Gerok, Karl von – Andachten zum Psalter - Psalm 42.
(1) Eine Unterweisung der Kinder Korahs, vorzusingen. (2) Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. (3) Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? (4) Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott? (5) Wenn ich dann des inne werde, so schütte ich mein Herz heraus bei mir selbst; denn ich wollte gerne hingehen mit dem Haufen, und mit ihnen wallen zum Hause Gottes, mit Frohlocken und Danken, unter dem Haufen, die da feiern. (6) Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht. (7) Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir; darum gedenke ich an dich, im Lande am Jordan und Hermonim, auf dem kleinen Berge. (8) Deine Fluten rauschen daher, dass hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich. (9) Der Herr hat des Tages verheißen seine Güte, und des Nachts singe ich ihm, und bete zum Gott meines Lebens. (10) Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du meiner vergessen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich dränget? (11) Es ist als ein Mord in meinen Beinen, dass mich meine Feinde schmähen, wenn sie täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott? (12) Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
„Selig sind, die da Heimweh haben, denn sie sollen heimkommen!“ So lautet ein schöner Spruch des frommen Heinrich Stilling. Ja es gibt ein Heimweh, das man wohl selig sprechen, dem man wohl das Heimkommen verheißen darf, denn es ist ein heiliges Heimweh: das Heimweh nach Gott. Jede Christenseele kennt dieses Heimweh, wiewohl es nicht immer auf dieselbe Art sich äußert, bald unter dieser, bald unter jener Gestalt auftritt, ja selbst krankhafte Formen annehmen kann.
Bald ist es ein Heimweh nach Gottes Haus. Wenn ein frommer Christ im Getriebe der Welt sich manchmal hin sehnet nach dem stillen Frieden, nach den seligen Freuden, die hier im Hause Gottes zu finden sind, und oft am liebsten gar nicht mehr vom Tempel käme wie die Witwe Hanna, oder wenn ein frommer Christ auf dem Krankenbett, während am Sonntag die Glocken zusammenläuten, seufzet: Ach, könnte ich doch auch mit, auch einmal wieder mich stärken und erquicken in versammelter Gemeinde durch einen frommen Gesang, durch ein gemeinsames Gebet, durch eine kräftige Predigt, durch eine heilige Abendmahlsfeier das ist ein Heimweh nach Gott.
Bald ist es ein Heimweh nach der frommen Kindheit. Wenn eine Seele, die verirrt ist auf Sündenwege, belastet mit Gewissenslasten, verhärtet im Weltgetriebe, in einer stillen weichen Stunde sich zurücksehnt nach dem verlorenen Paradies ihrer Kindheit, wo das Herz noch fromm und rein, noch leicht und froh gewesen, und seufzt: Wie war ich dazumal so selig; könnt ich doch wieder von vorn anfangen und wieder ein unschuldiges Kind werden das ist auch Heimweh nach Gott.
Oder ist es ein Heimweh nach der heiligen Vorzeit. Wenn eine fromme Seele sich sehnet: Ach hätte ich doch damals leben dürfen, als mein Heiland auf Erden wandelte, hätte ich sein holdselig Antlitz schauen, seine liebe Stimme hören dürfen wie die Frommen von dazumal, mit Maria zu seinen Füßen sitzen und mit Petrus seine Worte des ewigen Lebens vernehmen dürfen; oder wäre ich wenigstens geboren worden statt in dieser gegenwärtigen, heillosen, ungläubigen und unchristlichen Zeit in der guten, alten, frommen Zeit meiner Väter und Großväter, wo noch Zucht und Gottesfurcht, noch Glück und Segen im Lande war - das ist auch etwas von Heimweh nach Gott.
Oder ist es ein Heimweh nach innerer Herzensgemeinschaft mit Gott. Wenn eine redliche Christenseele im Kampf mit ihrer Schwachheit und Sünde seufzt: Ach wann wird es doch auch einmal besser mit mir werden, wann wird es dahin bei mir kommen, dass ich gewissere Tritte tue auf dem Weg der Heiligung, nicht mehr in meine gewohnten Sünden falle und nicht immer wieder den Frieden Gottes aus meinem Herzen verliere und meine besten Vorsätze vergesse; seufzt recht aus Herzensgrund zum Herrn: Lass dich finden, lass dich finden, schaff in mir ein reines Herz das ist auch ein Heimweh nach Gott.
Oder ist es ein Heimweh nach der ewigen Heimat. Wenn ein Pilger Gottes unter den drückenden Leiden und eitlen Freuden dieser Welt endlich lebenssatt und lebensmüde wird und sich nach dem Frieden der ewigen Heimat sehnt, mit Elias seufzt: Es ist genug, Herr, nimm nun meine Seele von mir, und mit Paulus bekennt: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein das ist auch ein Heimweh nach Gott, ein recht frommes, schönes Heimweh.
Ein solches Heimweh kann besonders in einer bösen betrübten Zeit, wie die unsere ist, in Kreuz und Leiden sich lebhafter regen in manchen Christenseelen, wie's im Liede heißt:
Dies Heimweh gottverlobter Herzen
Vermehrt sich bei der Kreuzeslast;
Man hat auf Erden keine Rast
Bei Seelen- oder Leibesschmerzen.
Wenn sich die Trübsalsflut ergießet,
So wird der engen Brust gar bang,
Bis unsre Lebenszeit verfließet:
Ach Gott, heißt es, wie lang, wie lang!
Ein Ton dieses Heimwehs klingt durch unsern 42. Psalm. Wir vernehmen in diesem Lied:
Das Heimweh einer frommen Seele nach dem Hause des Herrn,
1) mit seinen Schmerzen und
2) mit seinen Tröstungen.
Zweimal schreit die Seele gleichsam auf in ihren Schmerzen, und zweimal tröstet sie sich mit demselben lieblichen Trostspruch, das erste Mal V. 1-6, das zweite Mal V. 7-12.
1)
V. 1. Es ist diesmal nicht die wohlbekannte Stimme Davids, die wir vernehmen, sondern im zweiten Buch der Psalmen, das wir heute beginnen, mischen sich auch andere Stimmen in den Chor, namentlich haben wir hier eine Reihe von acht der schönsten Psalmen von den Kindern Korah, einer Sängerfamilie, wie es scheint, aus dem Stamme Levi, in welcher sich die Gabe der Dichtkunst und des Gesanges forterbte von Davids Zeiten bis auf spätere Geschlechter. Auch im Frühling lässt ja nicht nur ein Singvogel seine Stimme hören, sondern viele zusammen; während im Sonnenschein die Lerche jubelt, erfüllt die Nachtigall die stillen Nächte mit ihrem sanftklagenden Gesang; während die Schwalbe um die Dächer zwitschert, ruft die Drossel in den Wäldern und schlägt die Wachtel im Kornfeld so lassen auch im Liedergarten des Psalters allerlei Stimmen sich vernehmen zum Lobe des Herrn, jede nach ihrer Art und doch alle gar lieblich zusammenklingend im Chor; und wie wir in unserem evangelischen Gesangbuch untereinander vernehmen den mächtigen Adlerflügelschlag eines Luther, den holdseligen Lerchensang eines Gerhard, den schmelzenden Nachtigallenton eines Tersteegen, den hellsilbernen Finkenschlag eines Hiller und so manche andere Liederstimme, so wagen's auch im Psalmbuch neben dem königlichen Adlerflug Davids noch andere gottbegeisterte Seelen ihre Flügel zu regen und ihre Stimmen zu erheben; und nicht die schlechtesten unter ihnen sind die Kinder Korah, wie wir gleich in diesem wunderschönen Psalme sehen, den man dem schönsten Davidspsalm als ebenbürtig an die Seite stellen möchte.
Es scheint fast, dieser Psalm sei unter Davids Augen und Ohren gesungen worden, damals nämlich, als David mit einem kleinen Häuflein treuer Freunde, worunter auch Priester und Leviten, vor Absalom fliehen musste bis über den Jordan; damals im fremden Land erklang wohl dieses Lied inniger Sehnsucht und frommen Heimwehs nach der Stadt Jerusalem mit ihrem Heiligtum und ihren schönen Gottesdiensten. Wir vernehmen also da das Heimweh einer frommen Seele nach dem Hause des Herrn zuerst mit seinen Schmerzen. Laut auf schreit da
V. 2 die fromme Seele in ihrem Schmerz: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, nach dir.“ Wie der Hirsch in der Hitze sein klagendes Stöhnen durch die Wälder hintönen lässt und nach Wasser lechzt, so schickt eine gottverlangende Seele ihre Seufzer und Klagen durch die Wildnis der Welt hin nach ihrem Gott und Herrn. Eitle Weltseelen, ach die kennen freilich nur einen Durst, nur einen Schrei, den Durst und Schrei nach den Quellen der Weltlust, nach Geld und Gut, nach Genuss und Vergnügen, nach Macht und Gewalt, nach Ehre und Ruhm, danach dürstet die Welt, danach schreit die Welt. Aber eine edlere Seele, ein gottverwandtes Herz, das weiß, was es heißen will um den Durst nach Gott, um das Schreien nach Gott. Bald sind es die eitlen Freuden dieser Welt, bei denen uns das Verlangen erwacht nach einer besseren Lust, als die Welt sie bieten kann; bald sind's die bitteren Leiden dieser Zeit, unter deren Druck unsere Seele aufseufzt nach Gott und aufschreit nach Erlösung. Bald ist's die Bosheit der argen Welt, die uns ein Heimweh erweckt nach einer besseren Welt, nach einem heiligeren Umgang; bald ist's unsere eigene Sünde und Schwachheit, die uns einen Durst erweckt nach dem heiligen Gott, dass er uns erquicke mit seiner Gnade, tröste durch sein Wort, stärke durch seinen heiligen Geist. Und wenn wir bedenken, meine Lieben, dass heute Bußtag ist, wo uns nicht nur die Not der Zeit, sondern auch die Schuld der Zeit recht schwer aufs Herz fallen muss, und nicht nur fremde Schuld, sondern jedem vor allem seine eigene Schuld vors Angesicht tritt mit erhöhtem Ernst, dann möchte ja wohl sein, dass auch unter uns hie und da eine Seele und wollte Gott, wir wären's alle es mitfühlt und mitspricht: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, nach dir.“ Und:
V. 3: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ Ja weil Gott der Urquell alles Lebens ist, darum dürstet das Herz, schmachtend unter den Leiden dieser Zeit, ungestillt von den Freuden dieser Welt, darum dürstet das Herz nach ihm, dass es wieder belebt werde durch ihn, dürstet nach seiner Gnade als einem erquickenden Himmelstau, dürstet nach seinem Wort als einem erfrischenden Brunnquell, dürstet nach seinem Geist als einem reinigenden Segensstrom. Da erwacht dann ein herzliches Verlangen nach Gottes Angesicht; man sucht wieder mit neuem Verlangen Gottes Angesicht im Gebet, sucht's im Wort Gottes, sucht's im Haus Gottes, sucht's im heiligen Abendmahl und fühlt, was Assaph singt Psalm 80: Lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir. Aber freilich, wenn wir's auch suchen es ist oft auf eine Zeitlang, als hätte Gott sein Antlitz vor uns verborgen, dass wir auch klagen müssen:
V. 4: „Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht;“ ich muss mein Brot mit Tränen essen bei Tag und mein Kissen mit Tränen netzen bei Nacht; in einsamer Stille muss ich weinen vor Gott und selbst vor den Menschen kann ich kaum das Weinen verhalten. Und wenn dann noch der Spott der Bosheit und des Unglaubens dazu kommt, wenn man täglich zu uns sagt, sei's mit lauten Worten, sei's mit spöttischen Blicken: Wo ist nun dein Gott?“ Wo ist er, dessen du dich so oft gerühmt, mit seinem Trost und seiner Hilfe, da will das Herz oft fast brechen vor Wehmut, da gedenkt man mit herbem Schmerz der vergangenen besseren Zeiten. In solch schmerzlicher Erinnerung klagt der Psalmist:
V. 5: „Wenn ich des inne werde, wie ich einst so selig war in Gott, so wallt mir das Herz über von bitterer Wehmut.“ Ach, dass es wieder würde, wie es war. Dass ich wieder könnte hingehen mit dem Haufen der Frommen, statt einsam in der Verbannung zu schmachten, und wieder mit ihnen wallen zum Hause Gottes und ein Dankfest feiern. Das ist wieder das Heimweh nach Gott und seiner Hilfe. Ja so sehnt sich ein frommer Kranker auf seinem Schmerzenslager nach dem Tag, wo er seinen ersten Kirchgang wieder halten und dem Herrn für seine Genesung danken dürfe. So sehnt sich ein frommer Krieger im wilden Kriegsleben nach dem Tag, wo er die fröhlichen Kirchenglocken dürfe läuten hören am Friedensfest. So sehnt sich ein Wanderer in der Fremde nach dem Tag, wo er im lieben heimatlichen Gotteshaus dem Herrn wieder danken dürfe für die glückliche Heimkunft. So sehnt ein hungerndes Volk in den Tagen des Mangels und der Teuerung sich nach dem Tag, wo man wieder ein fröhliches Erntefest feiern und die vollen Garben vor den Altar stellen dürfe. So sehnt ein reuiger Sünder sich nach der Stunde, wo er am Gnadentisch des heiligen Abendmahls den Trost vernehmen dürfe: Deine Sünden sind dir vergeben. Und solch ein Ausblick in die bessere Zukunft o der fällt dann wie ein Sonnenblick ins dunkle Herz, dass es sich selber wieder tröstet, wie der Psalmist hier so wunderschön sich tröstet und sich selber zuspricht:
V. 6: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht.“ O wie schön, wenn dann so die gebeugte Seele sich über sich selber erhebt, sich selber straft über ihren Kleinmut, sich selber tröstet mit dem Troste des Glaubens. Ja was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Sieh, du machst ja dadurch nichts besser, sondern nur schlimmer; wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.
Mit Sorgen und mit Grämen
Und mit selbsteigner Pein
Lässt Gott sich gar nichts nehmen,
Es muss erbeten sein.
Darum harre auf Gott; wirf dein Vertrauen nicht weg; lerne nur warten; gewiss das Dankfest wird kommen, das Genesungsfest nach der Krankheit, das Friedensfest nach dem Krieg, das Heimkunstfest nach der Wanderschaft, das Erntefest nach dem Hunger, das Versöhnungsfest nach den Bußtränen, das Krönungsfest im Himmel endlich nach dem Kampf und Streit der Erde:
Gott gibt dir selbst die Palmen
In deine rechte Hand
Und du singst Freudenpsalmen
Dem, der dein Leid gewandt.
Das ist der Trost des Heimwehs nach Gott. Freilich dieser Trost haftet nicht auf einmal in der bekümmerten Seele. Noch einmal fängt nun die Klage an und noch einmal ringt der Sänger sich zum Troste durch in des Psalmes zweitem Teil, V. 7-12.
2)
Schon hat sich der Sänger hinausversetzt in die künftige bessere Zeit, schon stand er im Geist lobpreisend wieder auf dem Zionsberg; aber siehe, nun blickt er sich wieder in der Gegenwart um und fällt wie aus allen seinen Himmeln. Im fremden Lande ist er ja, fern vom heiligen Boden der Heimat. Dieses fremde Land schildert er:
V. 7: „Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir; darum gedenke ich an dich, im Lande am Jordan und Hermonim, auf dem kleinen Berge.“ Es war an sich ein schönes Land, geschmückt mit allerlei Wundern der Natur; aber es war nicht die Heimat mit dem Heiligtum des Herrn, darum können alle diese Naturschönheiten sein Herz nicht stillen. Und würde es nicht uns vielleicht auch so gehen? Ja ich glaube auch in den paradiesischen Gefilden von Italien oder in den wonnigen Palmenhainen von Indien oder in den üppigen Urwäldern von Amerika würde uns ein Heimweh beschleichen nach den Gottesdiensten der Heimat, nach unsern Kirchenglocken, nach unsern Chorälen, nach unserem Gotteswort, nach unserm Gott und Herrn. In solchen Gefühlen klagt der Sänger:
V. 8: „Deine Fluten rauschen daher, dass hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich.“ Jenes Gebirge war reich an rauschenden Gießbächen und majestätischen Wasserfällen; aber auch diese Naturschönheiten beängsten ihn nur, statt ihn zu erquicken, werden ein Bild der Unglücksfluten, die über ihn hereinbrechen, Welle auf Welle. Da sucht er denn wieder Trost, (V. 9) hält sich an die Verheißungen Gottes, die er ja nicht vergessen kann, hält sich ans Gebet, das ihn so oft schon getröstet. Er betet zu dem Gott seines Lebens, der ihn treulich sein Leben lang geführt. Recht schmerzlich klagt er im Gebet:
V. 10: „Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du meiner vergessen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt?“ und V. 11: „Es ist als ein Mord in meinen Beinen, dass mich meine Feinde schmähen, wenn sie täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?“ Wie ein Mord ist's in seinen Gebeinen, wie mit mörderischen Messern wühlt's ihm in der Brust, dass er seinen Feinden zum Spott, den Ungläubigen zum Gelächter worden ist und sie höhnend fragen: Wo ist dein Gott?
Aber wie der Mond durch Wolken bricht in finsterer Nacht, dass die empörten Meereswogen sich legen, oder wie eine Engelsstimme tröstend hereinklingt in das Jammergeschrei dieser Welt, so vernehmen wir zum zweiten Mal das schöne Trostwort einer frommen Seele an sich selbst, V. 12: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“
Wir wollen's auch mit hinausnehmen in die Trübsale dieser Zeit und uns selbst vorsprechen, wenn unsere Seele verzagen will. Wir wollen's auch jetzt uns zum Troste sagen am Bußtag, wenn unsere Sünden uns kränken. Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Wohl hast du Ursache, zu zagen und zu klagen, wenn du deiner Sünden gedenkst. Aber harre auf Gott, hoff auf seine Gnade, bitt um sein Erbarmen, dann fürwahr darfst du auch heut ihm wieder danken, darfst einst ewig ihm danken, dass er deines Angesichts Hilfe und dein Gott ist. Ja, Herr, tue das, führ uns aus dem Leiden dieser Zeit und aus der Not unserer Sünden in Gnaden heim, wo wir dir ewig werden danken.
Komm doch, führe uns mit Freuden
Aus der Fremde hartem Stand,
Hol uns heim nach vielen Leiden
In das rechte Vaterland,
Wo dein Lebenswasser quillt,
Das den Durst auf ewig stillt!
Amen.