Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der geistlichen Erquickung der Frommen.
Was ist Gott der Seele? Das Licht, das Heilmittel, die Speise.
Der grundgütige Gott hat ein großes Gastmahl bereitet Luk. 14,16, aber hungrige Herzen müssen zu demselben mitgebracht werden. Die Süßigkeit des himmlischen Gastmahls fasst nicht, wer es nicht schmeckt; es schmeckt's nicht, wer nicht hungert. An Christum glauben heißt zu dem himmlischen Gastmahl gehen. Niemand aber kann glauben, außer wer seine Sünden anerkennt, in Wahrheit zerknirscht wird und Reue empfindet. Die Zerknirschung ist der Seele geistlicher Hunger, der Glaube ist die geistliche Weide. Den Israeliten gab Gott in der Wüste das Manna, das Brot der Engel 2 Mos. 16,4; in diesem Gastmahl des neuen Bundes schenkt uns Gott das himmlische Manna, nämlich seine Gnade, die Vergebung der Sünden, ja seinen Sohn, den Herrn der Engel. Christus ist jenes wahre himmlische Brot, vom Himmel gekommen, um der Welt das Leben zu geben Joh. 6,51. Wer voll ist von dem Futter der Säue, das ist, von den Ergötzlichkeiten dieser Welt, der verlangt nicht nach jener Süßigkeit. Der äußerliche Mensch fasst nicht, was dem innerlichen süß ist: in der Wüste gibt Gott sein Manna, das ist, wo alle irdische Speise, aller irdische Trost der Seele entzogen ist. Die Weiber haben, mochten nicht kommen Luk. 14,20: keusche Jungfrauen, das ist, Seelen, die weder dem Teufel durch die Sünden, noch der Welt durch die Ergötzlichkeiten anhangen, kommen zu diesem Gastmahl. Ich habe euch eine reine Jungfrau Einem Manne vertraut 2 Kor. 11,2, spricht der Apostel: unsere Seele darf nicht dem geistlichen Ehebruch nachhängen, damit Gott mit ihr den geistlichen Ehebund schließen kann. Die von der Lust, auf den Acker hinaus zu gehen und ihn zu besehen, gefesselt wurden, die verschmähten es zu kommen Luk. 14,18: die die Freuden dieser Welt lieben, sehnen sich nicht nach himmlischer Süßigkeit. Die Sehnsucht ist der Fuß der Seele: unsere Seele gelangt nicht zu diesem geheimnisvollen Gastmahl, wenn sie sich nicht sehnt; die Seele, die voll ist der Tröstung dieser Welt, kann sich nicht sehnen nach himmlischer Süßigkeit. Als der reiche Jüngling hörte Matth. 19,22, um Christi willen müsse der Reichtum, an dem seine Seele hing, verlassen werden, ging er betrübt weg: der himmlische Elisa 2 Kön. 4,4, Christus gießt das Öl der himmlischen Süßigkeit nicht eher ein, als bis zuvor alle Gefäße leer gemacht sind; die Liebe Gottes zieht nicht eher ein in die Seele, als bis die Eigenliebe und die Weltliebe herausgeht. Wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz Matth. 6,21: wenn du die Welt zum Schatz hast, so ist dein Herz in der Welt. Die Kraft der Liebe ist eine einigende: wenn du die Erde liebst, so bist du der Erde geeinigt. Die Kraft der Liebe ist eine ändernde: wenn du die Welt liebst, wirst du weltlich gesinnt; wenn du den Himmel liebst, wirst du himmlisch. Die Ochsen kaufen und handeln, kommen nicht zu Christus Luk. 14,19. Die mit ihrem Herzen dem Reichtum anhangen Ps. 62,11, die erwerben keine himmlischen Schätze. Der irdische Reichtum füllt unter dem falschen Schein der Genüge die Sehnsucht der Seele aus, dass sie die wahre Genüge in Gott, welche die Sehnsucht vollkommen stillt, nicht sucht. Aller irdischer Reichtum besteht in Geschöpfen: in Silber, Gold, Häusern, Grundstücken, Vieh; aber kein Geschöpf kann unsere Seele in Wahrheit sättigen, weil sie vorzüglicher ist als alle Geschöpfe, denn alle sind zu ihrem Dienst geschaffen. Wie unvermögend die Geschöpfe sind, unser Verlangen zu stillen und zu sättigen, das zeigt sich im Tod, in dem wir von allen Geschöpfen verlassen werden. Es ist zu verwundern, dass wir den Geschöpfen so fest anhängen, da diese so unsicher und unbeständig und anhängen. Da Adam von dem Trost Gottes sich wegwendete und am Baum der Erkenntnis Gutes und Böses Ergötzung suchte 1 Mos. 3,24, ward er aus dem Paradies getrieben: wenn unsere Seele von Gott abfällt und zu den Geschöpfen sich wendet, wird sie des himmlischen Trostes beraubt und von dem Baum des Lebens völlig verbannt.
Was aber bleibt denen, die dieses Gastmahl verachten? Die Welt vergeht 1 Joh. 2,17, und alle, welche ihr anhangen; die Geschöpfe vergehen und alle, welche ihre Hoffnung auf dieselben setzen. Der himmlische Vater versichert es mit einem Eid, dass die sein Abendmahl nicht schmecken werden, die Ochsen, Äcker, Weiber, das ist, die, wer sie auch immer sind, Irdisches der Süßigkeit des himmlischen Gastmahles vorziehen Luk. 14,24. Nach dem Mahl wird keine Speise weiter bereitet: wenn Christus verachtet wird, so gibt es weiter kein Heilmittel. Die Verachter werden mit ewigem Hunger gestraft werden, und in ewiger Finsternis leben; die nicht haben hören wollen, da Christus rief: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid Matth. 11,28, die werden einmal hören, wenn er gebietet: Geht hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer Matth. 25,41. Die Einwohner Sodoms wurden durch Feuer vertilgt, da sie, durch Lots Predigt zu diesem Gastmahl eingeladen, es verschmähten zu kommen 1 Mos. 19,24: das Feuer des göttlichen Eifers, das nicht aufhört zu brennen, wird die vertilgen, welche, durch das Evangelium eingeladen dieses Gastmahl verachtet haben. Da der Bräutigam kommt, machen die Jungfrauen, deren Lampen kein Öl mehr hatten, Aufenthalt; unterdes wird die Tür verschlossen Matth. 25,10: die, deren Herzen von dem Öl des heiligen Geistes in dieser Welt nicht erfüllt worden sind, wird der Herr nicht einlassen zu seiner Freude, sondern es wird ihnen die Tür der Vergebung verschlossen werden, die Tür der Erbarmung, die Tür des Trostes, die Tür der Hoffnung, die Tür der Gnade, die Tür der guten Werke.
Es gibt noch eine innere Berufung Christi, selig, wer sie hört! Christus klopft oft an die Tür unsers Herzens mit heiligen Verlangen, mit demütigen Seufzern, mit frommen Gedanken. Selig, wer dem Anklopfenden auftut! Off. Joh. 3,20. Sobald du ein heiliges Verlangen nach der göttlichen Gnade in deinem Herzen verspürst, so halte gewiss dafür, dass Christus an dein Herz klopft; lass ihn eingehen, damit er nicht vorübergehe, damit er die Tür seiner Barmherzigkeit nicht nachher dir selbst verschließe. Sobald du ein Flämmlein frommer Betrachtungen in deinem Herzen verspürst, so sei gewiss, dass es durch den Eifer der göttlichen Liebe, nämlich des heiligen Geistes angezündet ist; hege und nähre die Flamme, damit sie zum Feuer der Liebe anwachse. Hüte dich, dass du nicht den Geist dämpfst und das Werk Gottes hinderst 1 Thess. 5,19. Wer den Tempel des Herrn zerstört, der wird sein ernstes Gericht erfahren 1 Kor. 3,17. Der Tempel des Herrn ist unser Herz: der zerstört ihn, welcher sich weigert, dem heiligen Geist, der innerlich uns durchs Wort beruft, Raum zu geben. Unter dem alten Bund konnten die Propheten den Herrn in ihrem Inneren reden hören 2 Petr. 1,21: unter dem neuen Bund empfinden alle wahrhaft Fromme jene innerlichen Bewegungen und Züge des heiligen Geistes. Selig alle, welche Hören und folgen!