Gerok, Karl - Vom christlichen Hausstande – Vorwort des Herausgebers.

Gerok, Karl - Vom christlichen Hausstande – Vorwort des Herausgebers.

Zunächst liegt es uns ob, dem Herrn Verfasser und Verleger der Evangelien- und Epistelpredigten, denen vorliegende kleine Sammlung entnommen ist, unsern Dank zu sagen für die Erlaubnis zum Abdruck dieser 12 Predigten vom christlichen Hausstand.

Zwar wollen wir nicht verschweigen, dass diese Sonderausgabe nicht ohne Bedenken seitens des hochverehrten Herrn Verfassers der Predigten erscheint. Derselbe bezweifelte, dass sich über den christlichen Hausstand etwas Rundes aus seinen Predigtbüchern werde zusammenstellen lassen. Und es sei nicht in seinem Sinn, dass eine ungenügende Behandlung dieses so wichtigen und reichen Themas mit den vorhandenen gediegenen Bearbeitungen des Gegenstandes in Konkurrenz trete. Nur mit Rücksicht auf den Zweck hat er sich dazu entschließen können, uns die fraglichen Predigten zu überlassen.

Wir sind dem teuren Manne um dieses Opfers willen, das er gebracht, zu umso herzlicherem Danke verpflichtet, glauben aber zu seiner und unserer Rechtfertigung geltend machen zu dürfen, dass in diesen 12 Predigten alle wesentlichen Punkte des christlichen Hausstandes teils ausführlich behandelt, teils wenigstens berührt werden. Muss die Sammlung auch in Folge der Art, wie sie entstanden ist, dem Anspruch auf strenge Rundung entsagen, so bildet doch jede einzelne Predigt für sich ein wohlgerundetes Ganzes. Darum wird diese Zusammenstellung Gerokscher Predigten über den christlichen Hausstand durch den schlichten und edlen, gemütlichen und herzbewegenden Ton des Verfassers auch neben andern gediegenen Bearbeitungen des gleichen Themas ihren Wert behalten.

Die Sammlung soll einem doppelten Zwecke dienen. Wir hoffen durch den überschüssigen Erlös einen Beitrag für unsern Kapellenbaufonds zu gewinnen. Schon seit längeren Jahren, nachdem ein Pfarrhaus erworben war, auf welchem übrigens auch noch 1200 Mark haften, war der frühere Geistliche der hiesigen evangelischen Gemeinde, Herr Pfarrer Schuchard, bestrebt, das nötige Kirchbaukapital, etwa 30.000 Mark, anzusammeln. Im Jahre 1875 ging zu diesem Zwecke ein Blatt aus an die evangelischen Glaubensgenossen mit der Bitte um Hilfe. Der schon vor einigen Jahren angekaufte Bauplatz ist in letzter Zeit endgültig in den Besitz der Gemeinde gelangt. Nach Abzug der Kosten des Bauplatzes bleiben von den für den Kapellenbau eingegangenen Gaben nur noch 1300 Mark übrig. Darum wollen wir es in Gottes Namen wagen, mit diesem Büchlein abermals vor die evangelischen Glaubensgenossen zu treten und sie zu bitten: Helft uns zu einem würdigen Gotteshaus. Insbesondere werden die Herren Geistlichen freundlichst ersucht, sich der Verbreitung dieser Predigten anzunehmen. Der Preis ist ja, und dies verdanken wir mit dem bereitwilligen Entgegenkommen des Herrn Verlegers, ein so geringer, dass das Schriftchen auch von den Ärmsten gekauft werden kann. Mit Rücksicht auf diese Niedrigkeit des Preises und den deshalb nicht sehr hohen überschüssigen Gewinn an dem einzelnen Exemplar wäre es sehr anzuerkennen, wenn sich recht viele Leser bereit finden wollten, noch einen Extrabeitrag zu leisten. Solche Beiträge könnten in den einzelnen Gemeinden gesammelt und uns übermittelt werden. Für jedes etwaige kleine oder große Scherflein sind wir herzlich dankbar.

Der andere Zweck, dem dieses Büchlein dienen soll, ist der, christliches Leben in Haus und Familie zu fördern und zu pflegen. Darum kommt es uns vor Allem darauf an, dass diese Predigten auch in die Hütten der Arbeiter und in die Häuser der Landleute Eingang finden.

Unser häusliches und öffentliches Leben wird immer mehr seines religiösen und kirchlichen Sauerteiges beraubt und läuft dadurch Gefahr, seiner natürlichen Gesundheit, Frische und Kraft verlustig zu gehen. Nicht wenige Wandlungen in Staat und Kirche sind vorgegangen, die es den Menschen ermöglichen, außerhalb des Schattens der Kirche zu leben und zu sterben. Was gekommen ist, musste ja kommen. Es mussten die äußern Schutzmauern und menschlichen Stützen fallen, damit die Wahrheit offenbar würde, d. h. der vorhandene innere Abfall an den Tag käme. Sollen wir uns nach dem Stecken des Treibers sehnen, der die Unlustigen und Widerwilligen mit Zwang uns zuführt? Das sei ferne! Wem es um wahrhafte Heilung des Schadens zu tun ist, der weiß, dass derselbe nur durch die Heiligung des Familienlebens geheilt werden kann. Gottesfurcht, Frömmigkeit muss die Grundlage des Hausstandes werden; Morgen-, Abend- und Tischgebet müssen in Übung sein; der sonntägliche Besuch des Gottesdienstes muss als unverbrüchliche Sitte gelten, von der nicht Trägheit, Bequemlichkeit oder andere noch schlechtere Gründe entbinden dürfen. Freilich, wo Gottes Wort und Gebet aus der häuslichen Sitte verdrängt sind, hat es seine sehr großen Schwierigkeiten, sie wieder in die ihnen gebührende Stelle einzusetzen. Aber unmöglich ist es nicht. Wir erlauben uns hierüber die vortrefflichen Worte des bekannten Kulturhistorikers Riehl anzuführen. Derselbe schreibt in seinem Werke über die Familie: „Wenn der Familienvater, auch der vornehme und reiche, nicht mit dem Kaffeetisch das Tagewerk einleitet, sondern mit einem gemeinsamen Gebet, zu welchem sich Weib und Kinder und Gesinde - das ganze Haus um ihn versammeln müssen, dann meint man wohl, das sei Zopf und Muckerei. Ein solcher gemeinsamer Antritt des Tagewerks ist aber ein Wahrzeichen des Zusammenhaltens und Zusammenhängens des „Hauses“. Darum ist er, ganz abgesehen von seiner sittlich-religiösen Bedeutung, auch in sozialem Betracht Gold wert. Wenn man nicht in die Kirche gehen konnte, dann las nach alter Sitte der Hausvater dem ganzen Hause am Sonntag Morgen aus der Postille vor. Am Weihnachts- und Neujahrsabend versammelte er das Haus um sich und las ein Kapitel aus der Bibel; das Gleiche geschah wohl auch an jedem Sonntag Abend. Ging die Familie zum Abendmahl, dann sprach der Vater als Eröffnung des Ganges zur Kirche ein Gebet in der Familienhalle. Bei vereinzelten Bauerschaften geschieht das Alles noch. Merken die städtischen Väter denn nicht, dass sie mit dem Aufgeben dieser Sitten freiwillig eines der stolzesten Attribute ihrer Stellung im Hause aus der Hand gegeben haben? Wahrlich, der Hausvater sollte den letzten Rest, der ihm von der Hauspriesterlichen Würde seines Urahnen verblieben, nämlich das Amt, dem „ganzen Hause“ vorzubeten, nicht so leichtsinnig wegwerfen. Es steckt mehr Ehre, Rang und Herrscherrecht darin für einen stolzen Geist als in einer ganzen Kollektion von Titeln und Orden. Gar viele arme Schächer von Familienvätern sehen das recht gut ein, fürchten aber doch, der „feingebildete“ Nachbar möchte sie auslachen. Sie schämen sich nicht, wenig und nichts zu sein in ihrem Hause; aber viel zu sein, Priester und Herr des Hauses zu sein, des schämen sie sich! „Die Feigheit ist's, die uns verdirbt“, wie's in dem alten Burschenliede heißt. Denn es gehört mehr Mut und begeisterte Überzeugung dazu, in der Sitte, im sozialen Leben, im Hause mit der Revolution zu brechen, als im politischen.“

Also auch hier gilt es, mit Paulus sich nicht zu schämen des Evangeliums. „Die Feigheit ist's, die uns verdirbt!“ Denn wer sich Christi schämt vor den Menschen, zu feige ist zu seinem Dienste, dessen will er sich auch schämen vor seinem himmlischen Vater. Denen nun, die sich Christi und seines Evangeliums gerne nicht schämen möchten, sollen diese Predigten Handreichung tun. Sie lehren nach Gottes Wort, was Väter, Mütter, Kinder und Gesinde zu tun haben, damit aus allen Gliedern der Familie eine kleine, fromme, reine Hausgemeine werden könne. Gott segne den Gang dieser Predigten, dass recht viele Hausstände zumal in unserer dem Christentum und aller Religion so abgeneigten Zeit daran erinnert werden, auf dem häuslichen Herde die Opferflamme der Gottesfurcht und Frömmigkeit nicht ausgehen zu lassen, sondern sie zu nähren und zu stärken. Vor allem an die, welche auf der Mauer als treue Wächter stehen, ergeht jetzt die Mahnung, die Stimme zu erheben öffentlich und sonderlich und die Christen an ihre Pflichten in Haus und Familie zu erinnern. Denn ruft Luther auch uns zu „wie sollten sie nicht faul sein, wenn du schläfst und schweigst? Darum siehe darauf, Pfarrherr und Prediger! Unser Amt ist nun ein ander Ding worden; es ist nun Ernst und heilsam worden. Darum hat es nun viel mehr Mühe und Arbeit, Gefahr und Anfechtung, dazu wenig Lohn und Dank in der Welt; Christus aber will unser Lohn selbst sein, so wir treulich arbeiten. Das helfe uns der Vater aller Gnaden, dem sei Lob und Dank in Ewigkeit, durch Christum, unsern Herrn. Amen.“

Dieburg, den 23. Januar 1878.

Tag, Pfarrverwalter.

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