Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das sechste Capitel. Gebet um die Gabe und Mehrung der Geduld.
Allmächtiger, ewiger und barmherziger Gott, mit demüthigem Seufzen flehe ich deine Gnade an, daß du mir wahre und aufrichtige Geduld verleihen mögest! Mein Fleisch verlangt immer das, was ihm angenehm ist, das ist, Weichliches und Fleischliches; es weigert sich aber, Widerwärtiges geduldig zu tragen. Ich bitte dich, du wollest diese Leidenschaft des Fleisches in mir mächtig unterdrücken und meine Schwachheit durch die Stärke der Geduld stützen. O Christe Jesu, Lehrer der Geduld und des Gehorsams, unterweise mich innerlich durch den heiligen Geist, daß ich von dir lerne den Eigenwillen verläugnen, und das Kreuz, das du mir aufgelegt hast, geduldig tragen! Du hast Schwereres für mich gelitten, als du auflegest; ich habe härtere Strafen verdient, als du auferlegst. Eine Dornenkrone und des Kreuzes Last hast du getragen, Blut hast du geschwitzt, und die Kelter des Zornes hast du um meinetwillen getreten; warum sollte ich mich daher weigern, so wenig Leiden und Angst geduldig zu übernehmen? warum verweigern, deinem Trauerbilde in diesem Leben gleichförmig zu werden? Vom Bache der Leiden am Wege hast du getrunken; warum sollte ich einen geringen Trunk aus dem Becher des Kreuzes verschmähen? Ewige Strafen habe ich mit meinen Sünden verdient; warum sollte ich die väterliche Züchtigung in dieser Welt nicht ertragen? Welche du von Ewigkeit vor Grundlegung der Welt zuvor versehen hast, die hast du auch verordnet, daß sie in der Zeit dieses Lebens gleich seyn sollten dem Ebenbilde deines Sohnes. Wenn ich also diese Gleichförmigmachung durch das Kreuz nicht geduldig ertrüge, so würde ich deinen heiligen und ewigen Rathschluß über mein Heil verachten, was du von mir, deinem unwürdigsten Knechte, wollest fern seyn lassen.
Zur Prüfung, nicht zur Verwerfung geschieht es, daß du mich durch mannigfaltige Unglücksfälle übest. So viel du an Kreuz und Trübsal auferlegst, so viel theilst du auch an Licht und Trost mit; und nicht sowohl die Züchtigung, als die Vergeltung wird vermehrt. Die Leiden dieses Lebens sind nicht werth jenes himmlischen Trostes, den du in diesem Leben zugleich einflößest, und jener himmlischen Herrlichkeit, die du für die Zukunft verheißest. Ich weiß, daß du bei mir bist in der Noth; warum sollte ich mich daher nicht vielmehr über die Gegenwart deiner Gnade freuen, als mich über die mir aufgelegte Bürde des Kreuzes betrüben? Führe mich, durch welchen Weg du willst, bester Meister und Lehrer; ich will dir durch Dornen und Hecken folgen, ziehe und halte mich nur, daß ich folgen kann! Ich neige mein Haupt, daß du die Dornenkrone darauf setzest, in der gewissesten Ueberzeugung, daß du einst die Krone der ewigen Herrlichkeit darauf setzen wirst! Amen.