Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das fünfte Capitel. Gebet um Erhaltung und Mehrung der Demuth.

Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das fünfte Capitel. Gebet um Erhaltung und Mehrung der Demuth.

Allmächtiger und barmherziger Gott, der du allen Hochmuth auf's Aergste hassest, verleihe mir, daß ich eine Rose an Liebe und ein Veilchen an Demuth sey, daß ich einen lieblichen Geruch durch Werke der Liebe verbreite, und niedrig in meinem Herzen von mir denke! Was bin ich, Herr, vor dir? Staub, Asche, Schatten, Nichts! Da ich nun nichts bin in deinen Augen, so verleihe mir, daß ich mich für nichts halte in meinen Augen, Unterdrücke den angebornen Hochmuth meines Herzens, daß ich den Thau der himmlischen Gnade empfange; denn die Ströme deiner Gnade steigen nicht aufwärts auf hohe Berge, sondern fließen abwärts in die tiefen Thäler eines demüthigen Herzens. Nichts ist mein, als Schwachheiten und Missethaten. Was in mir Gutes ist, das ist aus der Quelle deiner Güte zu mir herabgekommen; daher kann ich mir nichts von den Gütern zueignen, da nichts eigentlich mein ist. Je erhabener ich von dir denke, desto schlechter muß ich von mir denken. Es sey ferne von mir, ja, sehr ferne sey es, daß ich über deine Güter, gnädigster Gott, stolz seyn und Andere deshalb verachten wollte! Du hast die Schätze deiner Güter in die Lade meines Herzens niedergelegt, welche und wie groß du wolltest; es sey ferne von mir, daß ich jene mir selbst zuschreibe, oder meiner Würdigkeit zutheile. Du hast in meinem Herzen durch deinen Geist das Feuer der Gottseligkeit und der Liebe angezündet; o verleihe mir, ich bitte dich, daß ich es zudecken könne durch die Asche der Demuth! Wie groß ist denn jener Ruhm, der dem Menschen vom Menschen gegeben wird? Wie groß ist denn jenes Lob, mit dem der Mensch vom Menschen verherrlicht wird? Wer dir, o größter Schöpfer, groß ist, der ist wahrhaft groß; wer dir gefällt, der gefällt dem, der die Dinge nach der Wahrheit schätzt. Niemand aber gefällt dir, als der sich selbst mißfällt. Du bist meines Lebens Leben; du die Seele meiner Seele. Daher schließe ich mein Leben und meine Seele in deine Hände ein, und hange mit demüthigem Herzen ganz dir an. Deine Erhabenheit sehe auf meine Niedrigkeit, deine Höhe sehe auf meine Nichtswürdigkeit! Ach, warum verlange ich so sehr, in der Welt erhöht zu werden, da doch in ihr nichts Schönes ist? Warum erhebe ich mich so sehr, da mich doch das Joch der Sünde schwer drückt? Es durchbohre mein Herz der Stachel einer heiligen Furcht, damit es nicht etwa von der höchst gefährlichen Krankheit des geistlichen Hochmuths eingenommen werde! Beständig sollen mir meine unzähligen Sünden vor Augen seyn; vergessen aber alle meine guten Werke! Das Andenken an meine Sünden betrübe mich mehr, als der Ruhm eines unreinen und unvollkommnen guten Werkes, das ich gethan habe! In dir allein freue und rühme ich mich, der du meine Freude und mein Ruhm bist in Ewigkeit! Amen.

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