Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - III. Geheiligt werde dein Name.
Die Gnade unsers Herrn und Heilands Jesu Christi und die Liebe Gottes des Naters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.
Text: Luc. 11 Vers 3.
„Geheiligt werde dein Name.“
In Christo geliebte Gemeinde!
Der selige Bischof Spangenberg aus der Brüdergemeinde, sagt vom Vaterunser: „Es ist ein Spiegel der Herrlichkeit unseres Gottes. Wir werden in diesem Bethause mit Gottes ganzer Hofhaltung bekannt. Der Herr zeigt uns in diesem Bethause alle seine Gnaden schätze, indem er uns gleichsam von einem Gemach ins andere führt. Mit dem „Vaterunser in dem Himmel“ erlaubt er uns den Eintritt. Mit der ersten Bitte: „Geheiligt werde dein Name“ führt er uns in seine Schloßkirche ein. Da stehen die Seraphim und decken ihr Angesicht und ihre Füße mit ihren Flügeln und singen das „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth!“ und alle Ueberwinder stimmen ein. Die Schwellen beben, der Rauch erfüllt den Tempel, da tönen die Lieder im höhern Chor zum Preise seines allerheiligsten Namens.
Mit der zweiten Bitte: „Dein Reich komme!“ führt er uns in seinen Thronsaal. Da sitzet er auf dem Thron und zu Seiner Rechten sein lieber Sohn. Seinen Scepter voller Kraft und Gerechtigkeit küssen seine Diener, die seines Winkes gewärtig stehen. Winde und Feuerflammen sind um seinen Thron her, von dem er bis ans Ende der Welt schauet, und sein gnädig Ohr allen seinen Unterthanen verleiht, die ihre Bittschriften in Fürbitte und Gebet niederlegen. Mit der dritten Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden“ führt er uns in seine geheime Kanzlei. Da schreibt er sein Gesetz und läßt es ausgehen im Himmel und auf Erden. Da gebietet Er den Sternen, Wolken und Winden und den Menschenherzen. Da bricht er allen bösen Rath und Willen, der sich wider ihn auflehnt. Mit der Bitte: „Unser täglich Brod gib uns heute“ führt Er uns in sein großes Provianthaus. Da ist aller Vorrath aufgehäuft, daraus er die Sperlinge unter dem Himmel und den Menschen nährt. Daraus lässet er Regen und Sonnenschein, Samen und Ernte, Frost und Hitze zu seiner Zeit hervor gehen. Dort thut er seine Hand auf und sättiget Alles was da lebet mit Wohlgefallen. Mit der fünften Bitte: „Vergib uns unsre Schulden, wie wir vergeben unsern Schuldigern“ - klopfen wir an seine große Zins- und Rentenkammer. Drin liegen unsre großen Schuldbriefe, alle Versündigungen an seinem heiligen Gesetze; aber auch alle getilgte Schuld und alle zerrissenen Zettel, die wir nicht bezahlen konnten und die Handschriften, so wider uns waren. Mit der Bitte: „Führe uns nicht in Versuchung“ führet er uns in sein gewaltiges Zeughaus und seine Waffenkammer. Drin liegen alle Waffen zum schweren Kampf und Streit, zur Besiegung des alten bösen Feindes. Der Helm des Heils, der Schild des Glaubens, das Schwert des Geistes, der Panzer der Gerechtigkeit. In der letzten Bitte: „Erlöse uns von dem Uebel“ treten wir ein in sein schönes Paradies, wo er abwischen wird alle Thränen von unsern Angesichtern, und der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid noch Geschrei noch Schmerzen mehr sein werden, denn das Erste ist vergangen. Und zuversichtlich dürfen wir zugreifen: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Wer diese Schätze gesehen und von ihnen etwas erfahren, der ruft! „Ja wahrlich! Amen! Du hast ein reiches Haus, lieber himmlischer Vater!“
Für heute wollen wir nun in seine Schloßkirche gehen mit der ersten Bitte „Geheiligt werde dein Name.“ Das ist die heilige Bitte im Vaterunser. Ziehen wir unsere Schuhe aus, ehe wir eintreten, denn der Ort, wo wir aufstehen, ist heiliges Land. Lasset uns versuchen in die Tiefe dieser Bitte zu dringen, in dem wir beten: Geheiligt werde dein Name!
Wir sagen:
- Gottes Name ist zwar an sich selbst heilig.
- Wir bitten in diesem Gebet, daß er auch bei uns heilig werde!
Heiliger Vater! Wir unterwinden uns von Dir und Deinem heiligen Namen zu reden, wiewohl wir Staub und Asche sind. Entsündige darum unsere Herzen und Lippen und heilige uns in Deiner Wahrheit. Offenbare uns deinen heiligen Namen! Versenke unsere Seelen in dieser Stunde in das Anschauen deiner geoffenbarten Herrlichkeit. Heilige deinen Namen in unsern Lippen, in unserm ganzen Wandel, auf daß wir etwas seien zum Lobe deines heiligen Namens, bis wir einst den neuen Namen tragen werden und dir mit allen Auserwählten an dem Throne singen: Heilig ist der Herr Gott Zebaoth! alle Lande sind seiner Ehre voll! Amen. -
l. Gottes Name ist an sich selbst heilig.
Geliebte Gemeinde! Unser Catechismus erklärt mit Luther's Worten den Sinn dieser Bitte also: „Gottes Name ist zwar an ihm selbst heilig, aber wir bitten in diesem Gebet, daß er auch bei uns heilig werde.“ Wer einmal das „Vater unser in dem Himmel“ recht gebetet, und sich besonders damit in sein Kindesrecht und in seine Kindespflicht gegen diesen himmlischen Vater hineingebetet hat, dem ist's eine hohe Freude und Wonne, daß er gleich beten darf: „Geheiliget werde dein Name.“ Denn das ist eines lieben Kindes Pflicht und Freude, nichts sehnlicher zu wünschen, als daß sein Vater recht geehrt und gepriesen werde. Das Kind hat gerufen: „Unser Vater“; wie aber, wenn sein Vater ihm antworten müßte, wie dort beim Propheten: „Bin ich ein Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wer fürchtet mich?“ Drum gibt ihm der Herr die erste, rechte Bitte selbst in den Mund, damit es solchem gerechten Vorwurfe seines Vaters entgehe. Denn gestehen wir es uns offen und ehrlich: Wir hätten nicht also angefangen zu bitten. Unser armes Ich wäre zuerst drangekommen mit seinem eigenen Namen, seiner eigenen Ehre, seinem eigenen Willen; oder hätte mit dem täglichen Brode angefangen, oder die letzte Bitte „Erlöse uns von dem Uebel“ lieber gleich am Anfang gesagt, und etwa so hintennach wäre auch der liebe Gott mit seinem Namen, seinem Reich und Willen gekommen. Darum treten wir mit dieser ersten Bitte dem alten Menschen recht herzhaft auf den Kopf und beten ihn hinunter und heißen ihn schweigen vor der Herrlichkeit des Herrn, dessen Name vor Allen geheiligt werden soll, und stimmen ein in den Psalm: Nicht uns Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre!
Geheiligt werde dein Name! damit sollen wir anfangen in unseren Bitten. Es muß doch etwas Großes um den Namen Gottes sein, lieben Freunde, daß der Herr gleich im zweiten Gebote spricht: Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht mißbrauchen,„ und hier im Gebete zuerst um die Heiligung dieses Namens bittet, daß so oft und viel die heiligen Männer Gottes vom „Namen“ Gottes reden. Da betet David: „Erhalte mein Herz bei dem Einen, daß ich deinen Namen fürchte“, und Hiob spricht beim schweren Kreuz: „Der Name des Herrn sei gelobt.“ Den „Namen“ des Herrn nennt Salomo ein festes Schloß, darin der Gerechte errettet wird, und der Herr unser Heiland spricht von ihm: „Ich habe deinen Namen geoffenbaret den Menschen.“ Es muß mit diesem Namen darum etwas Anderes sein, denn um einen Menschennamen, der in den meisten Fällen nichts bedeutet und mit dem nichts zu schaffen hat, der ihn gerade trägt. Ja es ist anders im Reiche des Herrn. Da hat schon der Name, den der Herr einem Menschen gibt, eine tiefe Bedeutung; da will der Name sagen wie dieser Mensch nicht nur heißen, sondern was er sein soll. Wenn Gott den Namen des Abram umändert in den Namen Abraham, indem er ihm sagt: Du sollst nicht mehr Abram heißen, sondern Abraham (das heißt Vater der Menge) - will er ihm nicht in diesem Namen ein Unterpfand geben, daß er herrliche Dinge mit ihm vorhat und er wirklich ein Vater der Menge werden soll? Wenn Jakob den Namen Israel, das heißt „Gotteskämpfer“ bekommt, steht dir da nicht vor der Seele der Erzvater, der bisher der „Ueberlistende“ hieß, nun aber diesen Sündennamen ablegt, dessen alter Mensch im Ringen mit Gott gebrochen wird und darum wirklich ein Gotteskämpfer sein und werden soll? Wenn Simon, Jonas Sohn, den Namen Petrus, das heißt „Felsenmann“ erhält, soll ihm dieser Name nicht sagen, nicht allein wie er heißen, sondern was er sein soll? Daß dieser bald trotzige und bald so verzagte Mann sich immermehr in seinen geistlichen Namen hineinleben und ringen und ein Felsenmann werden müsse? Noch Einen aber weiß ich, deß Name und Wesen einen Klang gibt, der ewiglich ist, was Er heißt: das ist Jesus, das heißt „Seligmacher.“ Das weißt Du ja, liebe Seele, aus Erfahrung, daß er nicht nur Jesus heißt, sondern deiner Seele ein Jesus ist, der sie selig macht von ihren Sünden.
Wenn nun so schon die Namen, die Gott Andern gibt, mit ihrem Wesen übereinstimmen und eine tiefe Bedeutung haben, wie viel mehr Sein heiliger Name? Aber wer kann den Namen Gottes nennen? Wer kennet ihn? Keine Weisheit kann ihn ergründen und keine Zunge ihn nennen. „Wie heißt er und wie heißt sein Sohn? Weißt du das?“ so fragt in erhabenem Tone des Herrn Wort, und siehe, alle Welt verstummt. Seine Allgegenwart und die Ahnung von ihm erfüllt alle Lande: „Er ist allbekannt und doch so unbekannt!“ Wenn er sich nicht selbst nennte, wir hätten an ihm nichts, als den großen Unbekannten, der über'm Sternenzelte thront.
Aber Ihm sei ewig Lob und Dank! Er hat sich geoffenbart und seinen Namen genannt. Denn Name und Offenbarung sind hier gleich bedeutend. An seinem Namen kennst du ihn, mit seinem Namen rufst du Ihn an, mit seinem Namen öffnet Er dir den Blick in sein Wesen. Blicke hinaus - ist nicht die ganze Schöpfung solch ein großer Name, eine große Offenbarung deines Gottes? Jedes Geschöpf nennt Ihn, lauter oder stiller, allmächtig, weise und gütig. Erzählen nicht die Himmel die Ehre Gottes und verkündiget nicht die Veste seiner Hände Werk? Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen! sind nicht Himmel und Erde Seiner Ehre, seines heiligen Namens voll? In dein Gewissen hinein, du Menschenkind, hat Er seinen Namen geschrieben; da nennt Er sich dir mit jedem Schlage deines pochenden Herzens: gerecht und allgegenwärtig, einen heiligen Richter. Aber über dem Geschöpfe haben wir den Schöpfer hochgelobt in Ewigkeit verloren; dunkel und unverständlich, wie jene heidnische Priesterin, redet die Schöpfung, diese herrliche Priesterin unseres Gottes zu unserem tauben Ohre vom Namen des Herrn. Und den rechten Namen deines Gottes im Gewissen, Wie hast du ihn versucht zu verwischen, ihm die ernsten Züge zu nehmen! Dein sündig Herz und Gewissen hat sich einen Gott mit andern Namen gemacht, vor denen du nicht erschrickst und nicht erbebst. Darum hat er dir in klarer, deutlicher Schrift seinen Namen vor deine Augen geschrieben in einer unverwischbaren, ewigen Offenbarung, die da bleibt, wenn Himmel und Erde, wenn alle andern Offenbarungen Gottes längst aufgehört haben zu reden.
Diese gewaltige Offenbarung, die der Schlüssel ist, um die verloren gegangenen Namen Gottes in der Schöpfung und im Gewissen wieder zu verstehen, ist das geredete und geschriebene Wort des Herrn. Vom Anfang bis zum Ende ist es eine große, herrliche Offenbarung, ein großer Name Gottes, darinnen Er sich dem suchenden Menschen nennt. Wie öffnet sich uns da sein Wesen und sein Herz! wie durch tausend offene Thüren schauen wir hinab in Ihn, können nur staunen und anbeten! Da nennt Er sich dir, der du von Gestern und Ehegestern, der du Staub und Asche bist, den Ewigen - Jehovah, „Ich werde sein, der ich sein werde,“ Deine Zuflucht für und für. Daß du es wissest, wer es sei, der Himmel und Erde gemacht und erhält, nennt Er sich den Allmächtigen, der im Himmel ist und schaffen kann, was Er will. Daß unser matt Gewissen inne werde, mit wem wir es zu thun haben, klingt sein Name durch Mark und Bein gehend: Ein starker, eifriger Gott - ein verzehrend Feuer! Aber süß und holdselig will Er sich dir auch nennen, auf daß deine müde Seele sich an Ihm erquicke. Darum nennt er sich: Barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue, der König Israels und sein Erlöser - einen Hirten, einen Freund, Sonne und Schild, dein sehr großer Lohn, ja mit dem süßesten Namen nennt er sich dir: Er nennt sich deinen „Vater.“ Ja des Herrn Name ist eine ausgeschüttete Salbe, unsre verwundete Seele genest daran.
Aber noch mehr als das hat Er gethan. Nicht allein in die vom Geist geredeten und geschriebenen Worte hat Er seinen Namen niedergelegt, in unserm armen sündlichen Fleische hat Er seinen Namen mit leibhaftiger Schrift geoffenbart. Seele, kennst du den, der da spricht: Wer mich stehet, der siehet den Vater? Kennst du seine größte Offenbarung, das Ebenbild seines Wesens, den Abglanz seiner Herrlichkeit? Kennst du den, „in dem Sein Name ist?“ Er heißet Jesus; das ist der herrlichste Name unseres Gottes. Darin lieget all seine Liebe, all sein Erbarmen, all seine Friedensgedanken, all seine Verheißungen von Anbeginn, Alles was ein Menschenherz selig machen kann.
Soll ich aber all' diese Namen unseres Gottes in einen drängen, in einen, in dem sich alle Macht, aller Ernst, alle Gerechtigkeit, aber auch alle Liebe und alles Erbarmen drängt, so ist's der Name „heilig“! Als den Heiligen hat Er sich geoffenbart, heilig in seinen Gerichten, heilig in seiner Liebe. Als den Heiligen in seinem Ernste auf Sinai in seinen Geboten, als den Heiligen in seiner Liebe zu den Sündern auf Golgatha, durch sein Evangelium. Ja! heilig und hehr, das ist Sein Name! Gerechtigkeit und Gericht ist seines Stuhles Festung, Heiligkeit ist die Zierde seines Hauses ewiglich! Schauernd Vor seiner Heiligkeit bedecken die heiligen Engel und Seraphine ihr Antlitz und singen Ihm heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth! Heilig ist der Name Gottes in der Creatur! Heilig ist sein Name in der Schrift! Heilig ist, von den Sündern abgesondert und höher denn der Himmel ist, Er, der einen Namen über alle Namen trägt, Jesus Christus hochgelobt in Ewigkeit!
Wir machen seinen heiligen Namen nicht erst heilig durch unsere sündigen Lippen, deren Er nicht bedarf, wir rauben seinem heiligen Namen nichts, wenn wir ihn entweihen. Wer diesen Namen spottet, wer nach ihm zielt ihn zu beflecken, der ist wie der, der nach der hohen glänzenden Sonne mit Staub und Koth wirft - die Sonne wird er nicht treffen, die in unantastbarer Ferne über ihm scheint, aber auf sein Haupt wird Staub und Koth wiederum niedersinken. Allem Frevel zum Trotz und allem armen Lob des Menschen zur Demüthigung bleibt wahr das Wort: Gottes Name ist an ihm selber heilig!
Aber, du Menschenkind, was hättest du, was hülfe dich solche Erkenntniß, daß deines Gottes Name heilig ist und bleibt, wenn er nicht von dir geheiligt und du nicht durch ihn geheiligt wirst? Was nützen dich diese theuern Schätze, wie sie im Namen Gottes liegen, wenn sie nicht dein werden in seligem Genuß und seligem Gebrauch? Darum aus deinem tiefsten Bedürfniß, aus deiner Seele heraus betet der Herr:
II. Geheiliget weide dein Name,
und wir sprechen: Wir bitten in diesem Gebet, daß er auch bei uns heilig werde. Droben ist er heilig und als Ihre Wonne und Freude begehren die himmlischen Geister nichts sehnlicher, als seinen Namen zu erhöhen; in wunderbarem Wechselgesange rufen sie sich zu: „Kommt, laßt uns den Namen unseres Gottes erhöhen!“ Aber bei uns auf Erden? Wird er da geheiligt? Ist es des Menschen Lust und Freude, Gottes Name zu heiligen, oder hat nicht Luther Recht, wenn er sagt: „So wir bitten, daß sein Name soll in uns geheiligt werden, folget daneben, daß er noch nicht heilig ist in uns; denn wäre er heilig, so dürften wir nicht darum bitten. Daraus denn weiter folgt, daß weil wir leben, so schänden, lästern, verunehren, verunheiligen wir Gottes Namen und bezeugen mit unserm eigenen Gebet und Mund, daß wir Gotteslästerer sind, und in diesem Leben nimmermehr ihn vollkommen heiligen. Nun weiß ich in der ganzen Schrift keine Lehre, die mächtiger und mehr schmähte und vernichtete unser Leben, als dies Gebet: Geheiligt werde dein Name!“ Ja diese Bitte wird uns zur ernsten Gewissensfrage, wird zum ernsten Spiegel, der unserm innern Leben vorgehalten wird. Damit das Gericht an dem Hause Gottes beginne, will ich Euch fragen, die Ihr betet und des Herrn Name kennt, ist diese Bitte euch wahrhaftig die erste? Ist's euer innigstes Anliegen, daß Gottes Name geheiligt werde? Ach, wir merken schon daran, wie lautlos, wie ohne innere Bewegung gerade diese Bitte gebetet wird. Ich habe schon herzlich flehende Augen gesehen bei der Bitte: „Unser täglich Brod gib uns heute“, schon thränende Angesichter bei dem Worte: „Vergib uns unsre Schulden,“ und nach dem Paradiese seufzende Herzen und Lippen bei der Bitte: „Erlöse uns von dem Uebel,“ aber noch wenig flammende Angesichter um des Herrn Haus und Ehre, noch wenig leuchtende, bittende Augen, noch wenig eifernde Herzen bei der Bitte: „Geheiligt werde dein Name!“ Sie geht meist ungebetet, unverstanden, pflichtmäßig über die Lippen, recht als wollte der Beter damit sagen: „Was hab ich davon?“ So aber das geschieht am grünen Holz, was will am dürren werden? Wenn vielen Christen diese Bitte nicht zur heiligsten geworden, was soll sie denen sein, denen die göttlichen Dinge die „große Nebensache“ im Leben sind? Daß sie da nicht gebetet wird, das verstehe ich, ja noch mehr - daß man sich über sie ärgert und sie haßt. Laßt mich von denen schweigen, die Gottes Namen entheiligen, indem sie bei seinem Namen fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen und mit Gottes Namen thun, was sie mit keinem geringsten Menschennamen thun, und ihn mit Füßen treten - ich vermag Ihrer nur fürbittend zu gedenken in dieser Stunde, - ihr Gericht ist nicht hier, sondern an Sinai vor dem Herrn, der der Väter Missethat heimsucht an den Kindern bis in's dritte und vierte Glied, derer die ihn hassen. - Nein, sie beten diese Bitte nicht, denn es müßte sie in der Seele dabei brennen, daß aus ihrem Munde Gift und Honig, bitter und süß zugleich fließt.
Anderer laßt mich gedenken. Was soll diese Bitte in dem Munde dessen, dem es gleichgiltig ist, welche Vorstellung der Mensch von seinem Gott hege, welchen Namen er Ihm gebe, ob Natur, ob Geist, ob Zufall oder deß Etwas, die mit der erlogenen, wohlfeilen Weisheit so vornehm einhergehn: „Rechtthun sei die beste Religion,“ und in großer Weitherzigkeit Juden, Türken und Hottentotten mit brüderlichem Kuß begrüßen und für eine heilige, allgemeine Kirche der Menschlichkeit, worin jeder glaubt, was er will und mag, andächtig begeistert sind? Ist's nicht eine armselige Weisheit, die die Früchte des Baumes lobt, den Baum aber als unnütz zersägt und verbrennt? Läßt sich denn Glaube und Werk, Wurzel und Frucht trennen? Denn was ein Mensch wahrhaft glaubt, das lebt er, sei's in gutem oder schlimmem Sinne. Berufst du dich aber, wenn du zu solchen gehörst, auf Petri Wort zu Cornelius dem Heiden: „Wer Gott fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm!“ dann erlaube mir nur die Gegenfrage: Warum hat er ihn darnach doch getauft, wenn sein Rechtthun genug war? warum hat er ihn nicht beruhigt und gesagt: Bleibe immerhin ein Heide! wenn es gleichgültig ist, was ein Mensch von seinem Gotte glaubt? O Weisheit der Menschen, wie thöricht bist du! So verachtet die Lauheit und Gleichgültigkeit diese erste heilige Bitte. Von den Lauen aber spricht der Herr: „Ich will sie ausspeien aus meinem Munde.“
Hilf Herr! Wie entheiligt ist dein Name unter uns! Wir haben gesagt, die Schöpfung sei ein heiliger Name Gottes. Aber wer findet ihn, wer suchet ihn? Wer durchforschet die Natur, wer steigt in die Tiefe ihrer Wissenschaft hinab, um aus ihren Tiefen ein neues Loblied Seines Namens zu bringen, einen neuen Edelstein in des Schöpfers heilige Krone zu setzen? Ja die Himmel sind heutigen Tages dazu da, damit sie des armen Menschen Ehre erzählen, und die Lande, damit sie seines Ruhmes voll werden. Nicht um Gott, aber um sich einen Namen zu machen, durchwandert Einer eine ganze Welt, für den Namen Gottes hebt er keinen Strohhalm auf. Das Geschlecht jener großen Geister und Forscher, die wie Newton den Hut abzogen beim Namen Gottes und deren Werke mit dem Worte schlossen: „Gott allein die Ehr'“ ist am Aussterben und wo heutzutage noch Einer übrig geblieben wäre, ein Prophet Gottes unter Baalspriestern wie Elias, der hat für den Spott nicht Sorge zu tragen.
Jener herzergreifende Name Gottes in der Schrift, wie steht es um ihn? Wer forschet und suchet nach ihm? Wer lieset in der Schrift mit der sehnlichen Bitte: „Laß dich finden! laß dich finden! Rede Herr, denn dein Knecht hört! Geheiligt werde dein Name?“ Die scharfe Lanze deines Witzes und Verstandes legst du gegen dasselbe ein, als gälte es ein Ritterspiel, und freust dich, wenn du irgendwo meinest eine Blöße zu treffen. Du wählest dir unter den Namen des Herrn, die dir gefallen, und die andern wirfst du unter den Tisch; du renkest wie in der Sage jener heidnische Riese seinem Gefangenen, dem Worte Gottes, die Glieder, bis es paßt in das Bett deines engen Verstandes und deines noch engeren Herzens. Wo es dir von Liebe und Güte predigt, da läßt du dir's gefallen, wo es redet von einem heiligen Ernste Gottes, da widert es dich an. Wer aber anders lehret und lebet, denn das Wort Gottes lehrt, der entheiligt unter uns den „Namen Gottes“, sagt unsere Erklärung. Wie viel ist des „Anders lehren denn das Wort Gottes lehrt“ unter uns geworden, in Kirchen und Hörsälen, Schulen und Häusern! Wie traulich hört sich's solch „anderer Lehre“ zu? In unserm Lande nicht fern von einander stehen in zwei Thälern zwei gewaltige Felsen, und der Volksmund nennt den einen die Teufelskanzel und den andern die Engelskanzel, und erzählt, daß auf der einen im lieblichen Thal der Teufel gepredigt mit süßem, schmeichelndem Wort, die Sprüche der Bibel verdreht und aller Herzen bezaubert, dieweil er aus Finsterniß Licht und aus Sauer Süß machte. Und Tausend und aber Tausende zogen heran und lauschten seinem Wort. Aber drüben im andern Thal da predigte der Engel. Der predigte scharf und ernst und nannte Finsterniß Finsterniß und Sauer Sauer - und dennoch wieder so lind und herzlich, aber ihn wollte Keiner hören. Die Sage ist alt, aber die Wahrheit darin ist immer neu, und die beiden Kanzeln triffst du in aller Welt, in allen Herzen und Häusern. Mein Christ, unter welcher stehst Du? Drehst und deutest du auch deines großen Gottes Wort, schreibst und sprichst seinen Namen anders, denn Er ihn geschrieben? O siehe, wie entheiligt ist sein Name unter uns! Ja ich frage, was ist bei vielen Tausenden von dem Jesus noch übrig geblieben, in dem Gottes Name erschienen? Haben sie ihn nicht auf's Neue gegeißelt, mit Schmach überdeckt, seiner königlichen Gotteswürde entkleidet, ihn herausgeführt wie Pilatus vor das Volk und gerufen: Sehet welch ein Mensch!
So wird uns diese Bitte unwillkührlich statt zur Bitte zur ernsten Bußpredigt. Und so soll es auch sein. Erst muß es dir ein rechter Ernst damit sein, daß doch Gott allem Mißbrauch, allem Entheiligen seines Namens bei dir steure und wehre, dann kannst du erst recht um das Geheiligtwerden desselben bitten. Denn wer nicht das Böse und Gottfeindliche von ganzem Herzen haßt, der kann auch das Gute und Himmlische nicht mit voller Seele lieben. So komme denn und bete mit mir:
„Geheiligt werde dein Name! Herr, Deine Erkenntniß werde allgemein auf dieser Erde und dein großer Name allen Menschen kund! Laß uns die Creatur eine Predigerin deines Namens werden, gib uns ein Auge, das allenthalben den Glanz, ein Ohr das überall den vollen Klang deines Namens aus der Schöpfung sieht und hört. Laß uns dich mit Psalmen preisen, von deiner Schöpfermacht die Lieder im höhern Chor singen, und einstimmen in das hohe Lied, das Himmel und Erde und die Morgensterne dir singen: Geheiligt werde dein Name! Ja Herr! Wo dein Wort lauter und rein gelehrt wird und wir auch heilig als die Kinder Gottes darnach leben, da wird dein Name geheiligt! Darum, laß dein Wort ausgehen mit Schaaren von Evangelisten, gib heilige Lippen, die es rein und lauter verkündigen, heilige Ohren, die es mit Sanftmuth hören, und heilige Herzen, die es aufnehmen, und heilige Hände, die es thun! Heilige uns, du heiliger Vater, in deiner Wahrheit, dein Wort ist ja die Wahrheit! Laß dein Wort unsers Herzens Trost in unserm Elend, unsers Fußes Leuchte, unser Lied im Hause unsrer Wallfahrt sein! Laß den theuern Jesusnamen, in dem unser Heil steht, kund werden denen, die in Finsterniß sitzen und in Schatten des Todes wandeln! Laß bald die Zeit kommen, wo deine Erkenntniß, du Heiliger und Wahrhaftiger, das Land bedecket wie die Wellen den Meeresgrund! Laß keinen sterben unter Jung und Alt, ehe er nicht gehört, daß er einen Heiland, einen Jesus habe, der ihn erlöst hat! Herr, dein Name sei auf den Lippen des Säuglings und im Munde des sterbenden Greises. Ja, dein Name werde geheiligt von uns!“
Aber mehr als das bittest du noch: Wozu hat Er dir seinen Namen gegeben, wozu hat Er dich beten gelehrt: Geheiligt werde dein Name? Seele, ahnest du, in was du dich hinein betest mit diesem Wort? Soll sein Name nur über dir sein, nur etwa von deinem Verstand als heilig anerkannt und von deinen Lippen als heilig bekannt werden? Ist's damit ausgebetet dies Gebet? Nein, nicht dir zum Heiligen allein, sondern zu deiner Heiligung hat Er ihn dir gegeben. „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig!“ spricht der Herr. Sein Name will in dir sein und ausstrahlen, auch von dir soll es heißen:
In meines Herzens Grunde
Dein Nam' und Kreuz allein
Funkelt all' Zeit und Stunde.
D'raus will ich fröhlich sein!
In Seinen Namen - in sein Wesen bist du getauft und hineingetaucht, als ein heiliger Keim ist er in dich gelegt worden, als eine Wunderblume will dieser Name auch aus dir heraus blühen und duften als eine ausgeschüttete Salbe. Hat der Name deines Herrn dich geheiligt, hat er alles Unheilige in dir verzehrt? bist du auch, was du heißest: ein Christ, ein gesalbtes Kind deines Gottes, bist du selbst, nicht etwa nur dein Mund, etwas geworden zum Lobe deines Gottes? Was nützts, wenn Gottes Name dir über die Lippen geht und darunter und im Herzen der Arge liegt? das mag er wohl leiden. Soll's auch von dir heißen:
Ihr nennet mich Meister und fraget mich nicht.
Ihr nennet mich Licht, und sehet mich nicht.
Ihr nennt mich den Weg, und gehet mich nicht.
Ihr nennt mich das Leben, und begehret mich nicht.
Ihr nennet mich weise und folget mir nicht.
Ihr nennet mich schön und liebet mich nicht.
Ihr nennet mich reich und bittet mich nicht.
Ihr nennet mich ewig und suchet mich nicht.
Ihr nennet mich edel und dienet mir nicht.
Ihr nennt mich barmherzig und trauet mir nicht.
Ihr nennt mich allmächtig und ehret mich nicht.
Ihr nennt mich gerecht und fürchtet mich nicht?
Soll er am Ende zu uns sagen:
Werd' ich Euch verdammen, verweiset mir's nicht?
Davor behüte uns, lieber Herr! Laß sterben an dieser täglichen Bitte, was dir in uns mißfällt, laß auferstehen, was aus dir ist und dir zum Preise dient! Herr heilige uns durch und durch, daß unser Geist ganz, sammt Seele und Leib unsträflich erfunden werde an dem Tage deiner Zukunft!
Mit dieser Bitte wollen wir uns hineinbeten in die selige Beterschaar droben. Denn diese Bitte stirbt nicht, sie tönt in Ewigkeit. Das ist das selige Ziel, dahin Gott mit aller Creatur will: Sein Lob in Ewigkeit. So war's im Anfang, so soll's auch am Ende sein. Ueber der Weltschöpfung lobten und jauchzten die Morgensterne und alle Kinder Gottes; über der Welterlösung sangen die Heerschaaren: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ und bei der Weltvollendung und Weltheiligung da wird das ewige Lob des Namens des allmächtigen heiligen Gottes die Erfüllung der Bitte sein: „Geheiligt werde Dein Name!“ Amen.