Gerok, Karl - Der Heimat zu! - 4. Advent.
1885.
(Joh. 3, 22-36.)
(22) Danach kam Jesus und seine Jünger in das jüdische Land und hatte daselbst sein Wesen mit ihnen und taufte. (23) Johannes aber taufte auch noch zu Enon, nahe bei Salim, denn es war viel Wasser daselbst; und sie kamen dahin und ließen sich taufen. (24) Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis gelegt. (25) Da erhob sich eine Frage unter den Jüngern Johannis samt den Juden über der Reinigung. (26) Und kamen zu Johanne und sprachen zu ihm: Meister, der bei dir war jenseit des Jordans, von dem du zeugtest, siehe, der tauft und jedermann kommt zu ihm. (27) Johannes antwortete und sprach: Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. (28) Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe: Ich sei nicht Christus, sondern vor ihm hergesandt. (29) Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund aber des Bräutigams steht und hört ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Dieselbige meine Freude ist nun erfüllt. (30) Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. (31) Der von oben her kommt, ist über alle. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über alle, (32) Und zeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. (33) Wer es aber annimmt, der versiegelt's, dass Gott wahrhaftig sei. (34) Denn welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Wort; denn Gott gibt den Geist nicht nach dem Maß. (35) Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. (36) Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm.
Noch einmal wie vor acht Tagen ist es der Täufer Johannes, dessen ehrwürdige Eremitengestalt uns vor Augen tritt; dessen eindringliche Prophetenstimme wir auch heute vernehmen. Und doch - ist das derselbe Mann wie damals? möchte man fragen. Blitze des göttlichen Zorns schleudert er dort unter sein Volk hinein mit drohend erhobener Hand und wie Donnerrollen tönt die Stimme des Predigers in der Wüste: Ihr Otterngezüchte, seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße!
Heute aber steht er vor uns freundlich und mild, wie der Morgenstern, der den nahen Aufgang der Sonne verkündet, und statt der erschütternden Bußpredigt klingt es wie Hochzeitreigen, womit der Freund den Bräutigam begrüßt.
Und doch - eins wie das andere gehört zum Charakterbild des merkwürdigen Mannes. Seinem Volk gegenüber ist er der majestätische Bußprediger, der priesterliche Täufer: aber seinem Herrn gegenüber wird er zum demütigen Vorläufer, zum neidlosen Freund, zum verglimmenden Morgenstern, welcher der aufgehenden Sonne Platz macht mit dem Bekenntnis: Er muss zunehmen, ich aber muss abnehmen.
Auch bei hervorragenden Persönlichkeiten aus der weltlichen Geschichte ist es uns anziehend und rührend, einen berühmten Mann, einen gewaltigen Helden, einen mächtigen Regenten, einen großen Denker von seiner menschlich weichen Seite kennen zu lernen, als liebevollen Hausvater im Kreis der Seinen, oder als herzlichen Freund im Gespräch mit dem Freund, oder als demütigen Christen im Gebet vor seinem Gott. So wird uns auch die gewaltige Prophetengestalt des Johannes erst recht lieb und wert, wenn wir sie demütig und freudig sich beugen sehen vor dem größeren Freund.
Und heut am vierten Adventsonntag, der schon angeglänzt ist vom milden Freudenschein der heiligen Weihnacht, der die Saiten unserer Andacht schon stimmen soll für die Jubellieder des großen Liebesfestes im Himmel und auf Erden - wer heut überhaupt Zeit und Lust hat, zur Kirche zu kommen, der wird statt dem strengen Bußprediger gerne den fröhlichen Freund des Bräutigams in unserem Johannes sehen und hören. So sei uns denn heute Johannes als der Freund des Bräutigams ein Musterbild selbstloser Freundschaft, die
- des Freundes Glück ihm herzlich gönnt;
- des Freundes Vorzüge aufrichtig erkennt;
- des Freundes Arbeit nach Kräften unterstützt.
Herr, mein Gott!
Lass mich dem Nächsten beizustehn,
Nicht Fleiß und Arbeit scheuen,
Mich gern an andrer Wohlergehn
Und ihrer Tugend freuen;
Lass mich das Glück der Lebenszeit
In deiner Furcht genießen
Und meinen Lauf mit Freudigkeit,
Wann du gebeutst, beschließen. Amen.
Johannes als der Freund des Bräutigams ist uns ein Musterbild selbstloser Freundschaft, die
1) Des Freundes Glück ihm herzlich gönnt.
In der Not lernt man seine Freunde kennen. Das ist ein hundertmal gehörter Satz. Und es ist ja wahr: Das sind schlechte Freunde, die nur in guten Tagen sich's mit uns wohl sein lassen, aber sobald das Glück uns den Rücken wendet, sich treulos von uns zurückziehen, wie die Zugvögel davonfliegen, wenn die Ernte eingetan ist und der Herbstwind über die Stoppeln geht. Es ist ja wahr: Ein Freund in der Not ist ein großer Trost und ist ein seltener Schatz.
Und doch darf man vielleicht sagen: Auch im Glück lernt man seine Freunde kennen. Auch das ist eine Gold probe echter, lauterer, uneigennütziger, selbstloser Freundschaft, ob du dem Freund sein Glück von Herzen gönnst, nicht nur mitleidig dich zu ihm niederneigst, wenn er übler dran ist als du, sondern auch neidlos zu ihm aufblickst, wenn es ihm besser geht als dir.
Und diese Probe - wie schön hat sie unser Johannes bestanden! „Meister, der bei dir war jenseit dem Jordan, von dem du zeugtest, siehe, der tauft und jedermann kommt zu ihm!“ So berichten ihm befremdet und eifersüchtig seine Jünger. Einst war zu ihm alles Volk hinausgeströmt in die Wüste, Priester und Pharisäer, Kriegsknechte und Zöllner, Reiche und Arme; nun laufen sie einem andern nach, der ihm den Vorrang abgewonnen hat in der Gunst des Volkes. Er aber steht halbvergessen im Schatten, sein Stern ist im Sinken und Erbleichen, ein anderer steigt hellstrahlend empor.
Wie trägt er das, der Kraftmann mit seinem Feuereifer und Tatendurst? Macht es ihn nicht eifersüchtig auf den glücklicheren Freund oder bitter gegen das wetterwendische Volk - oder doch wehmütig über den Lauf der Welt? Nichts von dem allem!
Johannes antwortete und sprach: „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“ Als eine Gabe vom Himmel, als ein Geschenk von oben betrachtet er neidlos, was dem Freund zugefallen. „Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam, der Freund aber des Bräutigams steht und hört ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Dieselbige meine Freude ist nun erfüllt.“
Wie schön ist das gesagt, wie schön ist das gefühlt! Herzlich gönnt er dem Bräutigam die Braut, gönnt dem Menschensohn die Liebe seines Volks, das Herz seiner Gemeinde. Er selbst hätte ja auch ein Auge werfen können auf die Braut, hätte sich erinnern können an die Gewalt seiner eigenen Stimme, an den Eindruck seiner eigenen Person, an die Stimmung des Volkes, da sie alle dachten, ob er vielleicht Christus wäre? Und nun kommt dieser sanfte Menschensohn, der gar nichts Besonderes aus sich macht, der isst und trinkt wie andere Leute, kein Prediger in der Wüste, kein Eremit im härenen Gewand - und siehe, er führt die Braut heim, ihm fallen alle Herzen zu.
Der Freund aber, der von dem jüngeren Mann verdunkelte, der vom Volk halb vergessene Freund steht dabei und zürnt nicht darüber, sondern hat seine herzliche Freude daran.
Ist das nicht ein Musterbild selbstloser Freundschaft, die des Freundes Glück ihm herzlich gönnt? Und die Hand aufs Herz, meine Lieben, können wir das auch? Sind wir alle solch selbstloser Freundschaft, solch uneigennütziger Bruderliebe fähig, die dem Nächsten alles Gute von Herzen wünscht und gönnt?
Nicht die wörtliche Anwendung will ich machen von dem Johanneswort und fragen: Könntest du als herzlich teilnehmender Gast, als aufrichtig glückwünschender Freund neben dem Bräutigam stehen, der die Braut heimführt, auf deren Herz und Hand du selber gehofft? Aber das möchte ich uns Männer fragen: Können wir irgend ein Glück, irgend einen Vorzug, irgend ein Ehrenzeichen, irgend einen Erfolg, welchen ein anderer, den wir bisher unseren Freund genannt, uns abgenommen, ihm allezeit von Herzen gönnen, ohne den stillen Hintergedanken: Warum das nicht mir so gut als ihm und mir noch besser als ihm? Und das möchte ich unsere Frauen und Jungfrauen fragen: Könnt ihr euch über das große oder kleine Glück einer eurer Mitschwestern, sei's der Brautkranz auf ihrem oder ihrer Tochter Scheitel, oder auch nur ein Stück Schmuck, womit sie euch verdunkelt, ein Christgeschenk vielleicht in den nächsten Tagen, das sie vor euch voraus hat, von ganzem Herzen freuen, ohne es hinter ihrem Rücken zu bemäkeln und zu bemängeln, oder doch im stillen Herzensgrund leise zu beneiden?
Wie manche herbe Erfahrung könnten wir einander, wie manche bittere Stunde uns selber ersparen; wie könnten wir unser eigenes Leben verschönern, unser eigenes Glück verdoppeln, wenn wir das Wort recht verständen: Freut euch mit den Fröhlichen! Aber wieviel haben wir da alle noch zu lernen und wie ernstlich den Herrn zu bitten:
„Lass mich mit Freuden, ohn alles Neiden
Sehen den Segen, den du wirst legen
In meines Bruders Hand, Güter und Haus.“
Ja auch in meines Bruders Geist, Seele und Herz! Das erst ist die rechte selbstlose Freundschaft, die nicht nur sein Glück dem Freunde herzlich gönnt, sondern auch
2) Seine Vorzüge aufrichtig erkennt.
Wenn man auch sein Glück dem andern lassen muss, sein Verdienst wenigstens stellt man womöglich in Frage. Wenn ich auch den äußeren Erfolg ihm gönne, den inneren Wert wenigstens hab ich auf meiner Seite. Da stehe ich nicht hinter ihm zurück, im Gegenteil da geh ich ihm vor. Wie manchmal sind das die stillen Gedanken, womit sich unsere Eigenliebe tröstet über fremdes Glück. Er ist glücklicher als ich! Das ist schon ein saures Geständnis. Aber noch schwerer wird uns das Bekenntnis: Er ist besser als ich!
Doch auch diese Probe - wie schön hat sie Johannes bestanden! So stark das Bewusstsein der eigenen göttlichen Sendung, so männlich ausgeprägt sein eigener Charakter dem Herrn gegenüber ordnet er sich immer gern und rückhaltlos unter. So ganz andersartig Jesu Person und Auftreten gegenüber seinem eigenen - freudig erkennt er ihn nicht nur neben sich an, sondern stellt ihn hoch über sich hinauf.
„Ich taufe euch mit Wasser, es kommt aber ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht genugsam bin, dass ich die Riemen seiner Schuhe auflöse, der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ So hörten wir ihn vor acht Tagen schon dem Volk gegenüber bezeugen. Und heute spricht er zu seinen Jüngern: „Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe, ich sei nicht Christus, sondern vor ihm hergesandt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Der von oben her kommt, ist über alle. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde; der vom Himmel kommt, der ist über alle und zeugt, was er gesehen und gehört hat.“
Welch demütige Erkenntnis seiner selbst, seiner beschränkten Begabung, seiner untergeordneten Stellung, seiner vorübergehenden Geltung! Und welch freudige Anerkennung des größeren Freundes, seiner himmlischen Herkunft, seiner göttlichen Salbung, seiner heiligen Sendung!
Lasst uns auch da wieder lernen für uns selbst, indem wir Kleines mit Großem vergleichen.
Es gibt eine Eigenliebe, da man das Maß seiner Gaben überschätzt, die Schranken seiner Kraft verkennt und eingenommen von sich selbst, keinen andern mit seiner andern Art gelten lassen will oder auch nur verstehen kann. Eine solche Gesinnung ist der Tod aller wahren Freundschaft und ein Gift für die menschliche Gesellschaft.
Es gibt einen Neid nicht nur gegenüber dem äußeren Glück, sondern auch gegenüber dem geistigen Besitz des Nächsten, da man seine Gaben absichtlich unterschätzt, seine Gesinnungen lieblos missdeutet, seine Verdienste kleinlich bemäkelt, sein Lob als eine Beleidigung für sich selbst empfindet und jeden Schatten in seinem Charakter, jeden Flecken in seinem Leben mit schadenfrohem Triumph begrüßt.
O um wieviel edlen Genuss und geistigen Gewinn bringt sich ein solch kleiner Geist, ein solch enges Herz, das an andern nichts Großes sehen, nichts Schönes lieben, nichts Gutes lernen mag! wieviel Gutes in der Welt ist schon verzögert oder vereitelt, wieviel Giftsamen des Misstrauens und der Eifersucht ist schon im Volk ausgestreut, wieviel Drachenzähne des Streits und der Zwietracht sind schon ausgesät worden im gemeinen Wesen bis auf unsere Tage durch solch schnöden Neid, der, statt sich zu freuen über große Gaben und Verdienste, es nicht ertragen kann, einen Besseren neben sich, einen Größeren über sich zu sehen.
O wie glücklich ist da die Demut, die eingedenk der Wahrheit: ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel, gewissenhaft wuchert mit dem einen anvertrauten Pfund, dem Mitknecht aber seine fünf oder zehn Pfunde neidlos gönnt.
Wie ehrwürdig ist da der Knecht, der, wenn er seine Kraft sinken, seine Zeit ablaufen sieht, sich mit heiterer Gelassenheit darein schickt: ich muss abnehmen, und mit neidloser Freude dem Stärkeren, der nach ihm kommt, es gönnt: er aber muss zunehmen!
Wie gesegnet ist eine Freundschaft, wo jeder gern der kleinste ist, die Überlegenheit des andern willig anerkennt in dem, was er voraus hat an Gaben und Kräften, an Leistungen und Verdiensten, und sich's zur Aufgabe macht, von ihm zu lernen in allem, was etwa eine Tugend, etwa ein Lob ist!
Wenn es Doppelsterne gibt am Firmament, wo neben dem glänzenderen Gestirn ein blässeres friedlich schimmert: wie schön sind jene Doppelsterne am Himmel der Kirche, wo hinter einem Jesus ein Johannes, hinter einem Paulus ein Timotheus, hinter einem Luther ein Melanchthon bescheiden glänzt; jene Zwillingsgestirne im Reich des Geistes, wenn zwei große Männer in neidloser Freundschaft Hand in Hand sich in den Lorbeerkranz teilen und Arm in Arm durch ihr Volk hinschreiten als brüderliche Herolde des Wahren, Schönen und Guten!
Und wenn wir keine Sterne sind, weder große noch kleine, nun, meine Lieben, so wollen wir um so williger auch andere neben uns und vor uns gelten lassen, eingedenk des Psalmspruchs: Siehe, wie fein und lieblich ist es, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen, nicht nur in der Kinderstube, sondern auch wo die Erwachsenen leben und wirken, und folgsam der Christenpflicht: Dient einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnaden Gottes. „Dient einander!“ Das führt uns aufs letzte. Auch darin ist uns Johannes als der Freund des Bräutigams ein Musterbild selbstloser Freundschaft, dass er nicht nur des Freundes Glück ihm herzlich gönnt und des Freundes Gaben aufrichtig anerkennt, sondern auch
3) Des Freundes Arbeit nach Kräften unterstützt.
„Johannes taufte auch noch zu Enon, nahe bei Salim, und sie kamen dahin und ließen sich taufen, denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis gelegt.“ Dem Herrn den Weg zu bereiten durch Bußpredigt und Wassertaufe, das war von Anfang an sein Amt gewesen. Aber als nun der Herr selber auf den Plan getreten war und sein Werk in die Hand genommen hatte, da hat sein Vorläufer nicht grämlich sich in den Winkel zurückgezogen mit dem Gedanken: nun mag er zusehen, wie er fertig wird, ich gelte ja nichts mehr; er ist ja der Held des Tages und der Mann des Volkes, dem alle Welt zuläuft. Nein, sondern treulich hat er fortgearbeitet in seiner Weise, so lang es für ihn Tag war. Und freudig hat er gezeugt für seinen großen Freund und Herrn: Der von oben her kommt, ist über alle. Welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Wort. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben, - bis sein treuer Zeugenmund verstummen musste hinter den Kerkermauern auf dem Felsenschloss Machärus.
Auch darin ist er uns ein Musterbild selbstloser Freundschaft.
Es gibt einen selbstsüchtigen Eifer, meine Freunde, auch beim guten Werk, wo man zwar gerne wirkt, so lang man selbst in der ersten Linie steht und für sich die Ehre davon hat. Wo dagegen ein anderer in den Vordergrund tritt, dem man die eigene Meinung und den eigenen Willen unterordnen soll, da zieht man grämlich die Hand vom Pflug und mag nicht mehr mittun. Schon manches gute Werk ist daran gescheitert, dass jeder befehlen wollte und keiner dienen; schon manche edle Kraft ist so verkümmert, weil sie sich mit andern nicht vertragen konnte und sich nicht brauchen lassen wollte, wo sie hingehörte.
Nein, Dient einander, ein jeglicher mit der Babe, die er empfangen hat als die guten Haushalter der mancherlei Gnaden Gottes. Das gilt für jeden Freundschaftsbund, in jedem Familienkreis, bei jedem Wohltätigkeitsverein, in jedem Gemeindewesen, bei jeder Arbeit fürs Reich Gottes im kleinen wie im großen.
Und fragst du zum Schluss: Wie pflanz ich diesen selbstlosen Freundessinn in mein selbstsüchtiges Herz? Nun so blick auf zu dem, welcher der größte Meister und beste Freund ist für uns alle, wie einst für seinen Vorläufer Johannes. Wer Jesum zum Freund hat und von seiner Liebe sich durchdringen lässt, der wird in seines Geistes Zucht auch gegen seine menschlichen Freunde und Brüder die rechte Liebe gewinnen, die sich nicht bläht und sich nicht erbittern lässt und nicht das Ihre sucht und nimmer aufhört, Liebe, die dem Feind verzeiht und dem Freund das Leben weiht. Liebe Freunde, unter dem Weihnachtsbaum versammeln wir uns einträchtig wieder in diesen Tagen, Groß und Klein, Mann und Frau, Freunde und Hausgenossen und sonnen uns im Glanz der ewigen Liebe. O möchte diese Liebe auch unsere Herzen aufs neue entzünden zur rechten Liebe gegen ihn, der uns zuerst geliebt, und gegeneinander, die er zu Kindern eines Vaters gemacht hat!
Liebe, die du mich erkoren,
Eh als ich geschaffen war;
Liebe, die du Mensch geboren,
Und mir gleich warst ganz und gar:
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich! Amen.