Geduld Gottes sollen wir für unsere Seligkeit achten, aber nicht für einen Verzug der Verheißung. Gott ist ein Gott der Hoffnung, das will unter anderem sagen: Gott lässt seinen Ratschluss und sein Werk allmählig wachsen und heranreifen in Geduld, während wir Menschen wie die Kinder sind, die heute einen Kern gepflanzt haben und morgen die Erde aufscharren, um zu sehen, ob er auch gewachsen sei. Solcher Torheit gegenüber ermahnt Petrus die Christen zu warten und zu eilen zu der Zukunft des Tages des Herrn2), d. h. mit Weile zu eilen, und sich weder falscher Ruhe und Sicherheit zu überlassen, noch zu drängen und zu stürmen. Das Werk Gottes in seinem Reiche ist wie ein Palmbaum, der bei seinem Emporwachsen Absätze bildet, an denen man sehen kann, wie weit er vorgeschritten ist, und Stufen ansetzt, auf denen man bis zu seinem Gipfel gelangen kann. Der Palmbaum ist bekanntlich von Alters her als das Wahrzeichen und Wappen Israels angesehen worden und ziert darum seine alten Münzen; aber nie und von Niemand ist die Bedeutung dieses Wahrzeichens mehr verkannt worden als von denen, die es selbst geführt, von den Juden zur Zeit Christi. Sie wollten das Werk Gottes weder wachsen lassen, noch auf dessen Entwicklung warten und konnten sich in nichts weniger finden als in dessen langsamen Gang. Weil sie selbst erstarrt und versteinert waren, darum verkannten sie die pflanzenartige Natur des Reiches Gottes, das aus einem Senfkorn zum Baum erwächst. Die damaligen Juden meinten, es sei Alles fertig, es gäbe keine Stufen, sondern Moses und der Tempel sei die vollkommenste Offenbarung Gottes. Der Gedanke an die mögliche Abschaffung des vorbildlichen Tempeldienstes erschien ihnen als der größte Frevel, weil sie keine Ahnung davon hatten, dass man die Schale zerschlagen muss, wenn man den Kern gewinnen will, und dass das Ei zerbricht, wenn das Küchlein soll geboren werden. Darum eben hielten sie den Stephanus für den größten Frevler und Lästerer, weil er in seinen Unterredungen mit den Libertinern, eine neue Entwicklungsstufe im Reiche Gottes und zwar durch die Person Jesu von Nazareth verkündet hatte. Wegen dieser angeblichen Lästerungen stellten sie ihn vor das Gericht des hohen Rates. Aber Stephanus ergreift begierig die Gelegenheit, vor dem hohen Rat dasselbe zu bezeugen, was er in der Schule der Libertiner bezeugt hatte und in seiner ganzen Verteidigungsrede den Gedanken durchzuführen, dass es im Reich Gottes allenthalben Stufen gebe, und dass Gott sein Volk im alten Bund von Stufe zu Stufe weiter geführt habe.
Die Rede des Stephanus, die wir zum Gegenstand einer Reihe von Betrachtungen gewählt haben, gibt im Ganzen vier solcher Hauptstufen an, die wir, ehe wir ins Einzelne gehen, hier aufzählen wollen.
Die erste Stufe bildet die Berufung Abrahams und sein und der Erzväter Leben in der Pilgrimschaft, als Fremdlinge im verheißenen Lande.
Die zweite Stufe beginnt mit Joseph, dem Heiland seiner Brüder und dem Fürsten in Ägypten und umfasst die Knechtschaft Israels in Ägypten.
Die dritte Stufe tritt mit Moses ein, dem Erlöser seines Volkes (Joseph war nur der Erlöser seiner Brüder und seines Hauses). Aber auch Moses war nicht der rechte Prophet, denn er kündigte einen Nachfolger an, und hat nicht das rechte Heiligtum errichtet, sondern nur die Stiftshütte. Darum musste folgen
eine vierte Stufe, die zum Tempel und zum Königtum aufsteigt. Doch auch diese Stufe war nur vorbereitend auf die Zeit, wo die Gemeinde Gottes in Christo Jesu der wahre Tempel, die Behausung Gottes im Geist werden sollte.
Von der ersten Stufe, von Abraham und den Erzvätern handelt unser Text:
Stephanus aber sprach: Liebe Brüder und Väter, hört zu. Der Gott der Herrlichkeit erschien unserm Vater Abraham, da er noch in Mesopotamien war, ehe er wohnte in Haran; und sprach zu ihm: Gehe aus deinem Land und von deiner Freundschaft, und ziehe in ein Land, das ich dir zeigen will. Da ging er aus der Chaldäer Land, und wohnte in Haran. Und von dannen, da sein Vater gestorben war, brachte er ihn herüber in das Land, darin ihr nun wohnt. Und gab ihm kein Erbteil darin, auch nicht eines Fußes breit; und verhieß ihm, er wolle es geben ihm zu besitzen, und seinem Samen nach ihm, da er noch kein Kind hatte. Aber Gott sprach also: Dein Same wird ein Fremdling sein in einem fremden Land, und sie werden ihn dienstbar machen, und übel handeln vier hundert Jahr; und das Volk, dem sie dienen werden, will ich richten, sprach Gott; und danach werden sie ausziehen und mir dienen an dieser Stätte; und gab ihm den Bund der Beschneidung. Und er zeugte Isaak, und beschnitt ihn am achten Tage; und Isaak den Jakob, und Jakob die zwölf Erzväter.
Apostelgesch. 7,2 - 8.
Abraham steht in der Schrift vorzugsweise da als der Mann des Glaubens; weil er Gott geglaubt und solches ihm zur Gerechtigkeit gerechnet ist, darum ist er der Vater der Gläubigen, d. h. aller derer, die durch die Rechtfertigung aus dem Glauben in den persönlichen Gnadenstand zu Gott getreten sind. Abraham wird in unserem Text aber auch hingestellt als
der Mann der Hoffnung.
An seinen Namen knüpfen sich die ersten Voranstalten Gottes zur Aufrichtung des Reiches Gottes, sein Name ist verflochten in den Namen des seinem Volk sich kund gebenden Gottes, denn Gott schämt sich nicht, sich den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu nennen, und wegen dieser Aufnahme menschlicher Namen in den hochheiligen Namen Gottes werden der 3 Erzväter Namen noch genannt werden, wenn Sonne und Mond nicht mehr sein werden. Abraham erreichte sein hohes Ziel, als Held der Hoffnung den spätesten Geschlechtern seines Volkes vorzuleuchten, nicht mit dem ersten Schritt, sondern allmählig und durch viele Stufen wurde er demselben näher und immer näher entgegengeführt. Als solche Stufen in der Führung Abrahams bezeichnet Stephanus im Beginn seiner Rede 1) die Pilgrimschaft, 2) die Kinderlosigkeit, 3) die Weissagung von den Leiden, die seine Nachkommen treffen werden, 4) den Bund der Beschneidung, 5) die Geburt des Isaak.
1. Fassen wir diese Abschnitte im Leben des Erzvaters näher ins Auge, so wird sich uns zeigen, dass auch im ersten Abschnitt, in der Pilgrimschaft, wieder mehrere Stufen angemerkt werden, a) Schon in Ur in Chaldäa erhielt Abraham vom Gott der Herrlichkeit die erste Weisung, auszugehen aus seinem Vaterland und ans seiner Freundschaft und zu ziehen in ein Land, das Gott ihm zeigen werde, dessen Name ihm also noch nicht genannt wurde (V. 3). b) Nachdem er mit seinem Vater lange Jahre in Mesopotamien gelebt, erging an ihn die zweite Weisung, auch von dort auszuziehen, und zwar nach Kanaan (V. 4). Als Abraham endlich c) durch den Tod seines Vaters selbst das Haupt seines Hauses geworden war, galt nunmehr Kanaan, in welchem er schon länger gepilgert, als sein wirklicher Wohnort, obwohl er darin nicht eines Fußes breit Land besaß (V. 5) und fünfzehnmal von einem Ort zum anderen zu ziehen hatte. Gott gab dem Abraham kein Erbteil im Lande, sondern verhieß ihm und seinem Samen nur den zukünftigen Besitz. Ist diese Verheißung erfüllt? Nur zum Teil, als Israel unter Josua das gelobte Land einnahm, aber keineswegs schon völlig. Es geht mit der Erfüllung gerade wie mit der Verheißung, beide haben ihre Stufen, ihre Ruhepunkte und Fortentwicklungen. Die schließliche Erfüllung der dem Abraham für sich und für seinen Samen gegebenen Verheißung steht so gewiss noch bevor, als Gott treu und wahrhaftig ist und Glauben hält ewiglich. Und sollte sie auf sich warten lassen bis der Herr sein jetzt zerstreutes Volk wieder ins gelobte Land zurückbringt, oder gar bis die auferstandenen Heiligen mit Christo herrschen werden tausend Jahr (der Mittelpunkt dieser Herrschaft wird aber das heilige Land sein); oder endlich bis der neue Himmel und die neue Erde kommt, und das neue Jerusalem vom Himmel herab - kommen wird sie dennoch unfehlbar. Es würde uns indessen über die Grenzen unseres Textes hinausführen, wenn wir darauf näher eingehen wollten. Wir bleiben daher bei dem stehen, was wir aus der allmähligen Zubereitung Abrahams für seinen hohen Beruf auf uns und unsere geistliche Führung anzuwenden haben.
Wie Abraham den Befehl erhielt, auszugehen aus seiner abgöttisch gewordenen Freundschaft, so ergeht an jeden, der in der Welt lebt, nicht bloß ein einmaliger, sondern ein wiederholter Ruf Gottes, auszugehen aus der Gemeinschaft mit sündlichem, weltlichem Wesen. Von jedem Christen wird gefordert, dass er vom breiten auf den schmalen Weg übertrete, dass er an irgend einem Punkt anfange, der Sünde abzusagen und einen gottseligen Wandel vor Gott beginne auf Hoffnung des verheißenen ewigen Lebens. Es gibt verschiedene Stufen der Gottseligkeit, wie es verschiedene Wendepunkte in der Pilgrimschaft Abrahams gab, denn das christliche Leben ist kein Sprung, sondern ein fortgesetzter Wandel von der ersten Bekehrung zur völligen Erneuerung, von einer Prüfung in die andere, von einer Verleugnung in die andere, aber auch von einer Tröstung in die andere und von einer Hoffnung zur anderen. Der erste Ruf Gottes an einen zu seiner Gemeinschaft Berufenen lautet: Gib mir mein Sohn dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen. Erst gilt es, ein Pilger zu sein, damit man ein Erbe werden könne. Mit der Hoffnung auf das Erbteil ist aber das kindliche Verhältnis zu Gott gesetzt, denn der Erbe ist nur das Kind, nicht der Knecht. Aber wie Abraham noch für ein Glied seines väterlichen Hauses galt und unter seinem Vater stand, obwohl er schon seine Pilgrimschaft begonnen hatte, so steht auch ein Kind Gottes, ehe es zur vollen Freiheit gelangt, noch unter mancherlei Pflegern und Vormündern der Gesetze und Ordnungen Gottes. Volle Freiheit ist das Ende, nicht der Anfang, der Führungen Gottes. Auf dem ganzen Pilgerweg gilt es aber wie Abraham zu sehen auf das Unsichtbare und nicht auf das Sichtbare, es gilt warten auf eine Stadt, die einen Grund hat, welcher Schöpfer und Baumeister Gott ist3).
Kommt lasst uns munter wandern.
Der Weg kürzt immer ab.
Ein Tag der folgt dem andern
Bald fällt das Fleisch ins Grab.
Nur noch ein wenig Mut,
Nur noch ein wenig treuer.
Vor allen Dingen freier
Gewandt zum ew'gen Gut.
2. Die zweite Stufe in der Führung Abrahams war, dass ihm Gott verhieß, er wolle das Land geben ihm zu besitzen und seinem Samen nach ihm, da er noch kein Kind hatte (V. 5). Diese Prüfung war ungleich schwerer als die erste, aus seinem Vaterland zu gehen. Abraham hatte nicht nur kein Kind, sondern es war nach dem Lauf der Natur gewiss, dass er auch keins bekommen werde, und doch sollte sein Same das Land besitzen?! Welch ein Widerspruch! Aber unser Erzvater war ein Mann der Hoffnung, er hoffte, da nichts zu hoffen war, er hoffte mit geistlicher Hoffnung wider alle fleischliche Hoffnung. Er hatte seinen Anker festgemacht lediglich am Wort der Verheißung des Gottes der Herrlichkeit, der dem Nichtseienden rufen konnte, dass es sei, und wusste aufs allergewisseste, dass, was Gott verheißt, das kann er auch tun4). Seine ganze Seele war erfüllt von dem Einen Gedanken, dass Gott seine Verheißung erfüllen werde. Er gab keinem Zweifel Raum, sondern die festeste Zuversicht hob und trug sein ganzes Wesen. Gott kann es tun und wenn Himmel und Erde sich bewegen sollten und wenn auch Wunder über Wunder geschehen müssten, so kann Gott tun, was er verheißen. - Solche Gesinnung gefällt Gott wohl und darum verlangt er sie auch von uns. Oder meint jemand, das Gegenteil gefalle Gott, es freue ihn, wenn etwa einer sagte: „Ich hoffe nichts, denn ich weiß nicht recht, wie ich mit Gott dran bin, ich habe ja keine bestimmte Verheißung und weiß also nicht, ob Gott helfen will, und wenn er auch wollte, ob ers vermöchte, denn er kann ja doch die Naturgesetze nicht durchbrechen.“ Du willst keine bestimmte Verheißung erhalten haben? Kennst du nicht das Wort: Denen die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind? Du hast nicht nur eine bestimmte, sondern eine gerade so spezielle Verheißung empfangen als Abraham. Dein Erbe und sein Erbe sind ein und dasselbe. Abraham hatte die Verheißung, er werde einen Isaak bekommen, wir haben die Verheißung, dass wir durch den Glauben zu einem geistlichen Isaak, also zu Söhnen der Verheißung werden. Sind wir aber Abrahams Söhne, so wird uns auch Abrahams Erbe zu Teil, wie solches dem Isaak dem rechten Erben zu Teil wurde. Und was ist das gehoffte Erbe, wozu die Kindschaft Abrahams berechtigt? Es ist ein doppeltes, nämlich erstlich die Gerechtigkeit aus dem Glauben und sodann ein Erbteil im Lande der Lebendigen. Beide Verheißungen, die der Gerechtigkeit, wie die des Erbteils sind gleich groß, weil gleich unwahrscheinlich. Ich soll die Gerechtigkeit Gottes empfangen und ein Kind Gottes werden?! Ich, der geistlich eben so erstorben ist, als Abraham leiblich erstorben war? Ich, dessen Kraft zum Guten teilweise vergeudet, dessen beste Jahre dahingeschwunden sind? Ich, der ich so viel gewandert bin wie Abraham, nur nicht auf dem von Gott gewiesenen Wege, sondern auf Irrwegen, auf den Pfaden des Eigenwillens und der Sünde und dadurch meine Versäumnisse unwiederbringlich und die Last meiner Verschuldung zentnerschwer gemacht habe? - Ja, es soll dir trotz dem Allem gehen wie dem Abraham. Ihn hat die gläubige Hoffnung auf Gottes Verheißung leiblich verjüngt, dich soll der Glaube an Gottes lebendiges Wort geistlich verjüngen und erneuern und zu einem Kind Gottes wiedergebären und umwandeln. Bei Gott ist kein Ding unmöglich, also auch das nicht, deine Versäumnisse wieder gut zu machen und deine Schuld zu bezahlen und dir neue Kraft zu geben, dass du auffährst mit Flügeln wie die Adler. An dem, was dir widerfahren wird, wenn du glaubst, sollst du erkennen, dass dein Gott allerdings die Naturgesetze ändern kann, denn nach dem Gesetz der Natur, wonach sündige Eltern nur sündige Kinder erzeugen können und der Tod der Sünde Sold ist, bist du verloren als ein Kind des Zorns von Natur; aber durch ein unmittelbares Eingreifen Gottes in den natürlichen Weltlauf (und das nennt man ein Wunder) wirst du aus der Obrigkeit der Finsternis herausgerissen und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes. Dass dir aber, wenn du ein Genosse dieses Reiches bist, das Erbteil im Lande der Lebendigen nicht fehlen kann, ja dass du einst das Erdreich mit besitzen wirst in viel eigentlicheren! Sinn, als du jetzt denkst, bedarf keines Beweises, denn es steht geschrieben als Gottes Wort.
3. Als die dritte Aufgabe, die dem Abraham gestellt war, um daran zu erproben, dass er ein Mann der Hoffnung sei, führt Stephanus die Vorhersagung des Leidens an, das sein Same in der Knechtschaft Ägyptens zu erdulden haben werde. Gott sprach also: Dein Same wird ein Fremdling sein in einem fremden Land und sie werden ihn dienstbar machen und übel behandeln vier hundert Jahre; und das Volk, dem sie dienen werden, will ich richten, sprach Gott; und danach werden sie ausziehen und mir dienen an dieser Stätte (V. 6. 7). Hätte Abraham weniger Hoffnung gehabt auf den Gott der Herrlichkeit, wahrlich er hätte irre an ihm werden müssen wegen der schweren dunklen Wege, die seinen Nachkommen bevorstehen und nicht kürzer als vier hundert Jahre dauern sollten. Wenn auch die endliche Erlösung seines Samens aus dem Leiden dem Abraham verheißen wurde, so war doch der Zeitraum so weit hinausgerückt, dass ein anderer als er gewiss an seiner Hoffnung Schiffbruch gelitten hätte. Um Gott als den Gott der Herrlichkeit zu erkennen, auch wenn er Wege des Leidens und des Wartens und Harrens führt, muss man in der Hoffnung geübt sein, die das Endziel unverrückt im Auge behält durch alle Wendungen und Windungen der Bahn hindurch. Stephanus will an Abrahams Exempel seinen Zuhörern zeigen, dass das Reich Gottes eine Himmelsleiter ist, deren Stufen man nach und nach zu erklimmen hat, oder eine Straße, die nicht bloß glatte Bahn hat, sondern über steile Höhen und durch dunkle Tiefen, auch auf scheinbaren Umwegen durch dürre Wüsten führt; aber in keinem Stück zeigen sich seine Zuhörer ungelehriger und widerstrebender als darin, zu erkennen, dass es aus Ägypten nach Kanaan, dass es durch Leiden zur Herrlichkeit, durch Finsternis zum Licht, durch Tod zum Leben geht.
Sollen wir durch gleiche Ungelehrigkeit uns als unechte Söhne Abrahams beweisen, wie jene Zuhörer des Stephanus? Das sei ferne. Wir wollen es uns vielmehr gesagt sein lassen, dass das Leiden in Knechtschaft eine notwendige Stufe in der Führung des geistlichen Samens Abrahams, der Gemeinde des neuen Bundes, ist. Der wahre geistliche Same Abrahams ist heimatlos in dieser Welt und vielfach bedrückt und geknechtet. Die Weltmacht, die häufig im Bund mit der verweltlichten Kirche steht, behandelt die Gemeinde des Herrn als dienstbare Magd und lässt sie in der Knechtschaft nur soviel Luft und Licht schöpfen, als zum Dienst für weltliche und staatliche Zwecke nützlich, und zur notdürftigen Fristung des Lebens eben genug erscheint. Der wahre Same Abrahams findet diesen Zustand der Knechtschaft nicht befremdlich, denn er ist ja geweissagt, noch weniger hinderlich, denn er ist ja nicht etwa eine bloße Zulassung, sondern eine eigens gewählte Veranstaltung des Gottes der Herrlichkeit. Darum lässt sich auch der einzelne Gläubige, als echter Sohn Abrahams, die Angst, die ihm in dieser Welt beschieden ist, als Weg Gottes wohlgefallen, und weiß, dass sie zur Läuterung des Einzelnen und zur Mehrung des Ganzen dient und auch der Weg in die Tiefe nur aufwärts führt. Ja es geht aufwärts wie mit dem Palmbaum. Soll eine Palme gedeihen, so muss man das Laub der jungen Pflanze mit Steinen beschweren, damit der Sprössling freier aufschießen könne, und auch später an die Blätter Gewichtsteine hängen, damit der Stamm desto kräftiger himmelan wachse. So wird auch der Gerechte grünen wie ein Palmbaum und die Wahrheit des Liedes erfahren:
Meine Sorgen, Angst und Plagen
Laufen mit der Zeit zu End,
Alles Seufzen, Alles Klagen
Das der Herr allein nur kennt.
Wird Gott Lob nicht ewig sein,
Nach dem Regen wird ein Schein
Von viel tausend Sonnenblicken
Meinen matten Geist erquicken.
Eine endliche Erlösung des Volkes aus seinem Druck wurde ja auch dem Abraham angekündigt in den Worten Gottes: Und das Volk, dem sie dienen werden, will Ich richten; und danach werden sie ausziehen, und sie werden mir dienen an dieser Stätte (V. 7). Aus der majestätischen Art, wie Gott gerichtet und mit hoher Hand sein Volk ausgeführt hat, sollten alle kommenden Geschlechter hoffen lernen, dass das Licht dem Gerechten immer wieder aufgeht, und der Gott der Herrlichkeit endlich das Gericht zum Sieg ausführt.
4. Der vierte stufenmäßige Fortschritt in der Führung Abrahams war die Beschneidung, von der Stephanus sagt: Und Gott gab ihm den Bund der Beschneidung (V. 8). Durch die Annahme dieses Bundeszeichens, was nunmehr zu dem schon früher geschlossenen Bund hinzukam, bewährt sich Abraham wiederum als einen Mann der Hoffnung; denn die Bundesgüter, die durch das Siegel der Beschneidung zugesagt wurden, waren keine gegenwärtigen, sondern zukünftige. Es war dem Abraham vorhergesagt, dass er den Besitz des Landes durch seine Nachkommen nicht auf dieser Welt erleben, sondern in Frieden zu seinen Vätern fahren solle; aber dennoch ging er den Bund ein auf Hoffnung der zukünftigen Güter. Auch darin war die Einsetzung der Beschneidung ein Fortschritt in der Haushaltung Gottes, dass das Volk Gottes dadurch zu einem äußerlich heiligen, von den Heiden abgesonderten Volk wurde. Das konnte aber unmöglich das Ziel Gottes bei seinem ewigen Bund sein, ein bloß äußerlich heiliges Volk darzustellen, darum musste seiner Zett an die Stelle des äußeren Zeichens, welches das Abtun des Unflats am Fleisch vorbildete, der Bund eines guten Gewissens mit Gott treten, das heißt, die Beschneidung musste weichen dem Sakrament der heiligen Taufe. Der Segen der heiligen Taufe ist in gewisser Beziehung nicht minder ein Gegenstand christlicher Hoffnung, wie die Bundesgüter, die au die Beschneidung geknüpft waren, ein Gegenstand der Hoffnung für Abraham waren. In der heiligen Taufe ist uns Reinigung zugesichert, und doch fühlen wir uns noch so unrein, doch sind wir noch mit so mancher Sünde befleckt und müssen seufzen, dass in uns d. i. in unserem Fleisch nichts Gutes wohnet. In der Taufe ist uns Niedergeburt versiegelt, und doch müssen wir an unsere Wiedergeburt glauben, denn die Früchte des Geistes sind noch so unreif und spärlich, dass sie allein uns von dem Vorhandensein der Wiedergeburt nicht überzeugen können. In der Taufe ist der alte Mensch in den Tod gegeben - das haben wir zu glauben - und doch regt er sich in unseren Gliedern noch so kräftig und das Unkraut seiner bösen Lüste und Begierden wuchert so üppig! Mit der Taufe soll der neue Mensch auferstehen, und doch ist sein Leben so schwach und unkräftig, dass es jeden Augenblick ersterben zu können scheint! - Nichtsdestoweniger ist die Taufe eine Einpflanzung in Christum (wie die Beschneidung eine Einpflanzung in den Bund Gottes mit Abraham war) und zwar insbesondere in seinen Tod und in seine Auferstehung; aber es ist Gegenstand unseres Glaubens, dass vermöge der Taufe in Christum unser alter Mensch gekreuzigt sei, sowie, dass wir in einem neuen Leben wandeln; es ist Gegenstand unserer Hoffnung, dass wir mit Christo leben werden und ihm in der Auferstehung gleich sein werden, weil wir ihn in der Taufe angezogen haben.
5. Den Höhepunkt seines Lebens hatte Abraham endlich mit der fünften Stufe erklommen, mit der Geburt Isaaks. Und so zeugte er Isaak und beschnitt ihn (V. 8). Das große Ereignis war eingetreten, die Geburt des Sohnes der Verheißung, der Same, an den sich alle Weissagungen von künftigem Segen über alle Geschlechter auf Erden knüpften, war ihm geschenkt. Ob Abraham sich wohl gefreut haben wird über dieses Unterpfand der Treue Gottes, über diesen Erstgeborenen von der neunzig Jahre alten Sarah, auf den er fünfundzwanzig Jahre gehofft? Das brauchen wir nicht zu fragen, denn wir wissen, dass er schon bei der bloßen Ankündigung auf sein Angesicht fiel und lachte. Es war ein Ruhepunkt, eine Feierstunde in seinem Leben eingetreten, in dem Besitz seines Isaak hatte Abraham gleichsam eine Felswarte bestiegen, von der aus er rückwärts schauen konnte auf die lange Strecke des Pilgerweges die er bereits zurückgelegt, und auch vorwärts in die dunkle Zukunft, soweit sie ihm erhellt war durch das Licht der Verheißung. Davon sagt der Herr5): „Abraham ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“ Der Mann der Hoffnung war auf eine Zeit lang zum Manne des Besitzes geworden.
Wir sind aber auch Leute des Besitzes, wir haben auch einen Isaak, und zwar den anderen Isaak, in welchem alle Gottes Verheißungen Ja und Amen sind, der sich einmal für uns geopfert, aber nun zur Rechten des Vaters der sicherste Heilsbesitz ist, den es geben kann. Der Besitz Christi im Glauben ist auch für uns die Felswarte, von der aus wir rückwärts schauen können in die beinahe viertausend Jahre alten Veranstalten, die der Gott der Herrlichkeit getroffen hat von der ersten Berufung Abrahams an bis auf Christum, des Gesetzes Ende; und sodann von Christi Geburt an vorwärts bis in die schließliche Vollendung, wenn sich alle Geschlechter der Erde in Abraham gesegnet haben werden; wenn bei der siebenten Posaune große Stimmen im Himmel sprechen: Es sind die Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit6); wenn endlich der Eine Same Abrahams, welcher ist Christus, das letzte der sieben Siegel auftut, welches als das Ende aller Entwicklungsstufen ausläuft in eine Stille7), somit in eine anbetende Feier, in die Sabbatruhe, die vorhanden ist dem Volk Gottes. Amen.