Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 95.

(1) Kommt herzu, lasst uns dem Herrn frohlocken, und jauchzen dem Hort unsers Heils. (2) Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen, und mit Psalmen ihm jauchzen. (3) Denn der Herr ist ein großer Gott, und ein großer König über alle Götter. (4) Denn in seiner Hand ist, was die Erde bringt; und die Höhen der Berge sind auch sein. (5) Denn sein ist das Meer, und er hat es gemacht; und seine Hände haben das Trockene bereitet. (6) Kommt, lasst uns anbeten, und knien, und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat. (7) Denn er ist unser Gott, und wir das Volk seiner Weide, und Schafe seiner Hand. Heute, so ihr seine Stimme hört, (8) So verstockt euer Herz nicht, wie zu Meriba geschah, wie zu Massa in der Wüste; (9) Da mich eure Väter versuchten, fühlten und sahen meine Werke, (10) Dass ich vierzig Jahre Mühe hatte mit diesem Volk, und sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will, und die meine Wege nicht lernen wollen; (11) Dass ich schwur in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.

„Ruf des großen Gottes an unser Herz“ - so lautet in unserer Bibelausgabe die Aufschrift dieses Psalms, und damit ist dieser Psalm schön bezeichnet, besonders im Unterschied vom vorangegangenen. Dort hatten wir ein flehentliches Klagelied, heute bekommen wir auch einmal wieder einen fröhlichen Lob- und Dankpsalm. Dort vernahmen wir den Ruf eines geängsteten Menschenherzens zu Gott, hier hören wir den Ruf des großen Gottes ans Menschenherz. Und zwar einen doppelten Ruf: einen freundlichen Ruf zum Dank und einen ernstlichen Ruf zur Buße. Möchte er auch an unsere Herzen alle dringen. Wir wollen sie ihm in dieser Andachtsstunde öffnen und erwägen

Den Ruf des großen Gottes an unser Herz.

1) Als einen freundlichen Ruf zum Dank, V. 1-7.
2) Als einen ernsten Ruf zur Buße, V. 7-11.

1) Der freundliche Ruf zum Dank

ergeht gar mächtig an uns:

V. 1. 2: „Kommt herzu, lasst uns dem Herrn frohlocken und jauchzen dem Hort unseres Heils. Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen.“ Das klingt gar fröhlich und festlich und ist schon an manchem Dank- und Freudenfest, an manchem Ernte- und Herbstfest, an manchem Sieges- und Friedensfest, an manchem Christ- und Osterfest hineingerufen worden in die versammelte Gemeinde, wie denn auch ursprünglich wohl unser Psalm als Festpsalm gebraucht worden ist bei den schönen Gottesdiensten Israels. Aber, denkt vielleicht eins unter euch, passt denn dieser Psalm auch für eine gewöhnliche Betstunde? gilt denn dieser Aufruf zum Jauchzen und Danken und Frohlocken auch für einen gemeinen Werktag? O ja, meine Lieben, denn Gott ist alle Tage groß und gut, und der Christ hat alle Morgen Ursache zum Danken und Frohlocken. Nur sind wir der Wohltaten unseres großen Gottes so gewohnt, nur ist das Menschenherz von Natur so träge zum Danken, dass wir eine besondere Aufmunterung dazu immer wieder brauchen, dass der Psalmist recht Ursache hat, laut zu rufen: „Kommt herzu, lasst uns dem Herrn danken!“ Und wie der fromme Sänger hier uns aufruft zum Dank, so muss jeder fromme Christ sich selber aufrufen, seine eigene Seele immer wieder ermuntern: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Ja so soll ein frommer Christ auch seinen Nächsten aufmuntern zum Lob und Preis des großen Gottes! So soll der Hausvater am Morgen Weib und Kind und Gesinde versammeln um den Herrn: „Kommt herzu, lasst uns mit Danken vor sein Angesicht treten!“ So soll der Prediger die Gemeinde immer wieder mahnen an so viel geistlichen und leiblichen Segen, den wir von Sonntag zu Sonntag empfangen dürfen vom Geber aller guten Gaben. So soll der Lehrer in den Herzen der Kinder frühe erwecken den Dank gegen den Vater im Himmel, der auch aus dem Munde der Unmündigen sich ein Lob zubereiten will. So soll der Freund den Freund, der Gläubige den Gläubigen, so soll der Zufriedene den Unzufriedenen, der Fromme den Gottvergessenen ermuntern zum gemeinsamen Preis des Herrn. So soll's auch heut, auch jetzt unter uns heißen: „Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen mit diesem unserem 95. Psalm ihm jauchzen.“

V. 3: „Denn der Herr ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter.“

Siehe, das ist Grund und Ursache zum Loben und Danken. Der Herr ist ein großer Gott. Groß in seinem Wesen, so groß, dass er in einem Lichte wohnt, da kein Mensch zukommen kann! Groß in seinen Werken, so groß, dass wir bewundernd rufen müssen: Groß sind die Werke des Herrn; wer ihrer achtet, hat eitel Lust daran. Groß in seinen Wegen, so dass wir anbetend bekennen müssen: Was Gott tut, das ist wohlgetan! Groß in seinem Worte, so dass wir bei jedem Kapitel, das wir lesen, wieder bestätigt werden in der Erfahrung: Herr, du hast Worte des ewigen Lebens. Ja, der Herr ist ein großer Gott und ein König über alle Götter. Was sind die erdichteten Götter aller Heiden, was sind die marmornen Götter Griechenlands, was sind die nebelhaften Hirngespinste der Philosophen gegen dich, den wahren, lebendigen Gott, unerschaffen und geistig, ewig, allmächtig, allgegenwärtig, allwissend, weise, heilig, gerecht, wahrhaftig, gütig und barmherzig. Der Herr ist Gott und keiner mehr, frohlockt ihm alle Frommen!

V. 4: „Denn in seiner Hand ist, was die Erde bringt, und die Höhen der Berge sind auch sein.“ Da kommt nun der Psalmist vom Herrn selber auf seine Werke, in denen er sich uns offenbart. Ihn selber können wir nicht sehen; er wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann. Aber seine Herrlichkeit spiegelt sich in seinen Werken wie das Antlitz der Sonne sich spiegelt in Millionen Tautropfen. Was die Erde bringt, das ist in seiner Hand und kommt aus seiner Hand. Schaue hin über die Gefilde der Erde. Jedes wallende Kornfeld neigt sich vor ihm; jeder rauschende Baum beugt sich vor ihm; jede nickende Blume bückt sich vor ihm.

„Mich, ruft der Baum in seiner Pracht,
Mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht,
Gebt unserem Gott die Ehre!“ 1)

Auch das Fruchtfeld dieses Sommers kam aus seiner milden Vaterhand. Auch die reichen Garben der heurigen Ernte, die unser Land aus Armut und Hunger gerissen; auch die zwei Erntegarben, die hier auf diesem Altar beim Dankgottesdienst gestanden, riefen's uns zu: Gebt unserem Gott die Ehre! Und die Höhen der Berge sind auch sein.“ Wie im fruchtbaren Tal, so an der sonnigen Bergwand offenbart er seine milde Güte. Auch die Höhen unserer Weinberge sind sein. Auch sie, obwohl er sie nicht so reichlich dies Jahr gesegnet, dürfen jetzt noch seinen milden Sonnenschein genießen, und jede Traube, die da noch reift, ruft es uns zu: Gebt unserem Gott die Ehre! Ja, auch die fahlen Bergeshöhen, wo kein Blümlein wächst und kein Gräslein grünt; auch die steilen Felsengipfel, die keines Menschen Fuß noch erklommen, wo nur der einsame Adler in den blauen Lüften kreist; auch die schneebedeckten Alpenfirnen in ihrer erhabenen Majestät sie sind sein, Werke seiner Allmacht, Throne seiner Herrlichkeit, Prediger seiner Ehre, die uns zurufen: Gebt unserem Gott die Ehre!

V. 5: „Denn sein ist das Meer und er hat es gemacht und seine Hände haben das Trockene bereitet.“ Da breitet der Psalmist noch andere großartige Gebiete der Schöpfung vor uns auf. Wie ein Adler schwingt er sich auf vom Tal auf Bergeshöhe und da schaut er nun hinaus über Meer und Land. Auch das Meer hat Gott gemacht, auch der mächtige Ozean verkündet seine Ehre, sei es dass er daliegt in ruhiger Majestät wie ein blauer unermesslicher Spiegel, in welchem Sonne, Mond und Sterne ihr Antlitz baden, oder dass er brausend sich empört im Sturm und in bergeshohen Wogen schäumend gen Himmel spritzt. In der Tat, wer das Meer zum ersten Mal sieht, der wird unwillkürlich überwältigt von der Größe des Schöpfers und muss bekennen: Herr, dir ist niemand zu vergleichen! Und wie er dem Meer seine Ufer angewiesen: Bis hierher und nicht weiter, hie sollen sich legen deine stolzen Wellen, so hat er auch das Trockene bereitet, so hat er die weiten Gefilde des festen Landes ausgebreitet wie einen buntgewirkten Teppich mit Berg und Tal, mit Wald und Wiese, mit Feldern und Städten, mit öden Wüsten und fruchtbaren. Gärten. Alle Lande sind seiner Ehre voll.“ Darum:

V. 6: „Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat.“ Auch uns Menschen hat er gemacht. Hat uns gemacht zur Krone der Schöpfung, hat uns erschaffen nach seinem Bild und ausgeschmückt mit den edelsten Gaben Leibs und der Seele. Er hat unser Auge gemacht, in welchem wie in einem klaren Kristall die ganze Schöpfung sich spiegelt; er hat uns das Ohr gepflanzt, mit welchem wir vernehmen die tausendfachen Stimmen der Geschöpfe; er hat uns die Zunge geschenkt, mit der wir selber können einstimmen in den Preis seines Namens; er hat uns die Hand gebildet, mit der wir arbeiten können und tausendfache Künste treiben; er hat uns den Geist gegeben, mit dem wir denken, Gott erkennen und anbeten dürfen. O kommt, was Mensch heißt, kommt, lasst uns anbeten, anbetend unser Haupt gen Himmel erheben, und knien, demütig unsere Knie beugen vor seiner Majestät, und niederfallen, in immer tieferer Andacht unser Antlitz in den Staub legen vor diesem großen Gott und Schöpfer!

V. 7: „Denn er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand.“ Noch mehr! Was unser Gott erschaffen hat, das will er auch erhalten. Er ist nicht nur ein allmächtiger Schöpfer, er ist auch ein gnädiger Erhalter seiner Geschöpfe, ein guter Hirte seiner Menschenkinder. Wie ein Hirte seine Schafe führt mit seinem Hirtenstab und leitet auf die grüne Weide und schützt vor dem grimmigen Wolf, so hat Gott, der Herr, einst sein Volk Israel geleitet und geweidet unter Mose und Aaron und von David, dem Hirtenknaben von Bethlehem, bis auf den großen Davidssohn, der von sich selber sagen durfte: Ich bin ein guter Hirte, durfte das Volk es immer erfahren: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Als ein guter Hirte weidet er auch heute sein Volk. Als ein guter Hirte hat er auch uns und jedes unter uns bis daher geführt und regiert, und was der fromme Gerhard singt in einem Abendlied im Rückblick auf einen einzigen Tag, das dürfen wir auch bekennen im Rückblick auf unser ganzes Leben:

Gleichwie des Hirten Freude, ein Schäflein an der Weide
Sich unter seiner Treue ohn alle Furcht und Scheue
Ergötzet in dem Feld,
Den Durst an Quellen stillet und sich mit Blumen füllet,
So hat mich auch regiert, mit manchem Gut geziert
Der Hirt in aller Welt. 2)

Ein solcher Gott - ist der nicht unseres Preises wert? Ja kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat. - Aber der Ruf des großen Gottes an unser Herz ist nicht nur ein freundlicher Ruf zum Dank, sondern auch:

2) Ein ernster Ruf zur Buße.

Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leiten will? ruft Paulus uns zu, und der Psalmist stimmt nun auch die Saiten seiner Harfe zu ernsterem Ton und fährt fort:

V. 7. 8. 9: „Darum heute, so ihr seine Stimme hört, so verstockt euer Herz nicht, wie zu Meriba geschah, wie zu Massa in der Wüste, da mich eure Väter versuchten, fühlten und sahen mein Werk.“ Man sollte es nicht glauben, dass gegen einen so großen Schöpfer und gütigen Erhalter die Welt ihr Herz verstocken könnte in Unglauben, Undank und Ungehorsam. Wir zürnen über das halsstarrige Volk Israel dort in der Wüste, an dem der Herr so große Dinge getan, das seine Werke fühlen und sehen durfte wie sonst keines, und das doch immer wieder sein Herz gegen ihn verstockte und wider ihn murrte, wie dort zu Meriba und Massa, da es kein Wasser fand nach seinem Wunsch. Und doch, Geliebte, macht's denn das Menschenherz heutzutage dem großen Gott viel besser? Wieviel Halsstarrigkeit und Verstocktheit auch heute noch bei der Welt! Wieviel Undank bei den Wohltaten, wieviel Kleinglauben bei den Heimsuchungen Gottes! Wie wenige sind's, die sich durch seine Güte zur Buße und durch seine Gerichte zu ihrem Heile leiten lassen! Und wenn der Herr mit Israel vierzig Jahre lang Geduld hatte, wie es weiter heißt:

V. 10: „Dass ich vierzig Jahre Mühe hatte mit diesem Volk und sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will und die meinen Weg nicht lernen wollen“ sagt, muss der große Gott nicht heutzutage mit manchem in seinem Volk noch viel länger als vierzig Jahre Mühe haben und Geduld tragen? Wie mancher lässt seine dreißig, fünfzig, siebzig Jahre sich anscheinen von Gottes Gnadensonne, sich anwehen von Gottes Himmelsluft, sich freihalten an Gottes großer Freudentafel, und ist ihm noch nie in den Sinn gekommen, dass er zu sich selber gesagt hätte: „Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat!“ Über wie manchen muss der Vater im Himmel auch sagen und klagen nach allem, was er versucht hat mit Güte und mit Strenge, mit Wohltaten und mit Züchtigungen, mit Worten und mit Werken, nach allen Gerichten und allen Segnungen auch dieser letztverflossenen Zeit sagen und klagen: „Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will und die meine Wege nicht lernen wollen.“ O muss da nicht am Ende auch in Erfüllung gehen seine furchtbare Drohung:

V. 11: „Dass ich schwur in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.“ Jenes verstockte Volk Israel kam nicht zu seiner Ruhe. Von 600.000 Mann, die ausgezogen, erreichten nur zwei den Ruhesitz im gelobten Land Kanaan. „Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen;“ dieser Fluch hängt auch heute noch allen überm Haupt, die sich von Gottes Güte nicht wollen zur Buße leiten lassen. Da kommt äußerlich schon keine Ruhe, kein Friede und keine Freude, sondern eine Geißel Gottes über die andere: zuerst seit sieben Jahren Teuerung, dann Aufruhr, dann wieder Teuerung, dann Kriegsgeschrei, dann Pestilenz nah und fern, dann weiß Gott was noch folgen soll, und wenn auch äußerlich wieder Ruhe würde - innen in den Herzen kein Friede, keine Zufriedenheit, keine Genügsamkeit, keine Freude und keine Seelenruhe. Und drüben keine Ruhe in Ewigkeit, sondern ein Feuer, das nicht verlischt, und ein Wurm, der nicht stirbt.

Darum lasst uns Fleiß tun, einzukommen in unsere Ruhe, dass nicht jemand falle in dasselbige Exempel des Unglaubens. Darum heute, so wir seine Stimme hören, wollen wir unsere Herzen nicht verstocken. Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat, und in Dank und Buße also beten:

(Liturgie.) Amen.

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