Geß, Wolfgang Friedrich - III. Das Zeugniß des heiligen Geistes.
Es gibt in unserer Zeit eine Menge von Menschen, welche meinen von sich aus festsetzen zu können was das Christentum sei. Z.B.: wer gewissenhaft handle der sei ein Christ, auf den Glauben komme es nicht an. Oder höchstens: Gott fürchten und rechtthun, das sei das Christentum. Bei einigem Nachdenken könnte man aber leicht einsehen, daß Niemand als nur Christus sagen kann was das Christentum sei Von Christus kommt ja das Christentum her; wenn Christus uns als seine Jünger anerkennt, dann und nur dann sind wir Christen; was du oder dein Nachbar willkürlicher Weise unter Christentum euch vorstellen wollt, darauf kommt es gar nicht an, danach braucht kein Verständiger zu fragen. Christus aber hat gesagt: ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, Niemand kommt zum Vater denn durch mich (Joh. !4, 6). Daraus erhellt, daß nur der ein Christ ist, welcher Christum gebraucht als seinen Weg zu Gott, indem er aus Christi Wort und Person die Wahrheit und das Leben schöpft. Müssen wir aber erst bei Christo die Wahrheit schöpfen, so ist klar, daß wir selber die Wahrheit nicht wissen. Und müssen wir erst aus Christo das Leben schöpfen so ist klar, daß wir für uns selber im Tode sind. Und ist erst Christus für uns der Weg zu Gott, so ist klar, daß wir für uns selbst von Gott ferne sind. Christus hat, so bezeugt er uns, sein Leben an unserer Statt als Lösegeld hingegeben, sein Blut zur Vergebung unserer Sünden vergossen (Matth. 20, 28 und 26,28), und er gibt denen die ihn bitten den heiligen Geist (Joh. 15, 26). Daher kommt es, daß wer ihn seinen Weg sein läßt zum Vater kommt: wer Vergebung der Sünde und den heiligen Geist empfangen hat, der ist zu dem Vater gekommen.
Diese Sätze, der eigentliche Kern des Evangeliums, sind nun freilich Tausenden in unserer Zeit das Anstößigste unter dem Anstößigen. „Daß Jesus am Kreuz gestorben ist soll für uns Vergebung der Sünden bewirken? Mit diesem längst gestorbenen Mann sollen wir in eine geheimnißvolle Verbindung treten mittelst, welcher Kräfte der Heiligung, des ewigen Lebens in uns strömen?“ Gibt es nun wohl einen Weg, um auch über diese Zweifel hinauszukommen, gewiß zu werden, daß dieser einst gekreuzigte Mann, Jesus von Nazareth, wirklich sei die Wahrheit, das Leben, der Weg zu Gott?
Derselbe Philosoph, von, welchem ich im letzten Vortrag den Ausspruch anführte, daß er nichts Erhabeneres kenne als den Sternenhimmel über uns und das Gewissen in uns, Immanuel Kant, hat vor 70 Jahren eine Schrift geschrieben: „die Religion innerhalb der Grenzen der blosen Vernunft“. Schon dieser Titel zeigt, daß Kant den Inhalt dieser Schrift nicht aus der Bibel schöpfte sondern aus der eigenen Vernunft. Gleichwohl führt er in ihr aus, in allen Menschen wohne, und zwar durch ihre eigene Schuld, ein böser Hang. Das zeige die Erfahrung, ob man nun ins eigene Herz oder in die Geschichte, und hier wiederum, ob man auf die kultivirten oder unkultivirten Völker blicke. Und so groß sei die Verderbniß, daß geradezu eine Revolution in des Menschen Gesinnung vorgehen müsse, wenn er gut werden solle. Dann wirft Kant die Frage auf, wie es aber möglich sei, daß ein so verderbter Mensch diese Revolution zu Stande bringe. Und was antwortet er? „Daß ein böser Mensch sich selbst zum guten Menschen mache, übersteigt alle unsere Begriffe, denn wie kann ein böser Baum gute Früchte bringen? Nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung kann der böse Mensch ein neuer Mensch werden.“ Christi Wort an den Nikodemus: es sei denn, daß Jemand von Neuem geboren werde (Joh. 3,3ff),war schon dem Nikodemus und ist noch heute Tausenden ärgerlich; sogar bei Vielen, welchen sonst die Bibel werth ist beginnt, wenn die Rede auf die Wiedergeburt kommt, das Aergerniß; dagegen ist der nüchterne Kant durch seine Philosophie auf die Nothwendigkeit der Wiedergeburt hingeführt worden. Ich sage: auf die Nothwendigkeit der Wiedergeburt, während freilich die Möglichkeit derselben für ihn ein Räthsel blieb. Die Sehnsucht nach Hilfe kann aus ernstem Philosophiren erwachsen, die Erfüllung der Sehnsucht kann nur durch Offenbarungsthaten Gottes geschehen.
Warum ist aber gerade Kant durch sein Philosophiren zu der Erkenntniß geführt worden, daß eine Wiedergeburt nöthig sei? Weil er mit so großem Ernst geachtet hat auf den kategorischen Imperativ der in seinem Inneren redete, auf das Befehlswort das Gute zu thun und zwar eben weil es das Gute sei. Nichts befähigt den Menschen so sehr die Spur der ewigen Wahrheit zu finden als ein ernstes Horchen auf die Gewissensstimme.
Wer aber weiß, daß es außer dem Menschen doch noch etwas Erhabeneres gibt als den Sternenhimmel, nehmlich den lebendigen Gott, dessen weisheitsvoller Wille auch die Sterne geschaffen hat, und noch etwas Erhabeneres in dem Menschen als das Thun des Gesetzes um des Gesetzes willen, nehmlich von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe, von allen Kräften zu lieben den Schöpfer der Welt, den Vater der Geister, den aus sich selbst Lebendigen, Heiligen, der die Liebe ist - ein Solcher sollte ja viel gewisser als Kant zu der Einsicht gelangen, daß eine Wiedergeburt nöthig ist. Denn ihm sollte das Bösesein des menschlichen Herzens und die auf ihm liegende Verschuldung noch viel klarer und schmerzlicher zum Bewußtsein kommen. Ist Gott die Liebe so folgt mit Nothwendigkeit, daß der Zustand jedes Menschen, welcher nicht Gott mit allen seinen Kräften liebt verwerflich ist. Nicht etwa wäre es blos wünschenswerth, daß der Mensch den Gott der die Liebe ist von allen Kräften liebte. Nicht ist das ein hohes Ideal dessen Erreichung schön wäre, dessen Nichterreichung aber, wie die Nichterreichung anderer Ideale, durch die Unvollkommenheit der Welt sich entschuldigen läßt. Nein, weil Gott die Liebe ist, so ist es unbedingte Pflicht des Menschen, Gott von allen Kräften zu lieben; jeder Mangel an der Liebe zu Gott, vollends aber das Hingegebensein des Menschen an die Liebe des Eigenen, an die Selbstsucht ist dann eine schwere Verschuldung der Menschheit, eine Verkehrtheit des Lebens, welche das Verderben zur Folge haben muß.
Hiemit sind wir auf den Punkt gestellt, von, welchem ausgehend der Mensch gelangen kann zur Gewißheit, zur völligen Gewißheit dessen, daß wahrhaftig Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.
Fremder, ungläubiger, spöttischer können die Kinder des gegenwärtigen Zeitgeistes dem Evangelium nicht gegenüberstehen als einst die Söhne von Jerusalem und von Griechenland und Rom der apostolischen Predigt gegenüberstanden. Ihr wisset ja was Paulus kraft reichlich von ihm gemachter Erfahrung sagt, die Predigt von dem gekreuzigten Christus sei den Juden ein Aergerniß, den Griechen eine Thorheit (1 Cor. 1, 23). Dennoch haben die Apostel, diese Hand voll jüdischer Männer, mit aller Zuversicht den Gekreuzigten verkündigt. Worauf ruhte denn diese Zuversicht, daß die Predigt den Unglauben der Welt überwinden werde? Paulus sagt es uns. Er schreibt: ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes selig zu machen Alle die daran glauben, denn Gerechtigkeit aus Gott wird darin geoffenbart (Röm. 1, 16f.). Denselben Sinn hätte er ausdrücken können in den Worten „denn es ist eine Kraft Gottes zur Neugeburt“. Dem Paulus war es zum höchsten Verlangen seines Geistes geworden, gerecht zu sein. Ganz nach Christi Wort: trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Gottes Gerechtigkeit (Matth. 6, 33). Dieses Verlangen wurde ihm gestillt als er zum Glauben an Christus geführt worden war. Gerechtigkeit aus Gott wurde tatsächlich, als Erfahrung, Erlebniß im Evangelium der Seele des Paulus geoffenbart. Ganz nach Christi Wort: selig sind die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie sollen gesättigt werden (5,6). Ein doppeltes Erlebniß ward dem Paulus zu Theil. Erstlich vernahm er in seinem Innern einen Richterspruch: deine Schuld ist dir vergeben. Paulus schreibt: nun wir denn sind gerechtfertigt aus Glauben so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum (Röm. 5, 1). Früher war also in seinem Gewissen kein Friede, jetzt war Friede darin. Ferner schreibt er: wir haben nicht empfangen einen Geist der Knechtschaft, daß wir uns abermals fürchten müßten sondern einen Geist der Kindschaft, in, welchem wir rufen: lieber Vater! (Rom. 8,15.) Früher war also wenn er Gottes gedachte Bangigkeit in ihm, jetzt Freudigkeit. Und zwar wußte Paulus wenn er in sein Inneres blickte deutlich zu unterscheiden, daß es nicht etwa blos sein eigener Geist sei, der ihn der Gotteskindschaft versicherte, sondern Gottes Geist. Er schreibt: er selbst, der Geist (Gottes) bezeugt mit unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder seien (8,16). Dieser Geist redete zu Paulus von seiner Gotteskindschaft mit einer Gewißheit und mit einer Stetigkeit, mit, welcher Pauli eigener Geist niemals gewagt hatte die Gotteskindschaft sich beizulegen. Das zweite Erlebniß, welches Paulus machte war, daß aus dem Glauben an Christum ihm in sein Inneres zuströmte eine Kraft um die andere, von nun an ein gerechtes Leben zu führen, in steigendem Maße Gott über Alles zu lieben und seinen Nächsten als sich selbst, dem Dienste Gottes und der Menschen von nun an alle Kräfte zu opfern. Ich will auch dieß mit den eigenen Aussprüchen des Apostels belegen. Aus der Erfahrung seines früheren Lebens schreibt er: ich bin fleischlich, verkauft unter die Sünde, nicht was ich will das thue ich, sondern was ich hasse das vollbringe ich. Ich habe Lust an dem Gesetze Gottes nach dem inwendigen Menschen, aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, welches widerstreitet dem Gesetze meiner Vernunft (7,14 ff). Seinen jetzigen Stand aber beschreibt er mit den Worten: das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich frei gemacht von dem Gesetze der Sünde und des Todes (8,2). Und wieder: die vom Geiste Gottes getrieben werden, die sind Gottes Kinder (3,14). Derselbe Geist Gottes, welcher ihm bezeugte, daß er jetzt Gott ohne alles Bangen seinen Vater nennen dürfe, war nun auch das Triebrad seines Thuns geworden. Wenn ein Schiffer sein Boot stromaufwärts führen will so kann es geschehen, daß ihm die Stärke der Strömung trotz aller Anstrengung des Ruderns das Boot immer wieder hinunter treibt, fängt dann ein günstiger Wind an zu wehen, so fährt das Boot leicht den Strom hinauf, der Schiffer aber merkt wohl, daß nicht die Kraft seines Ruders sondern die Kraft des Windes es ist, welche das Boot stromaufwärts bringt. So spürte auch Paulus wohl, daß es nicht seine Kraft sondern die Kraft des ihn treibenden Gottesgeistes war in, welcher er nun vermochte Gottes Willen zu thun. Alle diese Erfahrungen sind es, welche Paulus zusammenfaßt in seinem Wort: das Evangelium ist eine Kraft Gottes, denn Gerechtigkeit aus Gott wird darin geoffenbart. And weil Paulus wohl wußte, daß in allen Menschen dasselbe Gewissen, daß also auch die Nothwendigkeit einer Gerechtigkeit aus Gott für alle Menschen dieselbe sei, und weil Paulus wußte, daß Gottes Wort und Geist Kraft genug haben, um eingeschläferte, um selbst erstarrte Gewissen aufzuwecken, so war in ihm die Zuversicht, daß, wenn nur das Evangelium gepredigt werde, in vielen Menschen dasselbe Verlangen nach Gerechtigkeit wie in ihm erwachen werde, und weil dann Gerechtigkeit aus Gott in dem Evangelium von Christo den Gewissen sich offenbare, so werde Christi Kreuz bald aus einer Thorheit zu Gottesweisheit werden.
Der Apostel Johannes war, was natürliche Geistesart betrifft, von Paulus sehr verschieden. Aber was er von Christo erlebte war ganz dasselbe was Paulus erlebte. Johannes schreibt: wer an den Sohn Gottes glaubt der hat das Zeugniß in sich selbst (t Joh. 5,10). In sich selbst. Er braucht also nicht Andere zu fragen. Im eigenen Innern trägt er das Zeugniß der Wahrheit seines Glaubens. Was für ein Zeugniß ist denn das? Johannes fährt fort: dieß ist das Zeugniß, daß Gott uns ewiges Leben gegeben hat und dieses Leben ist in seinem Sohne (5,11). Viele unserer Zeitgenossen können nicht von der Vorstellung loskommen, wenn ein Mensch an Christum gläubig werde, so sei dieß nur eine Veränderung seiner Ansicht. Das ist weit gefehlt.
Das Leben des Menschen verändert sich: sein Verhältniß zu Gott, sein Verhältniß zu den Menschen, der Inhalt seines eigenen Gemüths. Leben gibt Gott in seinem Sohn. Diese Erfahrung ist das Zeugniß für Christum das der Mensch fortan in sich trägt. Der Apostel spricht sich aber noch näher über dieses Zeugniß aus. Er sagt: drei sind die da zeugen, der Geist, das Wasser und das Blut und die drei stimmen auf Eines (5, 7.8). Diese Worte scheinen schwer zu verstehen, sind es aber nicht. Johannes hat zuvor gesagt: Jesus sei mit Wasser gekommen (5, 6). Nun wissen wir Alle: ein Wasserbad macht rein und frisch. Jesus ist mit Wasser gekommen heißt also: er hat uns ein reines, frisches Leben gebracht. Wer an Jesum glaubt der kann was er zuvor nicht gekonnt: die alte Unreinheit seines Herzens ablegen, er wird ein frischer neuer Mensch. Aber nicht blos mit Wasser sei Jesus gekommen, sagt Johannes, sondern auch mit Blut (5, 6). Die Israeliten haben durch das Blut von Opferthieren Vergebung gesucht. Allein gefunden haben sie dieselbe nicht (Hebr. 10,4). Nun aber, sagt der Apostel, ist Jesus gekommen mit seinem Blut: in seinem Tod ist Vergebung da, wer an ihn glaubt der findet, erfährt, erlebt, was er zuvor vergeblich ersehnt und gesucht. Dieses Doppelte:, daß er die Unreinheit seines Innern ablegen und Reinheit anziehen und, daß er aus dem Unfrieden seines Innern gegenüber von Gott in den Frieden zu Gott hinüberschreiten konnte, das war dem Apostel der Eingang in das neue Leben das er ewiges Leben nennt (1 Joh. 5,11). Wenn ein Mensch der zuvor von Gott ferne war nunmehr eintritt in solche Gemeinschaft mit Gott, daß er Gott mit Freudigkeit seinen Vater nennt, daß er zum Vater redet und der Vater zu ihm redet, und, daß Kräfte des lebendigen Gottes in ihn eingehen, dann soll sich Niemand wundern, daß ein solcher Mensch diesem neuen Stande den Namen „ewiges Leben“ gibt: Leben nennt er es, denn jetzt erst weiß er was Freude ist; ewiges Leben nennt er es, denn weil er sich in Gemeinschaft weiß mit dem lebendigen Gott, so weiß er, daß er nun hinaus ist über den Tod, denn Gott ist nicht ein Gott der Todten sondern der Lebendigen (Matth. 22, 32): wo der ewige Gott ist da ist ewiges Leben. Ihr sehet, der Glaube des Paulus und der des Johannes ruht auf demselben Grund; Paulus sagt: ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn Gerechtigkeit aus Gott wird darin geoffenbart; Johannes sagt: ich trage das Zeugniß, daß Jesus Gottes Sohn ist in mir selbst, denn weil er gekommen ist mit Wasser und Blut, so habe ich in ihm ewiges Leben gefunden. Aber Johannes fügt noch etwas hinzu: der Geist ist es, welcher Zeugniß gibt, denn der Geist ist die Wahrheit (1 Joh. 5,6). Auch darin stimmt er mit Paulus zusammen. Paulus sagt: er selbst, der Geist (nehmlich Gottes Geist) gibt Zeugniß mit unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind. So ist auch dem Johannes der lezte, höchste, Alles entscheidende Zeuge der Geist, nehmlich Gottes Geist. Denn wie Paulus so kann auch Johannes wohl in sich unterscheiden zwischen der Stimme seines Geistes und zwischen der Summe von Gottes Geist. Und weil dieses Geistes Stimme in ihm spricht so hört in ihm alles Zweifeln auf. Die Stimme dieses Geistes trägt in sich selbst die Gewähr, daß der, dessen Stimme sie ist, die Wahrheit selbst, die lebendige, persönliche Wahrheit ist. Und was ist es denn das ihm diese Stimme sagt? Sie sagt ihm erstlich in Betreff seiner selbst: weil du Christum hast, in ihm lebst, und er in dir lebt, so hast du das ewige Leben; und sie sagt ihm in Betreff Christi: wie könntest du in ihm das ewige Leben haben, wenn er ein Sünder wäre wie du, oder wenn er überhaupt nur ein Geschöpf wäre? kann denn aus einem Geschöpfe Leben, ewiges Leben kommen? So gewiß ewiges Leben aus ihm strömt, so gewiß muß sein Wesen ein ewiges, ein dem Wesen Gottes gleichendes Wesen sein. So trägst du das Zeugniß in dir selbst, daß Christus ist des lebendigen Gottes Sohn.
Hiemit habe ich euch den Grundzügen nach dargelegt was darzulegen meine heutige Aufgabe ist, nehmlich wie Jedermann, wie der Gelehrteste und der Ungelehrteste, wie auch jeder Zweifler der Wahrheit des Christenglaubens gewiß, völlig gewiß werden kann. Auf diesem von Paulus und Johannes angegebenen Wege sind seit der Apostel Zeiten alle die Tausende, welche überhaupt ihrer Sache gewiß geworden sind zur Gewißheit gelangt. Alle berufen sich auf ein Zeugniß das sie haben in sich selbst. Fraget ihr was denn das für ein Zeugniß sei, so antworten sie wie mit Einem Mund: das Evangelium ist in unserem Herzen eine Kraft; es muß ja wahr sein, woher hätte es sonst diese Kraft? So hat z.B. Luther vor 300 Jahren gesagt: „das Wort Gottes thut dem Herzen genug, beschließt und begreift den Menschen, daß er, gleichsam darin gefangen, fühlet, wie wahr und recht es sei.“ Wenn ihr heute droben auf den Alpen in einer Sennhütte einen gläubigen Christen findet und ihn um den Grund seines Glaubens fraget, er wird euch mit anderen Worten dasselbe sagen. „Was für eine Kraft ist denn das Evangelium, was wirkt es denn?“ Gesund sind wir davon geworden, wird die einstimmige Antwort lauten. „Aber waret ihr denn krank?“ Freilich waren wir krank, doppelt krank: erstlich, an der Verschuldung unserer Sünden vor Gott, nun aber haben wir Vergebung; zweitens an der Macht mit, welcher die Selbstsucht uns gefangen hielt, nun aber können wir Gott von Herzen lieben und den Nächsten als uns selbst, haben wenigstens einen Anfang gemacht in dieser Kunst! „Aber, ihr guten Leute, woher wollt ihr doch wissen, daß ihr Vergebung eurer Sünden habt? Sollte Vergebung der Sünden überhaupt nöthig oder sollte sie möglich sein, nun dann ist es Gott allein der die Sünden vergeben kann: wie wollt ihr denn nun wissen ob Gott euch vergeben hat?“ Ja wohl wissen wir, daß Gott uns vergeben hat, der Geist selbst gibt uns das Zeugniß, daß wir Gottes Kinder seien. Und eben dieser Geist ist es der uns auch versichert, daß die Arbeit der Heiligung die er in uns begonnen hat, von ihm hinausgeführt werden wird zu ihrem Ziel, zur vollkommenen Heiligung. Der Geist ist es der Zeugniß gibt, denn der Geist ist die Wahrheit. - Freilich, meine zweifelnden Freunde, ich weiß was ihr nun sagt. Ihr sagt zu uns: „der Geist ist es, der euch Zeugniß gibt? Welcher Geist?“ Und ihr meinet das sei nur unser eigener Geist. Ueberhaupt dünken euch diese Erlebnisse nur Einbildung. Ihr steht der Gemeinde der Gläubigen genau so gegenüber wie vor 1800 Jahren der Römer Phestus dem Paulus gegenüberstand, als dieser der Gerichtsversammlung vor die er gestellt war erzählte wie er zum Glauben an Christum gekommen sei; Paule du rasest, rief der römische Statthalter dem Paulus zu (Apg. 26, 24). Ihr suchet wohl auch groß zu reden von Paulus, von Luther, von diesen Helden des Geistes die nun einmal so große Dinge in der Weltgeschichte zu Stande gebracht, aber so bald die Rede kommt auf das was der theuerste Schatz dieser Männer, was die Seele ihres Lebens war, da könnt ihr diese Männer nicht mehr verstehen, da war doch eigentlich Paulus ein Schwärmer, Johannes ein Schwärmer, Luther ein Schwärmer, Calvin ein Schwärmer, und das versteht sich dann vollends von selbst, daß wir, die Gläubigen der jetzigen Zeit, in euren Augen Phantasten sind. Aber die Gemeinde der Gläubigen erwiedert auch heute getrost was damals Paulus dem Römer erwiedert hat „lieber Phestus, ich rase nicht, ich rede Worte der Nüchternheit“ (Apg. 26, 25). Ihr habt eben noch nicht erlebt was von uns erlebt worden ist. Und es sind unter uns Solche die sich sehr wohl der Zeit erinnern da sie über das innere Zeugniß des heiligen Geistes geurtheilt haben gerade wie ihr heute urtheilt: jetzt wissen sie von diesem Zeugniß, denn sie haben es seither erlebt. Glaubet ihr das nicht, daß es Dinge gibt die man erlebt haben muß wenn man darüber urtheilen soll? Der letzte Vortrag hat in dieser Beziehung auf das Gewissen hingewiesen. Heute will ich ein anderes Beispiel wählen. Wenn ihr einem Blindgebornen mit der größtmöglichen Deutlichkeit beschreibet das Licht oder die Farben oder die Schönheit der Alpen oder ein Gemälde von Raphael, meinet ihr, er werde die richtige Vorstellung bekommen von dem was ihr ihm beschrieben habt? wird ihn die Herrlichkeit des Lichtes erfreuen wie sie euch erfreut? Nimmermehr, und wenn er sonst der Klügste wäre. Warum wird es euch denn nicht gelingen? Anschauen, erfahren, erleben muß man das Licht: dann erst kann man sich wirklich vorstellen was dieses Wort: Licht in sich faßt. Ihr gebrauchet selbst das Sprüchwort über Menschen die beurtheilen was sie nicht verstehen, ihr Urtheil sei wie das eines Blinden der von den Farben rede. Aber gerade so kann über Frieden mit Gott in Kraft der Sündenvergebung, über die Kraft aus Gott zur Heiligung, über die Gewißheit ewiges Leben zu haben, über das Zeugniß des heiligen Geistes nur der die richtige Vorstellung und ein giltiges Urtheil haben der das Alles erlebt hat. Dieses innere Leben des heiligen Geistes ist nicht minder eine Wirklichkeit als das äußere Leben, die zweite Schöpfung Gottes ist so real als es die erste Schöpfung ist. Wer krank war und jetzt in der Genesung ist, der kennt den Unterschied wohl zwischen seinem früheren und seinem jetzigen Stand. Früher fühlte er Schmerz und war ohne Kraft, jetzt ist kein Schmerz mehr da und das Gefühl von Kraft, Frische, Leben strömt durch ihn. Wie wäre es auch nur denkbar, wenn Gott unser Schöpfer und wir seine Geschöpfe und wenn Gott Geist und auch unsere Seele geistig ist, daß Gott doch nicht vermögend wäre unserem Geiste Zeugniß zu geben und zwar so, daß wir sicher wissen es sei Gottes Geist der uns dieses Zeugniß gegeben hat? Das freilich versteht sich von selbst, daß man nicht jede Berufung auf ein Zeugniß des göttlichen Geistes ungeprüft hinnehmen darf. Wie alles Größte was die Menschen haben am schrecklichsten mißbraucht worden ist, so kann Fanatismus und Heuchelei auch von dem Zeugniß des heiligen Geistes ein elendes Zerrbild machen. Selbst redliche Einfalt kann Mißgriffe begehen und Unerfahrenheit mischt untereinander was aus Gottes Geist und was aus dem eigenen Geiste gekommen ist. Aber wir entbehren der Kennzeichen nicht um die Sache selbst und deren Nachäffung, ebenso um das Gold und die daran haftenden Schlacken zu scheiden. Gottes Geist sucht Gottes Ehre, des Menschen Geist sucht die eigene Ehre. Gottes Geist macht demüthig, des Menschen Geist blähet auf. Gottes Geist bewährt sich als Stärke in des Menschen Schwachheit, des Menschen Geist verräth sich durch große Worte in guter Zeit und Schwachwerden in böser Zeit. Gottes Geist lehrt manchfaltige Weisheit und doch immer dasselbe, in allen Ländern, durch alle Zeiten, auf allen Bildungsstufen, denn er ist ein ewiger Geist, die menschlichen Geister wechseln und sind im Streit. Ob wir Gottes Geist haben oder nicht, das muß sich bewähren an der Einstimmigkeit mit dem was die lebendige Gemeinde Gottes von jeher bezeugt, vor Allem aber an der Einstimmigkeit mit der Apostel und Propheten Wort, wie der Apostel und Propheten Geist sich bewähren muß an seiner Einstimmigkeit mit Christi Wort. Die Gemeinde Gottes ist erbauet auf dem Grund der Apostel und Propheten, und der Eckstein, das ist Christus selbst (Eph. 2, 20). Eine zweitausendjährige Geschichte der Offenbarung Gottes, eine viertausendjährige Geschichte der Gemeinde Gottes liegt hinter uns: da fehlt es wahrlich nicht an der Möglichkeit zu prüfen was ewig und was zeitlich, was göttlich und was menschlich ist. Auch ist eben der Geist Gottes selbst mächtig den Menschen zu läutern (Maleachi 3,3. 1. Petri 1,6f). Was in des Menschen Zerschmelzung durch Feuer von außen und Feuer von innen dennoch von der Jugendzeit zum Mannesalter, vom Mannesalter zum Greisenalter nicht verbrennt sondern mit jedem Jahr mehr des Menschen Gerechtigkeit und Stärke wird, das bewährt sich ihm hiemit in immer steigender Gewißheit als göttliche Realität.
Im ersten dieser Vorträge wurde eine lange Reihe von Anstößen aufgeführt über, welche man in Zweifel an der Wahrheit verfallen könne. Für einen Theil derselben hat sich uns, indem ich den Weg zur Gewißheit des Glaubens beschrieb, eine spezielle Erledigung bereits ergeben. Ueber andere habe ich ein kurzes Wort bis hieher vorbehalten, nehmlich über die Wunder an, welchen so Viele sich ärgern weil sie von der Meinung ausgehen als könnte schlechterdings nur geschehen was der Naturlauf mit sich bringt, sodann über die Glaubwürdigkeit der heiligen Schrift, endlich über die Räthsel die in unserem eigenen und in dem Lebensgange der Menschheit vor unser Auge treten. Ich sage: ein kurzes Wort, denn nur um Andeutung einiger Hauptgesichtspunkte kann es sich in dem engen Rahmen dieser Stunde handeln.
Die Erfahrung lehrt, daß auch solche Männer, welche an diesen Anstößen lange gestrauchelt haben, nicht mehr daran straucheln, sobald das Zeugniß des Geistes Gottes, daß in Christo das ewige Leben sei von ihnen erlebt worden ist. Nicht als ob sie jetzt meinten, alle Schwierigkeiten lösen zu können. Wohl aber sehen sie sich nun auf einen Punkt gestellt, von, welchem aus über alle wesentlichen Fragen sich ein so klares, so gewisses Licht ergießt, daß sie an den Punkten, welche noch dunkel bleiben, sich nicht mehr stoßen können.
So in Betreff der Wunder. Was nicht aus dem Naturlauf sich ergibt das soll nicht möglich sein? Wer in sich selber das Zeugniß des Geistes trägt, daß er vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sei, der weiß, daß es nicht der Naturlauf seines geistigen Lebens ist, woraus ihm nun das ewige Leben zu Theil geworden. Niemand kann durch sich selber von Neuem geboren werden; die Wiedergeburt ist eine Geburt aus Gott: ein Wunder. Ferner: wem der Geist bezeugt, daß ihm seine Neugeburt aus Christo zu Theil geworden - wie denn Christus immer so von sich redet, daß Er der Spender des neuen Lebens sei und nicht blos etwa der Bote, welcher uns verkündigt, daß der Vater uns neues Leben spenden wolle - der weiß eben damit, daß Christus nicht als natürliches Erzeugniß des menschlichen Geschlechts entstanden sein sondern nur von Oben her stammen, daß er also nur als ein Wunder in die Mitte der Menschheit gekommen sein kann. Ein natürlicher Sproß der Menschheit, wie wir Alle es sind, kann nimmermehr seinen Brüdern neues Leben spenden: Lebenspenden ist Gottes Sache. Nicht einmal sündlos konnte Christus sein wenn er nicht von Oben her gewesen ist. Man hört jetzt nicht selten sagen, wenn doch nur die Prediger nicht mehr ein Christentum mit Wundern predigten, dann würden gewiß mehr Menschen ihrer Predigt Glauben schenken. Fast als würde Einer sagen, wenn nur die Alpenführer nicht mehr bergaufwärts giengen, so würden gewiß weit Mehrere willig sein ihnen auf die Alpen zu folgen. Es ist ja freilich wahr: Niemand wird dadurch ein ein Christ, daß im Verzeichniß seiner Ueberzeugungen unter Anderem auch die biblischen Wunder stehn. Auch könnte Jemand ein Christ sein wenn er nie etwas gehört hätte von der langen Reihe der Wunder, welche Christus und, welche Christi Apostel und die Propheten des alten Bundes verrichtet haben. Nicht die Ueberzeugung, daß Wunder geschehen seien, sondern das Ergreifen des lebendigen Gottes in dem Heilande Jesu Christo macht uns zu Christen. Diese Wunder sollten nur Zeichen sein um auf den sich offenbarenden Gott hinzuweisen; für uns, denen die Fülle der Wahrheit geoffenbart vor den Augen steht und in denen der heilige Geist Gottes innerlich wirken kann, bedarf es dieser Zeichen nicht mehr. Aber der eingeborene Sohn selber, der Heiland von Oben her, der Todesüberwinder, und wiederum die Neugeburt aus ihm ist und bleibt ein Wunder, und in so fern ist ein Christenthum ohne Wunder nicht minder ein Widerspruch als ein ebenes Gebirg. Statt jenes Rathes an die Prediger, ein Christentum ohne Wunder zu predigen, sollte man daher den Rath an die Zweifler richten: sind euch die Wunder zweifelhaft, nun so lasset sie getrost bei Seite und im Zweifel stehen und trachtet nur mit ganzem Ernst nach Gottes Gerechtigkeit, bis ihr erlebet das Wunder der Neugeburt, dann werdet ihr gewiß, daß Christus selber ein Wunder ist und, daß an ihm das Wunder der Auferstehung geschehen ist, und von da an werdet ihr auch die sonstigen Wunder die in der Schrift erzählt werden von einem neuen Gesichtspunkt betrachten lernen. Zum Beispiel: wenn man mir von einer Todtenerweckung spräche die gestern hier geschehen sei, so würde ich es freilich nicht glauben, denn ich habe hier noch Niemanden kennen gelernt dem ich das Vermögen einen Todten zu erwecken zutrauen könnte, sehe vielmehr, daß wir Alle Knechte des Todes sind; wenn mir aber die Evangelisten erzählen, Jesus von Nazareth habe vor achtzehn Jahrhunderten Todte erweckt, das ist mir glaublich, ja das entspricht völlig dem was ich von diesem Manne erwarten muß, denn ich habe ihn an mir selbst und an der ganzen Gemeinde Gottes kennen gelernt als den, welcher die Tobten lebendig macht. Oder sollen nur im Geistesleben, nicht aber im äußeren Naturleben Wunder möglich sein? Christus selber steht nicht blos im Geistesleben sondern auch im Naturleben als ein Wunder da. Und soll denn keine Correspondenz sein zwischen dem Naturleben und dem Geistesleben? Die Seele soll lebendig werden, das Leibesleben dem Tode verfallen bleiben? Ist denn nicht das Naturleben für das Geistesleben da? Viele stellen sich freilich das Naturleben wie den Gang einer Rechnung vor. Die Naturkräfte sind ihnen Zahlen. Und wie nun bei den Zahlen-Operationen schlechterdings nur das Resultat herauskommen kann, welches eben der Menge, der Größe und dem gegenseitigen Verhältniß der jedesmaligen Zahlen entspricht, so meinen sie, müsse der Gang des Naturlebens ein schlechterdings fester sein. Aber die Faktoren des Naturlebens sind eben nicht spröde Zahlen sondern Kräfte, welche auf die Durchhauchung des Geistes warten und für diese Durchhauchung, und zwar für verschiedene Weisen der Durchhauchung, empfänglich sind. Der Blick auf uns selbst liefert für diese Elasticität der Naturkräfte klaren Beweis. Unsere leiblichen Kräfte stehen ja auch unter dem Naturgesetz, aber ein kräftiger Geist weiß wohl, daß dieses Gesetz bis auf einen gewissen Punkt elastisch ist: je nachdem der Geist des Menschen will oder zum Wollen zu träge ist, ist das Auge wacker oder müde, sind die Nerven gehorsam oder mürrisch, sind die Muskeln stark oder schwach; selbst der Tod hat schon warten müssen bis der Geist des Menschen ihm erlaubt hat dem Leibesleben ein Ende zu machen. Wenn nun schon der geschöpfliche Geist des Menschen zu seiner Leiblichkeit sich verhält, nicht wie ein Rechner zu den Zahlen, sondern wie ein Spieler zum Instrument, wie sollte doch der Gang des Naturlebens, darin der Geist des allmächtigen Gottes waltet, dem eisernen Muß von Zahlenoperationen zu vergleichen sein? Wer mit dem lebendigen Gott im Umgang steht, der weiß von Gottes inniger Gegenwart in seiner Welt. Wie ein Instrument, darin eine unendliche Fülle von Melodieen schlummert, hat der Schöpfer sie hingestellt. Der Hauch seiner Gegenwart, das ist die Hand des Spielers für dieses Instrument. Ohne diesen Hauch läge die Welt, nachdem sie geschaffen worden, leblos da, wie die Harfe die stumm am Boden liegt. Durch diesen Hauch geschieht des Lebens Spiel. Im Kreislauf der Sterne, in den Schwingungen des Aethers, im Wehen der Stürme, im Erwachen des Frühlings ist Gottes Hauch. Mit sanfter Kraft weht der Hauch durch die Glieder des Weltleibs hin, bis es ihm einst gefallen wird in Sturmes Gewalt diese alte Welt zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde umzuwandeln. Von der Weise dieses Hauchs ist jetzt Segen und Fluch, Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit, Leben und Tod bedingt. Und nun dünkt es euch unmöglich zu sein, daß der Gott der die Welt durchhaucht dem Leichnam seines Heiligen oder auf dessen Gebet dem Leichnam des Lazarus neues Leben eingehaucht, den Proceß des Todes durch die einströmende Fülle des Lebens überwunden habe? Ist denn nicht der ewige Geist des Lebens ursprünglicher Quell? Und steht es ihm nicht heute noch zu Leben auszuströmen? Oder woher wißt ihr, daß die abgeschiedene Seele eines Menschen oder, daß sein Leichnam zu spröde ist um einen neuen Lebensstrom aus dem Urquell des Lebens aufnehmen zu können? Auch die vor uns liegende Welt läßt sich ohne Wunder nicht verstehn. Daß aus der Erde Pflanzen sproßten, daß Thiere, daß Menschen auf der Erde entstanden sind, ist durchaus nur erklärlich aus dem Eingehen neuer eigentümlicher Kräfte und Geister in die vorhandenen Stoffe. Denn, daß die Pflanzen, Thiere, Menschen nicht von Uran auf der Erde waren, das wissen wir. Wenn nun damals die Stoffe nicht zu spröde waren, den organisirenden, beseelenden, begeistenden Potenzen, welche der Gott des Lebens in sie eingehen ließ, sich zu Dienst zu stellen, und hiemit anderen Gesetzen des Daseins, als denen sie bis jetzt gehorcht hatten, unterthan zu werden, warum soll denn ein Leichnam zu spröde sein, von dem Geiste, dessen Leiblichkeit er gewesen war, in Gottes Kraft von Neuem begeistet zu werden? Aehnliches gilt von andern der biblischen Wunder.
Atheisten müssen die Wunder leugnen, weil sie den ewigen Geist leugnen. Die Natur kann kein Wunder thun. Daher es auch nur folgerichtig ist wenn der Atheismus zum Materialismus, zur Leugnung des Geistes wird, denn wie soll die Natur aus sich selbst es gebracht haben zum Uebernatürlichen, zum Geist? Der Atheismus sollte freilich auch schon das leugnen, daß organisches Leben vorhanden sei, denn auch schon dieses ist ein Wunder gegenüber von der zuvor vorhandenen unorganischen Natur. Dasselbe gilt vom Pantheismus, welcher, sobald man auf den Grund der Sache blickt, vom Atheismus nicht verschieden ist: weil er den ewig in sich vollendeten Geist leugnet, so wird auch ihm die Natur zu dem Quell daraus Alles entspringen soll. Hingegen einen ewig in sich vollendeten Gott als Schöpfer bekennen und doch die Möglichkeit des Wunders leugnen, darin ist keine Consequenz. Die Welt, welche vor uns liegt ist ein System verschiedenartiger Daseinskreise, welche stufenweise sich übereinander erheben und eben in diesem Stufengange sich gliedern zu einem System; Grundlagen sind die niedrigeren Kreise, darauf je der höhere sich auferbaut; den Stoff geben sie her, welchen organisirend der höhere seine Lebensentwicklung sich vermittelt; nicht aber ist der höhere Kreis das Resultat des niedrigeren, nicht ist er das aus dem niedrigeren hervorgesproßte Gewächs; die Kräfte, die Seelen, die Geister, welche dieser Stoffe organisirend sich bemächtigen, können durchaus nur verstanden werden als Ausströmungen des lebendigen Gottes, welcher als der ewige Geist die Fülle des Lebens ist. Und warum hat Gott, als noch kein geistbegabtes Wesen auf der Erde war, das Wunder gethan, Geister aus ihm die irdische Stofflichkeit organisirend durchdringen zu lassen, daß der Staub der Erde wurde zu einer menschlichen Leiblichkeit? Damit Geschöpfe in Gottes Liebe selig seien! Und nachdem sie durch Sünde dem Tode verfallen sind soll er kein Wunder thun um sie aus dem Tode ins Leben zurückzuführen? Denn ohne Wunder gelangt kein nach Seele und Leib dem Tode verfallener Mensch zur Erneuerung seines seelisch-leiblichen Wesens ins ewige Leben. Alle die Wunder wird Gott thun, welche seine Gegenwart und diesen Rath seiner Liebe dem stumpfen Sinne sündiger Menschen verdeutlichen müssen, zuhöchst aber alle die ohne, welche der Rathschluß selbst nicht zur Wirklichkeit würde. Sonst würde ja das Wunder seines Menschenschaffens vergeblich bleiben.
Denselben Rath wie in Betreff der Wunder darf man den Zweiflern geben in Betreff der heiligen Schrift. Niemand soll euch zumuthen, daß ihr ungeprüft die Bibel hinnehmet als heiliges Buch. Aber nehmet sie zur Hand als ein Buch das ihr mit Ernst zu prüfen begehrt. Und nun stellt diese Prüfung an ob nicht der Inhalt dieses Buchs, vor Allem sein Zeugniß von Christo, welcher der Mittelpunkt desselben ist, sich an eurem Innern durch Offenbarung einer Gerechtigkeit aus Gott bezeuge als Gotteskraft. Ihr sollt nicht zuerst der Bibel glauben damit ihr um der Bibel willen hernach an Christum glaubet, sondern umgekehrt: Christum müsset ihr zuerst kennen lernen, ob nicht in ihm, in seinen Worten, in seiner Geschichte, in seiner Person eine Macht sei, das Bedürfniß, die Krankheit, die Verschuldung eures Innern zuerst euch aufzudecken und hernach die Schuld zu vergeben, die Krankheit zu heilen, den Durst nach Wahrheit, nach Kraft, nach dem lebendigen Gott zu stillen. Wer auf diesem Wege das Zeugniß des Geistes in sein Inneres empfangen hat, daß er in Christo das ewige Leben gefunden, weiß eben damit in vollkommener Sicherheit, daß die Bibel ein wahres Zeugniß von Christo ist. Habe ich in Christo das ewige Leben, so muß Christus selber Wahrheit, Wirklichkeit sein. Ein gemalter Christus, eine Christusphantasie, ähnlich der Phantasie schwärmerischer Katholiken von einer Himmelskönigin Maria, kann zwar einen Maler zu schönen Gemälden begeistern, nicht aber dem Gewissen Gerechtigkeit aus Gott mittheilen. So wenig ein leiblich Kranker durch den Anblick eines Apollogemäldes von der Schwindsucht aufersteht, so wenig könnte ein innerlich Kranker durch den Anblick eines erdichteten Christus von der Ungerechtigkeit auferstehen: denn so gut die leibliche Krankheit, so gut ist auch die Ungerechtigkeit des Herzens eine Macht, welche der Mensch nicht überwinden kann. Ist aber Christus von mir als Wahrheit erlebt, so ist hiemit die Bibel als Wahrheit von mir erlebt. Denn die Bibel ists durch, welche ich von Christo weiß. Darum wird mir mit Christo auch die Bibel gewiß. Zunächst das in der Bibel was von Christo zeugt. Aber wem nur einmal dieses gewiß geworden, dem geht bald eine weitere Erkenntniß auf. Er wird gewahr, daß die Bibel nicht ein zusammengewürfelter Haufe von Büchern ist. Sie ist die Urkunde jener durch Jahrtausende hin stufenweise sich entfaltenden Offenbarungsthaten Gottes, welche gipfeln in dem Kommen des eingeborenen Sohnes. Und zwar in einem gedoppelten Kommen, dem in Niedrigkeit, zur Erlösung, vor achtzehn Jahrhunderten geschehen, und dem in Herrlichkeit, zum Gericht, dessen wir noch warten. Wie nun Gottes Offenbarungsgang selbst eine Stufenreihe darstellt, darin jede Stufe ihre nothwendige Stellung hat, so stellt auch die Bibel, diese Urkunde des göttlichen Offenbarungsganges, ein gegliedertes Ganzes dar. Das ist eben an der Bibel eine wunderbare, in keiner sonstigen Literatur eines alten oder neuen Volkes wiederkehrende Erscheinung, daß an diesem Buche sechzehn Jahrhunderte geschrieben haben, Gesetzgeber, Heerführer, Könige, Priester, Viehhirten, Fischer, Zeltmacher haben ihren Griffel angesetzt, die Vorhergehenden haben von den Nachfolgenden Nichts gewußt, und wenn wir nun anschauen was in diesen sechzehn Jahrhunderten geworden ist, so müssen wir dennoch sagen: es ist nicht ein Wald verschiedenartiger Gewächse, es ist Ein großer Baum, vor dem wir stehen, Ein Gewächs das sich aus den Wurzeln durch den Stamm und den Reichtum der Aeste zur Krone entwickelt hat. Die Bibel ist das Buch, welches der wahre Israel, der Israel nach dem Geist, der aus dem Geist gezeugte, in Gottes Erziehung und Gemeinschaft stehende Israel geschrieben, worin er seine Erlebnisse, Bekenntnisse, seine Sehnsucht, seine Bitten, sein Lob Gottes, sein Hoffen verzeichnet hat. Weil nun Gott ein guter Erzieher ist der von Stufe zu Stufe geht, aber doch immer dasselbe Ziel, und zwar bis zur wirklichen Erreichung verfolgt, so wurde auch das Buch Israels dieses einheitliche, wohlgeordnete, stufenmäßig zu wirklichem Abschluß gelangte Buch. Es gab einen Israel nach dem Fleisch und einen Israel nach dem Geist. Der Israel nach dem Fleisch hat zwei Perioden durchlebt. In der ersten war sein Herz voll Heidentums: sie dauerte bis gegen 500 Jahre vor Christus, und hat ihm das assyrisch babylonische Gericht zu Wege gebracht. Aus Babel heimgekehrt meinte er sich bekehrt zu haben, aber er war doch wieder der fleischliche Israel; aus dem Heiden ist nun ein Pharisäer geworden, das brachte ihm endlich die viel ärgere Zerstörung durch die römische Macht. Hätte dieser fleischliche Israel in seiner ersten Periode eine Literatur verfaßt, sie wäre heidnischer Art;, welcherlei Literatur er in der zweiten Periode zu erzeugen wußte, ist allermeist am Talmud zu sehen. Wie ferner der Israel nach dem Fleisch behandelt hat den Israel aus dem Geist, davon wußte in der ersten Periode ein Elias und Jeremias zu sagen, in der zweiten ein Stephanus und Paulus, vor Allem aber ist es an Christo selbst offenbar, welchen Israel den Heiden zum Kreuzestod übergab (vgl. Matth. 23,34-37). Die Bibel für ein blos menschliches Buch halten kann nur wer zu blind ist um diesen Gegensatz der beiden Israel zu sehen. Andererseits aber ist klar, daß auch der Israel aus dem Geist nicht sofort von seiner Zeugung und Geburt an im Mannesalter der geistlichen Reife stand. Es ist deßhalb selbstverständlich, daß nicht alle Bücher der Bibel in gleicher Klarheit und Macht vom Geiste Gottes durchwaltet sind. Kein Vater kann zu seinem Sohne in dessen Knabenalter reden wie er zu ihm redet wenn der Sohn zum Mann geworden. Gott mußte sich sein Volk erst erziehn. Zuerst das Gesetz, dann erst die Gnade. Zuerst sendet Gott Knechte, dann erst den Sohn. Zuerst wirkt der Geist von Außen herein, erst im neuen Bunde wohnt er sich in die Herzen ein. Also muß vor Allem zwischen der Geisteserleuchtung der alttestamentlichen und zwischen der der neutestamentlichen Männer ein Unterschied sein. Aber auch innerhalb der alttestamentlichen und wieder innerhalb der neutestamentlichen Diener Gottes sind in Betreff der Gcisteserleuchtung wichtige Unterschiede. Männer wie Moses, David, Elias, Jesajas standen als Freunde Gottes, Zeugen Gottes, Kämpfer Gottes in ihrem Volke da. Nicht das Schreiben sondern das Hören der Stimme Gottes und die That war ihr nächster Beruf. Sie haben kraft ihrer ganzen Stellung wunderbare Blicke in die Geheimnisse des göttlichen Reiches gethan. Das prägte sich auch in ihren Schriften aus wenn sie etwa den Griffel zum Schreiben nahmen. Andere Männer waren nicht selbst Träger der Offenbarung sondern nur Schriftsteller, welche etwa zu berichten hatten was geschehen war. Und dieses Berichten konnte möglicher Weise so einfach sein, daß eine sonderliche Erleuchtung dazu nicht nöthig war. Ueberhaupt aber sind diese Knechte Gottes Menschen gewesen. Wir glauben nicht an Moses, nicht an David, nicht an Jesajas, nicht an Paulus und Johannes, wir glauben an Christum allein. Der Täufer Johannes sagt: wer von der Erde ist der ist von der Erde und redet von der Erde (Joh. 3,31). Er deutet hiebet auf sich selbst. Und er war doch der Größte unter allen Propheten (Matth. 11,9). Christus allein sei von Oben gekommen. Selbst Paulus schreibt: unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk (1 Cor. 13). Christus allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die Propheten des alten und die Apostel des neuen Bundes sind nur die Zeugen von Christo, welche theils sein Kommen anbahnen, theils den Gekommenen verkünden und auslegen, theils von seinem Wiederkommen weissagen mußten. Einen jeden derselben hat der Geist Gottes erleuchtet je nachdem es zu seiner Zeit, an seinem Ort, für seinen Beruf möglich und nöthig war. Schauen wir nun aber ihr Gesammtzeugniß an, wie es uns in der Bibel vor Augen steht, welch eine Macht des Geistes weht uns doch aus ihm an! welch heiliger Ernst und, welche Leutseligkeit aus Mosis Gesetz, welche Tiefe der Buße, welche Erhabenheit der Lobpreisung Gottes aus den Psalmen, welches Lesen in dem Herzen des heiligen Gottes bei den Propheten, welche Gnade und Wahrheit aus den Schriften der Apostel! Wer nach Beweisen sucht, daß die Träger der Offenbarung und die Schriftsteller der Offenbarungsurkunde Menschen waren, nun der braucht wenig Scharfsinn zu besitzen um hievon hundert Beweise zu finden; wer aber so viel nüchternen Verstand und wer so viel Geist von Oben hat, um Weltgeist und heiligen Geist, um die wechselnden Zeitgeister und die Kräfte der Ewigkeit, um inwendigen Tod und inwendiges Leben unterscheiden zu können, der wird, je mehr er die Bibel kennen lernt, desto tiefer inne: das ist nicht der Naturgeist des Volkes Israel, das ist der heilige Geist des ewigen Gottes der aus diesen Männern geredet hat. Unsere Gelehrten ihrerseits haben sich nun viel bemüht, die Weise zu beschreiben in, welcher der Geist Gottes die heiligen Schriftsteller durchwaltet habe. Und wie es bei wissenschaftlichen Theorieen zu gehen pflegt, so gieng es auch hier: nachdem die Theorie aufgestellt war, so meinte man, daß die Wirklichkeit nun doch auch in die Theorie sich fügen sollte. Aber schon das Naturleben läßt sich schwer fassen in das Begriffsnetz das die Menschen weben. Noch schwerer gelingt das beim Geistesleben weil im Geistesleben Freiheit waltet. Am schwersten aber wird es gelingen bei dem Wirken des göttlichen Geistes auf die Menschengeister weil hier Freiheit mit Freiheit zusammentrifft. Hier vor Allem gilt das Wort des geistvollen Dichters: Gott will sein Werk nicht auf Gesetze bauen so die Vernunft und gute Meinung stellt. In Summa: so lange es eine protestantische Kirche gibt, so lange muß auch das Recht vorhanden sein, die Glaubwürdigkeit jedes biblischen Buches zu prüfen; aber so lange es eine lebendige Gemeinde Christi gibt, welche das innere Zeugniß des Geistes in sich trägt, daß in Christo ewiges Leben sei, so lange wird diese Prüfung, je schärfer sie ist, um so gewisser nur immer wieder das alte Ergebniß bestätigen: wie Christus selbst der wahrhaftige Heiland zum ewigen Leben, also kein Sünder sondern der Heilige Gottes und kein Mensch von Unten her sondern der von Oben gekommene, der ewige Sohn Gottes, so sei die Bibel ihrerseits das wahre Zeugniß von dem gekommenen Christus und von der zuvor geschehenen Anbahnung seines Kommens und von seinem einstigen Wiederkommen in der Herrlichkeit.
Soll ich nun auch noch ein Wort sagen in Betreff der Glaubensanstöße, welche aus dem Gang seines eigenen Lebens und des Lebens der Menschheit dem Menschen sich ergeben können? Ja gewiß: hier liegt eine Menge von Räthseln vor uns. Kein Christ wird sich anmaßen sie alle zu lösen. Wohl aber gilt es auch hier, daß einem Christen auf die Dunkelheiten Beleuchtung genug fällt um gewiß zu sein, daß die Räthsel ihre Lösung erhalten können, erhalten werden. Wer in Christo den Ueberwinder von Sünde und Tod gefunden hat, dem geht hiemit die rechte Erkenntniß davon auf was es mit der Sünde für eine Bewandtniß hat. Das Uebel wovon die Menschheit gedrückt wird ist nicht größer als die Schuld, welche die Menschheit begangen hat. Wer keine Erkenntniß der menschlichen Verschuldung hat, den kann der Anblick, vollends das eigene Erleidenmüssen des Nebels empören, wem aber der Blick in die Größe der menschlichen Verschuldung aufgegangen, der wundert sich über die Menge der Freude die unserem Geschlechte geblieben, statt über die Menge des Leids daran es krankt. Und weil der Mensch die Krone der Schöpfung ist und weil zwischen dem geistigen und dem Naturleben Correspondenz sein muß, so läßt sich verstehen, daß auch in das Naturleben das menschliche Verderben seinen Schatten geworfen hat. Zum andern weiß ein Christ, daß diese irdische Welt nur der Gang durch den Vorhof ist: das Heiligthum ist die obere Welt. Wäre das irdische Leben das einzige, dann müßte man freilich bekennen, mit der Gerechtigkeit der Weltordnung sei es übel bestellt. Man pflegt jetzt häufig zu sagen, jeder Mensch trage genau so viel Glück in sich als seiner Tugend entspreche, weil das wahre Glück eben in dem Bewußtsein der Tugend bestehe, weiteres bedürfe der Mensch ja nicht. Und diese Anschauung erklärt sich gerne für die wahrhaft sittliche. Die einfachste Verurtheilung desselben findet sich aber bei eben den Philosophen des Alterthums, welche sie erstmals mit großem Gepränge aufgestellt haben, bei den Stoikern. Sie haben versichert, daß der Schmerz für den Philosophen kein Uebel sei, dann aber hinzugefügt, wenn die Lage des Weisen allzu schmerzlich werde, nun so mache er sich durch Selbstmord von seiner Lage frei. Eben als würde ein Soldat sich rühmen, daß alle Beschwerden des Wachpostens seiner Tapferkeit keine Beschwerden seien, werde aber die Mühsal allzu groß, nun so gehe er eben von dem Wachposten fort. Wer auf Stelzen einherschreitet thut bald einen lächerlichen Fall. Wie viel barmherziger, wie viel natureller, wie viel tieferblickend ist das Urtheil der Bibel! Kraftvoller als alle Stoiker verkündigt sie: Eins ist Roth! Weil sie aber als dieses Eine erkennt den lebendigen Gott der die Liebe ist und weil sie den Menschen gottebenbildlich weiß, so achtet sie uns werth genug, um, wenn wir erst Gott ergriffen haben als unser unendliches Gut, aus der Gemeinschaft mit Gott heraus zu gelangen zur vollen, allseitigen Stillung des Lebensdurstes, welchen Gott in uns gelegt. Auch dem Leibe verheißt die Schrift eine volle Erlösung wenn er anders zuvor ein Tempel des göttlichen Geistes geworden. Wogegen jener stoische Trost, daß ja der Tugend das innere Glück nie fehlen könne, vollends unzureichend wird, wenn wir auf die Massen von Menschen blicken, welche durch ihr Geschick beraubt sind nicht blos des äußeren Glücks sondern auch der Möglichkeit zu wirklich geistigem Leben, also zu innerem Glück zu gelangen: man denke an die Tausende von Sklaven, welche durch die Tyrannei ihrer Herrn, an die Millionen von Menschen, welche durch die Schlechtigkeit ihrer Erziehung auf der niedersten Stufe des Daseins zurückgehalten sind. Nein, nur dann, wenn Gottes Hand jenseits des Grabes die Entwicklung weiter führt, welche er diesseits mit uns begonnen hat, kann der Glaube an eine moralische Weltordnung aufrecht bleiben. Der dritte Lichtstrahl, welcher dem Jünger Christi auf die Räthsel des Lebens fällt ist dieser: wo Anfechtung ist, lernt man leben im Ernst, lernt merken auf das Wort, und das Feuer wodurch der äußere Mensch verzehrt wird ist das Mittel, den inneren Menschen zu bilden, zu läutern. Wem der Geist Gottes die Gewißheit gibt, daß Christus durch Leiden und Tod uns zum Stammvater des Lebens wurde, der kann dem Gott, der Christi Tod in Leben verwandelte, zutrauen, daß er auch alle die Wege des Todes darauf wir zu gehen haben, in Wege zum Leben verwandeln kann. In Summa: der ganze Gang den Gott mit den Menschen geht ist licht genug um in uns das Licht des Glaubens anzuzünden und immer Heller zu entzünden, und ist dunkel genug um Glauben zu fordern und den Glauben, der nur durch Uebung erstarken kann, auf immer neue Proben zu stellen. Und eben dieser Wechsel Gottes zwischen lichter Offenbarung seiner selbst in unserem Lebensgang und zwischen Verbergen seiner selbst ist das rechte Mittel der Zucht, daß wir durch den Kampf des Glaubens innerlich, reifen zu dem Mannesalter völliger, also völlig freier Hingabe an den, welcher der Vater der Geister ist.
Ich schließe mit einem Rückblick, aus den Gang dieser Vorträge. Es sollte der Weg gezeigt werden auf, welchem Jedermann zur Gewißheit, zur völligen Gewißheit des christlichen Glaubens gelangen könne. Dieser Weg hat drei Stationen. Erstens: die Achtsamkeit auf das Gewissen führt zu der Gewißheit, daß nicht der Mensch von Fleisch und Blut sondern der inwendige, unsichtbare, geistige Mensch ist der eigentliche Mensch und, daß der Werth des Menschen ruht auf seinem freien Gehorsam gegen ein ewiges Gesetz. Zweitens: das Suchen des lebendigen Gottes im Gebet führt zu der Gewißheit, daß der ewig in sich vollendete Geist, welcher schon durch das Dasein der Welt, durch das Dasein geistbegabter Menschen, durch des Menschen Innewerden seiner Verantwortlichkeit sich der Vernunft bezeugt, daß dieser wahrhaftig lebt und gegenwärtig ist, denn er antwortet dem der ihn betend sucht. Drittens: wer gewiß werden will, daß Christus ist der Weg zu dem lebendigen Gott, daß Christus die Wahrheit und das Leben ist, muß hungern nach der Gerechtigkeit und dann versuchen ob ihm nicht in Christo dargeboten werde wornach sein Verlangen steht; auf diesem Wege wird ihm aus Christo quellen Vergebung der Schuld, Kraft zur Heiligung, Leben in dem ewigen Gott, und indem nun Gottes Geist ihn versichern wird, daß diese Güter ihm in Christo zu Theil geworden, wird er mit zweifelloser Sicherheit wissen, daß Christus wahrhaftig der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Dieß sind die drei Stationen des Wegs.
Es sind aber Stationen Eines Wegs. Gewissenserfahrung ist mit Einem Worte der Weg worauf Jeder zur Gewißheit des Glaubens gelangen kann. Was bedeutet eigentlich dieses Wort: Gewissen? Die Griechen sagten dafür Syneidesis, wörtlich übersetzt: Mit-wissen. Die Römer sagten: conscientia, was genau dasselbe ist wie Syneidesis, Mit-wissen. Aber auch das deutsche Ge-wissen ist nichts Anderes als Mitwissen. Diese Vorsilbe: Ge ist so viel als mit. Ge-folge sind die, welche mit-folgen, Gefährten sind die, welche mit-fahren, Ge-wissen ist Mit-wissen. Diese Uebereinstimmung verschiedener Sprachen in der Wahl ihres Ausdrucks ist von Wichtigkeit. Diese Völker bezeugen damit, daß der Inhalt des Gewissens als „unausbleibliche Thatsache“ ihres Innern sie begleite. Wohin ein rechtschaffener Mensch geht, immer geht mit ihm das klare, sichere Wissen von einem unbedingten Gesetz das ihm vorschreibt, von einem Urteilsspruch der fort und fort über sein Thun geschieht. Dieß ist das moralische Gewissen. Dieses moralische Gewissen ist es woran man gewöhnlich denkt wenn man von Gewissen redet: auch in diesen Vorträgen wurde bis hieher dieser Sprachgebrauch befolgt. Aber ferner: wohin ein betender Mensch geht, immer geht mit ihm das klare sichere Wissen von der Gegenwart des lebendigen Gottes dessen Leben der Brunnquell seines Lebens, dessen Willen das Gesetz seines Lebens, dessen Urtheil der Segen oder der Fluch seines Lebens sei. Dieß ist das religiöse Gewissen. Endlich: wohin ein Mensch der nach Gerechtigkeit aus Gott hungert und dem dann durchs Evangelium Gerechtigkeit aus Gott in seinem Innern sich geoffenbart hat, wohin ein solcher Mensch geht, immer geht mit ihm sein Wissen: in Christo habe ich Vergebung meiner Schuld, in Christo Kraft zur Heiligung, in Christo ist mein krankes Leben gesund geworden und wenn ich in ihm bleibe wird es zur vollen Genesung kommen; Christus ist die Wahrheit, Christus das Leben, Christus der Weg zu Gott. Das ist das christliche Gewissen. Einen lebendigen Christen begleitet dieses Wissen von Christo, einen betenden Menschen begleitet dieses Wissen von dem antwortenden Gotte mit derselben Klarheit und inneren Nothwendigkeit wie den rechtschaffenen Menschen sein Wissen vom ewigen Gesetz. Wer das erste und zweite für Selbsttäuschung erklärt muß auch das dritte dafür erklären. Das erste und zweite ist also so gut als das dritte „Gewissen“ zu nennen. Muthet einem rechtschaffenen Menschen zu, daß er das inwendige Gesetz, einem betenden Menschen, daß er Gott, einem in Christo zur Neugeburt seines Lebens gelangten Menschen, daß er Christum vergessen soll, so wird er antworten: das kann ich nicht. Denn er erlebt das inwendige Gesetz, er erlebt Gott, er erlebt Christum als eine Macht die ihn hält. Auf dem Erleben dieser Macht beruht dieses überall hin mitgehende Wissen von ihr. Was ich erlebe als eine auf mich wirkende Macht, dessen bin ich gewiß. Wie aber als eine Macht die uns festhält so wird Gott und Gottes Offenbarung in seinem Gesetz und in Christo von uns auch erlebt als unsers Lebens Heil. Nicht in der Weise übt Gott im Gesetz und in Christo seine Macht über uns, daß wir gehorchen müßten ob wir wollen oder nicht. Wir^ hätten die Kraft ihm zu widerstehen, seine Stimme zurückzudrängen. Aber wir werden inne, daß wir dadurch unserem Heil widerstehen würden. Wer auf die Stimme des Gesetzes in seinem Innern achtet, der erkennt wohl, daß die Befehle desselben nicht willkührliche Satzungen sind sondern der Mensch ist geschaffen für das Gesetz, ihm folgend folgt er der Natur seines eigenen Wesens, der Idee, welche seiner Erschaffung zu Grunde liegt. Denn der Mensch ist geschaffen zu dem heiligen Gott. Ebenso wird wer Christo folgt inne, daß er nicht einem Fremden folgt sondern dem zu, welchem er geschaffen ist. Wer Christo nachfolgt, der folgt dem wahren Menschen, dem Urbilde der Menschen nach; Christus ist der Menschensohn. Wer sich von Christo erlösen läßt, der wird von den Fesseln frei womit das wahre Menschenwesen und das wahre Leben gebunden ist: die Macht wovon Christus löset, ist die Macht des Todes, der Geist womit Christus erfüllet, ist der Geist des Lebens. Ja wer Christum liebt der liebt den ewigen Mittler zwischen Gott und der Schöpfung, den durch, welchen und zu, welchem schon von Uran Alles geschaffen ist. Derselbe Sohn Gottes ist der Mittler der ersten und der zweiten Schöpfung (vgl. besonders den Colosserbrief 1, 13-22). Das ist der tiefste Grund davon, daß Christus sprechen kann: ich bin der gute Hirte und erkenne das Meine und werde erkannt von dem Meinen (Joh. 10, 14). So tief liegen die Wurzeln des christlichen Gewissens. Wozu wäre das Auge wenn kein Licht, wozu das Ohr wenn kein Schall, wozu das Denken wenn keine Wahrheit, wozu das Gefühl wenn keine Schönheit wäre? Also auch: wozu wäre das Gewissen wenn kein heiliges Gesetz wäre, und kein Erlöser der das heilige Gesetz in uns verwirklicht, und kein Gott von dem alles Gesetz, alle Freiheit, alles Gericht, alles Leben stammt? Das Gewissen ist das unwillkührliche und doch freie Wissen des Menschen von seinem Zusammengehören mit dem heiligen Gott, welcher uns durch seinen ewigen Sohn geschaffen hat nach seinem Bild; in, welchem allein wir leben, weben und sind;, welcher endlich die durch Sünde dem Tod Verfallenen in dem menschgewordenen Sohne neu schafft, daß sie nun in Gott, aus Gott, vor Gott ewiglich leben. Wie der Nordpol und die Magnetnadel so verhalten sich Gott und des Menschen Gewissen. Unwillkührlich weiß der Mensch von dem Gesetz, denn er ist göttlichen Geschlechts. Unwillkührlich weiß er von Gott, denn Gott ist der Vater der Geister. Geht aber der Mensch mit freiem Willen ein in das Neben des Gesetzes, in das Suchen Gottes, dann wird immer heller, immer machtvoller das mit ihm gehende Wissen von Gottes Willen und lebendiger Gegenwart. Zugleich wird dann immer klarer die Erkenntniß, daß ihm mangelt die Gerechtigkeit. Kommt nun die frohe Botschaft von des Menschensohn und, daß er der Erlöser sei, so wacht dieses Ahnen in der Seele auf: wohl mir, dieß ist der Mann der die Hilfe bringt! Ist endlich wirklich die Gerechtigkeit aus Gott dem Innern des Menschen in Christo geoffenbart, dann geht dieses Wissen mit dem Menschen: in Christo habe ich das ewige Leben, Christus ist also selber das Leben; Christum verlassen hieße ja den inneren Selbstmord an mir üben. Dieß ist der Weg, der Allen geöffnete und der vollkommen sichere Weg, der christlichen Wahrheit gewiß zu werden. Niemand hat das Recht den Glauben anzutasten ehe er es alles Ernstes versucht hat mit diesem Weg. Ob du diesen Versuch mit Ernst gemacht hast oder nicht, danach wirst du gerichtet werden. Und wie einfach ist dieser Weg! Nichts bedarfst du um ihn zu gehen als diese drei: die innere Stimme, welche du ja doch nicht verleugnen kannst; das Evangelium von, welchem du ja doch umgeben bist; und - dich selbst, deinen Willen, das was dir das nächste ist, was dein eigenstes Eigentum, was dein einziges Eigentum ist, was aber freilich am schwersten zu opfern ist. Vielleicht sollte ich noch ein viertes nennen das dir dazu nöthig sei, den Sonntag. Wo kein Sonntag ist da ist bald kein Hören mehr weder auf die innere Stimme noch auf das Evangelium. Daß ein so großer Theil der jetzigen Christenheit den Sonntag sich selber geraubt hat, das trägt an der jezigen Kraftlosigkeit zum Glauben einen nicht geringen Theil der Schuld. Gebunden von Geschäften und Vergnügungen der Sichtbarkeit kann man freilich Gott nicht finden. Auch soll Niemand wähnen als genügte ein Einmaliges Ergreifen Gottes um seiner für immer gewiß zu sein. Erinnerung an früher erlangte Gewißheit reicht nicht aus. Nur das kann dem Geiste für die ewige Realität gelten, was sich ihm fort und fort bezeugt. Das Zeugniß des heiligen Geistes macht den Menschen des Lebens Gottes und des Gotteswesens Christi unbedingt gewiß, aber nur so lange der Mensch wirklich in Gott und Christo lebt. Hört er auf in Gott zu leben so verstummt die Stimme des heiligen Geistes. „Wer mich liebet, zu dem werden wir kommen“ (Joh. 14, 22f, Eph. 4, 30). Denn Gott drängt sich uns nicht auf, wir sind frei. Wenn dann das Zeugniß des göttlichen Geistes verstummt, liegt dem Menschen der Trugschluß nahe, was er früher für Geisteszeugniß gehalten, sei nur seine Einbildung gewesen, denn das Zeugniß des ewigen Gottes müßte ein ewig sich gleich bleibendes Zeugniß sein;, daß das Verstummen des göttlichen Zeugnisses von ihm selber verschuldet ist, will er nicht erkennen. Und doch wäre es so klar, daß mit der Verweltlichung des Menschen sofort die Lockerung des Glaubens beginnen muß. Zumal Verweltlichung ja nichts anderes ist als an Gottes Statt nunmehr das Sichtbare behandeln als die wahre Realität. Diese praktische Abirrung führt gerade die kräftigen konsequenten Geister naturgemäß unaufhaltsam zur theoretischen Gottesleugnung hin. Lebend ohne Gott fühlen sie das Bedürfniß diese Praxis zu rechtfertigen durch Bezweiflung, dann durch Leugnung Gottes. Und zwar um so mehr, je mehr etwa das Gewissen wegen der praktischen Gottentfremdung beunruhigt ist. Umgekehrt ist jeder Fortschritt der praktischen Einwurzelung in Gott ein Fortschritt der Gewißheit des Wissens von Gott: „wie sollte er nicht leben, er redet ja zu mir.“ Endlich aber urtheilet selbst ob es etwas Freieres geben kann als diese Weise, zur Ueberzeugung zu kommen? ob es etwas Falscheres geben kann als den Wahn, daß der Glaube eines lebendigen Christen Auctoritätsglaube sei? Wer an den Sohn Gottes glaubt der hat das Zeugniß in sich selbst. In Summa: „so jemand will den Willen dessen thun, der mich gesandt hat, der wird erkennen, ob diese Lehre aus Gott ist“ (Joh. 7,17); was in diesen Vorträgen gesagt wurde, war nur geschöpft aus diesem unerschöpflich reichen Wort des Herrn.