Gerok, Karl - Andachten zum Psalter - Psalm 81.
(1) Auf der Githith vorzusingen, Assaphs. (2) Singt fröhlich Gott, der unsere Stärke ist; jauchzt dem Gott Jakobs. (3) Nehmt die Psalmen, und gebt her die Pauken, liebliche Harfen mit Psalter. (4) Blast im Neumonden die Posaunen, in unserem Fest der Laubrüste. (5) Denn solches ist eine Weise in Israel, und ein Recht des Gottes Jakobs. (6) Solches hat er zum Zeugnis gesetzt unter Joseph, da sie aus Ägyptenland zogen, und fremde Sprache gehört hatten. (7) Da ich ihre Schulter von der Last entledigt hatte, und ihre Hände der Töpfe los wurden. (8) Da du mich in der Not anriefst, half ich dir aus, und erhörte dich, da dich das Wetter überfiel, und versuchte dich am Haderwasser, Sela. (9) Höre, mein Volk, ich will unter dir zeugen; Israel, du sollst mich hören; (10) Dass unter dir kein anderer Gott sei, und du keinen fremden Gott anbetest. (11) Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Tue deinen Mund weit auf, lass mich ihn füllen. (12) Aber mein Volk gehorcht nicht meiner Stimme, und Israel will meiner nicht. (13) So habe ich sie gelassen in ihres Herzens Dünkel, dass sie wandeln nach ihrem Rat. (14) Wollte mein Volk mir gehorsam sein, und Israel auf meinem Wege gehen; (15) So wollte ich ihre Feinde bald dämpfen, und meine Hand über ihre Widerwärtigen wenden, (16) Und die den Herrn hassen, müssten an ihm fehlen, ihre Zeit aber würde ewig währen, (17) Und ich würde sie mit dem besten Weizen speisen, und mit Honig aus dem Felsen sättigen.
Was wir vorhin im Gebete bekannt haben, das klingt auch durch diesen Psalm hindurch: „Es ist ein köstliches Ding, dir danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster, des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen.“ Ein froher Festpsalm ist es, den wir soeben vernommen, worin ganz Israel aufgefordert wird, dem Namen des Höchsten zu lobsingen und mit Herzen, Mund und Wandel seine Gnade und Wahrheit zu verkündigen. Als der fromme König Hiskia 300 Jahre nach Davids Regiment ums Jahr 725 vor Christus eine Kirchenreformation in Juda vornahm, den Tempel reinigte, den Gottesdienst wieder herstellte, der unter einer Reihe von abgöttischen Königen zerfallen war, und besonders nach langer Zeit wieder zum ersten Mal ein großes Passahfest feiern ließ fürs ganze Land, da, lesen wir 2. Chron. 29 und 30, ließ er bei dieser festlichen Gelegenheit die alten herrlichen Psalmen Davids und Assaphs wieder aus dem Staube ziehen und von den Chören der Leviten singen. Damals nun, glauben mehrere Ausleger, sei namentlich unter diesen alten Psalmen auch unser Psalm gesungen worden, der mit seinem festlich frohen und doch zugleich so ernst mahnenden Ton ganz besonders für jenes große Dank-, Buß- und Versöhnungsfest passte.
Er passt aber auch für unser jetziges Zusammensein1). Es hat sich ja auch in unserer Gemeinde wie damals zu Hiskias Zeit ein Verlangen gezeigt nach einer teilweisen Erneuerung, Vermehrung und Belebung unserer Gottesdienste. Wir sollen nicht nur des Morgens Gottes Gnade, sondern auch des Nachts seine Wahrheit verkündigen; wir sollen nicht nur am Sonntag, sondern auch inmitten der Woche uns andächtig um unsern Gott und Herrn versammeln und uns aus seinem seligmachenden Wort alten und neuen Testaments erbauen. Und wenn's auch auf keine prächtigen Feste und großen Versammlungen damit abgesehen ist, sondern nur auf schlichte Bet- und Bibelstunden nach der frommen Väter Weise wir hoffen dennoch einen Segen daraus wenigstens im Stillen und Kleinen; hoffen für diese Abendstunden etwas wenigstens von dem Segen frommer Andacht, den einst ein David empfing, wenn er des Nachts auf seinem Söller saß und seine Harfe rührte im Angesicht von Gottes Sternen; etwas wenigstens von dem Segen des göttlichen Wortes, den dort Nikodemus heimtrug, als er in stiller Nacht zu Jesu Füßen gesessen war, um zu lernen, wie man ins Reich Gottes komme.
Damit wir aber solchen Segens teilhaftig werden, meine Lieben, müssen wir unsere Gottesdienste und Andachtsstunden auch in der rechten Seelenstimmung und Herzenssammlung begehen. Sonst, wenn wir um der bloßen Neugierde oder Unterhaltung oder Werkdienstes willen kämen, hätten wir keinen Segen und hätte Gott keine Ehre davon, und wenn man auch unsere Gottesdienste verdoppeln und verdreifachen würde, wenn man alle Tage Betstunden hielte, Morgens und Abends, bei Sonnenschein und Lampenlicht, mit Gesang und Liturgie, der Herr müsste dennoch über uns ausrufen, wie einst übers Volk Israel bei Amos 5, 23: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag nicht riechen in eure Versammlung. Tue nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder, denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören. Es soll aber das Recht offenbart werden wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein Strom. Dazu nun, Wie die schönen Gottesdienste des Herrn gefeiert werden sollen zu seinem Wohlgefallen und zu unserem Segen, erhalten wir in unserem Festpsalm eine gar treffliche Anleitung. Sie sollen gefeiert werden:
1) Mit heiliger Freude.
Einen Aufruf zu heiliger Freude vernehmen wir im Eingang des Psalms, V. 1-4.
V. 2: „Singt fröhlich Gott, der unsere Stärke ist; jauchzt dem Gott Jakobs.“ Gesang gehörte zu allen Zeiten und unter allen Völkern zum Gottesdienst als ein Ausdruck heiliger Freude, sei's dass eine ganze Gemeinde vor dem Herrn in vollem Chore lobsingt, oder im häuslichen Kreise zwei oder drei miteinander, oder im einsamen Kämmerlein eine einzige Seele ihrem Gott ein Lied singt, eingedenk des apostolischen Worts: Lehrt und vermahnt euch selbst untereinander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen.
So gilt's denn auch uns, so oft wir uns hier zum Gottesdienst versammeln: „Singt fröhlich Gott, der unsere Stärke ist; jauchzt dem Gott Jakobs.“
„Singt fröhlich Gott,“ denn ein frommer, kräftiger Gemeindegesang war von altersher unseres evangelischen Gottesdienstes einziger und schönster Schmuck, und es ist ja bekannt, wieviel unser Luther auf heilige Musik und frommen Gesang gehalten, wenn er sagt: „Wer die Musikam verachtet, mit dem bin ich nicht zufrieden. Denn die Musika ist eine Gabe und Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk. So vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich und vergisst man dabei alles Zornes, Unkeuschheit, Hoffart und anderer Laster. Ich gebe nach der Theologia der Musika den nächsten Platz und höchste Ehre. Und man sieht, wie David und alle Heiligen ihre gottseligen Gedanken in Vers, Reimen und Gesang gebracht haben. Auch bin ich nicht der Meinung, dass durchs Evangelium sollten alle Künste zu Boden geschlagen werden, wie etliche Abergeistliche fürgeben, sondern ich wollte alle Künste, sonderlich die Musika, gern sehen im Dienste des, der sie gegeben und geschaffen hat.“
Singt fröhlich Gott, so oft ihr hier zusammenkommt; glaubet nicht, die Predigt, die ihr hört, mache allein den Gottesdienst; nein, euer Singen und Beten so gut als unser Reden gehört zum Gottesdienst, und man kann oft aus dem Liede, das man andächtig mitsingt, ebenso viel oder mehr Trost, Kraft und Segen ins Herz bekommen als aus der Rede und Predigt, die man hört.
Singt fröhlich Gott; wenn's euch oft auch nicht zu Mut ist, als ob ihr singen möchtet; wenn ihr oft ein gepresstes Herz und gedrücktes Gemüt mitbringt in die Kirche - o ihr habt's gewiss schon erfahren, man kann sich oft die Sorgen vom Herzen singen mit einem frommen: Befiehl du deine Wege; man kann sich oft froh und gesund singen mit einem mutigen: Nun dankt alle Gott! „Singt fröhlich Gott, der unsere Stärke ist; jauchzt dem Gott Jakobs.“
V. 3: „Nehmt die Psalmen und gebet her die Pauken, liebliche Harfen mit Psalter.“ Da weist uns Assaph an die Hilfsmittel des heiligen Gesangs. Wie das Volk Israel dort unter Hiskia die alten schönen Psalmen aus einer besseren, glaubenskräftigeren Zeit aus dem Staub wieder hervorholte, um sich daran zu erheben und zu erbauen, so haben wir gottlob auch in unserer evangelischen Kirche aus alter Zeit einen herrlichen Schatz edler Kirchenlieder; an den Liedern eines Luther2) und Gerhardt 3), Schmolk4) und Hiller5) und wie sie alle heißen, die Nachtigallen und Lerchen im Gottesgarten unserer Kirche, erbauen und erheben wir uns bis heute, und unsere evangelische Landeskirche in Württemberg zumal hat ein Gesangbuch, besonders kräftig und lieblich in Auswahl und Zusammenstellung. Wohlan denn, nehmt die Psalmen, nehmt euer Gesangbuch fleißig zur Hand in der Kirche und im Kämmerlein, in guten und in bösen Stunden; lest und lernt und betet und singt euch, alt und jung, hoch und nieder, in diesen Liederschatz recht hinein zur Stärkung des Glaubens, zum Trost in der Trübsal und zur Kraft in der Gottseligkeit.
Und gebet her - „lasst hören die Pauken, liebliche Harfen mit Psalter.“ Die Handpauke oder das Tamburin, die königliche Harfe und die liebliche Laute begleiteten beim israelitischen Gottesdienst die heiligen Gesänge. Wir in unserer christlichen Kirche haben ein Instrument, das alle andern in sich zusammenfasst: Pauke und Harfe, Flöte und Posaune; das die Kraft des Donners und das sanfte Säuseln des Frühlingswinds in sich vereint: Das ist die herrliche Orgel, dieses durch und durch geistliche Instrument, das auf seinen gewaltigen Tönen, wie auf Adlersflügeln, die Gebete und Gesänge einer ganzen Gemeinde gen Himmel trägt und von dem es in einem Liede heißt:
Wie tönst du schön, erhabnes Spiel;
Mein ganzer Geist, mein ganz Gefühl
Wird himmelan gezogen!
Du flötest wie ein Frühlingswald
So sanft und süß und brausest bald
Wie stolze Meereswogen.
Höher, näher an die Knie Gottes ziehe
Jetzt und trage mich an jedem Sabbattage. 6)
V. 4: „Blast im Neumonden die Posaunen, in unserem Fest der Laubrüste.“ Eigentlich: Blast die Posaunen am Neumond, am Vollmond, am Tage des Festes. Am Anfang des Monats, am Neumond schon wurde das Signal zur Passahfeier geblasen mit dem majestätischen Schalle des Hornes; in der Mitte des Monats dann, im Vollmond, wurde das ganze Volk zur Festversammlung in den Tempel gerufen durch Hörnerschall. So wird ja auch bei uns mit dem feierlichen Posaunenchoral vom Turm herab jeder Festtag und Sonntag, ja jeder Morgen und jeder Abend angeblasen, und der fromme Klang der Glocken hat uns ins Heiligtum auch heute Abend gerufen. Das sind lauter Mahnungen zu heiliger Freude, das sind lauter Belebungsmittel unserer Gottesdienste, für die wir dem Herrn herzlich dankbar sein sollen, solange noch im Frieden eine Glocke tönt von den Türmen unserer Stadt und eine Orgel schallt in den Hallen unserer Gotteshäuser. Aber Sang und Klang macht den Gottesdienst noch nicht. Die schönen Gottesdienste des Herrn müssen auch gefeiert werden:
2) Mit andächtiger Erinnerung an die Gnadentaten Gottes.
Daran mahnt uns Assaph in den folgenden Versen 5-8.
V. 5: „Denn solches ist eine Weise in Israel und ein Recht des Gottes Jakobs.“ Auf einer feierlichen Verordnung Gottes beruhten alle Gottesdienste Israels. Es waren nicht willkürlich gemachte, sondern göttlich geordnete Feste; darin lag ihre Würde und Weihe. Auch unsere Gottesdienste, wenn sie eine Kraft und Würde haben sollen, dürfen nicht willkürlich gemacht werden nach dem Einfall und Belieben von diesem oder jenem, sondern sie müssen beruhen auf den Ordnungen der Kirche, auf der alten Sitte der Christenheit, ja zuletzt auf göttlichen Gnadentaten. So war's beim Volk des alten Bundes. Alle ihre Feste sollten zur Erinnerung dienen an die großen Gnadentaten Gottes. Das Passahfest deutete zurück auf den Auszug aus Ägypten, das Pfingstfest auf die Gesetzgebung auf Sinai, das Laubhüttenfest auf den Zug durch die Wüste und das Wohnen unter den Zelten, das Versöhnungsfest deutete vorwärts auf die zukünftige große Gnadentat Gottes, den Versöhnungstod Christi. So mahnt denn auch Assaph in diesem Festpsalm das Volk an die alten Gnadentaten Gottes:
V. 6: „Solches hat nämlich dieses Passahfest er zum Zeugnis gesetzt unter Joseph (hier gleich Israel) da sie aus Ägyptenland zogen und fremde Sprache gehört hatten.“ Ein treffender Ausdruck für das Bittre des Wohnens in der Fremde, wo die liebe Muttersprache nicht gilt.
V. 7: „Da ich ihre Schulter von der Last entledigt hatte, und ihre Hände der Töpfe los wurden.“ Damit ist die Erlösung bezeichnet aus dem Frondienst Ägyptens, wo sie wie Lasttiere hatten müssen Steine schleppen und Ziegel tragen. Noch jetzt sieht man auf uralten ägyptischen Bildwerken die Juden abgebildet mit Gefäßen auf den Schultern, in denen sie den Ton und die Ziegel tragen.
V. 8: „Da du mich in der Not anriefst, half ich dir aus, und erhörte dich, da dich das Wetter überfiel, und versuchte dich am Haderwasser, Sela.“ Damit erinnert Assaph, wie Gott sein Volk behütete in dem furchtbaren Ungewitter, das den verfolgenden Pharao und sein Heer vernichtete, und wie er ihnen Wasser aus dem Felsen schlug durch Mosis Stab. Und nun, Geliebte, wie die großen Feste Israels zurück deuteten alle auf jene merkwürdige Erlösung aus der Knechtschaft Ägyptens, so deuten ja unsere christlichen Feste und Sonn- und Feiertage, unsere Andachten und Gottesdienste alle zurück auf die noch größere Gnadentat Gottes, dass er sein Volk errettet hat aus der Obrigkeit der Finsternis und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes. Jedes Fest von dem gnadenreichen Adventfest an, das wir erst gefeiert haben, bis zum Pfingst- und Reformationsfest; jeder Sonntag und Aposteltag, jedes Evangelium und jede Abendlektion erinnert uns auf irgendeine Weise an jene großen Erlösungstatsachen: Gott ist geoffenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit. An diese seligen Geschichten sollen wir uns dankbar erinnern, so oft wir hier zusammenkommen; auf diesen felsenfesten Grund göttlicher Tatsachen ist unsere Kirche erbaut und müssen wir selbst uns erbauen, so oft wir wahrhaft erbaut sein wollen, sonst schwebt all unser Gottesdienst und all unsere Predigt in der Lust; das muss das Thema sein, so oft eine christliche Gemeinde versammelt ist, dass wir predigen und hören wie dort am Pfingstfest die großen Taten Gottes. - Aber aus solcher andächtigen Erinnerung muss dann hervorgehen:
3) Eine dankbare Liebe zu Gott.
Das fordert Gott selber in unserem Psalm, V. 9-11.
V. 9: „Höre, mein Volk, ich will unter dir zeugen; Israel, du sollst mich hören.“ Nun kommt die eigentliche Festpredigt, nun kommt die Forderung, die Gott an Israel stellt und auch an uns stellt, so oft er uns sein Wort verkünden, seine gnadenreichen Feste feiern lässt:
V. 10: „Dass unter dir kein anderer Gott sei und du keinen fremden Gott anbetest.“ Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andere Götter neben mir haben. Das schrieb der Herr seinem Volk obenan auf die steinernen Tafeln; das predigte er ihm durch alle seine Gnadentaten und Wunderführungen; darin sollte es befestigt werden durch jedes Fest und jeden Gottesdienst. Wir sollen Gott über alles fürchten, lieben und ihm vertrauen; das soll auch bei uns Christen die Frucht und der Segen sein von jedem Festtag und Sonntag, von jeder Predigt und jedem Gottesdienst. Und wenn wir nicht das aus der Kirche mit hinausnehmen, eine neue Liebe zu unserem Gott und Heiland, so sind wir vergebens in der Kirche gewesen. Kann er das nicht mit Recht von uns fordern?
V. 11: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Tue deinen Mund weit auf, lass mich ihn füllen,“ sagt er zu Israel und zu uns sagt er: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Knechtschaft der Sünde, des Todes und der Hölle erlöst, der dich in ein himmlisches Kanaan, zu einem ewigen Erbe berufen hat; ich bin der treue Gott, der dich armes Menschen- und Sündenkind zu einem seligen Gotteskind hier und zu einem seligen Himmelserben in Ewigkeit machen will; sollten wir da nicht ihm mit Freuden uns zum Eigentum ergeben in herzlicher Liebe und ihm zurufen: Hier ist mein Herz? „Tue deinen Mund weit auf, lass mich ihn füllen;“ so spricht er auch zu uns. Wie ein Kindlein den Mund auftut, wenn die Mutter mit dem Löffel kommt; wie die unflüggen Vögelein im Nest ihre Schnäbelein aufsperren, wenn die Mutter das Futter bringt, so dürfen auch wir nur das Herz auftun und die Hände ausstrecken mit gläubiger Heilsbegier, und unser reicher, milder Gott, sättigt uns mit allem, was ein armes Menschenherz braucht, und wir dürfen's erfahren in jeder Andachtsstunde, da wir lernbegierig zu seinen Füßen sitzen: Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden! Sollten wir einem solchen Gott und Heiland nicht nach jeder Andachtsstunde uns immer inniger ergeben in herzlicher Liebe mit dem Gelübde: Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewig?
Aber das ist leider nicht immer der Fall, und darum mahnen uns die schönen Gottesdienste des Herrn auch:
4) Zu demütiger Buße.
Eine Mahnung zu solcher Buße enthält unser Festpsalm V. 12. 13.
V. 12 vernehmen wir die schmerzliche Klage des Herrn: „Aber mein Volk - das Volk, das ich so gnädig erwählt und reichlich gesegnet gehorcht nicht meiner Stimme, und Israel will meiner nicht.“ Ich strecke ihm die Hand entgegen, aber es stoßt sie zurück; ich schließe ihm mein Herz auf, aber es schließt sein Herz vor mir zu. Ach diese Klage kann und muss der Herr sie nicht auch erheben über das Volk des neuen Bundes? Ich lasse ihm jahraus jahrein mein Wort predigen und meine Gnade anbieten von Sonntag zu Sonntag; aber mein Volk gehorcht meiner Stimme nicht und Israel will meiner nicht; es will nichts von meinem Wort, das ihre Seelen selig machen kann; es will nichts von meinem Sohn, den ich dahingegeben aus lauter Liebe für sie; es will nichts von meinem Himmel, den ich ihnen aufgeschlossen! Ach solche Klagen, Geliebte, müssen besonders in den großen Fest- und Gnadenzeiten der Kirche immer wieder über uns sich erheben. Wenn wir Advent feiern, da wird uns wohl gepredigt: Zion, dein König kommt zu dir! aber wie klein ist das Volk dieses Königs! Wenn wir Weihnachten feiern, so vernehmen wir wohl den Engelgesang: Ehre sei Gott in der Höhe, und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! aber wo ist die Ehre, die man Gott geben sollte; wo ist der Frieden auf Erden; wo sind die Menschen, an denen Gott ein Wohlgefallen haben kann? Wenn wir Karfreitag feiern, so heißt's wohl: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! aber wie wenige wollen sich durch ihn rein machen lassen von ihren Sünden? Und so muss in jedes Fest auch ein Ton der Klage, eine Mahnung zur Buße sich mischen, dass wir an unsere Brust schlagen und uns fragen: Bin ich auch der großen Gnadenwohltaten meines Gottes bisher würdig gewesen? Damit es nicht auch bei uns heiße, wie einst beim alten Bundesvolk:
V. 13: „So habe ich sie gelassen in ihres Herzens Dünkel, dass sie wandeln nach ihrem Rat,“ damit nicht auch wir immer tiefer versinken in die Finsternis des Unglaubens und der Sünde, in inneres und äußeres Elend; nein, damit wir in der Trübsal dieser Zeit unsere Häupter erheben können:
5) In getroster Hoffnung.
Das ist die Stimmung, in welche unsere Feste und Gottesdienste alle ausklingen sollen; das ist der Ton, in den auch unser Psalm ausklingt, V. 14-17: Der Ton der Hoffnung und Verheißung.
V. 14-17: „Wollte mein Volk mir gehorsam sein und Israel auf meinem Weg gehen; so wollte ich ihre Feinde bald dämpfen und meine Hand über ihre Widerwärtigen wenden, und die den Herrn hassen, müssten an ihm fehlen, ihre Zeit aber würde ewig währen, und ich würde sie mit dem besten Weizen speisen und mit Honig aus dem Felsen sättigen.“ Ja so oft Gottes Volk wieder dem Herrn gehorchte so war auch Gottes Segen wieder mit ihm. Das haben sie erfahren in Davids und Hiskias und Nehemias und der Makkabäer Tagen. Und darauf kannst du auch heute dich fest verlassen, o Volk des Herrn. Ach ja, wenn die Christenheit ihrem Gott wieder wollte gehorsam sein und auf seinen Wegen gehen, wenn eine ernste Umkehr einträte bei Hoch und Nieder, wie bald hätte die äußere und innere Not ein Ende, wie müssten alle Feinde unserer Wohlfahrt zu Schanden werden, wie würden Kirche und Staat wieder blühen und grünen, wie würden im Leiblichen wieder bessere Zeiten kommen und wie würde der Herr im Geistlichen uns nähren und sättigen mit dem Weizen seines kräftigen Worts und mit dem Honig seines Evangeliums aus dem Felsen unseres Heiles, welcher ist Jesus Christus!
Nun, Geliebte, solcher großen Gottesverheißungen wollen wir uns getrösten zumal in dieser gnadenreichen Adventszeit und wollen unsere Häupter auch in bösen Tagen fröhlich in getroster Hoffnung erheben, dieweil wir wissen: Unsere Erlösung nahet. Sie naht uns im Glauben hier im Reich der Gnade, welches ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist; sie naht uns im Schauen dort im Reich der Herrlichkeit, wo Freude die Fülle ist und liebliches Wesen, und wo wir droben im Licht schönere Gottesdienste feiern werden als hienieden in der Erdennacht.
O Jesu, unsre Wonne, komm bald und mach dich auf,
Geh auf, erwünschte Sonne, und fördre deinen Lauf!
O Jesu, mach ein Ende und führ uns aus dem Streit;
Wir heben Haupt und Hände nach der Erlösungszeit! 7)
Amen.