Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der heilsamen Frucht der Menschwerdung.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der heilsamen Frucht der Menschwerdung.

Gesegnet sei die Erlösung Christi. Ich verkündige euch große Freude Luk. 2,10, spricht der Engel bei der Geburt unseres Heilandes. Fürwahr sie ist groß, und größer, als der menschliche Verstand zu fassen vermag. Das größte Übel war, dass wir unter dem Zorn Gottes, unter der Gewalt des Teufels, unter der ewigen Verdammnis gefangen gehalten wurden. Noch größer war das Übel, dass die Menschen jene größten Übel entweder nicht kannten, aber nichts achteten. Nun aber wird uns große Freude verkündigt, weil der in die Welt gekommen war, der uns von allen jenen Übeln befreien sollte. Der Arzt ist zu den Kranken, der Erlöser zu den Gefangenen, der Weg zu den Irrenden, das Leben zu den Toten, das Heil zu den Verdammten gekommen. Wie Mose von Gott gesandt worden ist, das Volk Israel aus der ägyptischen Knechtschaft zu befreien 2 Mos. 3,10: so ist Christus vom Vater gesandt worden, das ganze menschliche Geschlecht von der Gewalt des Teufels zu erlösen. Wie die Taube, da das Land nach der Sintflut wieder trocken geworden war, ein Ölzweiglein zur Arche Noah brachte: so ist Christus in die Welt gekommen, den Frieden zu predigen zur Versöhnung des menschlichen Geschlechts mit Gott.

Mit Recht freuen wir uns daher, und hoffen das Beste von der Barmherzigkeit Gottes. Der uns, da wir noch Feinde waren Röm. 5,8, so sehr geliebt hat, dass er es nicht verschmäht hat, unsere Natur in die engste Verbindung mit der Gottheit anzunehmen: was wird der denen versagen, die ihm verbunden sind dadurch, dass er ihres Fleisches teilhaftig geworden ist? Wie also wird jenes höchste und unbegrenzte Erbarmen uns, die wir seiner Natur schon teilhaftig gemacht sind, von sich wegweisen können?

Wer kann die Größe dieses Geheimnissen in Gedanken, geschweige denn in Worten fassen? Es ist das die höchste Erhabenheit und die höchste Niedrigkeit, die höchste Macht und die höchste Schwachheit, die höchste Herrlichkeit und die höchste Hinfälligkeit. Was ist erhabener als Gott, und was niedriger als der Mensch? Was ist mächtiger als Gott und was schwächer als der Mensch? Was ist herrlicher als Gott und was hinfälliger als der Mensch? Aber jene höchste Macht fand ein Mittel, dadurch diese verbunden wurden, da jene höchste Gerechtigkeit die Notwendigkeit einer solchen Verbindung forderte. Wer kann die Größe auch dieses Geheimnisses fassen? Ein Gegenersatz und ein unendlicher Preis ward erfordert für die Beleidigung des Menschen, weil der Mensch von dem unendlichen Gute, nämlich von Gott sich abgewendet hatte. Aber was konnte dem unendlichen Gott ein Gegenersatz sein? Daher nimmt die unendliche Gerechtigkeit gleichsam von sich selbst einen vollen Ersatz gewährenden Preis, und Gott der Schöpfer leidet im Fleisch, damit das Fleisch des Geschöpfes nicht in Ewigkeit leide. Das höchste Gut war beleidigt; es konnte nur ein Mittler von unendlicher Macht zwischen eintreten. Was aber ist außer Gott unendlich? Gott versöhnte daher die Welt mit ihm selber 2 Kor. 5,19: Gott selbst wird der Mittler, Gott selbst hat mit seinem Blut das menschliche Geschlecht erlöst Ap. Gesch. 20,28.

Wer kann die Größe dieses Geheimnisses fassen? Der höchste Schöpfer war beleidigt, und das Geschöpf machte sich keine Sorge über die Herstellung des Friedens und über die Versöhnung. Derselbe, der beleidigt war, nimmt das Fleisch des Geschöpfes an und wird der Versöhner. Der Mensch hatte Gott verlassen, und zu dem Feind Gottes, dem Teufel sich gewendet; aber derselbe, der verlassen war, sucht bekümmert den, der ihn verlassen hat, und lädt ihn auf das Freundlichste wieder zu sich ein. Der Mensch war von jenem unendlichen Gut gewichen und hatte sich in das unendliche Übel gestürzt, aber eben jenes unendliche Gut gibt einen unendlichen Erlösungspreis und befreit das Geschöpf von jenem unendlichen Übel. Übersteigt nicht diese unendliche Barmherzigkeit allen endlichen Verstand und Gedanken des Menschen? Unsere Natur ist durch Christum herrlicher gemacht worden, als sie durch Adams Sünde verunstaltet worden war; in Christo haben wir mehr empfangen, als wir in Adam verloren haben; die Sünde hatte überhand genommen, aber der Reichtum der göttlichen Gnade ging noch weit darüber. In Adam haben wir die Unschuld verloren, in Christo haben wir die volle Gerechtigkeit empfangen Röm. 5,18.21. Mögen andere die göttliche Macht bewundern, die göttliche Gnade ist noch viel mehr zu bewundern, wenngleich in Gott die Macht und die Barmherzigkeit einander die Waage halten, nämlich beide unendlich sind. Mögen andere die Schöpfung bewundern, mir gefällt es mehr die Erlösung zu bewundern, wenngleich sowohl die Schöpfung als die Erlösung die Tat einer unendlichen Macht ist. Groß ist es, den Menschen, der nichts verdient hat, weil er. noch nicht einmal da ist, zu schaffen; größer scheint es noch zu sein, den Menschen, der sich versündigt hat, zu erlösen und die Genugtuung der Schuld auf sich zu nehmen. Wundernswert ist es, dass unser Fleisch und unsere Gebeine uns von Gott gebildet sind; wundernswerter noch ist es, dass Gott selbst Fleisch von unseren Fleisch, und Bein von unsern Gebeinen werden wollte Eph. 5,30.

O meine Seele, danke deinem Gott, der dich geschaffen hat, da du noch nicht warst, der dich erlöst hat, da du durch die Sünde verdammt warst, der dir, weil du Christo durch den Glauben anhängst, himmlische Freuden bereitet hat!

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