Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Trost des Bußfertigen im Leiden Christi.
(Zumeist nach Anselm.)
Das Kreuz Christi ist unsere Krone.
Aller Ruhm der Frommen stehet in der Schmach des Leidens des Herrn. Alle Ruhe der Frommen stehet in den Wunden unsers Heilandes. Unser Leben in seinem Tode, unsere Herrlichkeit in seiner Erhöhung. Wie groß ist dein Erbarmen, himmlischer Vater, allmächtiger Gott! Aus eigener Macht habe ich's vermocht sich zu beleidigen; aber in meiner Macht hat es nicht gestanden dich mir wieder freundlich zu stimmen, darum gewinnst du mich dir wieder in Christo. Siehe also an, heiliger Gott, das Opfer des Fleisches 1 Petr. 2,24, und vergib mir die Schuld meines Fleisches. Siehe an, was der liebe Sohn gelitten, und vergiß, was der böse Knecht gethan hat. Mein Fleisch hat zum Zorne gereizt, das Fleisch Christi neige dich, ich flehe in Demuth, zur Barmherzigkeit. Groß ist's, was meine Gottlosigkeit verdient, aber viel größer, was die Treue meines Erlösers erworben hat. Groß ist meine Ungerechtigkeit, aber viel größer die Gerechtigkeit meines Erlösers. Denn so viel Gott höher ist als der Mensch, so viel ist meine Bosheit niedriger als seine Güte, wie der Art so der Menge nach. Alles, was ich bin, ist dein nach meinem Verhältnis zu dir: gib, daß auch alles dein sei nach meiner Liebe. Du heißest mich bitten, laß mich auch nehmen; du gestattest mir das Suchen, gewähre mir auch das Finden; du lehrest mich anklopfen, thue mir, dem Anklopfenden, auch auf Matth. 7,7. Von dir habe ich das Verlangen, ich möchte von dir auch das Erlangen haben; von dir habe ich das Wollen, ich möchte von dir auch das Vollbringen haben Phil. 2,13. Heiliger Gott, gerechter Richter, wenn meine Sünden verschwiegen werden, sind sie unheilbar Ps. 32,3; wenn sie offenbar werden, sind sie abscheulich, peinigen mich mit Schmerzen, schrecken mich aber noch mehr mit Furcht. Ach versage deine so gründliche Barmherzigkeit nicht, wo du so gründliches Elend stehest. Große Sünde findest du hier, laß deine Gnade noch größer und überströmender sein. Heiliger Vater, ich bitte dich, gieß nicht aus über mich deinen Zorn, da du um meiner Sünden willen deinen Sohn zerschlagen hast. Heiliger Jesu, befreie mich von dem göttlichen Zorne, der du denselben um meinetwillen auf dich genommen hast am Kreuze. Heiliger Geist, schirme mich mit deinem Troste wider den Zorn Gottes, der du im Evangelio den Bußfertigen und Geängsteten Erbarmen zugesaget hast. Heiliger Gott, gerechter Richter, ich finde keinen Ort, dahin ich fliehen möchte vor dem Angesichte deines Zornes. Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mir in die Hölle, siehe so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch daselbst deine Hand führen und deine Rechte mich halten. Ps. 139,8-10. Zu Christo will ich darum fliehen, und in seinen Wunden mich verbergen. O barmherziger Gott, siehe an den Leib deines Sohnes, mit Wunden allenthalben bedeckt, und die Wunden meiner Sünden wollest du nicht ansehen! Das Blut deines Sohnes wasche mich von allen Flecken meiner Sünden 1. Joh. 1,7! Höre sein heißestes Flehen, das er dir dargebracht hat für das Heil seiner Erwählten Joh. 17, 9!
Heiliger Gott, gerechter Richter, mich schreckt mein Leben, denn wird es gründlich nach allen Seiten hin untersucht, so wird entweder Sünde oder Unfruchtbarkeit offenbar; und wird etwa einige Frucht in ihm geschaut, so ist sie entweder reiner Trug, oder Unvollkommenheit, oder irgendwie mit Flecken behaftet, daß sie nichts kann als deinen Augen entweder nicht gefallen, oder geradehin mißfallen. Ja, mein ganzes Leben ist Sünde und verdammenswerth, oder unfruchtbar und der Achtung unwerth. Aber was mache ich Unterschied zwischen dem unfruchtbaren und dem verdammenswerthen? Ist es unfruchtbar, so ist es allewege auch verdammenswerth; denn jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird in's Feuer geworfen werden Matth. 3,10. Nicht bloß der Baum, welcher schlechte, sondern auch der, welcher keine Frucht bringt, wird dem Feuer übergeben. Mich schrecken die Blicke, die zur linken des Richters gestellt werden Matth. 23,32, nicht weil sie Böses begangen, sondern weil sie nichts Gutes gethan, die Hungernden nicht gespeist und die Durstenden nicht getränket haben. O dürres und unnützes und der ewigen Flammen werthes Holz! Was wirst du antworten an jenem Tage, wenn die ganze dir verliehene Lebenszeit bis zu dem Augenblicke von dir gefordert und darauf angesehen werden wird, wie sie von dir verwendet ist? Ein Haar vom Haupte wird nicht verloren gehen, und auch ein Augenblick nicht von der Zeit. O Bedrängnis über Bedrängnis! Hier werden sein die Sünden, die dich anklagen, dort die Gerechtigkeit, die dich schrecket; unter dir die Hölle, die mit ihren Martern sich aufthut, über dir der Richter, der zürnt; in dir das Gewissen, das foltert, außer dir die Welt, die brennt. Der Gerechte wird kaum erhalten werden 1 Petr. 4,18: wohin wird der Sünder, der also in die Enge getrieben ist, sich wenden? Sich verbergen wird unmöglich, hervorgehen unerträglich sein. Woher also kommt meiner Seele Heil, woher Rath? Wer ist's, der der Engel von großem Rath genannt wird? Jes. 9,6. Jesus ist es, der ist der Richter, unter dessen Händen ich zittere. Athme wieder auf, o Seele, daß du nicht verzagest! Hoffe auf den, vor dem du dich fürchtest; fliehe zu dem, von dem du dich weggewendet hast. Jesu Christe, um dieses deines Namens willen thue mir nach deinem Namen; stehe mich Elenden an, der ich deinen Namen anrufe. Wenn du mich in den so weiten Schoß deiner Barmherzigkeit wirst haben eingehen lassen, so wird er um meinetwillen nicht enger sein. Wahr ist es, o Herr, mein böses Gewissen hat die Verdammnis verdient, und meine Reue reicht nicht hin zur Genugthuung; aber es ist gewiß, daß deine Barmherzigkeit größer ist als alle Beleidigung. Auf dich, Herr, setze ich meine Zuversicht, ich werde nicht zu Schanden werden in Ewigkeit.