Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 99.
(1) Der Herr ist König, darum toben die Völker; er sitzt auf Cherubim, darum regt sich die Welt. (2) Der Herr ist groß zu Zion und hoch über alle Völker. (3) Man danke deinem großen und wunderbaren Namen, der da heilig ist. (4) Im Reich dieses Königs hat man das Recht lieb. Du gibst Frömmigkeit, du schaffst Gericht und Gerechtigkeit in Jakob. (5) Erhebt den Herrn, unseren Gott, betet an zu seinem Fußschemel; denn er ist heilig. (6) Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, sie riefen an den Herrn, und er erhörte sie. (7) Er redete mit ihnen durch eine Wolkensäule; sie hielten seine Zeugnisse und Gebote, die er ihnen gab. (8) Herr, du bist unser Gott, du erhörtest sie; du Gott, vergabst ihnen, und straftest ihr Tun. (9) Erhöht den Herrn, unseren Gott, und betet an zu seinem heiligen Berge, denn der Herr, unser Gott, ist heilig.
Eines der erhabensten prophetischen Gesichte ist das, welches wir beschrieben finden Jesaias 6. Der königliche Prophet sah den Herrn sitzen auf einem hohen Stuhl und der Saum seines wallenden Gewandes füllte den Tempel. Seraphim standen um ihn gebückt, bedeckten anbetend ihr Antlitz mit den Flügeln und einer rief dem anderen zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll. Und die Überschwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch; der Prophet aber sprach erschrocken: Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen und habe doch den König, den Herrn Zebaoth gesehen mit meinen Augen. Da flog der Seraphim einer zu ihm und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altare nahm. Und rührte seinen Mund und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen gerührt, dass deine Missetat von dir genommen werde und deine Sünde versöhnet sei. Und weihte ihn also zum Boten des Herrn an sein Volk.
Gott ist heilig! Das ist die erhabene Idee, die in diesem majestätischen Bilde sich ausspricht. Und wie er heilig ist, so ist er auch anbetungswürdig, so soll sein Name auch geheiligt werden von allen Kreaturen, von den seligen Geistern im himmlischen Licht bis herab zum sündigen Menschen im Staube der Erde. Und weil der Mensch ein sündiges Geschöpf ist, nicht wert, die Herrlichkeit des Allervollkommensten zu schauen mit seinen fündigen Augen, zu preisen mit seinen unreinen Lippen, so will Gott, der Heilige, auch den Menschen heiligen und reinigen zu seinem Dienst und zum Bekenntnis seines Namens. Gott ist heilig und als der Heilige anbetungswürdig; das ist die Wahrheit, die auch in unserem 99. Psalm - abermals einem der majestätischen Reichsund Königspsalmen besungen wird:
Gott, der anbetungswürdige König, wird uns da vorgestellt, wie er thront:
1) Unter den Völkern der Erde.
2) Unter seinem erwählten Volk Israel.
3) Unter seinen auserkorenen Dienern und Knechten.
1)
Zuerst wird der Herr Zebaoth vorgestellt als der anbetungswürdige König, wie er thront unter den Völkern überhaupt.
V. 1: „Der Herr ist König, darum toben die Völker; er sitzt auf Cherubim, darum regt sich die Welt.“ Der Herr ist König damit ist die unnahbare Hoheit, die anbetungswürdige Majestät des höchsten Gottes mit einem einzigen Wort, mit einem treffenden Bild ausgedrückt, besonders wenn wir an die Könige des alten Morgenlandes denken, die als unumschränkte Monarchen regierten, als höhere Wesen verehrt wurden, so dass vor ihrem Thron der Untertan das Antlitz in den Staub zu beugen hatte. Als ein solcher unumschränkter Monarch, als ein solcher souveräner König thront der allerheiligste Gott inmitten der Völker. Die ganze Welt ist sein Gebiet; der Himmel ist sein Thron, um welchen Cherubim und Seraphim, die Kräfte des Himmels und die hohen Geister anbetend gereiht sind; die Erde ist sein Fußschemel und die Völker ringsumher sind seine Untertanen.
Freilich nicht gehorsame und getreue, sondern rebellische Untertanen, die sich nur unwillig seinem heiligen Zepter fügen. Der Herr ist König, darum toben die Völker; er sitzt auf Cherubim, darum regt sich grollend und murrend die Welt.“ Man könnte nach dem hebräischen Grundtext auch übersetzen: Es zittern die Völker und es erbebet die Welt, sie beugen sich ehrfurchtsvoll vor der furchtbaren Majestät des allerheiligsten Gottes. Aber Luther hat in den Worten noch einen kräftigeren Sinn gefunden und übersetzt: Der Herr ist König, darum toben die Völker, darum regt, d. h. empört sich die Welt wie ein wildes Ross unter dem Reiter sich bäumt und in den Zügel knirscht, oder wie der halbgezähmte Tiger murrt und knurrt, wenn der Bändiger in seinen Käfig tritt, oder wie das Wasser siedet und brodelt, wenn es übers Feuer gesetzt wird. So ist's ja in der Tat. Gerade weil Gott, der Heilige, König ist, dessen Majestät die Welt im Innersten fühlt, darum tobt sie gegen ihn, darum sucht sie seinem Zepter sich zu entziehen. Das ist's, was schon im zweiten Psalm geschrieben steht mit den Worten: „Warum toben die Heiden und die Leute reden so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf und die Herren ratschlagen miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten: Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.“ Das ist's, was Luther in seiner treffenden Art ausdrückt, wenn er irgendwo schreibt: Wo das Evangelium hinkommt, da rumoret es, d. h. es macht, dass die Welt dagegen rumort. Das ist's, was der Heiland selber ausdrückt mit den Worten: Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert. Das ist's, was ein neuerer Prediger aus Anlass des Aufruhrs, der in Ephesus wider den Apostel Paulus sich erhob, mit dem Bilde bezeichnet: Paulus habe das gewichtige Wort vom Kreuz in die Heidenwelt hineingeworfen wie einen Felsblock ins Meer: was Wunder, wenn das Meer aufschäumte und aufbrauste von diesem gewaltigen Wurf! Das ist's, was wir noch immer erfahren um uns her. Wo irgend in einer Gemeinde das Wort Christi mit Kraft und Entschiedenheit verkündet wird, die Majestätsrechte des heiligen Gottes mit Nachdruck geltend gemacht werden gegenüber den Sünden der Welt und den Lastern der Zeit, da gibt's Rumor, da toben die Heiden, da brausen die Gewaltigen auf, da murren die Getroffenen, da zischen die Spötter, da siedet's in denen, welchen das Wort Gottes heiß macht, nicht weil's etwas Unrechtes ist, sondern weil's etwas Rechtes ist um das Wort Gottes und um das Evangelium Jesu Christi.
Freilich das Ende von all solchem Rumoren bleibt immer zuletzt, was geschrieben steht im zweiten Psalm: „Aber der im Himmel wohnt, lacht ihrer und der Herr spottet ihrer;“ und früher oder später wird so endlich doch die andere Übersetzung unseres Verses eintreffen: „Der Herr ist König, darum zittern die Völker; er sitzt auf Cherubim, darum bebet die Welt.“
Aber wie Gott als der heilige König unter den Völkern thront und seine Majestätsrechte früher oder später geltend machen wird in der ganzen Welt, so thront er insbesondere:
2)
Unter seinem erwählten Volk Israel, V. 2-5. V. 2: „Der Herr ist groß zu Zion und hoch über alle Völker.“ Der Zionsberg mit Davids Burg und Salomos Tempel, hoch emporragend über das Land umher, wurde als der Mittelpunkt des heiligen Landes betrachtet. „Der Herr ist groß zu Zion“, d. h. also: Unter seinem auserwählten Volk Israel insbesondere hat er von altersher gewohnt und gethront als der heilige König, darum auch sein Titel, den er so oft im Psalmbuch führt: Der Heilige in Israel. Darum während die Völker umher noch toben und sich auflehnen wider seinen Namen, so gilt's in seinem Volke wenigstens:
V. 3: „Man danke deinem großen und wunderbaren Namen, der da heilig ist.“ Ja viel Ursache hatte Israel, dem Herrn und Könige zu danken! Wie wunderbar hatte der Herr in diesem Volk seinen heiligen Namen offenbart und verherrlicht von den grauen Tagen des ersten Erzvaters Abraham bis auf den letzten Propheten Johannes den Täufer. Sinai und Horeb, Zion und Moriah und Karmel - alle diese heiligen Stätten waren gleichsam riesengroße Denksteine, auf denen es mit ewigem Griffel eingezeichnet stand: „Dankt dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währt ewig. Man danke deinem großen und wunderbaren Namen, der da heilig ist.“ Und wie er selber heilig ist, so will er auch, dass sein Volk ihn preise durch Heiligkeit und Gerechtigkeit.
V. 4: Im Reiche dieses Königs hat man das Recht lieb. (Eigentlich: dieser König ist ein Liebhaber des Rechts.) „Du gibst Frömmigkeit, du schaffst Gericht und Gerechtigkeit in Jakob.“ - Der König Zions ist ein Liebhaber der Gerechtigkeit: Nicht nur er selber ist gerecht in allen seinen Wegen und heilig in allem seinem Tun, sondern auch an seinem Volk bewährt sich's: Wer Gott fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm; wer böse ist, bleibt nicht vor ihm. Das hat ein Abraham und Josef und David und Hiob erfahren am Segen des heiligen Gottes; das hat aber auch ein Saul und Absalom, ein Ahab und eine Rotte Korah mit Schrecken erfahren, dass der König in Zion das Recht lieb hat und nur das Recht. Ja die anderthalbtausendjährige Geschichte des ganzen Volks Israel vom Auszug aus Ägypten bis zur Zerstörung Jerusalems ist ein großer Beleg zu dem Spruch: Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber Sünde ist der Leute Verderben. Damit aber keiner über solch strenges Gericht Gottes sich beklage, so heißt's weiter im Vers: „Du gibst Frömmigkeit, du schaffst Gerechtigkeit in Jakob.“ So lieb hat der König in Israel die Gerechtigkeit, dass er sie nicht nur verlangt von seinem Volk wie ein harter Mann, der da erntet, wo er nicht gesät hat, und sammelt, wo er nicht gestreut hat. Nein, sondern er hilft seinem Volk zur Gerechtigkeit, er gibt den Seinigen Frömmigkeit. Hat er das nicht getan von altersher durch sein heiliges Gesetz, das er seinem Volk gab, dass es seines Fußes Leuchte sei und ein Licht auf allen seinen Wegen? Hat er das nicht getan durch seinen heiligen Geist, den er seinen Knechten schenkte, damit er sie leite auf ebener Bahn, damit er in ihnen schaffe ein reines Herz und ihnen gebe einen gewissen Geist? Und tut er das nicht noch deutlicher, noch kräftiger und gnädiger an seinem Volk des neuen Bundes, am neutestamentlichen Zion? Alles, was uns hier gesagt wird vom Wohnen und Thronen Gottes unter seinem Volk, das findet ja seine tiefste und höchste Erfüllung erst im geistlichen Volk Israel, in der christlichen Gemeinde. In der Christenheit erst, wenn wir bedenken, wie er uns sich offenbart und was er getan an uns, heißt es in vollem Sinn: „Der Herr ist groß in Zion und hoch über alle Völker.“ Bei den Gläubigen erst, die im Vaterunser beten: Geheiligt werde dein Name, wird's zur Wahrheit: „Man danke deinem großen und wunderbaren Namen, der da heilig ist.“ Im Reich Christi erst, das da ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, hat man das Recht lieb. Da wo der Geist Christi wirket und wohnt in den Herzen, ist's ganz erfüllt: „Du gibst Frömmigkeit.“ Da erst, wo das Blut Christi die Gewissen reinigt und versöhnet, ist's wörtlich wahr: „Du schaffst Gerechtigkeit in Jakob.“ Darum in der Christengemeinde gilt's auch zwiefach und dreifach, was wir im fünften Vers lesen:
V. 5: „Erhebt den Herrn, unseren Gott, betet an zu seinem Fußschemel; denn er ist heilig.“ Wenn schon das alttestamentliche Israel dem Herrn seine Psalmen sang, wenn dem Heiligen, der im oberen Heiligtum wohnt, vom Schemel seiner Füße, von seinem Heiligtum auf Zion das Rauchwerk des Gebets alle Tage aufstieg gen Himmel: wie viel mehr gilt's uns, denen er in seinem Sohne Jesu Christo sein heiliges Antlitz offenbart, denen er den Geist der Kindschaft in die Herzen gegeben hat; wie viel mehr gilt's uns: Betet ihn an, den Anbetungswürdigen; wie viel mehr soll's bei uns heißen am Werktag wie am Sonntag, im Kämmerlein wie hier in seinem Heiligtum:
Gott ist gegenwärtig, dem die Cherubinen
Tag und Nacht gebücket dienen;
Heilig, heilig, heilig singen ihm zur Ehre
Aller Engel hohe Chöre.
Herr vernimm unsere Stimm,
Wenn auch wir Geringen unsere Opfer bringen!1)
Edle Vorbilder werden uns zu solcher Anbetung vor Augen gestellt. Wir sehen Gott als den heiligen König thronend auch:
3)
Unter seinen auserwählten Knechten, V. 6-8.
V. 6: „Mose und Aaron unter seinen Priestern und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, sie riefen an den Herrn und er erhörte sie.“ Ehrwürdige Schatten, edle Geister der Vorzeit beschwört da der Psalmist und lässt sie aus ihren Grüften heraufsteigen oder vielmehr lässt sie aus den Gefilden des Paradieses herniederschweben, seinem Volke zum Vorbild. Es sind die frommen Beter der Vorzeit, es sind die großen Knechte Gottes, die als Mittler traten vor Gott und sein Volk; im Namen des Volks Opfer und Gebet brachten vor den Thron des heiligen Gottes, im Namen Gottes Gnade und Friede verkündeten dem hilfsbedürftigen Volk. Da steigt Mosis ehrwürdige Gestalt vor uns auf; Moses, der zwar kein gesalbter Priester war, aber doch ein priesterliches Herz im Busen trug wie wenige; Moses, der so brünstig betete für sein halsstarriges Volk und mit Gott redete wie ein Mann mit seinem Freunde. Da sehen wir Aaron, den ersten Hohepriester, im heiligen Schmuck, wie er bei dem großen Sterben des Volks nach der Empörung der Rotte Korah mit heiligem Rauchwerk und priesterlichem Gebet mitten eintrat zwischen Tote und Lebendige, dass der Plage gewehrt ward. Da tritt Samuels hohe Gestalt vor uns auf, wie er so oft in böser Zeit für Israel zum Herren schrie um Sieg wider die Philister, und wie er auch da noch, als das Volk einen König sich ertrotzt, dennoch großmütig dem undankbaren Volk versprach: er wolle nie ablassen, für sie zu beten. Das waren noch Männer nach Gottes Herzen in weltlichen wie in geistlichen Würden, das waren noch edle Knechte, würdig dass der Heilige in Israel unter ihnen throne. Darum heißt's auch von ihnen: „Und er erhörte sie.“ Und:
V. 7: „Er redete mit ihnen durch eine Wolkensäule; sie hielten seine Zeugnisse und Gebote, die er ihnen gab.“ Er verschleierte den Glanz seiner Majestät für ihre menschlichen Augen, dämpfte den Donner seiner Stimme für ihre irdischen Ohren, dass sie's konnten ertragen und nicht mussten vergehen. Und wenn auch sie selber sündige Menschen vor ihm waren und mehr als einmal seinen Gerichten verfielen, so blieb es dennoch dabei:
V. 8: „Herr, du bist unser Gott, du erhörtest sie, du Gott vergabst ihnen und straftest ihr Tun.“ Du schärftest dein Gericht mit Maßen und ließest, was sie gefehlt in menschlicher Schwachheit, dein Volk nicht büßen und entgelten. Diese alten Beter, Geliebte, sie haben hinter sich eine große Wolke von Zeugen; es schließt sich an sie eine lange und leuchtende Reihe von Gottesknechten, die auch wie sie mit Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung vor Gott getreten sind in bösen wie in guten Tagen; die auch durch ihr Beten den Segen des heiligen Gottes herabgefleht haben auf sich und die Gemeinde; von denen auch wir lernen können, lernen sollen, lernen wollen ihn, den Anbetungswürdigsten, anbeten im Geist und in der Wahrheit. Keines, keines von uns ist zu geringe dazu. Wenn auch die Seraphim ihr Antlitz verhüllen vor dem Lichte seiner Majestät; wenn auch ein Moses nur durch die Wolke mit ihm, dem dreimal Heiligen, reden durfte: wir sind Christen, wir sind seine Kinder und dürfen im Namen Jesu zu ihm beten: Abba, lieber Vater! So soll es denn auch bei uns gelten: V. 9: „Erhöht den Herrn, unseren Gott, und betet an zu seinem heiligen Berge, denn der Herr, unser Gott, ist heilig,“ bis wir ihn droben anbeten im himmlischen Heiligtum! Majestätisch Wesen! Lass uns recht dich preisen Und im Geist dir Dienst erweisen;
Lass uns wie die Engel immer vor dir stehen
Und dich gegenwärtig sehen.
Lass uns dir für und für
Trachten zu gefallen, liebster Gott, in allen!2)
Amen.