Gerok. Karl - Vom christlichen Hausstande - 1. Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis.
(1857.)
Luk. 13,10-17.
Und er lehrte in einer Schule am Sabbat. Und siehe, ein Weib war da, das hatte einen Geist der Krankheit achtzehn Jahr, und sie war krumm und konnte nicht wohl aufsehen. Da sie aber Jesus sahe, ruft er sie zu sich und sprach zu ihr: Weib! sei los von deiner Krankheit; und legte die Hände auf sie, und alsobald richtete sie sich auf und pries Gott. Da antwortete der Oberste der Schule und ward unwillig, dass Jesus auf den Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: es sind sechs Tage, darinnen man arbeiten soll; in denselbigen kommt und lasst euch heilen, und nicht am Sabbattage. Da antwortete ihm der Herr und sprach du Heuchler, löst nicht ein Jeglicher unter euch seinen Ochsen oder Esel von der Krippe am Sabbat und führt ihn zur Tränke? Sollte aber nicht gelöst werden am Sabbat diese, die doch Abrahams Tochter ist, von diesem Bande, welche Satanas gebunden hatte nun wohl achtzehn Jahr? Und als er solches sagte, mussten sich schämen Alle, die ihm zuwider gewesen waren; und alles Volk freute sich über allen herrlichen Taten, die von ihm geschahen.
„Was wäre das Leben ohne Sabbat?“ sagt ein alter Kirchenlehrer: „ein langer Wüstenweg ohne Herberg.“
Ja, am Sonntag hält der Pilger Gottes seinen Rasttag, das Haus Gottes ist seine Herberg in der Wüste der Welt. Und wie sich der Wandersmann freut auf die Herberg, so freut sich der Christ unter den Mühen der Woche auf den Tag des Herrn, aufs Haus des Herrn.
In der Herberg ruht der Wandersmann von den Beschwerden des Wegs, stellt den Wanderstab auf die Seite, legt das Wanderbündel von den Schultern, dehnt die müden Glieder auf der Ruhebank. So sollst auch du, mein Christ, ruhen am Tag des Herrn von den Beschwerden deiner irdischen Wallfahrt und dich erholen von den Lasten deines Berufs.
In der Herberg birgt sich der Wandersmann vor Sonnenglut und Gewitter und freut sich des sichern Daches, dieweil draußen der Regen ans Fenster schlägt und der Sturm die Bäume beugt. So sollst auch du, mein Christ, im Haus des Herrn dich bergen als in einem sichern Zelt vor den Stürmen der Trübsal und Trost finden unter den Leiden dieser Zeit, denn wer unter dem Schirme des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!
In der Herberg erquickt sich der Wandersmann mit Speis und Trank und stärkt Leib und Seel für die weitere Reise. So, mein Christ, sollst auch du hier im Haus des Herrn mit dem Himmelsbrote des göttlichen Worts gespeist, mit dem Lebenswasser des Evangeliums getränkt, mit den Gnadengaben an Gottes Tisch erquickt und erfüllt werden mit Kräften der zukünftigen Welt.
In der Herberg findet sich der Wandersmann zusammen mit Andern, die dieselbe Straße ziehen, da gehen die Herzen und Lippen gegeneinander auf, da tauscht man seine Erfahrungen aus, da macht man Freundschaft und Bekanntschaft, dieweil man miteinander auf dem Weg ist. So, mein Christ, sollst auch du am Tag des Herrn in herzlicher Liebe zusammenkommen mit deinen Brüdern und Schwestern; als Hausgenossen im Haus des Herrn, als Tischgenossen am Tisch des Herrn, als Reisegenossen auf dem Weg ins himmlische Vaterland sollen wir uns hier zusammenfinden in der Gemeinschaft des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung: „Ein Gott, vor dem wir knieen, Ein Heil, für das wir glühen, Ein Weg, auf dem wir ziehen, Ein Himmel dir und mir.“
Auch jetzt, meine Lieben, sind wir in der Herberg eingekehrt, und das Haus Gottes hat uns freundlich wieder seine Pforten geöffnet. Auch heute wieder haben wir durch Gottes Gnade den lieben Sonntag erlebt, den Tag des Herrn. Möchte er für uns Alle werden, was er sein soll: ein Tag des Heils; möchte er für uns Alle werden durch des Herrn Gnade, was er für jene Kranke ward, von der wir vorhin im Evangelium gelesen: ein Tag der Aufrichtung für Leib und Seel, der Genesung und des neuen Lebens. Dazu gebe der Herr Seinen Segen uns wie ihr, hier wie dort, heute wie damals. Lasst uns betrachten den Tag des Herrn als einen Tag fröhlicher Aufrichtung für Leib und Seel;
denn er ruft uns
1) vom Werktagslärm zur Sabbatsruhe;
2) vom Erdenweh zu Himmelsfreuden;
3) vom Sündenjoch zum Dienst des Herrn.
Jesu, Seelenfreund der Deinen, Sonne der Gerechtigkeit,
Wandelnd unter den Gemeinen, Die zu Deinem Dienst bereit;
Komm zu uns, wir sind beisammen, Gieße Deine Geistesflammen,
Gieße Licht und Leben aus Über dies Dein Gotteshaus! Amen.
Den Tag des Herrn wollen wir jetzt betrachten und wollen wir feiern heut und so oft er kommt als einen Tag fröhlicher Aufrichtung für Leib und Seel, da es auch von uns gelte, was gesagt ist von dem Weib im Text, welcher der Herr Seine segnende Hand aufs Haupt gelegt: „und alsbald richtete sie sich auf und pries Gott.“
Richte dich auf heut, geplagtes Herz, richte dich auf heut, geplagter Mensch, von Allem, was dich sonst zu Boden drückt, richte dich auf zuvörderst von den Mühen deines irdischen Tagewerks, denn der Tag des Herrn ruft dich
1) vom Werktagslärm zur Sabbatsruhe.
Als einen Ruhetag hat Gott selbst von Anbeginn der Welt diesen Tag ausgesondert und geheiligt. Als einen Ruhetag, wo der Mensch losgesprochen von dem Sündenfluch: im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, einen Nachschmack empfände der göttlichen Ruhe, womit der Schöpfer über Seinen Welten thront, und einen Vorschmack genösse der zukünftigen Himmelsruhe, von der es heißt: wie gut ist's nach vollbrachter Arbeit ruh'n, wie wohl wird's tun! Darum hat der Gott Israel durch Mose schon seinem Volk geboten: am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes, da sollst du kein Werk tun. 2 Mos. 20,10.11. Und der Stifter des neuen Bundes hat's nicht anders gewollt und nicht anders gehalten. Und sehr unnötig ereifert sich der Oberste der Schule in unserem Text, da er erbost über dieses stille Gnadenwunder des Herrn an der kranken Frau, das ja wahrhaftig keinen Lärm gemacht, noch die Sabbatfeier im mindesten gestört hatte, zum Volke sprach: „es sind sechs Tage, darinnen man arbeiten soll, in denselben kommt und lasst euch heilen, und nicht am Sabbattage.“ Darum auch trefflich antwortet ihm der Herr: „Du Heuchler, löset nicht ein Jeglicher unter euch seinen Ochsen oder Esel von der Krippe am Sabbat und führet ihn zur Tränke? Sollte aber nicht gelöst werden am Sabbat diese, die doch Abrahams Tochter ist?“ Ein solches Liebeswerk ist ja keine Sabbatschändung.
Ja, der Tag des Herrn soll freilich ein Tag der Ruhe sein nach dem Werktagslärm der Woche, das will Christus so gut als Moses, und das wollen wir uns heute auch gesagt sein lassen, obwohl wir's aus eines Pharisäers Mund vernehmen. Der Sonntag ist ein Ruhetag, das ist seine erste natürlichste Bestimmung, und fürwahr der Mensch dauert mich, der diese Sabbatruhe nicht kennt, sei's weil er keinen Werktag hat in der Woche, sondern sein Leben im Müßiggang verschleudert; oder sei's, weil er feinen Sonntag hat nach der Woche, sondern den Tag des Herrn zum Werktag macht und durch Arbeit entheiligt. Ist's doch so eine freundliche Ordnung des leutseligen Gottes: sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten sollst du ruhen. Ist's doch so eine liebliche Empfindung, wenn nach der sauren Arbeit der Woche am Samstag Abend der fleißige Arbeiter sich zur Ruhe anschickt, wenn da der Weingärtner sein Geschirr und der Handwerker sein Werkzeug weglegen darf aus der schwieligen Hand; wenn da der Beamte seine Schreibstube und der Geschäftsmann seinen Laden schließen darf mit dem Gedanken: morgen ist Sonntag, morgen ist Ruhetag! Ist's doch so etwas Feierliches und Liebliches um einen stillen Sonntagmorgen, wo vom blauen Himmel hernieder der Friede Gottes weht über Stadt und Land, wo Ruhe ist auf den Gassen und in den Häusern, wo keine Axt erklingt, kein Hammer tönt, keine Peitsche knallt, kein Mühlrad geht und nur die frommen Glocken in vollem Chor zur Kirche laden und es mit ihren heiligen Klängen der Welt verkünden: es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes, lasst uns Fleiß tun, einzukommen zu dieser Ruhe. Liegt doch so ein himmlischer Segen auf solch einem Ruhetag, wo der abgearbeitete Leib, ausgespannt vom Joch des Tagewerks, neue Kräfte sammelt für die künftige Woche, wo die vielfach zerstreute und umgetriebene Seele wieder zu sich selber kommt, in heiliger Stille ihre Gedanken sammelt und von dem Getriebe dieser Welt ausruht in Gott.
Aber ach, wohin ist er geflohen, dieser Sonntagsfriede und Sonntagssegen! wie selten ist sie noch zu finden, diese Sonntagsruhe und Sonntagsstille! Ein böser, unruhiger Geist, meine Lieben, hat Besitz genommen von der Welt und will auch am Tag des Herrn sein Regiment nicht mehr abgeben und auch am heiligen Ruhetag den Leuten keine Ruhe mehr gönnen: das ist der Geist der Habsucht und Gewinnsucht, des irdischen Sinns und fleischlichen Wesens. Und nun mögen am Sonntag Morgen die Glocken noch so laut und noch so oft laden zur Ruhe in Gott, der böse Geist gönnt dem geplagten Leib, der armen Seele keine Ruhe; nun mag in so einer stillen, friedlichen Sonntagsfrühe der liebe Gott noch so freundlich anklopfen an die Werkstatt, an die Stubentür: gib mir, mein Sohn, gib mir, meine Tochter, dein Herz, dein Ohr heut nur auf ein paar Stunden: man hat kein Herz, man hat kein Ohr, man hat keine Zeit für den lieben Gott; die Kunden, die warten, gelten mehr als der liebe Gott vor der Tür; das Stück Geld, das man verdient, ist mehr wert als der Seele Seligkeit; der Zeitgeist, dem man frönt, hat mehr Macht, als das heilige Gebot des ewigen Gottes; und so macht man in hundert Häusern auch dieser unserer Stadt den Sonntag zum Werktag und bringt sich selbst, bringt Weib und Kind, bringt Lehrlinge und Dienstboten, bringt Nachbarn und Mitbürger um Sonntagsruhe und Sabbatfrieden. O schwere Verantwortung, die man so sich auflädt gegen die eigene und fremde Seelen! O arme Kreatur, die also feinen Ruhetag mehr hat in der Unruh dieses Lebens; der Ochs und der Esel wird von der Krippe gelöst am Sabbat und zur Tränke geführt, aber der Mensch, der Christ, der Abrahamssohn, das Gottesfind, der muss unterm Joch angeschirrt bleiben, der darf Leib und Seele nicht aufrichten vom Staub der Erde, der darf keinen Trunk tun aus dem Brunnen göttlicher Gnade und Wahrheit in seine verschmachtende Seele hinein!
Und wenn noch ein rechter Gewinn herauskäme bei solcher Sonntagsarbeit auch nur fürs Irdische! Aber ist dem so? Wenn man nun den Montag mit Müßiggang verliederlicht, weil man den Sonntag durch Arbeit entheiligt hat, ist denn da etwas gewonnen? Wenn nun deine Dienstboten und Arbeiter um so verdrossener und nachlässiger und gewissenloser arbeiten, weil sie keinen Rasttag mehr haben in der Woche und in keiner Kirche ihnen das Gewissen geschärft wird jahraus jahrein ist damit viel profitiert? Wird nicht hundertmal noch das Sprüchlein wahr: Was der Sonntag erwirbt, Schon am Montag verdirbt? Und was du am Tag des Herrn verdienst, das hast du Gott gestohlen, darum ist kein Segen darin. Ich lass es darauf ankommen, meine Lieben, vergleichet einmal zwei Gewerbsleute mit ihrem Geschäftsbetrieb, zwei Familien mit ihrer Hausordnung, zwei Länder, wenn ihr wollt, mit ihrem Volkswohlstand: beim Einen Mann, im Einen Haus, im Einen Land hat man nur sechs Werktage und der Sonntag steht noch in Ehren, im andern arbeitet man sieben Tage in der Woche und bekümmert sich nichts mehr ums dritte Gebot; seht zu, nur ein paar Jahre lang seht zu, wo der solidere Wohlstand, wo der rechte Segen, wo das wahre Glück zu finden ist! Allen Respekt vor jeder ehrlichen Hantierung! Alle Ehre jedem fleißigen Arbeiter! Alles Glück zum Aufschwung unserer Gewerbe! Aber, meine Lieben, wollet ihr eine dauerhafte Grundlage unter das Alles, einen rechten Segen auf das Alles vergesset nicht über der Erde den Himmel, über dem Leib die Seele, über der Zeit die Ewigkeit, über der Welt Gott, über dem Wochenlärm die Sonntagsruh. Und umgekehrt als der Oberste der Schule dort möchte ich zum Volke sprechen: sechs Tage sind's, da man arbeiten soll, aber am siebenten kommt und lasst euch heilen, lasst euch heilen vom Fieber der Gewinnsucht, lasst euch reinigen vom Staube der Werkstatt, lasst Leib und Seel sich erholen vom Lärm des Werktags!
Mit Gesetzen kann man das nicht erzwingen, die Polizei kann nicht überall aufpassen, mit unserem Predigen ist's auch nicht getan: ihr selber müsst mit anstehen, jeder Mann in seinem Haus und jeder Christ in seinem Kreis. Ihr selber müsst's einsehen und müsst's euch selbst zu lieb tun, eurem armen, sterblichen Leib und eurer armen, unsterblichen Seele. Ihr selber müsst hören die Stimme der ewigen Liebe, wie sie auch euch heute so freundlich zuruft: sei los von deiner Bürde, richte dich auf vom Joch der Arbeit, heut ist des Herren Ruhetag.
Beschwertes Herz, leg ab die Sorgen, Erhebe dich, gebeugtes Haupt;
Dies ist der angenehme Morgen, Da Gott zu ruhen hat erlaubt,
Da Gott zu ruhen hat befohlen, und selbst die Ruhe eingeweiht;
Auf, auf, du hast so manche Zeit Dem Dienste Gottes abgestohlen!
Aber, meine Lieben, der Tag des Herrn ruft uns nicht nur vom Werktagslärm zur Sabbatruh, sondern auch
2) vom Erdenweh zu Himmelsfreuden.
So etwas erfuhr ja leiblich und wörtlich jenes Weiblein im Evangelium. „Jesus lehrte in einer Schule am Sabbat.“ War Ihm auch jeder Ort recht und jeder Tag geschickt, um Gottes Wort zu verkünden und Menschenseelen zu gewinnen, so hat ja Er, der nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen, insbesondere gern am Sabbat, in den Schulen oder im Tempel Sein Lehramt geführt. - „Und siehe, ein Weib war da, das hatte einen Geist der Krankheit 18 Jahr und sie war krumm und konnte nicht wohl aufsehen.“ Merkt, meine Lieben, das Weib war da - und das war ihr Glück! War sie auch krank, ihren Sabbat ließ sie sich darum nicht nehmen; geschah es ihr auch sauer, an den Krücken hatte sie sich zur Kirche geschleppt; konnte sie auch nicht wohl aufsehen, hören konnte sie auf ihrem hintersten Bänklein ein Wort des Trostes und der Erbauung. „Da sie aber Jesus sahe“ - Er sah ja so gern auch den verborgenen Jammer, auch den schüchternen Glauben, auch die verschämte Armut, „rief Er sie zu sich;“ wie Er dort den Zachäus vom Maulbeerbaum herabrief, so rief Er diese gebeugte Kreuzschwester aus ihrem Winkel hervor „und sprach zu ihr: Weib, sei los von deiner Krankheit“ siehe da wieder eins von den Wunderworten und Wunderwerken Seiner Heilandsmacht und Heilandsliebe! – „und legte die Hände auf sie,“ die milden, wundertätigen, segensreichen Heilandshände. „Und alsobald richtete sie sich auf“ die gekrümmte Gestalt richtete seit 18 Jahren zum Erstenmal wieder mit wonnigem Behagen sich aufrecht empor, das gebeugte Haupt, das so lange zu Boden hatte sehen müssen, blickt wieder selig dankend zum Himmel auf, ihrem Retter ins Auge „und pries Gott.“
Das war freilich eine Aufrichtung und Erhebung für Leib und Seel, wie sie unsern Kranken nicht leicht ein Sonntag mehr bringt; wiewohl ich euch bei diesem Anlass erinnern möchte an das, was vor noch nicht 50 Jahren mit einem frommen Kranken sich begeben hat, der seit Jahr und Tag an der Gicht gelähmt darniederlag. Es war Sonntag Morgen. Die Sonne schien so freundlich durchs Fenster, drüben aus der nahen Kirche hörte man die Orgel tönen und das Gemeindelied singen. Der Kranke in seinem Bette sangs leise mit, las dann für sich das Evangelium des Sonntags vom Gichtbrüchigen, zu dem der Herr sprach: stehe auf, nimm dein Bett und wandle! Da zuckt's ihm wie ein Blitzstrahl durch die Seele: sollte, der dort geholfen, nicht auch an dir ein Wunder tun können? Ihm ist's, als spräche auch zu ihm der Herr: stehe auf und wandle; in brünstigem Glauben fasst er seines Heilands Hand, steht auf und wandelt, wandelt in der Stube herum und ist gesund.
Aber, meine Lieben, ist auch solcher Glaube nicht Jedem gegeben, sind auch solche leibliche Sonntagswunder nicht an der Tagesordnung, dennoch frage ich getrost Jedes unter euch, das den Tag des Herrn in Ehren hält und das Haus Gottes lieb hat, ob es nicht etwas Ähnliches wenigstens auch schon erfahren hat durch eine fromme Sonntagsfeier und unterm Druck der Leiden wunderbar erfüllet ward mit Kräften einer andern Welt, aus Erdenweh selig erhoben sich fühlte zu himmlischen Freuden?
„Jesus lehrte in der Schule am Sabbat.“ Noch ertönt ja Seine himmlische Lehre am Tag des Herrn, noch erschallt ja Sein göttlich Wort in der versammelten Gemeinde. Und wer auf Seine Lehre merkt und auf Sein Wort hört, der wird dadurch schon getröstet werden und gestärkt und erhoben über den Druck seiner Alltagssorgen. Wenn so ein Evangelium uns ausgelegt, so eine göttliche Heilswahrheit uns verkündet wird - o da vergessen wir auf eine Stunde wenigstens unser Hauskreuz und unsere Werktagssorgen; da kommen unsere persönlichen Schmerzen und Anliegen uns kleiner vor gegen die großen Reichsangelegenheiten Gottes; da lernen wir die Dinge dieser Welt wieder messen mit einem andern Maßstab im Lichte der Ewigkeit, und unser müder und matter Geist wird im klaren Elemente der göttlichen Wahrheit wieder gestärkt und gestählt wie durch ein erquickendes Bad. Aber nicht nur ums Hören der Lehre Jesu handelt sich's ja hier, wie sie Allen verkündigt wird, nein, auch den Einzelnen naht sich der Herr zu persönlicher Berührung, und insbesondere die Mühseligen und Beladenen ruft Er zu sich: kommet her zu mir, ich will euch erquicken. „Und siehe, ein Weib war da, das hatte einen Geist der Krankheit 18 Jahre, und sie war krumm und konnte nicht wohl aufsehen.“ Ist vielleicht auch hier unter uns Eins krank am Geist und leidend am Gemüte, fühlt sich zu Boden gedrückt von der Last seiner Sorgen und kann nicht wohl aufsehen, hat den freudigen Blick aufwärts, den Blick des Glaubens und der Hoffnung verloren? O sieh, auch dich sieht Jesus, wie das Weiblein dort, mit den Augen des Herzenskündigers; wenn du schüchtern säßest im hintersten Winkel, Sein freundlicher Blick findet dich heraus; wenn du nicht vermagst im Glauben aufzusehen zu Ihm, Er sieht herab zu dir voll göttlichen Erbarmens. Auch dich ruft Er heute zu sich und spricht: sei los von deiner Krankheit. Nahe dich nur zu Ihm in herzlichem Vertrauen, nimm nur Seine Gnade an, die Er in Seinem Worte dir beut, fasse nur Seine Heilandshand im Glauben, und gewiss, es wird besser mit div werden, du wirst deine Schmerzen und Sorgen auf ein Stündlein vergessen, du wirst die tröstende Nähe, den stärkenden Einfluss deines Gottes spüren, die segnende Hand deines Heilandes gleichsam auf deinem Haupte fühlen, und wenn auch die Last deines Kreuzes dir nicht ganz und auf einmal abgenommen wird, sie wird dir leichter werden im Gedanken an den Herrn, der sie auferlegt hat, der sie tragen hilft, der sie abnehmen wird zu seiner Zeit; du wirst dich aufrichten unter deinem Kreuz, wie jenes Weiblein im Text, aufrichten in der Kraft des Herrn, die da mächtig ist in unserer Schwachheit; aufrichten in der Kraft des Glaubens, der da weiß: was Gott tut, das ist wohlgetan; aufrichten in der Kraft des Gehorsams, der da spricht: Herr, wie du willst, so schick's mit mir; aufrichten in der Kraft der Hoffnung, die sich tröstet: dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden. Du wirst Gott preisen, wie jenes Weib Ihn gepriesen, für den Trost, den Er dich hat finden lassen in Seinem Wort, für so viel Gnade, die Er an dir tut bei aller Trübsal, ja für die Trübsal selber, darin du Seine väterliche Liebe, Seinen verborgenen Segen erkennst. Du wirst hinausgehen wie jenes Weib aus Seinem Haus, anders als du hereingekommen, mit aufrechterem Haupt, mit festerem Gang, mit hellerem Aug, erhoben über den Druck deiner irdischen Sorgen; dass man dir's ansehen kann: mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
Ich frage Jeden, der's erfahren hat: ist dem nicht also? Ich bitte Jeden, der noch nichts davon weiß: versuch' es selber; heilige deinen Sonntag dem Herrn, komm in Sein Haus, höre Sein Wort, lass dich von Ihm lehren, lass dich von Ihm rufen, lass dich von Ihm trösten, heilen, stärken und segnen, und gewiss, auch dir wird dieser Tag ein Tag der Aufrichtung werden für Leib und Seel, wo du erhoben dich fühlst über den Druck deiner Sorgen, wo du dich ermuntert fühlst zum Preise deines Gottes, und mitten in deinem Erdenweh erquickt wirst mit himmlischen Freuden.
Mit himmlischen Freuden. Ach, meine Lieben, die Welt sucht wohl auch ihre Freuden am Sonntag; aber sind's immer Freuden, wie sie sich ziemen für den Tag des Herrn, Freuden, dadurch Gott gepriesen, dadurch der Mensch aufgerichtet wird und erhoben über den Jammer der Welt? Seht, wir wollen dem Volk seinen Sonntag gewiss nicht verkümmern; wir wollen keine Kirchhofsstille am Tag des Herrn; wir wollen keine heuchlerischen Sonntagsgesetze, die den Armen drücken und den Reichen nichts angehen; wir wollen keine pharisäische Sonntagsfeier, da man vor Menschenaugen sich kasteit und hinter verschlossenen Türen dem Fleische frönt. Nein, freut euch am Tag des Herrn und abermal freut euch! Freut euch nicht nur im steinernen Gotteshaus, sondern auch draußen im großen Tempel, dessen Kuppel das blaue Himmelsgewölbe ist: freut euch nicht nur am Worte Gottes, freut euch auch sonst bei einem guten Buch, bei einem schönen Gesang, bei einem heitern Gespräch, bei einem lieblichen Spaziergang. Erquickt nicht nur euren Geist, sondern gönnt auch dem Leib eine Erholung. Freut euch, nur freut euch in dem Herrn. Freut euch so, dass Gott dadurch gepriesen, dass ihr selber dadurch gehoben und aufgerichtet werdet. Aber ist unsere Sonntagsfreude zumeist eine solche menschenwürdige, christliche Freude? Wenn der Sonntag nur gefeiert wird als ein Tag der Üppigkeit und Völlerei in Saufen und Fressen, oder als ein Tag des Müßiggangs in Nichtstun und faulem Geschwätz, oder als ein Tag der Fleischeslust in Sünde und Schande, oder als ein Tag des Zorns in Zank und Hader saget, meine Lieben, ist das Sonntagsfreude? Wird dadurch Gott gepriesen, der Heilige und Alleinselige? Wird dadurch der arme Mensch erquickt, aufgerichtet, erhoben über den Jammer dieses Lebens? Ach, wie oft am Sonntag Abend, wenn man die Leute heimkommen sieht scharenweise von ihrem Sonntagsvergnügen, müd und matt, satt und voll, missmutig und verdrossen, wie oft möchte man da mitleidig fragen: ihr armen Leute, habt ihr jetzt auch eine wahre Freude gehabt? Seid ihr eine Stunde lang erhoben worden über das Elend der Erde? Fühlet ihr euch neu gestärkt für das Tagewerk der kommenden Woche? Wie oft wenn man am Sonntag Abend von einer einsamen Bergeshöhe, wo das Lustgetümmel nicht hinreicht, die goldene Sonne untergehen sieht, möchte man wehmütig seufzen: da gehst du nun wieder hin in deiner stillen Glorie, du Tag des Herrn, du Tag der Gnade und des Segens! aber wie Wenige haben deine Gnadengaben angenommen und deinen himmlischen Segen empfangen! Wie viele haben deine heiligen Stunden missbraucht und dich aus einem Tag des Herrn zu einem Tag des Fleisches, der Sünde, des Teufels gemacht!
Nein, Geliebte, nicht uns tiefer zu verstricken in den Jammer des Eitlen und vergänglichen, sondern uns zu erheben über den Druck der Welt, uns zu erquicken mit himmlischen Freuden, dazu ist dieser Tag uns geschenkt, dazu wollen wir ihn nützen.
Ja, Tag des Herrn, du sollst mir heilig,
Ein Festtag meiner Seele sein,
Gleich jenen ersten Christen heilig,
Weit weg von allen eitlen Dingen,
Froh feir ich mit der Christenheit
Will ich den Tag der Ruhe weih'n;
zum Himmel soll mein Geist sich schwingen,
Den Festtag der Unsterblichkeit.
Zu solch christlicher Sonntagsfeier gehört aber noch als das Wichtigste, dass der Tag des Herrn uns werde ein Tag seliger Aufrichtung
3) vom Sündenjoch zum Dienst des Herrn.
„Sollte aber nicht gelöst werden am Sabbat diese, die doch Abrahams Tochter ist, von diesem Bande, welche Satanas gebunden hatte nun wohl 18 Jahre?“ So ruft der Herr dort aus über dem geheilten Weib und weist damit hin auf die tiefste Wurzel aller Krankheit und alles Leidens, auf die Sünde, auf die Macht der Finsternis, von der so viele Tausende gebunden sind an Leib und Seele, mit mehr oder weniger eigener Schuld. Und nun, meine Lieben, sollten wir von diesem Worte des Herrn nicht auch eine Anwendung machen, eine ernste Anwendung auf uns Alle? Sich, du bist vielleicht heute zu dieser Kirchtür hereingekommen, nicht gebückt, wie jenes Weib dort, sondern mit aufrechtem Gang und hohem Haupt, und doch hast du einen Geist der Krankheit, der dich zur Erde beugt, der dich nicht wohl aufsehen lässt, nicht wohl aufsehen zu dem heiligen, allwissenden Gott: die Krankheit der Sünde. Sieh, du sitzest vielleicht hier frisch und gesund und blickst um dich frank und frei, und doch bist vielleicht auch du gebunden mit Satans Banden wohl 18 Jahre, oder 40, 50, 60 Jahre: mit Banden der Sünde. Und wenn nun so viele, viele von diesen Seelen hier noch gebunden sind mit Ketten der Sünde, noch an die Erde geheftet sind mit Sinn und Gedanken, noch niedergedrückt sind von einem bösen Gewissen, noch nicht froh aufsehen können zu ihrem Gott in Glauben, Liebe und Hoffnung, o, meine Lieben, dürfen wir dann nicht heut am Sonntag, am Tag des Lichts, des Heils, der Gnade, über so eine arme Seele auch denken, fragen, bitten, hoffen: sollte aber nicht gelöst werden am Sabbat diese, die doch Abrahams Tochter, die doch Christi Eigentum ist, von diesem Bande, womit Satanas sie gebunden hat nun wohl 18 Jahre oder mehr? Sollte nicht heut ein Strahl göttlicher Wahrheit, ein Feuerfunke des göttlichen Zorns, ein Balsamtropfen der göttlichen Gnade erleuchtend, strafend, tröstend und stärkend in so eine gebundene Seele fallen, dass sie, erlöst von der Knechtschaft der Sünde, aufstände zum Leben in Gott, zum Dienste des Herrn? Dazu feiern wir ja den Tag des Herrn, dazu kommen wir hierher und sind wir hier, hören und lehren, singen und beten, dazu wird hier Sein Wort verkündet und Sein Sakrament gespendet, dazu tritt Er selber im Geist in unsere Mitte lehrend, strafend, tröstend und stärkend, dass das große Gnadenwerk des Herrn, das Werk der Erlösung von Sünden an uns Allen möge gefördert werden. Und wenn allerdings der Geist des Herrn an keine Zeit und keinen Ort gebunden ist, sondern alle Tage an uns wirken kann und will, so ist's doch der Sonntag, der Tag der geistlichen Amtswerke, da Er Sein Werk am liebsten bei uns fördert; und wenn wir freilich jeden Tag arbeiten sollen an unserer Heiligung, so gilt's doch am Sonntag vor allen: jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. - Und dann erst, mein Christ, hast du deinen Sonntag recht gefeiert, wenn er dir nicht nur ein Tag der Ruhe war vom Joch der Arbeit, nicht nur ein Tag des Trostes unter dem Druck der Leiden, sondern auch ein Tag der Erlösung von den Banden der Sünde; dann erst ist dir der heutige Tag ein Tag des Herrn, wenn du dem Herrn heut näher kommst, deine Sünde besser erkennen, Seine Gebote mehr lieben, Seine Gnade tiefer erfahren, in Seinen Fußstapfen aufs Neue wandeln lernst, wenn du heut weiser, besser, seliger wirst in Gott. Darauf, Geliebte, seht einmal eure Sonntage an. Wer unter uns 20 Jahr alt ist, der hat beiläufig seine tausend Sonntage erlebt, ein 40jähriger seine zweitausend, ein 60jähriger seine dreitausend. Nicht wahr, eine lange Kette von Gnadentagen, über die wir fast erschrecken müssen? Wie viel ist da gehört, gelesen, gesungen, gebetet, versprochen und gelobet worden von uns Allen! Und nun, wo ist die Frucht davon? Haben auch diese Sonntage alle mit ihren Segensstunden uns schon losgemacht von den Banden der Sünde, tüchtig gemacht und willig zum Dienste des Herrn? In der Ewigkeit wird einst darnach gefragt werden. Inzwischen aber segne uns der Herr die Sonntage, die wir hienieden noch erleben dürfen, segne uns auch den heutigen Sonntag, segne uns alle Tage unseres Erdenlebens zu unserer Seelen Seligkeit, damit Manches unter uns noch Sein Erlösungswort vernehme: sei los von deiner Krankheit und richte dich auf und preise Gott; ja damit wir Alle einst hinankommen zum ewigen Sabbat im himmlischen Heiligtum.
Wenn sich des Lebens Werktag enden, Dann ruh, von allem Frondienst los, Mein Geist, o Gott in deinen Händen, Mein Leib in stillem Erdenschoß; Bis Leib und Seel sich freut dort oben, Wo man in ew'gem Frieden ruht, Nichts denket, redet oder tut, Als Dich zu lieben, Dich zu loben. Amen.