Gerok, Karl von - Aus ernster Zeit - 3. Predigt am 3. Advent.
(1871.)
Matth. 11,2-10.
Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei und ließ ihm sagen: bist du der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: geht hin und sagt Johanni wieder, was ihr seht und hört: die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert! Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes: was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet? oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern; oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? wolltet ihr einen Propheten sehen? ja ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet! Denn dieser ists, von dem geschrieben steht: siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.
Herr, wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? diese Frage und Klage kehrt manchmal wieder in den Psalmen des vielgeprüften Königs David (13,2; 27,9; 69,18; 88,5.). Und auch ein Christ weiß, was das zu bedeuten hat. Wie jetzt in dieser Winterzeit die Sonne wochenlang ihr Antlitz verbirgt, dass kein Stückchen Himmelblau durch die Wolken blickt, kein goldener Sonnenstrahl die Nebeldecke durchbricht: so gibt es auch im Menschenleben Zeiten, wo uns die Sonne nicht scheint, wo der gütige Gott selber wochenlang, monatelang gleichsam sein Antlitz vor uns verbirgt, seis dass die Wolken äußerer Trübsal unsern Lebensweg umdüstern, seis dass innerlich in der Seele die Schatten der Schwermut, der Anfechtung, des Zweifels aufsteigen, so dass wir nicht mehr wie sonst glauben und beten, nicht mehr wie in glücklicheren Tagen das Antlitz unseres himmlischen Vaters suchen und finden können.
Das sind schwere Zeiten im Christenleben, wo der Glaube, sonst groß und stark, voll Zuversicht und Freudigkeit, klein und schwach wird, da viel Zweifel, Furcht und Kleinmütigkeit mit unterläuft. Aber, meine Lieben, wenn die Sonne draußen jetzt hinter Winterwolken sich verbirgt, so wissen wir es: zu seiner Zeit kommt der Frühling, wo sie in mildem Glanz wieder vom azurnen Himmel strahlt. Gilt nicht dasselbe wie im Gebiete der Natur auch im Reiche der Geister? Heißts nicht auch da: Nach dem Regen scheint die Sonne? Spricht nicht der Herr selbst, und erfüllts heute noch hundertmal im Leben der Seinen: Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen? Führt nicht gerade diese Adventszeit uns Den vor Augen, in welchem Gott sein lange verborgenes Antlitz der Welt wieder in Gnaden zugewandt hat; Den, aus dessen mildem Angesicht die Güte und Barmherzigkeit Gottes uns freundlich anleuchtet, mags auch noch so trüb aussehen um uns und in uns: Jesum Christum, das Licht und Heil der Welt?
„Selig ist, der sich nicht an mir ärgert“, der sich den Glauben an mich und durch mich an Gott durch keinen Zweifel rauben lässt! So lautet die Mahnung Jesu an Johannes im Gefängnis. Es ist eine Mahnung auch an uns. Lasst‘s uns beherzigen:
Selig ist wer am Herrn sich nicht ärgert,
und dabei sehen
- Wie auch ein Christ in Gefahr kommen kann, an seinem Herrn sich zu ärgern;
- Was wir zu tun haben, um in solcher Gefahr uns zu helfen.
Geber aller guten Gaben,
Festen Glauben möcht ich haben,
Wie ein Meerfels unbewegt,
Wenn an ihn die Woge schlägt.
Amen.
1) Wie auch ein Christ Gefahr laufen kann, an seinem Herrn sich zu ärgern,
sei es, dass das Ärgernis mehr von außen kommt, vom widrigen Weltlauf, oder von innen, aus seinem eigenen verkehrten Herzen, das sehen wir in unserer evangelischen Erzählung an dem Gottesmann Johannes.
Bist dus der da kommen soll, bist du der Messias, oder sollen wir eines Andern warten? So lässt er aus dem Gefängnis durch zwei seiner Jünger Jesum fragen. Wie? meinst du, so kann ein Johannes fragen, der hochbegnadigte Vorläufer des Herrn, auf den im Texte das Prophetenwort angewendet wird: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der dir den Weg bereiten soll; der gewaltige Prediger in der Wüste, der längst auf den Herrn hingewiesen hatte mit dem demütig freudigen Zeugnis: dieser ists, der nach mir kommen soll, dem ich nicht wert bin, die Schuhriemen aufzulösen, der fragt nun doch: Bist du's der da kommen. soll, und wird selber wieder irr in seinem Glauben an den Messias ? Man hat schon gemeint, der Gottesmann habe nicht um seiner selbst, sondern nur um seiner zweifelnden Jünger willen diese Botschaft zum Herrn gesandt. Aber solche künstliche Deutung ist nicht nötig. Nein, meine Lieben, das Wort Gottes, als das Wort der Wahrheit, malt uns die Menschen nicht wie sie sein sollen, sondern wie sie sind. Es zeigt uns auch die Männer Gottes, einen Abraham, Moses, Hiob, David, Petrus und Johannes, nicht als fleckenlose Heilige, sondern als mangelhafte Adamskinder; auch die vorübergehende Glaubensschwäche eines Täufers deckt es uns ehrlich auf. Und sie ist ja wahrlich wohl zu begreifen.
Schon aus seiner äußern Lage. Johannes war im Gefängnis. Auf dem einsamen Bergschloss Machärus saß er seit Monaten auf Herodes Befehl, weil er gewagt hatte, ihm zu sagen: Es ist nicht recht, dass du mit deines Bruders Weib lebst. Denken wir uns in seine Lage hinein. Der Mann der Wüste, der sein halbes Leben lang zugebracht hatte in der freien Natur, unter Gottes offenem Himmelszelt einen öden Winter lang eingesperrt in ein dumpfes Kerkergemach; und wärs ein milder Gewahrsam, und wär es ein goldener Käfig gewesen; es war ihm gegen die Natur. Weiter: der Mann des feurigen Worts, der kräftigen Tat, verurteilt zu einem beharrlichen Schweigen, zu einer gezwungenen Ruhe: es war ihm wie ein Feuer in den Gebeinen. Und draußen unter den Fenstern seiner Wartburg sieht er das Land liegen, in dem er noch so viel zu wirken hätte und muss sitzen hinter Schloss und Riegel! Und durch die Besuche seiner Jünger hört er von dem Wirken Jesu, aber nicht dass er Ernst mache aufzutreten in messianischer Macht und Herrlichkeit, nicht dass er Anstalt treffe, seinen gefangenen Freund und Vorläufer aus dem Kerker zu befreien. Konnte da nicht auch einem Täufer Johannes der Glaube schwach, das Herz schwer, der Weg des Herrn ein Rätsel werden? Wenn sein Geistesverwandter, der feurige Elias, da er aus seinem Volke verbannt war, in der Wüste unter den Wacholder sich niederwarf mit der Klage: Es ist genug, Herr, so nimm nun meine Seele von mir; wenn sein Nachfolger Doktor Luther in der Einsamkeit seiner Wartburg finstere Anfechtungsstunden hatte, wo er mit dem altbösen Feind zu ringen meinte: müssen wir dann nicht auch einem Johannes im Gefängnis die Klage verzeihen: Herr wie lange verbirgst du dein Antlitz? und die Frage zu gut halten: Bist dus, der da kommen soll?
Macht doch uns eine viel kleinere Trübsal oft wankend im Glauben! Wenn Gott uns auf ein Krankenlager legt, o wie bald wird da mit dem Leib auch der Geist matt und schwach, die Stimmung mürrisch und bitter, und statt zu erkennen: Leiden ist jetzt mein Geschäft, murren wir, dass das Tagewerk liegen bleibt; statt zu hoffen auf die Hilfe des Herrn, klagen wir, als hätte er unser ganz vergessen! Wenn der Weltlauf draußen nicht geht, wie wirs uns gedacht und gewünscht, wie gern grollen wir da mit dem Schicksal, werden irre an der Weltregierung Gottes und verzweifeln am Kommen seines Reiches, statt uns zu beugen unter das Wort: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege! Wenn der unerforschliche Gott uns selbst und unser Haus heimsucht mit einem schweren Schicksalsschlag, einem erschütternden Todesfall: o wie wird es da auch einem redlichen Christen oft so schwer, Glauben zu halten und sich in Gottes Wege zu finden mit einem gelassenen: dein Wille, o Vater, geschehe!
Denn, meine Lieben, des Menschen Herz ist ein trotzig und verzagtes Ding, und mit der Trübsal von außen verschwört sich gar gern unser eigenes Herz, dass wir uns ärgern an dem Herrn. Der Täufer war ein eiserner Charakter, unbeugsam vor der Welt, wie der Herr selbst ihm bezeugt, kein Rohr das vom Winde bewegt wird. Brachte nicht diese seine Natur die Versuchung mit sich, dass er auch gegen seinen Gott und Herrn nicht immer in der kindlichen Demut stand, dass er auch den Lauf der Welt und den Gang des göttlichen Reichs meinte nach seinem Sinn zwingen zu können, und dass er schwerer, als ein weicheres Gemüt zu lernen hatte an dem Wort: Nicht mein Wille, Herr, sondern der deine! - Er war ein Eiferer für Gottes Gesetz und hatte mit Donnerstimme es in sein Volk hineingerufen, die Axt sei dem Baum an die Wurzel gelegt. Und als er nun vernahm, wie milde der Herr auftrat unter seinem Volk, wie er mit Zöllnern aß und mit Sündern verkehrte, mochte da nicht etwas von eigenwilligem Zorn und unduldsamem Feuereifer auflodern in seinem alttestamentlichen Prophetengeist, der die evangelische Wahrheit noch nicht recht verstand: des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er die Welt richte, sondern dass er sie selig mache? Er hatte das schöne Wort gesprochen gegenüber dem Herrn: Er muss zunehmen, ich muss abnehmen. Aber als er nun selber zwar abnahm, wie der Mond vor Sonnenaufgang erblasst, und doch nahm der Andere nicht zu, wie er gehofft, ging nicht triumphierend auf wie die strahlende Sonne, sondern trug seine Herrlichkeit im Knechtsgewande verborgen: mochte da nicht etwas von fleischlicher Ungeduld sich regen in seiner feurigen Eliasseele, dass er, unzufrieden mit den Wegen des Herrn, fragte: Wie lange verbirgst du dein Antlitz? Bist du es der da kommen soll?
Meine Lieben, ertappen wir nicht oft unser eigenes Herz über solchem Trotz und solcher Verzagtheit? Wenn wir in fleischlicher Ungeduld Gottes Stunde nicht erwarten können und uns ärgern über den langsamen Gang seines Reiches; wenn wir in Zorn und Bitterkeit die Langmut nicht begreifen womit er die Welt trägt, und vergessen, dass wir selber getragen sind von der nämlichen Langmut und Geduld; wenn wir eigensinnig den Weltlauf regeln wollen nach unserm Meinen und Denken, statt zu erkennen: Gott sitzt im Regimente und führt Alles wohl; wenn wir in unserer Eitelkeit und Eigenliebe unsre Person verwechseln mit dem Reich Gottes und seiner Sache, als wären wir die Unentbehrlichen, als könnte ohne uns nichts vorwärts gehen in der Welt: liebe Freunde, sollten wir uns da nicht vielmehr ärgern über uns selbst, über unser schwaches, trotziges, unverständiges Herz, statt uns zu ärgern an dem Herrn und seinem allezeit guten und heiligen Rat? Sollten wir da nicht statt mit Gott zu hadern, vielmehr uns selber strafen: Bist du doch nicht Regente Der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente Und führet Alles wohl? Darum
2) lasst uns lernen: was haben wir zu tun, damit wir uns nicht ärgern an dem Herrn.
Wende dich an den Herrn mit deinen Zweifeln und lass dich von dem Herrn belehren durch seine Werke, das sind die zwei Ratschläge die unsre Erzählung für uns ergibt.
Wende dich mit deinen Zweifeln an den Herrn. So hats der Täufer gehalten. Er sandte seiner Jünger zwei zum Herrn und ließ ihn fragen: Bist du's der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? Da sehen wir den ehrlichen, geradsinnigen Mann; wie er als Prediger gegen jedermann offen mit der Sprache herausrückte, gegen Fürst und Volk, gegen Schriftgelehrte und Kriegsknechte, so sagt er auch seinem Herrn und Meister ohne Rückhalt, wie es ihm ums Herz ist. Da sehen wir aber auch mitten in der Anfechtung sein noch glimmendes Glaubensdocht; wie unser Heiland, der in seiner Kreuzesnot beim schweren Gefühl der Gottverlassenheit doch noch an den Vater sich klammert mit der Klage: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? so wendet auch Johannes mit seinen Zweifeln sich dennoch zu dem, an dem er zweifelt, und bittet ihn um Aufklärung und Trost.
Machs auch so, lieber Christ, bist du in Gefahr dich zu ärgern an deinem Herrn und Gott! Machs nicht wie so viele, die wenn sie etwas im Worte Gottes ärgert, nun die ganze Bibel wegwerfen und sprechen: jetzt glaub ich auch gar nichts mehr; die, wenn eins ihrer Gebete unerhört blieb, nun vom Gebet überhaupt nichts mehr wissen wollen. Wende dich nicht ab vom Herrn, wenn du in Gefahr bist dich an ihm zu ärgern, sondern dann gerade wende dich zu ihm mit doppeltem Ernst. Und kannst du keine Boten zu ihm schicken wie der Täufer aus seinem Gefängnis, so sende deine Gebete zu ihm als geflügelte Gesandte. Ringe mit ihm im Gebet, wenn er sich dir entziehen will, wie Jakob tat und ist ihm obgelegen. Ruf ihn an in der Not, wie David nach Gott in seinen Klagepsalmen schrie, und siehe zu, ob du nicht in solchem Gebetsverkehr deinem Gott und Heiland wieder näher kommst und es erfahren darfst, seis durch äußere Hilfe oder doch durch innere Stärkung: Ja, Er ist doch noch mein Gott, Er ists doch noch der da kommen soll und helfen kann, und ich darf keines andern warten. Und kannst du nicht, wie Johannes dort, Antwort bekommen aus Jesu leiblichem Mund, so frage sein Wort und hole dir da Licht in deinen Zweifeln, Trost in deinen Nöten. Lies deine Bibel, höre deine Predigt und denke drüber nach und beweg es in deinem Geist, ob nicht manches was dich geärgert hat beim ersten Lesen und Hören, bei längerer Betrachtung und reiferer Erfahrung dir klar und deutlich, ja lieb und teuer werden wird? Auch menschlicher Handreichung darfst du dich dabei nicht schämen. Wie Johannes, weil er in Banden lag, seine Freunde schickte, dass sie ihm Trost aus Jesu Munde brächten, so darfst auch du in Stunden der Anfechtung und Glaubensschwäche, wo dir selber der Weg zum Herrn mit Zweifeln verlegt ist, redliche Freunde, treue Diener des göttlichen Worts in Anspruch nehmen, dass sie mit dir und für dich beten und aus dem Schatz ihrer christlichen Erfahrung dir Trost und Rat vom Herrn bringen. So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, spricht der Herr, so will ich mich von euch finden lassen. An einer tröstlichen Antwort auf deine Fragen wird er's auch dir nicht fehlen lassen.
„Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johanni wieder was ihr seht und hört: die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Fürwahr eine großartige Antwort des Herrn an seinen Zweifler, die Antwort mit der Tat; eine kräftige Beglaubigung für den Messias, das Zeugnis seiner Wunder und Zeichen. „Seid getrost und fürchtet euch nicht, seht, euer Gott kommt und wird euch helfen. Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet werden, alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und der Stummen Zunge wird Lob sagen.“ Mit diesen Worten hatte der Prophet Jesajas im 35. Kapitel die goldene Zeit die der Messias bringen würde, seinem Volke begeistert ausgemalt. Und nun deutet Jesus hin auf seine Taten die er in der Kraft Gottes unter seinem Volke getan, und gibt damit dem zweifelnden Täufer zu verstehen: Gräme dich nicht: Was die Väter gehofft, was die Propheten verheißen, was du selber geglaubt und gepredigt hast, es ist kein Wahn; das Himmelreich ist nahe herbeigekommen; der Messias ist da. Diese frohe Botschaft lass wie einen goldenen Sonnenstrahl in deine Kerkernacht fallen, diesen Glauben lass deines Herzens Trost sein im Leben, Leiden und Sterben.
Und diese herrliche Antwort, meine Lieben, kommt sie nicht auch uns zu gut und ruft uns zu: Lass vom Herrn dich belehren durch seine Werke, wenn du irre wirst an seiner Person und seinen Wegen! Wenn Jesus den Täufer hinweist auf sein eben erst segensreich begonnenes Tagewerk: liegt nicht vor uns sein ganzer unvergleichlicher Lebenslauf bis zu dem Siegeswort am Kreuz: Es ist vollbracht? Ja liegt nicht vor uns die bald zweitausendjährige Geschichte seines Reichs mit all den Segnungen die es der Menschheit gebracht hat, und bestätigt es uns: Er ists der da kommen soll, wir dürfen keines Andern warten? Wenn dem Täufer seine Jünger Botschaft brachten von leiblichen Wundern die Jesus unter seinem Volke getan: stehen nicht vor unsern Augen die größeren geistlichen Mirakel, die der Herr durch sein Wort und seinen Geist seit achtzehnhundert Jahren in der Menschheit getan? Wie viel geistlich Blinden hat er die Augen, wie viel geistlich Tauben hat er die Ohren aufgetan, wie viel Sünder hat er rein, wie viel Todte lebendig, wie viel Arme reich gemacht durch sein Evangelium und es damit bewiesen: Es ist in keinem Andern Heil! Wenn den Johannes der Herr hinwies auf das was er an Andern getan: darf er nicht uns erinnern an so Vieles was er an uns getan, die wir leben dürfen unter den Segnungen seines Reichs; an so manche Wunder seiner Macht und Liebe, wodurch er in unsrem eignen Leben uns erwiesen hat, dass er ein lebendiger Gott ist und ein treuer Heiland der Seinen; an so manche Gnadenstunde, da wir angefasst in innerster Seele es ihm bezeugen mussten: Herr du hast Worte des ewigen Lebens! An solchen Erfahrungen richte dich auf, angefochtene Seele; an solchen Erinnerungen erquicke dich in Stunden der Glaubensschwäche und Herzensdürre. Glauben verloren alles verloren. Aber selig wer sich nicht ärgert an dem Herrn. Selig wer auch bei den dunkelsten Führungen festhält den kindlich frommen, mannhaft tapferen Glauben an die ewige Macht und Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe seines Gottes und Heilandes.
Davon zum Schluss noch ein Beispiel. Wir alle wissen von dem württembergischen Patrioten und unverzagten Christen, dem Landschaftskonsulenten Johann Jakob Moser. Wie der Täufer auf dem Bergschloss Machärus, so saß er als Gefangener auf der Felsenburg Hohentwiel, weil er nach Pflicht und Überzeugung seinem Fürsten die Wahrheit gesagt und zu mancher Regierungshandlung des glänzend begabten, aber leidenschaftlichen Herzogs das Johanneswort gesprochen hatte: Es ist nicht recht! Fünf Jahre saß er dort in strenger Haft, ohne Umgang, ohne Bücher, ohne Feder und Papier, allein mit seinem Gott und seinem Gewissen. Aber hatte er einen ungnädigen Herrn auf Erden, so hatte er im Himmel einen gnädigen Gott und in seiner Brust ein gutes Gewissen und einen festen Glauben; darum ärgerte er sich nicht an dem Herrn und konnte aus dem Gefängnis, als es ihm zuletzt erlaubt war, an seine Frau schreiben: „Was das Innere anbelangt: der Friede Gottes, der mich in meinen Arrest begleitet hat, ist bisher unverrückt bei mir geblieben. Die Tage und Stunden sind zwar nicht alle gleich und es gibt manchen Kampf und Tränensaat, aber doch sieget der Glaube allemal. Die Wege des Herrn, so krumm und bitter sie für den alten Menschen sind, sind mir heilig und respektabel und mein Wille ruht in seinem Willen. Kurz, er hat eine ganze Erneuerung des innern Menschen vorgenommen, das Licht ist wieder geputzt und der Staub vom Spiegel abgewischt. Hohentwiel auf der hohen Schule; 15. Nov. 1759.“
Ist das nicht ein Geistesbruder unseres Täufers? Ja sehen wir nicht an ihm und seinem unerschütterlichen Glauben: der Kleinste im Himmelreich ist größer denn Johannes? Selig ist, wer an dem Herrn sich nicht ärgert. An diesem deinem Glauben hast du einen Stern in jeder Nacht, einen Stab auf jedem Weg, einen Schild in jedem Kampf, bis du eingehst vom Glauben zum Schauen, wo die Rätsel dieses Lebens in Licht und die Klagen des Kleinglaubens in den Lobgesang sich auflösen: der Herr hat alles wohlgemacht! Dazu hilf du uns, Herr Jesu, du Anfänger und Vollender unseres Glaubens.
Trifft mich Traurigkeit und Schmerz,
Tröste dann mein zagend Herz,
Hilf zum treuen Tugendlauf
Meiner Schwachheit mächtig auf;
Dass ich, wenn du, Lebensfürst,
Herrlich wieder kommen wirst,
Froh dir mag entgegensehn
Und gerecht vor dir bestehn!
Amen.