Frommel, Max - Am ersten Sonntage nach Epiphanien.
„Gehe heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn“ so lautete der Ruf Gottes an den Propheten Elias in der Höhle auf Horeb, als er im Unmut verzagen wollte, der Herr aber mit seiner Seele zu reden hatte; als die Traurigkeit sein Gemüt umnachtete, der Herr aber ihn zu großer Freudigkeit führen wollte: „Gehe heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn“ - das ist der Ruf Gottes an uns alle am Sonntagmorgen: heraus aus der dumpfen Höhle der Sorgen, aus dem Versteck der Selbstentschuldigungen, aus dem engen Winkel der irdischen Gedanken oder der Schwermut. Geh heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn, in das helle Licht vor sein Angesicht, auf den Berg Gottes, auf den göttlichen Standpunkt, vor den Herrn, dass Er mit dir und du mit ihm reden kannst.
„Und der Herr ging vorüber und ein großer starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Winde aber kam ein Erdbeben, aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Sausen.“ Der Herr redet, und sein Knecht hört. Es ist die Sprache des Gesetzes und des Evangeliums, welche der Prophet in den Zeichen vernimmt. Das Gesetz mit seiner heiligen Forderung und seiner göttlichen Drohung ist der Sturmwind, der unsere Berge des Stolzes zerreißt und die Felsen des harten Herzens zerbricht. Das Gesetz ist das Erdbeben, welches uns den verborgenen Grund unseres verderbten Herzens bloßlegt; es ist das Feuer, welches in das Gewissen hinein leuchtet und Mark und Bein durchdringt, wenn es uns vor dem Allwissenden verklagt. „Aber nach dem Feuer kam ein sanftes, stilles Saufen, und darin war der Herr.“ Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft von Christi Gnade für arme Sünder; es ist der Friedensgruß des Trösters, es ist das Lächeln vom Vaterantlitz des Allmächtigen, es ist der Hauch eines Kusses von den Lippen der ewigen Liebe.
„Da das Elias hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel.“ Wie Elias auf Horeb gefeiert und angebetet hat, so lasst auch unsere Seelen heute stille werden zu dem, der mit uns reden will in seinem Wort. Und ob Er dich strafen muss, dass seine Stimme dir ist wie Sturmwind und Erdbeben und Feuer dich strafen, lass dir sagen, was Ihm an dir missfällt, so sollst du auch inne werden das sanfte, stille Saufen der Vergebung und sollst hinabgehen in dein Haus mit dem Ruf: „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet!“ Zu solcher Feier lasst uns betrachten das Wort, das geschrieben steht:
Offenb. Joh. 2,1-7.
„Und dem Engel der Gemeine zu Ephesus schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern: Ich weiß deine Werke und deine Arbeit und deine Geduld und dass du die Bösen nicht tragen kannst, und hast versucht die, so da sagen, sie seien Apostel und sind es nicht, und hast sie Lügner erfunden; und verträgst und hast Geduld und um meines Namens willen arbeitest du und bist nicht müde geworden. Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust. Aber das hast du, dass du die Werke der Nicolaiten hasst, welche ich auch hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradiese Gottes ist.“
Es sind Worte des zur Rechten des Vaters thronenden Christus an seine Gemeinde auf Erden, gesandt an Ephesus und seinen Bischof, aber zugleich gerichtet und adressiert an alle Gemeinden und alle Hirten aller Lande und aller Zeiten; es sind Worte des Erzhirten, an welchen sich die Kirche der Gegenwart, an welchen unsere Gemeinde und jeder einzelne Christ sich prüfen soll. Denn wir hören darin
es ist das Wort Jesu Christi von der ersten Liebe,
Die Stimme einer wehmütigen Klage,
die Stimme einer flehentlichen Bitte.
Herr, der du allein ein sehend Auge und ein hörend Ohr schaffst, öffne unsere Herzen, dass wir deine Stimme vernehmen, und gib uns die Weisheit von oben, die sich sagen lässt. Amen.
I.
Christus erhebt seine Klage gegen Ephesus, wenn er sagt: „Ich habe wider dich.“ Das ist eine ernste Sprache aus dem Munde des Erbarmers. Wenn Moses im Gesetz verklagt, so ruft der Glaube: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht!“ Wenn die Schuld im Gewissen verklagt, so ruft Paulus: „Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ Wenn aber Christus, der unser einiger Anwalt vor Gott ist, selbst zum Ankläger wird, wer will entfliehen? Und welch ein Ankläger! Nennt er sich doch den, der da wandelt unter den sieben goldenen Leuchtern, d. h. inmitten seiner Gemeinden, auf deren Altären das Licht Gottes leuchtet und das Feuer des heiligen Geistes brennt. Er ist der Ankläger und zugleich der Zeuge; denn er sieht Alles und hört Alles und ist überall dabei; Er hat alle Akten und Beweise in Händen und darf zu einem Jeden sagen: „Ich weiß deine Werke.“ Da verstummt, was sonst so schwer in uns verstummt, die Lust sich selbst zu rechtfertigen und zu beschönigen; denn Er ist es, der Herzen und Nieren forscht. Der tiefe Ernst seiner Klage steigert sich aber noch dadurch, dass er ein so gerechter und milder Beurteiler ist. Er hält dem Bischof von Ephesus und seiner Gemeinde nicht eine donnernde, polternde Strafrede; denn je gröber und massiver die Predigt, desto eher sagen die Zuhörer: „Nein, so bin ich nicht;“ je maßvoller und gerechter, desto tiefer trifft das Wort. Der Herr erkennt an Ephesus alles Gute an, was darin sich findet, Alles bringt er in Rechnung, nichts übersieht er. Es ist ein schönes Lob, welches er der Gemeinde zu Ephesus und ihrem Hirten erteilt: „Ich weiß deine Werke und deine Arbeit und deine Geduld, und dass du die Bösen nicht tragen kannst und hast versucht die, so da sagen, sie seien Apostel und sind es nicht, und hast sie Lügner erfunden; und verträgst und hast Geduld, und um meines Namens willen arbeitest du und bist nicht müde geworden.“ Aber um so wehmütiger, um so ergreifender, um so vernichtender tönt die Stimme der Klage: „Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt.“ In dem schönen Lob fehlt nur Eins, aber gerade das in Jesu Augen Unentbehrliche, über dessen Mangel ihn nichts trösten kann, das Eine, welches Er auch bei dir sucht. Was ist dies Eine?
Liebe sucht er, tiefe, wahre, brennende Liebe, persönliche Liebe zu Ihm, dem persönlichen Christus. Bewunderung seiner goldenen Worte, Begeisterung für sein heiliges Vorbild, Rührung durch sein unschuldiges, hehres Leiden das mögen zarte Anfänge sein, aber Jesus sucht mehr. Denn Er ist mehr als ein Prophet, mehr als ein Heiliger, mehr als ein Märtyrer seines Berufsgehorsams. Bewunderung und Rührung kann man auch einem gestorbenen Christus zollen, aber Er sucht den Herzschlag der Liebe zu Ihm, dem Auferstandenen und Thronenden, dem persönlich Nahen, der uns je und je geliebt, der uns beim Vater vertritt, für uns lebt und in uns leben und wohnen will. Er sucht die Liebe der Blume, die an Ihm ihre Sonne hat, die Liebe des Schätzleins, das an Ihm seinen guten Hirten hat, die Liebe des verlorenen Sohnes, der an Ihm seinen Retter hat, die Liebe der Brautseele, die an Ihm ihr Herz und Haupt hat. Da siehst du, dass die Liebe, die Er sucht, nicht jene allgemein menschliche Liebe ist, wie sie ein edler Mensch allem Wahren, Guten und Schönen entgegenträgt, sondern es ist die Liebe, die in dem Glauben wurzelt, „dass Jesus Christus sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teuren Blut, mit seinem unschuldigen bitteren Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei.“ Nur aus diesem Glauben wächst die Liebe, die das weinende Herz an sein großes hohepriesterliches Herz schmiegt, die ohne Jesus nicht leben und nicht sterben kann, für die Er unentbehrlich geworden ist für Zeit und Ewigkeit. Mit Recht sagt ein frommer Gottesgelehrter: „Ach, vieler Menschen Christentum ist eine Religion ohne Christus, ohne lebendige Kraft, ohne eine Person, ohne lebendige Liebe, dürre Glaubenssäte, eine Schulfache. Wer Jesus Christus nicht lieb hat, wem nicht bei seinem Namen stärker und mächtiger das Herz schlägt, wem es nicht manchmal ist, als müsse er zu seinen Füßen hinsinken und ihm mit voller Seele danken für seine Erlösung durch sein Blut der ist kein Christ und wenn sein Leben wäre wie das Leben eines Heiligen.“ Darauf will es hinaus, dass, wenn der Herr fragt: Simon Johanna, hast du mich lieb?“ die Antwort zurücktönt: „Herr, Du weißt alle Dinge, Du weißt, dass ich Dich lieb habe.“ Kannst du so antworten? Das ist die Frage des Herrn an dich vom Throne der Majestät. Treten wir der Frage näher.
Was meint denn der Herr mit seiner Frage nach der ersten Liebe? Ach, dies Wort ist viel missverstanden worden in der Welt, missverstanden im geistlichen Sinne, als bilde die sogenannte erste Liebe einen besonderen Abschnitt, ein abgeschlossenes Kapitel in jedem Christenleben; missverstanden und missdeutet sogar bis herab ins kreatürliche Leben, als bilde die sogenannte erste irdische Liebe ein unantastbares Heiligtum, das ein Mensch verwahrt halten müsse, auch wenn es sich als eitel Täuschung erwiesen, nach jener Stimmung des Dichters: „Des Lebens Mai blüht Einmal und nicht wieder, mir hat er abgeblüht.“ Ich sage: Der Missverstand dieses Wortes von der sogenannten ersten Liebe im geistlichen wie im kreatürlichen Sinne hat geradezu verhängnisvoll und verheerend gewirkt in vieler Menschen Leben, in vielen Ehen, in vielen einsamen Kammern. Unser Text besagt das gerade Gegenteil von jenem Missverstand; denn der Herr will sagen: „Ich habe wider dich, dass du deine Liebe, die du früher zu mir hattest, verlässt.“ Also ist die sogenannte erste Liebe nicht ein abgeschlossener Zustand, sondern im Gegenteil: die Liebe des Anfangs soll bleiben, soll treiben, soll wachsen zur Liebe der Vollendung. Jeder Rückgang, jede Abnahme ist strafbar in Jesu Augen. Ephesus, sein Bischof und die Gemeinde, haben einst brünstiger geliebt als jetzt, und darüber klagt der Herr so wehmütig und ernst vom Throne seiner Majestät, und darüber fragt er auch uns.
Wird der Herr zu unserm deutschen Volke sagen: Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt? War's nicht wie erste Liebe, als das Evangelium zu unsern Vätern erscholl und alles Volk sich scharte um das Wort vom Kreuz; als Kreuz und Rose, wie unsere gotischen Dome, so auch das ganze germanische Leben durchdrang und gestaltete? War's nicht wie erste Liebe, als die Reformation uns frei machte von dem Joch des Papsttums und die Predigt des Evangeliums und die Lieder von Christo in Kirche und Haus erschollen? War's nicht wie erste Liebe, als nach den Tagen des Napoleonischen Joches das Glaubensleben neu erwachte und die Harfen von Babels Weiden genommen wurden und die Stimme der Turteltaube sich hören ließ im Lande und ein Regen und Bewegen entstand auf dem Wege nach Zion? Wird nicht der Herr sagen: Ich habe wider dich, du deutsches Volk, dass du die erste Liebe verlässt?
Und was wird er sagen zu unserer Gemeinde? Wenn ich unsere Stadtkirche ansehe, so hat es eine Zeit gegeben, wo jeder Winkel zum Kirchenstuhl gemacht wurde, und heute ist die halbe Kirche leer und viele Stühle unbesetzt. Wenn ich in den schönen Chor blicke, wo sich die alten Herzöge in ihren Standbildern kniend abbilden ließen, so frage ich: Wie viele Beamte und Räte, wie viele Edelleute und Bürger, wie viele Handwerker und Arbeiter beugen in unserer Gemeinde noch ihre Knie vor Christo, dem Gekreuzigten? Wird der Herr nicht sagen: Du Gemeinde Celle, ich habe wider dich, dass du die frühere Liebe verlässt?
Endlich ergeht aber die Frage an jeden Einzelnen. Es will einen manchmal dünken, als gehe ein kalter, erkältender Zug durch die Welt, nach dem Worte des Herrn: „Dieweil die Ungerechtigkeit überhand nimmt, wird die Liebe in Vielen erkalten.“
Wer ist unter uns, der von sich sagen wollte, dass sein geistliches Leben in ununterbrochener Folge, ohne alle Schwankung, ohne Stillstand und Rückgang, ohne Ermatten und Müdewerden sich entwickelt hätte? Wird aber dein Gewissen getroffen von der wehmütigen Klage: „Ich habe wider dich, dass du die frühere Liebe verlässt,“ so höre nun auch die Stimme seiner flehentlichen Bitte vom Throne seiner Majestät.
II.
„Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke.“ Es ist etwas Großes, dass es im Reiche Christi eine Umkehr gibt, eine Erneuerung im Geiste unseres Gemüts, weil Gottes Gnade alle Morgen neu ist und neu macht. Es ist etwas Großes, dass der Herr auch einem Solchen, der die frühere Liebe verlassen hat, nicht aufgibt oder wegwirft, sondern in großer Geduld und Erbarmung zu retten und zu erneuern sucht. Es ist etwas Großes, dass in Christo neue Anfänge möglich sind, so lange es heute heißt. Der Herr, der unsere Umkehr will, zeigt uns auch den Weg durch seine flehentliche Bitte. „Gedenke, wovon du gefallen bist,“ hebt er an und will, dass wir unser Leben durchgehen und uns prüfen, ob darin Zeiten waren, wo wir Ihn tiefer geliebt. Soll ich dich erinnern an die Wochen des Unterrichts und an den Tag der Konfirmation und fragen: Bist du später zum Abendmahl gekommen mit der gleichen Selbstprüfung, mit der Hingebung des Herzens, mit dem heiligen Gelübde, wie da du zum ersten Mal zum Altar tratest? Oder soll ich Andere erinnern an die Tage, wo die Sonne des Evangeliums mit ihren Strahlen in die Nebel ihrer Seele drang wie lichte Morgenröte, wo die hehre holdselige Gestalt deines Heilandes vor dir stand und du den Saum seines Kleides ergriffst und es inne wurdest, dass eine Kraft von Ihm ausging und Er dir die Hand aufs Haupt legte und sprach: deine Sünden sind dir vergeben,“ wie Paulus seine Galater erinnert: Wie wart ihr dazumal so selig!“ Oder soll ich euch erinnern an Zeiten, wo ihr fleißiger in Gottes Wort geforscht, brünstiger zu Ihm gebetet, ernstlicher gegen die Sünde gekämpft habt? wo ihr sangt:
Ach, dass ich dich so spät erkennt,
Du hochgelobte Schönheit du,
Und dich nicht eher mein genennet,
Du schönstes Licht und wahre Ruh!
wo der warme Strom der Liebe zu Jesu euer Herz erfüllte und herausfloss in warmer Liebe zu den Brüdern; wo ihr tausend Leben hingegeben hättet für Ihn, der für euch starb; wo die Gebetsstille den ganzen Menschen durchdrang und, wenn ihr aus eurem Gebetskämmerlein tratet, es draußen über eurer Berufsarbeit lag wie Tau Gottes auf dem Felde. Sagt an, ist's euch noch heute so wie einst, ja mehr denn früher? Oder musst du seufzen: „O, dass ich wäre wie zur Zeit meiner Jugend, da das Geheimnis Gottes über meiner Hütte war!“ Dann höre auf die Stimme seiner flehentlichen Bitte: „Gedenke, wovon du gefallen bist;“ höre auf die Stimme der verschmähten Liebe: „Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beleidigt? Antworte mir.“ Bin ich nicht Jesus Christus, gestern und heute und derselbe in Ewigkeit und du, der du einst zu meinen Füßen saßt, hast mich stehen lassen und bist von mir gegangen nach den Dingen dieser Erde? Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beleidigt? Antworte mir. Habe ich doch meine Liebe zu dir nicht verlassen, sondern dich je und je geliebt und dich zu mir gezogen aus lauter Güte und du hast mit kühlem Wesen und mit halbem Herzen gedankt deinem Heiland?
Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße, fährt der Herr fort in seiner flehentlichen Bitte. Buße ist freilich ein Wort, welches das Geschlecht unserer Tage nicht gern hört, und doch ist es nach dem Rate Dessen, der da spricht: „Ich bin der Herr dein Arzt,“ das Einzige, was uns retten kann. Buße ist aber nicht etwa nur ein flüchtiges Bedauern unserer Schwachheit, auch nicht jenes unvermeidliche Eingestehen unserer Mängel, auch nicht etwa jene Öde und Leere, wie sie auf jede Sünde folgt, sondern Buße tun heißt: seinen Sinn ändern, anders werden, heißt brechen mit der Sünde in ihren Gestalten und in ihren Wurzeln. Buße ist der Krieg mit der Sünde, den wir nicht führen können ohne den Frieden mit Gott, ohne den Bund mit Ihm, ohne den Glauben an Christum. Wahre Buße flieht von der Schuld der Sünde zu der Vergebung der Sünde im Glauben an Christum den Mittler, und von der täglichen Vergebung der Sünde schreitet sie in den täglichen Kampf mit der Sünde. Das ist die Sinnesänderung und neue Gesinnung: Weg von der Sünde und hin zu Christo, der allein zum Sieger und Überwinder macht.
„Tue Buße und tue die ersten Werke.“ Worin du früher treuer gewesen, das lass erneuert werden in dir durch Gottes Geist, nicht etwa nur im Gefühl, sondern vor Allem im Willen, in der Tat und in der Wahrheit. Denn die Gefühle wechseln. Mag der Frühling mit seinem Knospen und Blühen unserm Auge schöner erscheinen, mag das Hervorbrechen des jungen Lebens in seiner Maischöne gegenüber dem starren Winter zuvor seinen besonderen Reiz haben die Blüten fallen, aber sie gewinnen Gestalt in der Frucht, die der heiße Sommer zeitigt. Mag die Kindheit mit ihrer heitern Stirn, mit ihrem sorglosen Blick in den blauen Himmel, mit dem harmlosen Spiel in wonniger Freude unserm Auge lieblicher dünken das Spiel verstummt, aber der Kindessinn will zum Mannessinn sich entfalten in angestrengter Arbeit und will Früchte reifen im Ernst des Lebens. So ist's auch im geistlichen Leben: das Frühlingsgefühl eines neuen Lebens in Christo weicht und die Kindheitsgestalt ändert sich; aber das Wesen muss bleiben, ja das Wesen gewinnt erst seine rechte Gestalt in der Frucht denn die Frucht enthält den ganzen Baum, enthält den Samen zu neuen Bäumen. Darum sagt der Herr: Tue Buße und tue die ersten Werke.“ Denn Buße ist nicht ein bloßes Gefühl, so wenig als Glaube oder Liebe ein bloßes Gefühl sind, sondern sie ist zugleich ein Wollen und Wirken, vom heiligen Geist gewollt und gewirkt in unserm tiefsten Gewissen.
Wer diesem Rate folgt, dem gibt der Herr zum Schluss die herrliche Verheißung: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradiese Gottes ist.“ Auch aus Solchen, welche die erste Liebe verlassen haben, will Er noch Überwinder machen, wenn sie nur umkehren und Buße tun, und dazu lockt er durch den Ausblick auf den Baum des Lebens im Paradiese. Adam hatte die erste Liebe verlassen, als er vom verbotenen Baum gegessen, so war ihm nur die Frucht vom Baum des Todes geblieben. Christus ist gekommen und ist am Baume des Todes, am Baume des Kreuzes für uns gestorben und hat dadurch für uns wieder freigemacht den Weg zum Baume des Lebens. Es bleibt merkwürdig, dass das Wort Paradies nur dreimal vorkommt in der ganzen heiligen Schrift: zuerst in der Schöpfungsgeschichte, wo Gott dem ersten Menschenpaare das Paradies gab zur Stätte ihrer Wohnung vor ihm. Aber es kam die Sünde und mit ihr der Fluch und das Heimweh nach dem verlorenen Paradiese. Erst in der Fülle der Zeiten auf Golgatha, als Christus erworben, was Adam verdorben, da wacht nach Jahrtausenden der süße Name wieder auf, als der Herr zum Schächer sprach: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Und zum dritten Mal ertönt das Wort in unserem Text als selige Verheißung an die Überwinder: Dem will ich geben vom Holz des Lebens, das im Paradiese Gottes ist. So wissen Schöpfung, Erlösung und Vollendung zu sagen vom Paradiese, von den Liebesgedanken Gottes mit seiner Menschheit, da Er unter ihnen wohnen und wandeln will und da sie essen sollen vom Baum des Lebens, welcher ist Jesus Christus selbst, gleichwie Er auch der wahre Baum der Erkenntnis und der Weg zu beiden für uns geworden ist, da Er spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Wer Ohren hat zu hören, der höre die flehentliche Bitte Jesu Christi vom Thron seiner Majestät. Gehe heraus und tritt auf den Berg vor dem Herrn. Lass den Sturmwind und Erdbeben und Feuer des Gesetzes dir sagen, wer du bist, und lass das sanfte stille Saufen des Evangeliums dir predigen, wer Er ist. So wirst du dein Antlitz vor Ihm verhüllen in tiefer Anbetung mit dem Kyrie eleison auf den Lippen: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht;“ aber auch mit dem Gloria in excelsis im Herzen: Wo ist solch ein Gott, wie du, Gott, bist, der da Sünde vergibt und die Missetat nicht behält dem Übrigen seines Erbteils!“ Und aus solchem Kyrie und Gloria wird die Liebe immer wieder neu, die Liebe zu Jesu und die Liebe zu den Brüdern und soll Teil haben an der Verheißung in Sankt Pauli hohem Liede: „Die Liebe hört nimmer auf.“ Amen.