Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Fünfte Betrachtung.

Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Fünfte Betrachtung.

Darnach, als Jesus wußte, daß schon Alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet.
Joh. 19, 28.

Bis hieher war Alles erfüllt, was die heiligen Weissager von des Menschen Sohne und von den Tagen seines Fleisches verkündiget hatten, und sein Tod, davon sie auch geredet, sollte gleich erfolgen. Von dem Bilde, daran die alten Knechte Gottes mit einander Hand angelegt, um es ihrem Volke vorzumalen, war Jesus, der am Kreuze hing, der Körper. Der Geist des Herrn aber hatte den Messias in Ps. 22, 15. 16. also redend eingeführt: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennet, mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzen Wachs, meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebet an meinem Gaumen;“ und ebenso Ps. 69, 22.: „Sie geben mir Essig zu trinken in meinem großen Durste.“ Und da Jesus nun diesen peinlichen Durst empfand, so wollte er denselben auch nicht verschweigen. Kein Buchstabe, der von ihm geschrieben war, mußte unerfüllt bleiben.

Wenn seine Feinde ihn nicht kenneten, so konnten sie sich selbst mit der Unwissenheit nicht entschuldigen. Sie hatten Moses und die Propheten, und aus denselben hätten sie es wissen müssen und sollen, daß derjenige, den sie kreuzigten, es war, von welchem diese Gottes-Männer geschrieben hatten. Es wird vor ihren Augen Alles erfüllet. Allein was ihnen schön hätte sein und gefallen müssen, das war ihnen verhaßt, und darum wandten sie ihr Gesicht weg.

Indessen wurden doch alle Weissagungen vollbracht, und wir freuen uns, daß wir auch in diesem Umstande, da Jesum dürstet nach der Schrift, das untrügliche Wort des Herrn erfüllet sehen, und daß wir nun keines Andern warten dürfen, indem Alles an unserm Jesu anzutreffen ist, was sich nach den Büchern Moses, den Propheten und den Psalmen, bei demjenigen finden muß, dem der Preis eines Mittlers zwischen Gott und Menschen gebühret.

Jesus spricht: Mich dürstet! Die Schrift erzählt von vielen Personen, daß sie gedürstet haben. Wir lesen von einem heftigen Durste Simsons, nachdem er tausend Philister mit dem Kinnbacken eines Esels erschlagen (Richt. 15, 18.). Ein David dürstet im Lager vor Bethlehem (2. Sam. 23, 15.). Von dem alten Israel heißet es 2. Mose 17, 3.: Das Volk dürstet nach Wasser. Die Elenden und Armen suchen Wasser, sagt Jesaias Kap. 41, 17. und ist nichts da, ihre Zunge verdorret vor Durste. Und wer weiß nicht, was den Feinden des Herrn, Jes. 65, 13. angedrohet wird: Ihr sollt dürsten!

Wen dürstet aber hier? Jesus sprach: Mich dürstet! Hier ist mehr als Simson. Hier fühlet derjenige Durst, der nicht tausend Philister erschlagen, sondern dem Satan den Kopf zertreten und dem ganzen Reiche der Höllen die Macht genommen hat. Der Herr Israels dürstet, der ehedem vor Moses auf einem Felsen in Horeb stand und aus demselben Wasser verschaffte, daß das Volk trinken konnte. 2. Mos. 17, 6. Hier dürstet der Sohn Davids, der zugleich Davids Herr ist; der den Elenden zugesagt, daß sie essen sollen, damit sie satt werden, der die durstige Seele sättiget, und füllet die hungrige Seele mit Gütern (Ps. 107, 9.). Dessen Zunge verdorret selbst vor Durste. Hier dürstet kein Feind Gottes, sondern der Mann, der Gott am nächsten ist. Die Quelle, die Milch und Honig schenket und alle Durstige tränket, ist vertrocknet. Der Jes. 44, 3. ausruft: „Ich will Wasser gießen auf die Durstigen, und Ströme auf die Dürren!“ hat selbst keinen Tropfen Wassers, damit er sich laben kann. Der Jes. 41, 18. uns die Verheißung giebt: „Ich will Wasserflüsse auf den Höhen öffnen und Brunnen mitten auf den Feldern; ich will die Wüsten zu Wasserseen machen, und das dürre Land zu Wasserquellen!“ der spricht: Ich dürste! - Er, des Menschen Sohn und zugleich Gott, gelobet in Ewigkeit, unser Herr und Gott dürstet.

Sollen wir es nicht ohne Bewegung ansehen, wenn unsern Feind dürstet, sondern ihn mit Wasser tränken, Spr. Sal. 25, 21.; sollen wir überhaupt dem Durstigen Wasser entgegen bringen, Jes. 21, 14., und wir können unempfindlich bleiben, wenn wir dies Angstgeschrei unsers Gottes hören, so brauchen wir keinen andern Beweis, daß wir noch todt in Sünden und Uebertretungen sind.

Er war ein Mensch. Sein abgematteter und zerfleischter Leichnam hatte bereits über drei Stunden nackt und bloß in den allergrößten Martern zwischen Himmel und Erde gehangen, und war durch das häufige Blutvergießen aufs äußerste entkräftet, daher empfand er Durst. Weil indessen dieser Durst auch zu seinem Leiden mit gehöret, indem er für uns die höllischen Flammen an seiner Zunge gefühlet, und uns dadurch das Recht zu den ewigen Erquickungen vor dem Angesichte Gottes erworben hat, so ist daraus offenbar, daß ihn zugleich nach unsrer Errettung, und darnach gedürstet habe, daß wir der Seligkeiten, die er jetzt erwarb, möchten theilhaftig werden.

Wie haben wir denn dies fünfte Wort unsers sterbenden Heilands anzusehen? Wir sagen: Er hat zunächst diesen Durst als eine Strafe unsrer Sünden empfinden müssen. Der Durst stehet mit unter den Flüchen, die das Gesetz des Herrn seinen Feinden auflegt. Du wirst deinem Feinde dienen in Hunger und Durst, sagt Gott 5. Mos. 28, 48; und daß derselbe mit zu den Martern der Hölle gehöre, wissen wir aus dem Geschrei des reichen Mannes Luc. 16, 24.

Wir wissen auch, daß wir das Volk sind, davon es Jerem. 2, 13. heißet: „Mein Volk thut eine zwiefache Sünde. Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie, und machen ihnen hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löchricht sind, und kein Wasser geben.“ Was kann nach dem Gesetze darauf für ein ander Urtheil folgen, als das: Ihr sollt hungern! Ihr sollt dürsten! Ihr sollt zu Schanden werden, ihr sollt vor Herzeleid schreien und vor Jammer heulen! Jes. 63, 13. 14. Die ganze Welt ist nach dem Falle unsrer ersten Eltern nicht anders anzusehn, als eine dürre Wüste, darin kein Wasser ist. Gleichwohl dürstet die armen Einwohner der Erde. Und worauf fällt ihre Begierde? Auf das, was in der Welt ist, auf Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen. Das sind die elenden Ergötzungen, damit sie ihren unsterblichen Geist zu sättigen suchen. Wenn aber die Lust empfangen hat, gebieret sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebieret sie den Tod. Jak. 1, 15. Der Tod aber ist der Sünden Sold, Röm. 6, 23. oder Strafe. Diesen sündlichen Durst nach den Scheingütern dieser Erde und nach den verbotenen Ergötzungen der Sünde hat der Heiland am Kreuze gebüßet, er hat unsre Strafe getragen, damit wir Frieden hätten. Jes. 53, 5.

Höret ihr Sclaven, die nur nach den trüben Wassern der Welt dürstet, die ihr, so lange ihr gereizet werdet von der Lust, das Paradies in ihrer Ausübung zu finden gedenket, und wenn ihr sie vollbracht, alsdann erfahret, daß es ein Pfuhl der Hölle ist, darein sie euch gestürzet Auch euch hat der treue Heiland bedacht, und Alles, Alles gut gemacht, da seine schmachtende Zunge ausrief: Mich dürstet! Ihr seid unglücklich, so lange ihr diese Fesseln traget. Es trifft das Wort des Herrn bei euch ein: „Wer Sünde thut, der ist der Sünde Knecht.“ Joh. 8, 34. Aber wir verurtheilen und verdammen euch nicht. Auch ihr könnet nun selig werden, so ihr wollt. Wir sehen euch als unsre geplagten und unglücklichen Brüder an, die aber von dem Fluch und dem ewigen Pfuhle bewahret bleiben können, seit das Lamm unsre Strafen getragen, so ihr nur wollet. Rufen nicht alle seine Blutstropfen euch und einem Jeden zu: „Ich lieb, o Sünder, dich; so schlecht du bist, vergnügst du mich; bin ich gleich mächtig, herrlich, prächtig, groß, und du gleich elend, arm und nackt und bloß.“ Was soll Gott mehr thun, das er nicht gethan? Ihn dürstet nach eurem Heile. Sein Durst gehöret zur Strafe, die er für euch leidet. Und aller euer sündlicher Durst, den sein heiliges Gesetz verdammet, ist euch um seines Durstes willen auf ewig vergeben.

Es ist aber weiter dieser Durst des Heilandes, den er zur Strafe getragen, für uns nun eine unerschöpfliche Quelle aller Seligkeiten; er hat uns dadurch die Gnade erworben, daß, wenn unser Durst nun auf was Höheres und Besseres gehet, wir denselben auch stillen können.

Sobald ein Mensch die Stimme des Sohnes Gottes höret, und vom Tode, darin er bisher gelegen, erwachet, so stehet er seine Armuth und seine Mängel ein. Er stehet sich außer der Gemeinschaft Gottes. Diesen Mangel empfindet er mit Schmerzen, und die Gefahr, in solchem Elende gar zu verschmachten und umzukommen, macht ihn bekümmert.

Solche arme Sünder sind allbereits selig, denn das Reich Gottes ist ihr. Matth. 5, 3. Sie gehören schon in des Heilands Waisenhaus, ob sie es gleich nicht wissen. Sie denken zwar: „mit uns ist es aus!“ doch der Geist des Herrn ist indessen beschäftigt, ihnen ihren Platz an der Tafel der Kinder im Reiche der Gnaden anzuweisen. Sie tragen Leide, aber den Armen wird das Evangelium gepredigt; sie hören nichts Neues, sie hören dasselbe Wort, das sie vor zwanzig, dreißig Jahren gehöret haben: Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Joh. 3, 16. Sie hören darauf jetzt mit offenen Ohren. Sie werden getröstet, Matth. 5, 4. Sie sehen ihr Leben, obgleich nur noch in der Ferne. Das macht ihnen Muth. Die Hölle wird geschlossen. Sie sollen nicht sterben, nicht verloren werden, nicht empfahen, was ihre Thaten werth sind. Diese Tröstungen ergötzen schon ihre Seelen. Gleichwohl sind sie Sünder. Ein Sünder ist ungerecht. Die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben. Sie müssen daher ein Recht zum Leben, eine Gerechtigkeit aufweisen können, und zwar eine solche Gerechtigkeit, die im Gerichte Gottes das Siegel hat, daß sie gilt. Diese macht ihnen das Evangelium kund. Gott hat den, heißt es, der von keiner Sünde wußte, für euch zur Sünde gemacht, auf daß ihr würdet in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. 2. Cor. 5, 21. Sie sind nackt. Der eigne Talar bedecket die Blöße nicht mehr, weder halb noch ganz. Ohne Kleid kommt man nicht ins selige Reich. Ihr Schmuck wird ihnen angewiesen. Es ist Gerechtigkeit des Lammes. Das Kleid, darauf er sein Blut gespritzet hat, das ist die weiße Seide der Heiligen, damit kann man vor Gott bestehen. In ihrem Herzen entstehet ein Hunger und Durst. Nicht nach Welt, nach Himmel nicht, ihre Seele wünscht und sehnet, Jesum wünscht sie und sein Licht, der sie hat mit Gott versöhnet.

Und dieser Durst wird desto größer und empfindlicher, je mehr ihm die Quelle der Gnade aufgethan wird, und je mehr ihm der Schall, der süße Ton in die Ohren dringet: Wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst! Offenb. Joh. 22, 17. Eben diese Durstenden haben die Zusage, und sie wird gewiß an ihnen, ehe sie es gedenken, erfüllet: Sie sollen satt werden! Die Zuversicht dränget sich durch alle Zweifel. Je näher ein Mensch dem Liebhaber seines Lebens kommt, desto holdseliger wird er angeblickt. Er merket nicht die geringsten Zeichen von Ungnade.

Er siehet nichts als Blutstropfen, Wunden, nach den Sündern ausgereckte Arme. Er höret Worte des Lebens. Der Glaube umfasset den Schmerzensmann. Die Ueberzeugung von der Vergebung der Sünden bricht wie ein heller Tag im Herzen an. Er findet die Erfüllung seiner bisherigen sehnlichen Begierden. Er isset und trinket sich nun satt. Er hat, was er will. Er ist getrost und schöpfet aus der Quelle, die er als unerschöpflich vor sich stehet, Gnade um Gnade.

Da essen die Elenden, daß sie satt werden. Der Heiland giebt ihnen die Kost, die Manna und Most der Ewigkeit ist, dazu er selber geheiliget ist. Sein Fleisch wird ihre rechte Speise, sein Opferblut ihr rechter Trank. Sie trinken sich nach langem Durste satt, und werden reichlich getröstet. Doch dabei bleibt es nicht. Kraft der nahen Verwandtschaft mit ihm können sie auch Alles hoffen, Alles von ihm erwarten, was ihnen noch auf das Zukünftige verheißen ist, wohin die Erquickungen des Paradieses in jener Welt gehören, davon es Offenb. Joh. 7, 16. 17. heißet: „Sie werden nicht mehr hungern noch dursten. Es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne, oder irgend eine Hitze. Denn das Lamm mitten im Stuhle wird sie werden, und leiten zu dem lebendigen Wasserbrunnen.“

Geliebte Seelen! So haben wir denn das Rufen unsers theuren Fürsten angehöret: Mich dürstet! Wir haben vernommen, was für eine tiefe Quelle von Seligkeiten für uns in diesem Worte liegt. Er hat den Becher des Zorns bis auf den Boden ausgetrunken. Das ist ihm schwer geworden, doch hat er es mit der größten Willigkeit über sich genommen. Nun ist das seine Erquickung für alle ausgestandene Mühe, wenn wir seine Gnade erfahren, die uns erworbene Seligkeit genießen und ohne Aufhören in ihm erfunden werden. Ach! wenn doch bald die seligen Gedanken in eure Herzen kommen und darin offenbar werden möchten: Hier komm ich, mein Hirte, mich dürstet nach Dir; ach Liebster, bewirthe Dein Schäflein allhier; du kannst Dein Versprechen mir Armen nicht brechen, Du stehest, wie elend und dürftig ich bin; auch giebst Du die Gaben aus Gnaden nur hin.

Wen da dürstet, der komme und wer da kommt, wird angenommen!

Amen.

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