Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 106.

Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 106.

(1) Halleluja. Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währt ewig. (2) Wer kann die großen Taten des Herrn ausreden, und alle seine löbliche Werke preisen? (3) Wohl denen, die das Gebot halten, und tun immerdar recht. (4) Herr, gedenke meiner nach der Gnade, die du deinem Volk verheißen hast; beweise uns deine Hilfe, (5) Dass wir sehen mögen die Wohlfahrt deiner Auserwählten, und uns freuen, dass es deinem Volk wohl geht, und uns rühmen mit deinem Erbteil. (6) Wir haben gesündigt, samt unsern Vätern, wir haben missgehandelt, und sind gottlos gewesen. (7) Unsere Väter in Ägypten wollten deine Wunder nicht verstehen; sie gedachten nicht an deine große Güte, und waren ungehorsam am Meer, nämlich am Schilfmeer. (8) Er half ihnen aber um seines Namens willen, dass er seine Macht bewiese. (9) Und er schalt das Schilfmeer, da ward es trocken, und führte sie durch die Tiefen, wie in einer Wüste; (10) Und half ihnen von der Hand des, der sie hasste, und erlöste sie von der Hand des Feindes. (11) Und die Wasser ersäuften ihre Widersacher, dass nicht einer überblieb. (12) Da glaubten sie an seine Worte, und sangen sein Lob. (13) Aber sie vergaßen bald seiner Werke, sie warteten nicht seines Rats. (14) Und sie wurden lüstern in der Wüste, und versuchten Gott in der Einöde. (15) Er aber gab ihnen ihre Bitte, und sandte ihnen genug, bis ihnen davor ekelte. (16) Und sie empörten sich wider Mose im Lager, wider Aaron, den Heiligen des Herrn. (17) Die Erde tat sich auf, und verschlang Dathan, und deckte zu die Rotte Abirams. (18) Und Feuer ward unter ihrer Rotte angezündet, die Flamme verbrannte die Gottlosen. (19) Sie machten ein Kalb in Horeb, und beteten an das gegossene Bild, (20) Und verwandelten ihre Ehre in ein Gleichnis eines Ochsen, der Gras isst. (21) Sie vergaßen Gottes, ihres Heilandes, der so große Dinge in Ägypten getan hatte, (22) Wunder im Lande Hams, und schreckliche Werke am Schilfmeer. (23) Und er sprach, er wollte sie vertilgen; wo nicht Mose, sein Auserwählter, den Riss aufgehalten hätte, seinen Grimm abzuwenden, auf dass er sie nicht gar verdarb. (24) Und sie verachteten das liebe Land, sie glaubten seinem Wort nicht, (25) Und murrten in ihren Hütten; sie gehorchten der Stimme des Herrn nicht. (26) Und er hob auf seine Hand wider sie, dass er sie niederschlüge in der Wüste, (27) Und würfe ihren Samen unter die Heiden, und streute sie in die Länder. (28) Und sie hingen sich an den Baal-Peor, und aßen von den Opfern der toten Götzen, (29) Und erzürnten ihn mit ihrem Tun; da riss auch die Plage unter sie. (30) Da trat zu Pinehas, und schlichtete die Sache; da ward der Plage gesteuert, (31) Und ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit für und für ewig. (32) Und sie erzürnten ihn am Haderwasser, und sie zerplagten den Mose übel, (33) Denn sie betrübten ihm sein Herz, dass ihm etliche Worte entfuhren. (34) Auch vertilgten sie die Völker nicht, wie sie doch der Herr geheißen hatte; (35) Sondern sie mengten sich unter die Heiden, und lernten derselben Werke, (36) Und dienten ihren Götzen, die gerieten ihnen zum Ärgernis. (37) Und sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Teufeln. (38) Und vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer Söhne und ihrer Töchter, die sie opferten den Götzen Kanaans, dass das Land mit Blutschulden befleckt ward; (39) Und verunreinigten sich mit ihren Werken, und hurten mit ihrem Tun. (40) Da ergrimmte der Zorn des Herrn über sein Volk, und gewann einen Gräuel an seinem Erbe, (41) Und gab sie in die Hand der Heiden, dass über sie herrschten, die ihnen gram waren. (42) Und ihre Feinde ängstigten sie; und wurden gedemütigt unter ihre Hände. (43) Er errettete sie oftmals; aber sie erzürnten ihn mit ihrem Vornehmen, und wurden wenig um ihrer Missetat willen. (44) Und er sah ihre Not an, da er ihre Klage hörte; (45) Und gedachte an seinen Bund, mit ihnen gemacht; und reute ihn nach seiner großen Güte; (46) Und ließ sie zur Barmherzigkeit kommen, vor allen, die sie gefangen hatten. (47) Hilf uns, Herr, unser Gott, und bringe uns zusammen aus den Heiden, dass wir danken deinem heiligen Namen, und rühmen dein Lob. (48) Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und alles Volk spreche: Amen, Halleluja.

„Du Herr bist gerecht, wir aber müssen uns schämen.“ Dies Bußbekenntnis des Propheten Daniel bleibt immer und überall wahr, wo der Mensch sich ins Licht stellt vor Gottes Angesicht, sei's eine einzelne Seele, die sich vor Gott prüft, oder eine ganze Gemeinde oder ein ganzes Volk oder die ganze Menschheit. Je heller wir Gottes Gnade und Wahrheit, Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit erkennen, um so schwärzer muss uns im Lichte derselben unser eigenes Herz und Leben erscheinen.

„Du Herr bist gerecht, wir aber müssen uns schämen.“ Unter dieser Aufschrift könnte man unsern heutigen 106. und den vorangegangenen 105. Psalm zusammenfassen. Ihr werdet euch vielleicht noch erinnern, wie wir im vorigen Psalm betrachteten die heiligen Wege Gottes in Führung und Regierung seines Volkes, wie wir da die Weltgeschichte überhaupt und die Reichsgeschichte Israels insbesondere betrachteten als einen großen Spiegel göttlicher Allmacht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit, so dass man den kurzen Inhalt des vorigen Psalms, ja den kurzen Inhalt aller Geschichtsbücher der Welt wohl zusammenfassen kann in das preisende Bekenntnis: „Du Herr bist gerecht.“

„Wir aber müssen uns schämen.“ So müssen wir leider hinzusetzen, und das ist nun der kurze Inhalt unseres heutigen Psalms, der zum vorigen gehört wie der Schatten zum Licht und die Nacht zum Tag. Denn die Weltgeschichte, meine Lieben, und die Reichsgeschichte Israels insbesondere ist nicht nur ein Spiegel göttlicher Herrlichkeit, sondern auch ein Spiegel menschlicher Sünde, menschlicher Schwachheit und Bosheit, menschlicher Torheit und Leidenschaft, menschlicher Rohheit und Verderbnis. In Wahrheit, welches Blatt wir auch aufschlagen im Buch der Weltgeschichte, ob wir lesen, was vor hundert oder was vor tausend Jahren, was in unserer nächsten Nachbarschaft oder in entlegenen Ländern sich begeben hat - es sind wenige und kurze Partien der Weltgeschichte, an denen der Betrachter eine ungetrübte Freude haben kann, wo ein patriarchalischer Friede über einem Volke ruht, wo in einem Lande Güte und Treue sich begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; meistens aber finden wir bei näherem Einblick ein Gewebe von Sünde und Schande, ein Gemälde entweder von Rohheit und Verwilderung oder von Überbildung und Sittenverderbnis, entweder Krieg und Blutvergießen oder Üppigkeit und Weichlichkeit, entweder Jammer und Not oder eitle Pracht und hohlen Prunk, der im Grund auch nichts ist als ein glänzendes Elend. Auch in diesem Betracht, als menschlicher Sündenspiegel, ist insbesondere die Geschichte Israels lehrreich, gleichsam eine Weltgeschichte im kleinen. Und so stellt denn der Psalmist in diesem unserem Psalm namentlich im Zug Israels durch die Wüste uns einen Sündenspiegel vor Augen, in welchem wir auch unsere Zeit und unser Volk beschauen können zur Lehre und Vermahnung, zur Beschämung und zur Besserung. Und wie wir jüngst bei Betrachtung der Passionsgeschichte im Bilde der Sünde, die dort uns vor Augen gestellt ward, an einem Petrus und Judas, an einem Herodes und Pilatus, an dem Volk und den Priestern auch unsere eigene Sünde erkennen und bußfertig an unsere Brust schlagen sollten, so wollen wir nun auch betrachten:

Israels Irrwege als einen Sündenspiegel auch für unser Volk.

„Du Herr bist gerecht, wir aber müssen uns schämen.“ Obwohl der Hauptinhalt unseres Psalms das Bekenntnis ist, das der Sänger im Namen seines ganzen Volkes ablegt: „Wir aber müssen uns schämen,“ so legt er am Anfang und am Schluss des Psalms auch das preisende Bekenntnis vor dem Throne Gottes nieder: „Du Herr bist gerecht!“ so dass das dunkle Nachtgemälde der Sünden des Volkes wie in einem goldenen Rahmen eingeschlossen ist von der Treue und Gerechtigkeit Gottes! So vernehmen wir denn zum Eingang:

1)

V. 1-5 einen kurzen Lobgesang auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

V. 1: „Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währt ewig.“ Ein Lobspruch, der oft und viel in den Psalmen, namentlich der späteren Zeit, vorkommt; eine köstliche, tröstliche Wahrheit, die wir besonders in den trübsten Stunden und schlechtesten Zeiten uns immer wieder zum Trost und zur Erhebung vorhalten dürfen.

V. 2: „Wer kann die großen Taten des Herrn ausreden und alle seine löbliche Werke preisen?“ Ja, die Werke der Menschen mögen sein, wie sie wollen, Gottes Taten bleiben immer über alle Beschreibung und allen Begriff schön und groß und herrlich, und so oft wir uns wieder in ihre Betrachtung versenken, so müssen wir bekennen: Herr, dir ist niemand zu vergleichen, kein Lob kann deine Größ' erreichen, kein noch so feuriger Verstand! Wären wir nur auch immer wert eines solchen Gottes!

V. 3: „Wohl denen, die das Gebot halten und tun immerdar recht.“ Aber weil wir leider sagen müssen: „Du Herr bist gerecht, wir aber müssen uns schämen“, so bleibt uns nichts als die flehentliche Bitte:

V. 4: „Herr, gedenke meiner nach der Gnade, die du deinem Volk verheißen hast; beweise uns deine Hilfe.“ Dann wird's uns wieder besser gehen, dann wird Gottes Gnadensonne wieder leuchten über unserem Land und Volk:

V. 5: „Dass wir sehen mögen die Wohlfahrt deiner Auserwählten und uns freuen, dass es deinem Volk wohl geht, und uns rühmen mit deinem Erbteil.“ Aber nach diesem Eingang lesen wir:

2)

V. 6-43 ein langes Sündenregister des Volks, das wir da begleiten auf seinen vierzigjährigen Irrwegen in der Wüste.

Zuerst die Gesamtbeichte:

V. 6: „Wir haben gesündigt samt unsern Vätern, wir haben missgehandelt und sind gottlos gewesen.“ Ja, die Kinder wie die Väter, die Kleinen wie die Großen, alle haben wider Gott gesündigt; so heißt's auch heute, so heißt's auch bei uns, und wenn die Strafgerichte Gottes, unter denen wir jetzt leiden, zum Teil die Folgen alter Sünden sind, so dass man auch jetzt sagen kann nach Jeremias: Die Väter haben Heerlinge gegessen und der Kinder Zähne sind stumpf geworden; und nach Mose: Die Sünden der Väter werden nun heimgesucht bis ins dritte und vierte Glied, so muss es doch auch bei uns heißen: Wir haben gesündigt samt unsern Vätern und auch um unserer eigenen Missetat willen werden wir geplagt. Denn alles, was vor alters, ja was schon vor 3000 Jahren einst unterm Volk Israel gesündigt wurde, das geschieht heute noch unter uns, wenn auch in minderem Grad und in anderer Form. Auch bei uns ist vor allem jener Unglaube und jene Gottesvergessenheit zu Hause, von der der Psalmist spricht:

V. 7: „Unsere Väter in Ägypten wollten deine Wunder nicht verstehen; sie gedachten nicht an deine große Güte und waren ungehorsam am Meer, nämlich am Schilfmeer.“ Es war ein tiefgesunkenes, an Leib und Seel heruntergekommenes, nicht nur sehr unglückliches, sondern auch sehr schlechtes Volk, das Mose ausführen sollte aus Ägypten. Unter dem Joch einer 400 jährigen Knechtschaft in Ägypten waren ihre Herzen verstockt und verwildert; sie gedachten kaum mehr der Gnadenwunder, die Gott einst an ihren Vätern getan in den Tagen Abrahams, Isaaks und Jakobs; sie wollten auch jetzt sich nicht aufraffen zum Glauben an Gottes Güte und Erbarmung, und so große Wunder auch der Herr durch Mose an ihnen tat, sie wollten's nicht verstehen; ja noch als sie schon dem Lande der Knechtschaft entronnen und am Gestade des roten Meeres angekommen waren, auch da wollten sie gleich wieder verzweifeln und murrten bitter: Waren nicht Gräber in Ägypten, wo wir gerade so gut hätten können sterben, wie hier in der Wüste? Warum hast du uns das getan? -

Meine Lieben, ist das nicht dieselbe Gottesvergessenheit, derselbe Unglaube, worin auch heute so viele dahingehen? Sind nicht auch heute Tausende im Volk, welche die Wunder Gottes nicht verstehen, die er von altersher an seinem Volke getan, und gedenken nicht an seine große Güte, die er auch heute noch, auch bei allen seinen Züchtigungen doch an den Seinigen tut? Sehen wir nicht Tausende unter unserem Volk, die durch das Joch der Trübsal und durch den Druck langer Not nur verstockt und verwildert sind statt gedemütigt und gebessert, die nur fluchen gelernt haben statt zu beten, nur betteln gelernt haben statt zu arbeiten, und sind trotzig und ungehorsam, auch wo die Wogen der Trübsal fast über ihrem Haupte zusammenschlagen, wie die Kinder Israel waren am Schilfmeer? Und wenn nun der Herr dennoch Gnade vor Recht ergehen lässt und Hilfe schickt, dankt man ihm auch recht dafür? Oder muss man nicht auch über unsern Undank und Wankelmut klagen, wie der Psalmist klagt über den Undank seines Volkes:

V. 8-13: „Er half ihnen aber um seines Namens willen, dass er seine Macht bewiese. Und er schalt das Schilfmeer, da ward es trocken, und führte sie durch die Tiefen, wie in einer Wüste; und half ihnen von der Hand des, der sie hasste, und erlöste sie von der Hand des Feindes. Und die Wasser ersäuften ihre Widersacher, dass nicht einer überblieb. Da glaubten sie an seine Worte und sein Lob. Aber sie vergaßen bald seiner Werke, sie warteten nicht seines Rats.“ Ja wenn nun der Herr auch uns durchs ärgste Gedräng doch wieder so gnädig hindurchhilft, wie er dort seinem Volk durchhalf durchs rote Meer, wenn er uns eine reiche Fruchternte schenkt wie im vorigen Sommer, wenn er den Würgengel einer schrecklichen Seuche an uns vorüber gehen lässt wie im vorigen Herbst, wenn er die Geißel des Kriegs über unserem Lande noch zurückhält bis auf den heutigen Tag: Was macht's für einen Eindruck? Was bringt's für eine Frucht? Da heißt's wohl etwa einmal bei einem Erntegottesdienst und gilt bei einem kleinen Häuflein von Besseren, wie V. 12: „Da glaubten sie an seine Worte und sangen sein Lob“; aber leider bei den Meisten folgt auch das andere darauf, was wir V. 13 lesen: „Aber sie vergaßen bald seiner Werke, sie warteten nicht seines Rats“; sie gehen bald wieder ihre gewohnten Sündenwege ohne Dank, ohne Gebet, ohne Glauben, ohne Gottesfurcht, ohne Gottvertrauen. Und warum dieser Undank? Die Ursache ist der fleischliche Sinn. Da kommt dann die Lüsternheit, Ungenügsamkeit und Hoffart, deren der Psalmist gedenkt:

V. 14. 15: „Und sie wurden lüstern in der Wüste und versuchten Gott in der Einöde. Er aber gab ihnen ihre Bitte und sandte genug, bis ihnen davor ekelte.“ Ist das nicht abermals ein Spiegel unserer Zeit? Sehen wir sie nicht auch bei unserem Geschlecht, aller Not der Zeit zum Trotz in tausend Gestalten bei Hoch und Nieder, bei Arm und Reich, bei Alt und Jung, in Stadt und Dorf, diese Lüsternheit, Ungenügsamkeit und Hoffart, da einen gelüstet nach den Fleischtöpfen Ägyptens, da man nichts Besseres sucht und weiß als Wohlleben und Üppigkeit, da man sich nicht einschränken mag, sich nicht verleugnen will, sich nichts versagen kann, statt sich in böser Zeit doppelt gewissenhaft zu halten nach der alten, goldenen, apostolischen Regel: So wir aber Nahrung und Kleidung haben, so lasst uns genügen? Sag ich zu viel? Liegt nicht alles das vor Augen? Wenn man den Kleiderstaat sieht auch bei den niederen Ständen, wenn man die vollgepfropften Eisenbahnzüge dahinbrausen sieht jeden Sonntag, wenn man die vollen Wirtshäuser sieht am Sonntag und Werktag: sollte man da denken, dass die Zeit so bös sei und das Geld so rar? Kann man sich da wundern, wenn auch die Strafe solcher Genusssucht nicht ausbleibt? Wenn auch bei uns Ekel und Überdruss, häuslicher Ruin, leiblicher Ruin, geistiger Ruin die Folge eines solchen Fleischesdienstes ist in so manchem Haus? Wenn, wie dort die Kinder Israels mit Ekel gestraft wurden für ihr Gelüsten, auch bei uns so manche Lustgräber sich auftun, wenn so manches in Sünden verschleuderte Leben frühe ins Grab sinkt, wie dort die Lustgräber sich auftürmten in der Wüste; wenn der Wohlstand des ganzen Volkes sinkt und die aufs Fleisch säen, auch vom Fleische das Verderben ernten? Können wir uns da wundern, wenn aus solcher Hoffart auch anderes Unheil entsteht, namentlich Aufruhr und Empörung, wie dort in der Wüste:

V. 16-18: „Und sie empörten sich wider Mose im Lager, wider Aaron, den Heiligen des Herrn. Die Erde tat sich auf und verschlang Dathan und deckte zu die Rotte Abirams. Und Feuer ward unter ihrer Rotte angezündet, die Flamme verbrannte die Gottlosen.“ Haben wir das nicht auch erlebt vor wenigen Jahren? Wie sich dort eine aufrührerische Rotte empörte wider Mose und Aaron, so haben ja auch in unsern Tagen wilde Rotten sich empört gegen Thron und Altar, gegen geistliche und weltliche Gewalt, gegen göttliche und menschliche Gesetze, und haben ein Feuer angezündet auf Erden, das endlich sie selber fraß und mit den Schuldigen auch so viel Unschuldige, mit den Verführern auch so viel Verführte verschlang. Und wenn auch dieses Fieber für den Augenblick gedämpft ist; eine weitere und tiefere Sünde, der Grund aller übrigen, die geht leider im Schwang nach wie vor; das ist die Abgötterei. An die erinnert der Psalmist:

V. 19-23: „Sie machten ein Kalb in Horeb und beteten an das gegossene Bild, und verwandelten ihre Ehre in ein Gleichnis eines Ochsen, der Gras isst. Sie vergaßen Gottes, ihres Heilandes, der so große Dinge in Ägypten getan hatte, Wunder im Lande Hams und schreckliche Werke am Schilfmeer. Und er sprach, er wollte sie vertilgen; wo nicht Mose, sein Auserwählter, den Riss aufgehalten hätte, seinen Grimm abzuwenden, auf dass er sie nicht gar verdarb.“ Wir staunen und zürnen über jenes abgöttische Volk Israel, das im nämlichen Augenblick, wo Mose im Wetter vor Gott stand und die heiligen Gesetzestafeln von ihm empfing, sich ein goldenes Kalb machte und darum tanzte. Und doch - ist's denn bei uns viel besser? Wieviel feinere Abgötterei, wieviel verborgener Kälberdienst auch bei uns! Wer dem Mammon dient, das Gold zu seinem Götzen macht, und nichts Höheres weiß, als reich werden, und vergisst darüber das Eine, was nottut, das Heil seiner unsterblichen Seele ist dem nicht der Beutel sein goldenes Kalb? Wer den Bauch zu seinem Gott macht und nichts Höheres will, als alle Tage herrlich und in Freuden leben hat der nicht sein goldenes Kalb auf dem Tische stehen in Gestalt einer vollen Schüssel oder eines funkelnden Bechers? Wer dem Götzen der Eitelkeit frönt und nichts Wichtigeres weiß am Morgen und Abend, als seinen sterblichen Leib zu putzen und zu schmücken, und vergisst darüber seine Seele zu schmücken mit dem hochzeitlichen Kleid des Glaubens und der Gerechtigkeit hat der nicht auch sein goldenes Kalb, hat's vielleicht am Halse hängen an goldener Kette oder am Finger stecken im funkelnden Ring? Wer einen Menschen zu seinem Abgott macht, sein Kind, seinen Freund, einen Gewaltigen der Erde mehr fürchtet und liebt als Gott, das höchste Gut hat nicht auch der sein goldenes Kalb, das er mit Blumenkränzen schmückt, dem er abgöttisch dient und opfert? Wer sich selber, seinen Verstand, seine Weisheit, seine Tugend, sein Verdienst, seine Leidenschaften und Begierden über Gott und Gottes Wort hinaufsetzt und sich selbst anbetet in törichter Hoffart hat nicht der auch sein goldenes Kalb, das da drinnen steht in seiner eigenen Brust: sein liebes Ich, sein eigenes Herz? Ja, meine Lieben, es geht viel Kälberdienst, viel Abgötterei im Schwang mitten in Christenlanden, und wir alle haben wohl Ursache an unsere Brust zu schlagen und zu fragen: Steht's bei mir auch gut und richtig mit dem ersten Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andere Götter neben mir haben; das heißt: wir sollen Gott über alles andere fürchten, lieben und ihm vertrauen. Und wer noch von Herzen glaubt an den lebendigen Gott und ihm dient in Furcht und Liebe o der hebe flehende Hände auf wie Mose dort für das törichte, verblendete Volk und trete täglich mit Gebet und Fürbitte vor Gott, seinen Grimm abzuwenden, dass er uns nicht gar verderbe. -

Noch weiter fährt der Psalmist fort im Sündenregister seines Volkes; er schildert ferner ihr unzufriedenes Murren und dessen Strafe, V. 24-27; ihren heidnischen Götzendienst und das Gericht darüber, V. 28-31; ihr ungebärdiges Wesen gegen Mose, dem sie das Leben so oft sauer und das Herz so oft schwer machten, dass er sein Amt mit Seufzen tun musste, ja dass auch ihm in einer schwachen Stunde Worte des Unmuts und Kleinglaubens entführen, V. 32. 33. Er gedenkt ihrer Lauheit und ihres Weltsinns, dass sie nach dem Einzug in Kanaan sich nicht nach Gottes Befehl absonderten von den heidnischen Völkern, sondern sich mit ihnen vermengten und heidnische Werke von ihnen lernten, wie auch unter uns so viele Gott und der Welt, Christus und Belial zugleich dienen wollen und können's nicht über sich gewinnen, von der breiten Straße herüberzutreten auf den schmalen Pfad, V. 34-36. Er gedenkt insbesondere des schauerlichen Molochsdienstes, V. 37 bis 39, wo sie ihre unschuldigen Kindlein, ihre Söhne und Töchter dem glühenden Molochsbild in seine Arme legten, dass sie jämmerlich verbrannten, wie auch heute noch - dass Gott erbarm so manche gewissenlose Eltern ihre armen Kinder dem Moloch opfern, indem sie ihre Seelen verwahrlosen, sie in Sünden aufwachsen lassen, sie gar selbst der Sünde in die glühenden Molocharme liefern, der Sünde der Eitelkeit, der Liederlichkeit, des Stehlens, durch böses Exempel oder um schnöden Gewinnes willen. Es ist genug, wir möchten gern einen Vorhang ziehen über solchen Jammer und solche Gräuel, wenn sie nur damit bedeckt wären; aber nur einer kann sie bedecken, nur einer kann helfen, das ist der heilige barmherzige Gott, vor dem wir bekennen:

3)

Du Herr bist gerecht, wir aber müssen uns schämen! Den treuen Gott, dessen Güte ewig währt über dem sündigen Menschengeschlecht, dessen Treue nicht aufgehoben wird durch unsere Untreue, den welcher auch seinem ungehorsamen Volk dort nach allen Strafgerichten doch immer wieder sein Gnadenlicht aufgehen ließ, V. 43-46, ihn wollen wir anrufen auch in unsern Sünden, auch für unser Volk, wie der Psalmist V. 47. Ihn wollen wir loben und preisen, wie unser Psalm am Schluss V. 48.

Mit diesem Halleluja schließt das vierte Buch der Psalmen. Und einst, wenn alle Bücher menschlicher Geschichten geschlossen, wenn alle irdischen Lobpsalmen und Klaglieder verklungen sind, dann wird das auch die Summa der ganzen Geschichte sein, das Ende der Wege Gottes und das Loblied der himmlischen Heerscharen: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und alles Volk spreche: Amen, Halleluja.“ Amen.

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