Emmerich, Friedrich Carl Timotheus - Am Christfest.
Text: Lukas 2,13.14.
Noch tönt wohl in unsern, von Dank und Freude, von Liebe und Bewunderung ergriffenen Herzen der Lobgesang fort, den in jener geheimnisvollen, wunderbaren Nacht die Scharen des Himmels, dem aufgehenden Morgenstern, dem nahanbrechenden, ewigen Tage der Menschheit entgegenjauchzten: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Ist doch alles, was in jener geweihten Nacht geschah, von so tiefem Sinne, von so heiliger Bedeutung, dass, wenn wir diese Geschichten hören, es uns, wie Maria, der seligen Mutter des Heilandes, ergeht: alle Worte prägen sich tief in unsere Seele; wir bewahren sie und bewegen sie still in unserm Herzen und Gemüte. Ist nicht jene Klarheit des Herrn, welche die Hirten in tiefer, dunkler Nacht plötzlich umstrahlte, ein Bild jener geistigen Klarheit, jenes Himmelslichtes, das der neugeborne Heiland den Völkern brachte, die in Schatten und Dunkel des Todes saßen, und welches ihnen zu bringen er immer noch fortfährt? Ist sie nicht ein Bild jenes Himmelslichtes, das auch uns, die wir hier zu seinem Preise versammelt sind, erleuchtet, überstrahlt hat, das unserem Geiste feste Zuversicht, unserem Gemüte Ruhe und Frieden verlieh, das unsern Herzen den Weg erhellt, der da zu Gott und zur Seligkeit führt? Ist nicht die Krippe, in welcher das wundervolle, holde Himmelskind seinen ersten Schlaf schläft, der Triumph der wahren, echten, geistigen Größe über alles, was die Welt groß und herrlich zu nennen und zu preisen pflegt? Der da kam, das Verlorne aufzusuchen, der da erschien, den Armen das Evangelium zu predigen, der da geboren ward, auf dass auch der Geringste und Verlassenste von ihm Himmelssinn und Himmelsruhe empfinge: er hat zu seinem ersten Lager eine Krippe, ob er gleich mächtiger ist, denn alle Thronen der Erde; er hat zu seiner ersten Bedeckung ein ärmliches Gewand, obgleich er Gottes Sohn ist, und vor ihm die Engel sich beugen in heil'ger Andacht. Ist endlich nicht jene Erscheinung der Menge himmlischer Heerscharen, die in Hallelujas sich lösende Freude der seligen Geister, ja die Erscheinung des Gottessohnes selbst unter uns ein kräftiger Beweis von der innigen Verbindung, die zwischen Erde und Himmel, die zwischen der mit Fleisch und Blut bekleideten Geisterwelt, und zwischen jener höhern, seligen, unsichtbaren Geisterwelt stattfindet? Ja, dies wissen wir nun, Himmel und Erde sind ein versöhntes Ganze, denn:
- in der höhern Geisterwelt wird Sorge für uns getragen: dies zeigt uns das Herabkommen des Heilands;
- in der höhern Geisterwelt ist Freude über das Heil der Menschen dies lehrt uns der Lobgesang der himmlischen Heerscharen;
- auch die Erde und unsre menschliche Natur vermag das ewige und göttliche Leben in sich zu fassen und darzustellen; dies lehrt uns die Erscheinung des Gottessohnes auf Erden und mit menschlicher Natur bekleidet.
In der höhern Geisterwelt wird für uns gesorgt: dies zeigt uns das Herabkommen unsers Heilandes. O! ihr habt es wohl auch schon gehört, was diejenigen uns zu sagen pflegen, welche sich weise dünken, und die auch für weise gehalten werden in den Augen der Welt; wie sie uns lehren: die Erde sei ein kleines, unbedeutendes Sandkorn, dahingeworfen und vergessen im großen unendlichen Ozeane des Weltalls; der Mensch sei ein ausgesetztes Kind; die Menschheit ein sich selbst überlassenes Geschlecht, das da, so gut es könne, sich hindurch schlagen müsse durch die Kämpfe des Lebens: in der genauesten Verwandtschaft und Verbindung stehe unser Geschlecht mit den Tieren des Feldes; aber eine unermessliche, undurchdringliche Kluft trenne es von der höhern Geisterwelt, gesetzt auch, dass eine solche vorhanden wäre. O! wie ist eure Weisheit so kalt, so engherzig, so trostlos, ihr Kinder der Welt! wie verödet sie unser Herz, wie beuget, wie wirft sie unsern Geist herab in den Staub und in die Verwesung! wie sucht ihr jeden Funken jener heil'gen, himmlischen Gottesflamme, die in unserm Busen lodert, zu ersticken, um nur durch nichts mehr daran erinnert zu werden, dass ihr nicht allein und verlassen in Gottes Schöpfung da stehet, sondern dass auch in der höhern Welt liebende Herzen euch entgegen schlagen und für euch sorgen. Um weise und aufgeklärt zu scheinen, raubt ihr euch den schönsten Trost; um nur recht sinnlich und irdisch sein zu können, zerstört ihr unerbittlich eures Herzens Ruhe und stillesten Frieden. Und seht wohl zu, ob nicht eure Weisheit sich selbst widerspreche Denn dies könnt ihr doch wohl nicht leugnen, da ihr ja vorgebt, die Natur, und alles, was die Sinne euch bieten, mit tiefem Blicke durchforscht zu haben; dies könnt ihr doch wohl nicht leugnen, dass in dieser Sinnenwelt Alles, auch das Entfernteste, in der genauesten Verbindung mit einander stehe. Mit unsichtbaren, geheimnisvollen Banden ist die Erde an die Sonne gekettet; von oben herab kommt uns Licht und Wärme und Gedeihen; die entferntesten Gestirne senden sich ihre Strahlen zu, und wirken wechselseitig auf sich ein, und wie? In der Geisterwelt allein wäre alles getrennt und abgesondert, weil unser blindes, sinnliches Auge diese geistige Verbindung nicht immer erblicken kann, im Reiche der Geister fände keine Verknüpfung statt, da doch der Geist erhaben ist über Raum und Zeit; in der sinnlichen Natur erhielte Alles, was auf Erden ist, von den fernen Gestirnen Licht und Wachstum und Freude und Leben: keine Sorge, kein Heil, keine Rettung aber dürfte der arme, verlassene, schmachtende Menschengeist von seinen höhern Brüdern, von der ihm so nah verwandten unsichtbaren Geisterwelt erwarten? Nein, wir wenden uns von euch ab, ihr kalten Weisen der Welt, oder vielmehr: wir laden euch ein, mit uns zu kommen zur Krippe unsers Bruders, unsers menschgewordnen Freundes, und an seinem Anblicke das matte Herz wieder stark zu machen, den niedergebeugten Geist aufzurichten, und an ihm uns zu überzeugen, dass dort oben für uns, die wir hier schmachten, liebende Sorge getragen werde. Ja! die Menschheit lag im Dunkel der Nacht; die Geschlechter der Erde saßen im Schatten des Todes. Sie hatten sich losgerissen von Gott, und wankten nun dahin, übergeben den Irrtümern ihrer verdunkelten Vernunft, den Lüsten und Begierden ihres entarteten Herzens, dem Unfrieden und den Ängsten einer sündigen, gottentfremdeten Brust. Sie suchten sich selbst wieder zu retten durch Lehrgebäude menschlicher Weisheit: aber diese menschliche Weisheit führt sie nur von Zweifel zu Zweifel, von Irrtum zu Irrtum, von Ungewissheit zu Ungewissheit hin. Sie suchten sich wieder zu trösten durch sinnliche Lust und die Freude der Welt; aber die sinnliche Lust und die Freude der Welt wollte immer nicht dem Herzen den Frieden geben. Sie suchten sich zu schmücken mit eigener Tugend, allein es fehlte immer wieder dieser, vom Menschen, nicht von Gott ausgehenden Tugend an Reinheit, an Demut, an der Vollendung und Verklärung, die uns durch Christus ist offenbar worden. Aber siehe, während die Menschheit angstvoll und vergebens sich sehnte, sich emporzuringen suchte zu Licht, zu Heiligkeit und Friede: da schlug schon dies große Vaterherz im Himmel erbarmend ihr entgegen; da teilte schon der Sohn dort oben des Vaters erbarmende Liebe, und bereitete sich seine Herrlichkeit zu verlassen, seiner Seligkeit im Schoß Gottes sich zu entäußern, die menschliche Schwachheit und das menschliche Elend zu teilen, damit, so wie der Gottessohn der Menschheit, also auch die Menschheit des göttlichen Lebens möchte teilhaftig werden. Aber zu diesem Herabkommen des Gottessohnes musste die Menschheit vorbereitet werden, und siehe, schon zwei Jahrtausende vor seiner Geburt beginnt die himmlische Vorsorge für die Erscheinung unsres Retters und, Heilandes. Abraham wird hingeworfen aus seinem Vaterlande und aus seinem Vaterhause, um selbst der Vater eines Volkes zu werden, welches in seinem Schoß den Glauben an den einzigen Gott, und die Verheißungen des künftigen Messias, als ein verborgenes Kleinod erhalten und bewahren möchte, bis dereinst die Zeit und die Verheißungen erfüllt, und durch den Messias Gott wieder allen Völkern der Erde gegeben würde. Und so wie die gesamte Geschichte des jüdischen Volkes, so zeigt auch ein tieferer Blick in die Geschichte der heidnischen Nationen, wie, während die Menschheit sich selbst dahin gegeben, und von der höhern Welt verlassen schien, schon in dieser höhern Geisterwelt das Herz des Weltenheilandes ihr entgegen schlug, und dafür Sorge trug, dass alles unbemerkt vorbereitet würde zu seiner Erscheinung. Ja, dies Wehen und Wandeln Gottes in der Geschichte der heidnischen Nationen; dies Wehen und Wandeln Gottes in den Führungen des jüdischen Volkes: es verkündet uns laut, dass, unser unbewusst, für uns im Himmel gesorgt werde, und diese Verkündigung wird uns versiegelt und verherrlicht durch die Geburt des Heilandes selbst, der auf die Erde kam, um sie zu beseligen, ob er gleich nicht von der Erde war; der zu den Menschenherzen so menschlich, so verständlich, so herablassend sprach, obgleich seine Lehre nicht Menschenlehre war, sondern von dem Himmel stammt und aus Gott ist.
Dass der Sohn Gottes von seinem Throne im Himmel herabstieg, und ein Kind ward, gleich wie wir: dies zeigt uns die Sorge, die im Himmel getragen wird für die Erde, und ebenso verkündet uns der Lobgesang der himmlischen Heerscharen bei seiner Geburt, die Freude des höhern Geisterreichs über das Heil, das der Menschheit wiederfährt. Diese Freude, die im Himmel ist über die Menschen, welche zu Gott zurückgeführt werden; dieser Anteil unserer höhern, seligen Brüder an unserm ewigen Wohl; diese Versicherung, dass, wenn gleich auf Erden niemand den geheimen, reuevollen Kummer über unsere Vergehungen, niemand die verborgene, stille Freude über ein näheres Hinzutreten zu Gott; kennt und teilt, dennoch befreundete, höhere Geister uns unsichtbar umschweben, und mit uns die Gnade Gottes anbetend, ihr: Ehre sei Gott in der Höh, und Frieden auf Erden! anstimmen; wie machen diese Gedanken das einsame Herz so weit, so freudig und trostvoll! wie fühlen wir uns durch sie gestärkt, ermutigt zu einem steten Wandel vor Gott, auch in dem geheimsten Dunkel, auch in unsern verborgensten Gedanken, da dieser dichte Körper unser Inneres nur vor Menschen verbergen kann, nicht aber vor der unsichtbaren Geisterwelt, in deren Mitte wir leben, die uns durchschaut, die an unserm ewigen Heil den innigsten Anteil nimmt. Ehre sei Gott in der Höh'! Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen! Diesen Lobgesang, welchen die himmlischen Heerscharen anstimmten, als der Erde ihr Heiland geboren wurde: sie werden ihn auch, wenn gleich nicht vernehmbar dem irdischen Ohre, anstimmen, wenn Christus auch in deinem Herzen geboren wird, wenn er jetzt auch dein Heiland und Befreier von der Sünde und dem Unfrieden der Welt, dein Weg und dein Führer zu Gott und zur Seligkeit geworden ist. Hat doch derjenige, bei dessen Geburt die Engel jubelten, hat doch derjenige, welcher die Gesetze, die Liebe, die Erbarmungen, die dort oben walten, aufs genaueste kennt, dieses uns bestätigt, wenn er, seinen trostvollen Gleichnissen von der ewigen, die Verlornen aufsuchenden Gnade, die Worte hinzufügte: Ich sage Euch, es wird Freude sein im Himmel vor den Engeln Gottes über jeden Sünder, der zurückkehret und Buße tut.
Ja, Anteil wird im stillen, unsichtbaren Geisterreiche genommen an unsern Leiden und an unsern Freuden; und Sorge wird dort oben getragen für unser ewiges Heil: dies verkündet uns das Herabkommen unsers Heilandes und der Lobgesang der Engel in jener geweihten Nacht, aber auch wird durch Christi Erscheinung bewiesen, dass die menschliche Natur des göttlichen Lebens fähig, dass ein himmlischer Wandel auch auf Erden schon möglich sei. Jene Weisen der Welt, die eine unermessliche Kluft zwischen Erde und Himmel befestigen wollten: sie gesellten nicht bloß in der Trostlosigkeit, sondern auch in dem Sinnen und Denken, in dem Lieben und Handeln den Menschen nicht seinen höhern geistigen Brüdern, sondern den vernunftlosen Tieren des Feldes zu. Sie finden überall Ähnlichkeiten zwischen den Tieren und den Menschen auf, weil sie immer nur die niedrige, sinnliche, tierische Natur des Menschen, nicht sein eigentliches, geistiges Wesen ins Auge fassen, und, wenn man ihnen spricht von reiner Liebe zu Gott und den Brüdern, von Erhebung über die Freude und den Schmerz der Erde, von Verleugnung der Welt, von Entsagung alles dessen, was auf unsere Selbstsucht sich bezicht: so antworten sie immer - mit den, ich möchte sagen, tierischen Gemeinsprüchen: Ein jegliches lebende Wesen liebt zunächst sich und seinen Genuss; wir wollen Menschen, und keine Engel sein, wozu wir ja nicht geschaffen wurden. - Ihr wollt Menschen sein, sagt ihr? o seid es doch nur in dem eigentlichen, echten, wahren Sinne des Wortes; aber um diesen Sinn zu erforschen, um zu erfahren, wozu die Menschheit geschaffen und bestimmt ist, wendet euch doch nicht hin zu den Tieren des Feldes, denen nur eure Sinnlichkeit, nicht euer Geist verwandt ist; wendet euch vielmehr zu dem menschgewordnen Heilande, der auch geboren ward als hilfloses Kind, der heranwuchs mit der menschlichen Natur bekleidet, und der doch so göttlich sich erzeigte; der die menschliche Schwachheit, der unser Elend und unsere Versuchungen teilte, und doch der Sünde entfremdet blieb; der auf Erden umherzog, gleich wie wir, und dessen Wandel doch stets war. Seine Erscheinung und sein Wandel auf Erden soll uns klar und lebendig das Ebenbild Gottes im Menschen darstellen, zu dem wir geschaffen sind, das durch die Sünde verdunkelt wurde, und welches wir durch den Mensch gewordenen Gottessohn wieder erringen sollen, und wieder erringen werden, wenn wir uns ernstlich an Ihn wenden, und uns ihm unbedingt dahin geben. Mit Gott, meine Brüder, und nicht mit den Tieren sind wir verwandt; in Gott soll unser Leben schon jetzt sein: deswegen ist Gottes Sohn selbst in menschlicher Natur erschienen; deswegen hat er uns gezeigt, wie unser vergänglicher Körper, wie unsere sinnliche Natur, sobald sie nur durch seine Kraft gezwungen und gebändigt werden, eine Liebe eine Treue, einen Glauben, eine Demut und Entsagung alles selbstigen Wesens ertragen können, die, himmlischen Ursprunges, uns auch schon auf Erden ein himmlisches Dasein verleihen. Wer nicht, wie unser Vorbild und göttlicher Bruder, Jesus Christus, den Himmel und die Gottheit schon hier in seiner Brust trägt, den wird auch der Tod nicht einführen zu Gott und seinen Himmeln; wer aber von dem menschgewordnen Heilande sich befreien lässt von allem unlautern, ungöttlichen Wesen; wer durch ihn schon auf Erden in Gott gelebt, gelitten, gewirkt hat, der wird, so wie er Christi Niedrigkeit und Kreuz geteilt, also auch Teil haben an seiner Erhöhung und Verherrlichung. Denn also lautet die Verheißung, die uns gegeben ist von dem heiligen Geist durch Paulus, dem Diener und Apostel Jesu. Christi: Sind wir, durch Christum hier auf Erden, Kinder Gottes geworden, so sind wir auch Erben, nämlich Erben Gottes und Miterben Christi, so wir anders mit Christus leiden, auf dass wir auch zu seiner Herrlichkeit erhoben werden.