Gerok. Karl - Vom christlichen Hausstande - 10. Predigt am Sonntag Misericordias Domini. (Konfirmationstag.)
(1851.)
1 Petr. 2, 21-25.
Christus hat gelitten für uns und uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; welcher keine Sünde getan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden; welcher nicht wieder schalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da er litt, er stellte es aber dem heim, der da recht richtet; welcher unsere Sünden selbst geopfert hat an seinem Leibe auf dem Holz, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben; durch welches Wunden ihr seid heil worden. Denn ihr wart wie die irrenden Schafe, aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Als der ehrwürdige Apostel Paulus von seinen lieben Ephesern jenen rührenden Abschied nahm, der uns erzählt wird Ap.-Gesch. 20: als er sie in seiner letzten Ansprache noch einmal erinnert hatte an das Evangelium, das er sie gelehrt, an die Liebe, die er ihnen bewiesen, an den Wandel, den er unter ihnen geführt, an den Beruf, der ihnen geworden, an die Gefahren, die ihnen drohten, und als es nun endlich geschieden sein musste und er fühlte, sein Amt sei nun an ihnen aus für diese Welt, sie werden hinfort sein Antlitz nicht mehr sehen, seine Stimme nicht mehr hören auf Erden, da tröstete er sie und sich mit den Worten: Und nun, liebe Brüder, ich befehle euch Gott und dem Wort Seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und zu geben das Erbe unter Allen, die geheiligt werden.
Die Stunde, in welcher wir jetzt beisammen sind, hat auch einige Ähnlichkeit mit jener Abschiedsstunde zwischen dem Apostel und seinen Kindlein in Christo Jesu. Es ergreift uns auch etwas von Abschiedsgedanken und Abschiedsgefühlen beim Hinblick auf diese Kinder, die heute eingesegnet worden sind und nun entlassen werden sollen aus der Unterweisung ihrer Seelsorger, aus dem Unterricht ihrer Lehrer, zum Teil auch aus der Obhut und Pflege ihrer Eltern. Auch wir, Eltern, Lehrer, Seelsorger, müssen uns sagen: unser Amt ist nun zum großen Teil an ihnen aus, und wenn auch unsere Liebe für sie nicht aufhört, wenn auch unsere Sorgen um sie nicht zu Ende sind, sondern erst recht beginnen: so nahe wie bisher können wir ihnen nicht immer, können wir ihnen nicht lange mehr bleiben. Sind auch sie jetzt noch nicht alle die Scheidenden, bleiben auch sie zum großen Teil jetzt noch unter dem Dach, unter dem sie bisher aufgewachsen ach, so sind ja im Grund wir die Scheidenden, die früher oder später hinweggenommen werden von denen, welche wir lieben, und wie Paulus dort mit wehmütiger Ahnung spricht: siehe, ich, im Geist gebunden, fahre hin gen Jerusalem, weiß nicht, was mir daselbst begegnen wird, so fahren auch wir unaufhaltsam die Straße hin, die der Herr uns führt, wissen nicht, was uns begegnen wird heut oder morgen, und wenn es auch heute noch kein Abschied ist auf Leben und Tod, wenn wir auch nicht mit dem Apostel sagen müssen: ich weiß, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet: so wissen wir wenigstens Alle nicht, wie lange wir einander noch sehen und haben. Das sind die Abschiedsgedanken, die Abschiedsgefühle, die Abschiedsschmerzen, die unwillkürlich sich einmischen in ein Dank und Freudenfest, wie das heutige.
Wohl uns, wohl uns Erwachsenen und wohl euch Kindern, dass es uns auch nicht fehlt an einem Abschiedstrost, wohl uns, dass wir auch mit dem Apostel sagen können: und nun, liebe Kinder, wir befehlen euch Gott und dem Wort seiner Gnade: können auch wir nicht mit euch sein auf allen euren Wegen, ein Anderer, Besserer und Stärkerer als wir bleibt euch, an Ihn haltet euch, Ihm wandelt nach! Ja, dem Herrn, den ihr kennt und der euch kennt nicht erst seit heute; dem Herrn, zu dem ihr euch feierlich bekannt habt und der sich zu euch heut feierlich bekannt hat, dem wandelt nach:
Jesu nach!
Diese zwei Wörtlein seien unser Abschiedswort jetzt an die lieben Neukonfirmierten. Jesu nach,
1) als eurem edelsten Vorbild,
2) als eurem einzigen Heiland,
3) als eurem treuesten Hirten.
Jesu! geh voran
Auf der Lebensbahn,
Und wir wollen nicht verweilen,
Dir getreulich nachzueilen;
Führ uns an der Hand
Bis ins Vaterland. Amen.
Jesu nach! Diese zwei Wörtlein, liebe Kinder, möchten wir als unser Abschiedswort, als den kürzesten und vielsagendsten Denkspruch für euch Alle mit feurigen Buchstaben euch ins Herz schreiben. Jesu nach
1)
als eurem edelsten Vorbild. Ein Vorbild braucht ihr auf eurem Lebensweg. So hell ist euer Blick noch nicht, so fest ist euer Herz noch nicht, so reich ist eure Erfahrung noch nicht, dass ihr eure eigenen Führer sein könnt auf dem schlüpfrigen Boden dieser Welt. Und doch seid ihr auch nicht mehr so kindisch und unmündig, dass man euch bei jedem Schritt an der Hand führen müsste, dass man euch nur durch Zucht und Vermahnung zu leiten hätte bei all eurem Tun und Lassen. Nein, in dem Alter, in das ihr nun tretet, wirkt das Beispiel, das Vorbild mehr als alle Zucht und Vermahnung. Das jugendliche Auge, wenn ihm nun die Welt und das Menschenleben sich mehr auftut, so nimmt es sich sein Beispiel an dem, was es in der Welt sieht, das jugendliche Herz fühlt einen Drang zu lieben, zu bewundern, sich anzuschließen, es sieht sich um nach einem Vorbild und Führer, wie Jonathan nach einem David, wie Maria nach einer Elisabeth sich umsah, Timotheus an einen Paulus sich anschloss. Und wenn nur jeder Jonathan einen David, wenn nur jede Maria eine Elisabeth und jeder Timotheus einen Paulus fände zum Muster, Vorbild und Führer.
Da gilt's ein ernstes Wort an uns, die Erwachsenen. Diese Kinder sind nun aufgenommen in die Gemeinde der Erwachsenen, sind von heut an unsere jüngeren Brüder, unsere jüngeren Schwestern geworden. Ihr seid nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, rufen wir ihnen zu, sondern Gottes Hausgenossen und Bürger mit den Heiligen. Aber wenn sie nun sich umsehen unter uns, ihren älteren Hausgenossen, wenn sie nun die Heiligen suchen, mit denen sie Bürger worden sind: was werden sie finden? Werden sie Heilige an uns finden, von denen sie lernen können, was etwa eine Tugend, etwa ein Lob ist? werden sie Vorbilder unter uns finden, denen sie sich nachbilden dürfen? Ihr Väter und Mütter, seid ihr euren Kindern, ihr Lehrer und Meister, seid ihr euren Schülern und Lehrlingen, ihr älteren Geschwister, seid ihr den jüngeren, du erwachsene Gemeinde, bist du diesem nachwachsenden Geschlecht ein Muster, nach dem es sich richten, ein Vorbild, nach dem es sich bilden darf? Wenn sie nun hineinblicken in unser Leben und Treiben, werden sie da bestätigt und verwirklicht finden, was man sie in Haus, Schule und Kirche bisher gelehrt hat von den Pflichten, von den Tugenden, von den Gütern des Christen? Wenn sie nun vertrauensvoll und hingebend sich zu uns gesellen, werden sie ein Volk an uns finden, das da tüchtig sei, durch seinen Wandel auch ihnen zu verkündigen die Tugenden des, der uns berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht? Ach, liebe Kinder, wir wollen euch den frohen Glauben an das Gute in der Welt, wir wollen euch die jugendliche Begeisterung für alles Edle und Schöne in der Menschheit nicht verkümmern noch rauben, wir wollen aus euch keine menschenscheuen Kopfhänger ziehen, auch keine jener frühreifen und frühwelken Seelen, wie man sie jetzt so häufig unter einer verbildeten und entarteten Jugend findet, die nicht frühe genug alles Wahre, Gute, Schöne zu bespötteln und über alles Ehrwürdige mit hochmütigem Dünkel sich hinwegzusetzen wissen. Das sei ferne! Nein, lernt, wo ihr lernen könnt, bewundert, was bewundernswürdig, liebt, was liebenswürdig, ahmt nach, was nachahmungswürdig eurem Blicke begegnet. Glücklich, wem sein junges Herz flammt vom Feuer reiner Begeisterung und edler Nacheiferung für Alles, was etwa eine Tugend, etwa ein Lob ist. Dreimal glücklich, wer einen würdigen Gegenstand findet für solche Nacheiferung, wen das Vorbild eines ehrwürdigen Vaters, einer frommen Mutter, eines treuen Lehrers, eines edlen Freundes lehrend und warnend, tröstend und segnend, als ein Schutzengel durchs Leben begleitet.
Aber, liebe teure Seelen, wollt ihr das edelste Muster haben, euch darnach zu bilden, wollt ihr ein Vorbild haben, in dessen Fußstapfen allein ihr sicher seid, nie und nimmermehr fehl zu gehen, wollt ihr einen Maßstab haben, einen untrüglichen Maßstab, womit ihr Alles, was in der Welt sich für gut ausgibt, messen könnt, dann lasst euch gesagt sein, was wir euch als Abschiedswort heut zurufen: Jesu nach! dem nach, von dem der Apostel in unserem Texte sagt: Christus hat gelitten für uns und uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen Seinen Fußstapfen, „welcher keine Sünde getan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden; welcher nicht wieder schalt, da Er gescholten ward, nicht drohte, da Er litte, Er stellte es aber dem heim, der da recht richtet.“
Jesu nach als eurem edelsten Vorbild! Ihr kennt dieses Vorbild. Wie oft hat man euch von Kind auf diesen göttlichen Fußstapfen nachgeführt von Bethlehem bis Golgatha! Wir haben euch Jesum gezeigt als ein frommes Kind, das am liebsten war in Seines himmlischen Vaters Haus, und doch den Eltern untertan in kindlichem Gehorsam, und haben euch gesagt: werdet diesem Kinde gleich. Wir haben Ihn euch gezeigt als ein Musterbild heiliger und unbefleckter Jugend, wie Er standhaft den Versucher überwand, und haben euch zugerufen: lernt von ihm den Bösewicht überwinden. Wir haben ihn euch gezeigt als vollkommenen Mann in der Berufsarbeit Seines irdischen Tagewerks, wie Er wirkte, so lang es Tag war und ist umhergegangen und hat wohlgetan Vielen, und haben euch gefragt: wer kann Ihn einer Sünde zeihen? ist doch auch in Seinem Munde kein Betrug erfunden worden! Wir haben euch Ihn in Seinem Leiden gezeigt als den stillen Dulder, welcher nicht wieder schalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da Er litt, stellte es aber dem heim, der da recht richtet, und euch zugerufen: seht welch ein Mensch! Wir haben Ihn euch im Sterben gezeigt, wie Er ausrief: es ist vollbracht! und Seinen Geist befahl in Seines Vaters Hände, und ihr habt mit uns bekennen müssen: wer so stirbt, der stirbt wohl.
Gewiss, es ist keines unter euch, dem, nicht in seinen besten Stunden wenigstens je und je sein junges Herz gebrannt hat und sein Auge übergegangen ist von Liebe und Bewunderung vor diesem göttlichen Bild. Und wahrlich, je genauer ihr die Welt kennen lernt und in der Welt die Sünde, mit umso tieferer Bewunderung mit umso reinerem Wohlgefallen werdet ihr immer wieder zurückkehren zu diesem einzigen Reinen von Allen, zu diesem fleckenlosen Menschensohn, und werdet anbetend bekennen: Wer ist wohl wie du!
O, so verliert denn Sein heiliges Bild nicht aus den Augen unter den bunten Bildern der Welt, nehmt's mit als euer edelstes Vorbild. Jesu nach! das sei euer Wahlspruch, darin sind alle eure Pflichten enthalten, darin sind alle Gebote beschlossen, darin habt ihr Alle, Söhne und Töchter, Alte und Junge, eine untrügliche Richtschnur für euren Wandel. Fragt bei Allem, was euch widerfährt, was ihr tut oder lasst: was hätte jetzt hier mein Heiland getan und wie hätte Er gesprochen oder gehandelt? und dann Jesu nach, wär's auch gegen des Herzens Gelüsten, wär's auch gegen die Mode der Welt: ihr werdet nicht irren, es wird euch nicht reuen. Tritt der Versucher zu euch, der Versucher da drinnen in der Brust oder der Versucher von außen: Jesu nach! und der Versucher wird von euch weichen wie von Ihm dort in der Wüste. Kommt das Leben mit den Mühen und Lasten des Berufs: Jesu nach! in den Fußstapfen Seines Gehorsams, Seiner Liebe tut auch ihr euer Tagewerk und wirkt, so lang es Tag ist, ehe die Nacht kommt, da Niemand wirken kann. Lacht euch das Glück und will euch die Welt bezaubern mit ihren Freuden: Jesu nach auch durch die Lust der Welt; vergesst über der Erde nicht den Himmel, lasst euch Alles, was hienieden schön und lieblich ist, nur ein Gleichnis sein der ewigen Güter, der himmlischen Freuden, zu welchen Gottes Kinder berufen sind. Gilt's den Kampf mit Lug und Trug, mit Bosheit und Sünde: Jesu nach kämpfet mit den Waffen der Wahrheit und der Liebe voll Heiligen Abscheus gegen die Sünde und voll heiligen Erbarmens gegen den Sünder. Gilt's ein Kreuz zu tragen auch euch, liebe Kinder, wirds nicht ausbleiben - Jesu nach, der uns das Kreuz vorangetragen, Jesu nach im Glauben und Geduld und Hoffnung, und ihr werdet selig überwinden. Und soll's zum Sterben gehen ach bei Manchem unter euch vielleicht früher als ihr jetzt denkt auch dann getrost Jesu nach, dem Todesüberwinder! Jesu nach durch Nacht zum Licht, durch Tod zum Leben, durch Leiden zur Herrlichkeit! Jesu nach ja, Geliebte, das wäre ein schöner Denkspruch, ein seliger Wahlspruch für uns Alle, für die Alten wie für die Jungen:
Mein Beruf heißt: Jesu nach
Auch durch Schmach:
Durchs Gedräng von auß' und innen
Jene Heimat zu gewinnen,
Deren Bahn mir Jesus brach!
Jesu nach als eurem edelsten Vorbild. Aber damit ihr das könnt, so rufen wir euch zu:
2)
Jesu nach als eurem einzigen Heiland! Es ist etwas Schönes um die Nachfolge Jesu, aber auch etwas Schweres. Das haben wir, die Erwachsenen, schon mit Schmerzen erfahren, das werdet auch ihr, liebe Kinder, erfahren, wie fröhlich jetzt auch Diesem oder Jenem unter euch das Herz brennen mag von Lust und Liebe zur freudigen Nachfolge Jesu. Es gibt eine Kette, die uns immer wieder zurückhält, es gibt einen Stein, der uns immer wieder im Wege liegt, wenn wir auch noch so mutig den Anlauf nehmen zu allem Guten und Göttlichen. Diese Kette an unserer Seele, dieser Stein auf unserem Wege es ist die Sünde; die Sünde, die uns Allen immerdar noch anklebt, die Sünde, mit der wir, die Alten, schon manchen schmerzlichen und nicht immer siegreichen Kampf bestanden, die Sünde, von der auch ihr Kinder heute Morgen bekannt habt: es ist mir von Herzen leid, dass ich wider Gott gesündigt und Ihn, meinen getreuen Schöpfer, Erlöser und Tröster, so vielfältig beleidigt habe.
Aber dennoch, Geliebte, und nur umso dringender rufen wir euch zu: Jesu nach als eurem einzigen Heiland! Das ist erst Sein süßester Name, Sein tröstlichstes Amt. Dass wir ein Vorbild an Ihm haben, das ist schön, aber dass wir einen Heiland an Ihm haben, das ist noch besser, das allein kann uns helfen. Er ist's, welcher, wie der Apostel in unserem Texte sagt, „unsere Sünden selbst geopfert hat an Seinem Leib auf dem Holz, auf dass wir der Sünde abgestorben der Gerechtigkeit leben, durch welches Wunden ihr seid heil worden.“
Auch ihr, liebe Kinder, seid heil worden durch Seine Wunden. Seht, eurem Konfirmationstag sind zwei große Feste vorausgegangen: Karfreitag und Ostertag, und die werfen erst den rechten Freudenschein auf den heutigen Tag, denn sie sagen uns: Christus ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt, darum dürfen Seine Gläubigen Gottes Kinder heißen. Seht, auf dem Altar, vor dem ihr heute gekniet habt, steht das Bild des Gekreuzigten, das sagt euch: der Jesus, den ihr heute bekennt, ist nicht nur ein Vorbild, dem ihr nachgehen sollt, sondern ein Heiland, der euch nachgegangen, ja der für euch gestorben ist. Darum, weil Er unser Heiland ist, weil Er auch euer Heiland ist, darum habt ihr heute so getrost antworten können auf die Frage: wer hat uns aus solchem kläglichen Zustande herausgeholfen? „Jesus Christus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.“ Ach, was wären wir ohne Ihn? Arme Kinder, die keinen gnädigen Gott im Himmel hätten, zu dem sie ihre Augen aufschlagen, ihre Hände falten und beten könnten: Abba, lieber Vater! Knechte der Sünde, die keinen Trost hätten für ihr Herz, keine Kraft zum Guten, wenn sie auch tausendmal wollten; Kinder des Todes, die im Leben und Sterben zittern müssten vor Grab und Hölle! Und was sind wir durch Ihn? Gesegnete des Herrn, Kinder Gottes, Erben des Himmels, die fröhlich sprechen dürfen: Ich bin Gottes, Gott ist mein, wer ist, der uns scheide? Seht, das Alles verdanken wir dem Heiland, welcher unsere Sünden selbst geopfert hat an Seinem Leib auf dem Holz. O darum Jesu nach, als unserem einigen Heilande. Euren Heiland müsst ihr Ihn nennen, als euren Heiland müsst ihr Ihn kennen, dann erst gebt ihr Ihm ganz die Ehre und dann erst habt ihr ganz Seinen Segen. Das ist's, was wir beim Heiland lernen sollen, der Sünde absterben, der Gerechtigkeit leben.
„Der Sünde abgestorben,“ das seid auch ihr heut, liebe Kinder, mit dem Munde wenigstens, indem ihr bekannt habt: ich aber habe abgesagt dem Teufel und all seinem Werk und Wesen, der Pracht und Eitelkeit der gottlosen Welt und allen sündlichen Lüsten des Fleisches; der Sünde abgestorben, das seid ihr, wenn es euch Ernst war mit dem Gelübde: Weil meine Sünden dem Herrn Jesu die größten Schmerzen, ja den bitteren Tod verursacht, so soll ich an der Sünde keine Lust haben, sondern dieselbe ernstlich fliehen und meiden. O dass ihr nicht mit dem Munde bloß, dass ihr auch mit dem Herzen, dass ihr nicht heute bloß, dass ihr alle Tage und immer gründlicher der Sünde wolltet absterben, dass ihr von Tag zu Tag fernen wolltet und wir mit euch das Fleisch kreuzigen samt seinen Lüsten und Begierden, verleugnen das ungöttliche Wesen um uns und an uns, und im Versöhnungsblute Christi Reinigung suchen von unseren Sünden. Jesu nach, fündige Seele! Am Kreuze deines Heilandes lege deine Sünden nieder und hole dir Trost der Vergebung und schwöre sie ab; das heißt mit Jesu sterben. Und aus solchem Tod wächst hervor ein seliges Leben.
„Der Gerechtigkeit leben“ der Gerechtigkeit leben, wie ihr heute euch verpflichtet habt, Gott und eurem Herrn Jesu zu dienen euer Leben lang; wie ihr's heute gelobt habt: hingegen soll ich meinem Heiland und Erlöser als Sein Eigentum allein zur Ehre leben, leiden und sterben. Solch ein neues Leben in der Gerechtigkeit, das pflanzt der Heiland in den Seinen, das will Er auch in euch Allen pflanzen. In der Taufe schon hat Er zu diesem Leben euch berufen, in eurer Kindheit schon hat Er den Samen zu solch einem Leben in eure Herzen gestreut durch Sein lebendig machendes Wort, und heute haben wir dieses neue Leben in eure Seelen herabgefleht, mit dem Segenswunsch: der himmlische Vater erneure und vermehre in euch Allen die Gaben Seines Heiligen Geistes, zur Stärkung eures Glaubens, zur Kraft in der Gottseligkeit, zur Geduld in dem Leiden und zur seligen Hoffnung des ewigen Lebens. Hat's denn auch in euch schon angefangen zu keimen, zu knospen, zu grünen, zu blühen, dieses neue, geistliche Leben? sind auch Seelen unter euch, in denen der Heilige Geist Sein Werk begonnen hat; Pflanzen der Gerechtigkeit, die heut im Maienglanz ihrer ersten Liebe zum Heiland, im Frühlingsschmuck einer reinen Jugend dastehen vor dem Herrn wie ein weißer duftender Blütenbaum? Wir wollen's glauben und hoffen. Aber ach, dass diese Blüten der ersten Liebe nicht wieder abfielen als taube Blüten, sondern zu Früchten reiften, zu Früchten der Gerechtigkeit; ach, dass Alle, auch die bisher noch dürres Holz gewesen, dem Herrn möchten noch grünen und blühen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Schöner gibt es nichts auf Erden, als einen Sohn und eine Tochter, blühend nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele, ihrem Gott grünend und blühend in Unschuld und an ihrem Heiland hinaufwachsend wie eine Rose, die sich am Kreuzesstamm hinaufrankt. Ach, dass in uns Allen, auch in den alten Herzen, das neue göttliche Leben einmal sich regte, die Blüten frommer Liebe endlich aufgingen, die Früchte der Gerechtigkeit noch reiften, daran der Herr die Seinen kennt! das wäre eine liebliche Maienblüte, ein seliger Frühling der Seelen! Nun denn, Geliebte, alt und jung, Neufonfirmierte und Längstkonfirmierte, Jesu nach, dem einzigen Heiland! bei Ihm Lasst uns holen Reinigung von unsern Sünden und Kraft zum neuen Leben, Ihn lasst uns suchen heut und alle Tage in Buße, in Glauben, in neuem Gehorsam, damit wir in Ihm je mehr und mehr der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.
Wo ist solch ein Herr zu finden,
Der, was Jesus tat, mir tut?
Mich erkauft von Tod und Sünden
Mit dem eig'nen teuren Blut?
Sollt ich ihm nicht angehören,
Der Sein Leben für mich gab?
Sollt ich Ihm nicht Treue schwören,
Treue bis in Tod und Grab?
Bleibt Er doch auch mir getreu! Wie er einst für mich gestorben, so lebt Er jetzt für mich und führt und regiert mich mit himmlischer Liebe. Jesu nach,
3)
als eurem treuesten Hirten, denn „ihr wart wie die irrenden Schafe, aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“
„Ihr wart wie die irrenden Schafe.“ Ja wohl, irrende Schafe waren wir, irrende Schafe, liebe Kinder, wärt auch ihr ohne euren treuen Hirten Jesum Christum. Besinnt euch einmal heut an eurem Ehren- und Freudentag: wie stände es um euch heut ohne Christum und Sein heiliges Evangelium, ohne die Hut und Pflege eures treuen Seelenhirten? Aufgewachsen wärt ihr ohne Zucht und Lehre, verwildert wärt ihr in Unwissenheit und Sünde, hinausgehen würdet ihr nun in die Welt, in die wüste, weite Welt, ohne Aufsicht und Leitung, preisgegeben wärt ihr der Versuchung und Verführung, hineingeworfen würdet ihr wie die Schafe mitten unter die Wölfe. Aber Gottlob, dem ist nicht also; Gottlob nicht als Verlorene, nicht als Schutzlose dürfen wir euch hinausgehen sehen in die Gefahren einer argen Welt, einer bösen Zeit; denn auch auf euch dürfen wir etwas anwenden von dem trostvollen Zeugnis: „ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“ Hat nicht ein treuer Hirt bis hierher euch geleitet? Bezeug es, du Kinderschar, und stimmt ein, ihr Eltern und ihr Alten: Bis hierher hat der Herr Seine Verheißung wahr gemacht: Er wird Seine Herde weiden wie ein Hirte, Er wird die Lämmer in Seine Arme sammeln und in Seinem Busen tragen und die Schafmütter führen. Hat Er nicht in der Taufe schon euch als die Seinen gezeichnet mit Seinem heiligen Kreuzeszeichen? hat Er nicht in der Kindheit schon, als ihr kaum seinen Namen lallen konntet, euch in Seinem Busen getragen, treulich mit mehr als mütterlicher Liebe gehegt und gepflegt? hat Er nicht in den Schuljahren eure Seelen süße Weide, kräftige Nahrung finden lassen auf den grünen Auen Seines Evangeliums? hat Er nicht in manch heißer Stunde euch erquickt aus dem Brünnlein Seiner Gnade? hat Er nicht an manchem Abgrund euch gnädig vorbeigeführt und gegen manchen Feind euch mächtig beschützt als ein guter Hirte? hat Er nicht mit Seiner treuen Hirtenstimme euch oft beim Namen gerufen und Seinen Hirtenstab fleißig gebraucht an Allen, bald den Stab Sanft und bald den Stab Wehe, um euch zu leiten auf ebener Bahn? Und heute vollends, hat Er euch heute nicht recht als Seine liebe Herde um sich versammelt und ist mitten unter euch getreten als ein guter Hirte und hat Jedes unter euch in Sein Buch gezeichnet, Jedes unter euch bei seinem Namen gerufen: gib mir, mein Kind, dein Herz? O ein guter Hirte, ein frommer Bischof unserer Seelen!
Und seht, was Er bisher an euch getan, das will Er auch ferner tun und will noch mehr tun. Hat Er euch bis hierher gebracht, so will Er euch auch noch weiter bringen. Hat Er euch bisher nur einen Vorschmack gegeben, die ersten Frühlingskräuter gleichsam kosten lassen auf Seiner Weide, so will Er euch von Tag zu Tag tiefer einführen in den Genuss Seiner Gnade, in die Kraft Seines Evangeliums. Hat Er euch bisher zu sich gezogen durch manchen Gnadenwink und sanften Hirtenruf, o so möchte Er das angefangene Werk in euch vollführen, euch ganz zu sich bekehren, ganz zu Seinem Eigentum machen. Und hat Er euch einst treulich hindurchgeleitet durch die Wüste dieser Welt, seht, so will Er euch endlich hinführen am Abend in seines Vaters Haus und droben euch weiden auf grünen Paradieses Auen und leiten zu den Wasserbrunnen des ewigen Lebens.
Was sollen wir sagen zu solcher Hirtentreue? Wir sagen nichts als: liebe Kinder, Jesu nach, eurem guten Hirten! Bleibet auf Seiner Waide, haltet euch zu Seiner Herde, hört auf Seine Stimme, folgt Seinem Stabe, meidet die giftige Weide der Sündenlust, flieht die Wölfe, verlauft euch nicht in die Wüste, damit es nicht umgekehrt bei euch heiße, wie leider bei so manchem Konfirmierten: Einst ward ihr bekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen, nun aber seid ihr irrende Schafe.
Jesu nach, dem guten Hirten! o dann wärt ihr in guter Hut, dann würden wir, die wir euch lieben und euch nicht immer hüten können, euch getrost ziehen lassen. Hundertundzwölf Kinder sind heute vor diesem Altare gekniet, eine große Schar, eine zahlreiche Herde. Wer kann sie Alle hüten, wer kann für Alle sorgen, wer kann sie Alle bewahren? Wir können's nicht, das kannst nur du, guter Hirte, Bischof unserer Seelen, treuer Menschenhüter. Von Paulus in jener feierlichen Scheidestunde, da er seine letzten Abschiedsworte gesprochen an seine Herde zu Ephesus, lesen wir: Und als er solches gesagt, kniete er nieder und betete mit ihnen Allen. Wir wollen auch beten mit Allen und für Alle. Herr Jesus Christus, du großer Erzhirte und Bischof unsrer Seelen, Dir befehlen wir auch diese Seelen, die du von Ewigkeit an geliebt, mit Deinem Blut erkauft, durch die Taufe Dir geheiligt, durch dein Wort berufen und heute zu Deiner Gemeinde gezählt hast. Unsere Liebe ist arm, aber die Deine ist reich über Bitten und Verstehen. Ihre Herzen sind schwach, aber Deine Kraft ist mächtig in den Schwachen. Die Zeit ist bös, aber Deine Güte währet ewiglich. Bewahre sie vor dem Argen, heilige sie in Deiner Wahrheit, erhalte sie bei Deinem Namen. Die noch irrende Schafe sind, die bekehre zu Dir; die Du bekehrt hast, in denen vollende das angefangene Werk, und stell uns Alle, Schafe und Lämmer, Hirten und Herde dereinst vor Dein Angesicht mit Freuden:
Bring, was noch draußen ist,
Zu Deiner Heinen Herde,
Was drinnen ist, erhalt,
Dass es gestärket werde;
Durchdring mit Deinem Wort,
Bis einstens Herd und Hirt
Im Glauben, Herr, an Dich
Zusammen selig wird. Amen.