Ebrard, Johannes Heinrich August - Der Glaube an die heilige Schrift und die Ergebnisse der Naturforschung - Dritte Folge - Das Diluvium und die biblische Sündfluth.

Ebrard, Johannes Heinrich August - Der Glaube an die heilige Schrift und die Ergebnisse der Naturforschung - Dritte Folge - Das Diluvium und die biblische Sündfluth.

Stäfa, den 3. Jan. 1857.

Lieber Heinrich!

Zwei Jahre sind es her, daß ich meine Fragen und Scrupel über die biblische Schöpfungsgeschichte Dir vorgelegt habe, und Du mich durch eine so klare befriedigende Lösung zum innigsten Danke verpflichtet hast. Wirst Du mir böse sein, wenn ich mit einer ähnlichen Frage - es soll die letzte sein - Dir beschwerlich falle? Du wirst schon im voraus errathen, welches der Gegenstand derselben ist; es ist ja nur ein Gegenstand der Art noch übrig zwischen uns: die Sintfluth (denn Du wirst mir erlauben, Sintfluth und nicht Sündfluth zu schreiben, da das erstere die richtige Schreibart des aus dem Altdeutschen stammenden Wortes ist; „Sint-Fluth“ heißt ja so viel, wie „allgemeine Fluth“). Schon lange, lange ging ich mit dem Plane um, meine Gedanken über diese Sintfluth mit Dir auszutauschen; aber, ehrlich gestanden, Lieber, ein gewisser Hochmuth verbot es mir, diesmal als Frager und gleichsam als Bettler zu kommen; ich wollte den Gegenstand erst in mir selbst verarbeiten und mit mir in's Reine über ihn kommen; das ist mir nun, wie ich hoffe, gelungen, und ich lege Dir das Ergebniß meiner Forschungen (die freilich nicht auf meinem Felde gewachsen, sondern mit kritischer Sichtung aus verschiedenen gelehrten Werken zusammengetragen sind) vor, mit der Bitte, mir Deine Meinung darüber zu sagen. Dieselbe wird für's erste sicherlich eine abweichende sein; denn (diesen kleinen Uebermuth mußt Du mir zu gute halten) ich beabsichtige Dir für heute bloß mein Ergebniß selbst mitzutheilen; die Gründe hingegen, welche mich darauf geführt haben, will ich Dir, wenn Du mir erst gehörig opponiert haben wirst, in ein paar späteren Briefen auseinandersetzen, und hoffe Dich durch diese siegreichen Gründe ganz zu meiner Ansicht herüberzuziehen - mach Dich gefaßt darauf!

Mein Ergebniß ist nun kurz zusammengefaßt dieses: eine Sintfluth hat es allerdings gegeben; die biblische Sintfluth ist ein historisches Ereigniß; aber es war keine die ganze Erdoberfläche und sämmtliche Gebirge bedeckende Fluth, sondern eine locale Fluth, welche sich nur über die Wohnstätten des damals noch unzerstreut beisammenlebenden Menschengeschlechtes erstreckt hat, und diesem daher als eine allgemeine Fluth erschien.

Was sagst Du dazu? Laß das in Bälde hören

Deinen Dich liebenden Georg.


Winterthur, den 6. Jan. 1857.

Lieber Georg!

Herzlich gerne bin ich bereit, Dir auf das neue Feld der Untersuchungen, das Du eröffnet hast, zu folgen, wiewohl ich Dir gestehen muß, daß mir, so sehr ich Scherz verstehe, der muthwillige und leichte Ton, in welchem Du diesmal schreibst, neu an Dir ist, und mir nicht ganz zusagt. Meiner Person gegenüber ist diese heitere Art, die Sache zu behandeln, ganz am Platze, aber nicht so ist sie dem biblischen und darum heiligen Gegenstande angemessen. Du hast Dich über irgend etwas hinweggesetzt, bevor Du diesen Ton anstimmen konntest, und ich will vor der Hand nicht untersuchen, über was. Vielleicht wird Deine siegestrunkene Sicherheit doch noch beschämt. Mir, mein Lieber, wirst Du erlauben müssen, den gewohnten Ton des Ernstes in meinen Antworten beizubehalten.

Ueber die Schreibart „Sintfluth“ oder „Sündfluth“ streite ich nicht mit Dir, obwohl es mir in der That sonderbar vorkommt, daß Du, der Du die Fluth zwar für eine um der Sünden willen eingetretene, aber für keine allgemeine hältst, gerade der Schreibart „Sintfluth“ das Wort redest. Ich hätte dazu mehr Recht; ich weiß auch recht wohl, daß sintvluot die Urform des alten deutschen Wortes ist, dessen wir uns zur Uebertragung des hebräischen mabbûl bedienen; ich weiß aber auch, daß die neuere Schreibart, die sich längst eingeschlichen hat und die allgemeine geworden ist, keine sinnlose, sondern eine sehr sinnige und glückliche Substitution ist, indem sie an die Stelle einer unverständlich gewordenen Etymologie eine verständliche gesetzt hat. Und da nun der auszudrückende Begriff kein esoterisch wissenschaftlicher, sondern ein religiöser, dem Christenvolk und der Gemeinde des Herrn ungehöriger ist, so wage ich es darauf, die untergeschobene Schreibart „Sündfluth“ beizubehalten, da sich die Gemeinden hierunter etwas denken können, unter Sintfluth aber nichts.

Doch zur Hauptsache. Dein Ergebniß ist so wenig neu, als Deine Gründe es sein werden. Aber Deine Bibel muß neu sein; denn in der alten Bibel, die ich besitze, steht die Geschichte von der Sündfluth so erzählt, daß nur an eine allgemeine, die höchsten Berge der Erde bedeckende Fluth gedacht werden kann. „Und das Gewässer nahm überhand, und wuchs so sehr auf Erden, daß alle hohe Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden. Fünfzehn Ellen hoch ging das Gewässer über die Berge, die bedeckt wurden.“ 1 Mos. 7, 19-20. Ich will Dich nicht fragen, ob Du die heilige Schrift für Gottes Wort hältst, und was sie sagt, für wahr. Ich will mich nur daran halten, daß Du mir zugibst, es sei ein geschichtlicher Bericht, den wir hier vor uns haben. Wenn dieser Bericht die Kunde enthält, daß das Gewässer „fünfzehn Ellen von oben her hoch ward und die Berge bedeckte“ (denn so lautet V. 20 wörtlich nach dem Urtext), so setzt dies doch voraus, a) daß Noah Bergspitzen, die über das Wasser ragten, nirgends gesehen hat, und b) daß das geringste Maaß von Tiefe, in welchem er Grund fand, fünfzehn Ellen betrug. Du wirst mir sagen, es lasse sich doch nicht beweisen, daß seine Arche gerade über der Spitze des Dhawalagiri hingefahren sei. Zugegeben. Ich kann Dir das nicht beweisen. Ich weiß nur, daß sie auf dem 16,000 Pariser Fuß hohen Ararat sich niedergelassen hat. Der Dhawalagiri ist 10,000 Pariser Fuß höher als der Ararat. Ich muß Dir - aus Schriftgründen - die Möglichkeit zugeben, daß die Spitzen des Himalayagebirges allenfalls unbedeckt geblieben sein können. Der Ausdruck: „alle hohen Berge unter dem Himmel“ kann sich möglicherweise wirklich nur auf die Gebirge in der Nähe des von Noah früher bewohnten Landes beziehen; und dies Land kann und wird an den Quellgebirgen des Euphrat, Tigris, Araxes und Kur zu suchen sein, mindestens 600 geogr. Meilen vom Himalayagebirg entfernt. Da das Gewässer 150 Tage - vom 17. Tag des zweiten Monats (1 Mos. 7, 11) an bis zum 17. Tag des siebenten Monats (1 Mos. 8, 4) „auf Erden stand“ (1 Mos. 7, 24) - in welche 5×30 Tage jedoch auch die 40 Tage des Entstehens der Fluth noch mit inbegriffen sind (1 Mos. 7, 12), - und da es erst „am Ende der 150 Tage“ (1 Mos. 8. 3 „mikzeh“) zu fallen anfing, und nun sogleich am 17. Tage des 7. Monats (also eben 5×30 Tage nachdem Noah in die Arche gegangen war) die Arche sich auf dem Ararat niederließ (1 Mos. 8, 4), so wird es allerdings die Meinung der heiligen Schrift selber sein, daß das dem Noah bekannte Araratgebirge 15 Ellen hoch bedeckt war. Fünfzehn Ellen mag das Wasser an Einem Tage gefallen sein, eher als 10,000 Pariser Fuß.

Soviel gebe ich Dir also vorläufig zu. Die Aufgabe des göttlichen Wortes war es auch hier nicht, der Wißbegierde der Naturforscher rein naturhistorische Notizen zu geben, wie hoch das Wasser über damals unbekannte Gebirge gestiegen sei; sondern Noah hat berichtet, was er erlebt und gesehen hat. Aber—

Aber! wie steht es denn nun mit Deiner partiellen Fluth?! Sechzehntausend Pariser Fuß und noch fünfzehn Ellen drüber stand das Wasser über dem jetzigen Meeresspiegel. Willst Du so gefällig sein, mich wissen zu lassen, wodurch diese Fluth begrenzt war. Das Wasser pflegt doch nicht in der Luft zu schweben; es pflegt doch keine schiefe Ebene zu bilden; es kann nicht in Gestalt eines Berges dagestanden sein, es muß mit einem Wort in einem Becken eingeschlossen gewesen sein, wenn es eine partielle Fluth gewesen sein soll. Du wirst die Güte haben, mir dies Becken aufzuzeigen. Ich suche auf meiner Karte von Asien, und suche vergeblich nach einem Ring von Gebirgen, die um den Ararat her ein „partielles“ oder „locales“ Becken bildeten, dessen Rand allenthalben über 16,000 Pariser Fuß hoch wäre, so daß das Wasser, ohne irgendwo ablaufen zu können, in dieser Höhe innerhalb des Beckens wäre gehalten worden. Ist aber kein solches Becken vorhanden, so muß die Fluth, wenn sie in Kaukasien 16,000 Fuß hoch stand, auch auf der ganzen Erdoberfläche 16,000 Fuß hoch gestanden sein, und dann war die Fluth eine allgemeine - gesetzt auch, daß damals schon ein 26,000 Fuß hoher Dhawalagiri und ein 21,000 Fuß hoher Aconragua und Chimborazo existiert und, von Noah ungesehen, die Fluth überragt hätte.

Erfülle meine Bitte, mir über jenes Becken Auskunft zu verschaffen, und bleibe versichert der herzlichen Liebe

Deines Heinrich.


Stäfa, den 7. Jan. 1857.

Lieber Heinrich!

Dein Brief hat mich in eine Art von Verzweiflung gestürzt. Ich füge nichts von der Beschämung, die Deine wohlverdiente Rüge meines leichtfertigen Tones in mir weckte. Beschämung ist noch nicht Verzweiflung. Aber in Verzweiflung bin ich, weil Du mir die platte Unmöglichkeit einer partiellen Fluth so schlagend nachgewiesen hast, daß kein vernünftiger Mensch Dir etwas dagegen einzuwenden vermag, und weil ich auf der anderen Seite auch wieder die unwidersprechlichsten Gegengründe gegen eine allgemeine Fluth habe, die mir noch nicht widerlegt sind. Eine partielle Fluth - das ist ja klar - kann nur, sei es durch das Austreten eines Flusses oder durch Wasservulkane oder Deichbrüche, in einem Raume entstehen, der ein Becken bildet, d. h. von Anhöhen umgrenzt wird, und nie wird eine solche partielle Fluth eine große Ausdehnung haben; kein vernünftiger Mensch in Holland wird, wenn ein Deich bricht, und eine Ebene sich als „unabsehbare“ Wasserfläche darstellt, darum auf den Einfall kommen, es sei jetzt die ganze Erde überschwemmt. Und wenn ein Holländer so etwas auch denken wollte, so wird ein Mensch, der hohe Gebirge gesehen hat, es nicht denken. Noah hatte aber hohe Gebirge nicht bloß gesehen, sondern sein Schiff ließ sich auf der Spitze eines 16,000 Fuß hohen Berges nieder. Hier hört alle Möglichkeit einer partiellen Fluth auf. Darin hast Du Recht.

Aber damit sind meine Gründe gegen eine allgemeine Fluth noch nicht widerlegt. Und wenn nun die Sündfluth weder eine partielle, noch eine allgemeine gewesen sein kann, was bleibt denn noch von ihr übrig? Sollen wir dann mit den Ungläubigen die ganze Sündfluth in das Reich der Sage verweisen? Aber gesetzt, daß unser Glaube dies zuließe, so läßt es unsere Vernunft nicht zu. Denn abgesehen davon, daß eine solche Sage doch irgend einen geschichtlichen Kern haben müßte (der in dem Austreten eines Flusses und in der Ueberschwemmung eines Flußthales wahrlich nicht gesucht werden könnte!) so finden sich ja bei den verschiedensten Volksstämmen der Erde Sagen, in welchen alle noch einzelnen Züge von Noah's persönlicher Geschichte sich erhalten haben, und welche alle zugleich von einer Fluth reden, in der das damalige Menschengeschlecht bis auf Eine Familie umgekommen sei. Daß der griechische Gott des Weines, Dionysos, mit Noah, Apollo mit Jabal, Vulkan mit Tubalkain, Baal Hammon mit Ham Eine Person sei, hat Buttmann im Mythologus erwiesen; ich füge diesen von den Heiden zu Göttern erhobenen Ahnen noch den Japhet - Jupiter bei. Kronos, der alte Gott, hat alle seine Kinder verschlungen, aber den Jupiter u.s.w. wieder ausspeien müssen - d. h. Jehovah hat die Menschen in der Sündfluth umkommen lassen, und nur Noah's Geschlecht ging aus der Fluth hervor. In anderer Gestalt tritt derselbe Noah bei einem anderen griechischen Stamme als Deukalion auf, der die Fluth überlebt und die Erde wieder bevölkert. Bei den Indern heißt er Manu; die sieben Rischi's, Söhne der Sonne und Atmosphäre (die Regenbogenfarben), binden nach der Fluth sein Schiff fest an den Berg, und er bevölkert die leer gewordene Erde mit neuen Menschen und neuen Göttern. Bei den Chinesen und Japanesen heißt der aus der Fluth übriggebliebene Mensch „ein Sohn des Regenbogens“; Berosus erzählt als alte chaldäische Sage, Xisuthros habe auf Gottes Befehl ein Schiff gebaut, um sich und seine Freunde und alle vierfüßigen Thiere und Vögel zu retten; die Fluth sei eingetreten, als sie verlief, habe er dreimal nach einander Vögel ausstiegen lassen, und dann einen Altar gebaut, und Opfer gebracht. Ebenso rettet bei den Kelten Dwivan sein Weib und Thiere von jeder Gattung in einem Schiffe. Die Atschagua-Indianer auf Kuba hatten, als die Spanier Kuba entdeckten, die Sage, daß einst die ganze Welt überschwemmt worden sei; ein frommer Greis habe die Fluth voraus gewußt, ein Boot gebaut, Vögel fliegen lassen u.s.w. und seinem schwarzen Sohne geflucht. Bei den Michnokanesen ist es Teppi, der sich mit Weib, Kindern und Thieren rettet, und Vögel aussendet. Am Orinoko fand Alexander v. Humboldt die gleiche Sage, und in verwaschnerer Gestalt kehrt sie selbst bei den rohesten Südseeinsulanern wieder.

Also das ist gewiß: diese Sagen weisen auf Ein Stammpaar, von dem diese verschiedensten Völker abstammen, und nicht auf mehrere partielle Fluthen, sondern auf Eine Fluth, welche das damals noch beisammenwohnende Menschengeschlecht vertilgt hat, und nur Eine Familie übrig ließ. Und was in den heidnischen Sagen ins Ungeheuerliche und theilweise ins Abgeschmackte verzerrt ist1), findet sich in der Geschichte Noah's nüchtern und in echt geschichtlichem Charakter erzählt.

Aber wie in aller Welt soll ich jene Fluth, die so unzweifelhaft stattgefunden hat, mir denken? Eine partielle kann sie also nicht gewesen sein. Aber eine allgemeine auch nicht. Höre meine Gründe, und hilf mir, wenn Du kannst!

Das ist für's erste gewiß, daß die Thierwelt vor der Sündfluth dieselbe war, die sie jetzt ist. Von der Erschaffung einer neuen Thierwelt nach der Fluth ist nicht die Rede. Im Gegentheil, Noah's Arche ist recht eigentlich dazu bestimmt, die Thierwelt, wie sie war, durch die Fluth hindurch zu retten.

Hiemit fällt aber jede Möglichkeit hinweg, die Sündfluth mit der letzten der sogenannten Tertiärfluthen, mit dem sogenannten Diluvium der Geognosten, zu identificieren. Denn das Diluvium schließt Reste von Landthieren ein, welche den jetzigen Arten nicht entsprechen; nach dem Diluvium der Geognosten ist also eine neue Thierwelt in's Leben getreten. Weniger Gewicht will ich darauf legen, daß im Diluvium bis jetzt keine fossilen Menschenknochen gefunden worden seien. Erstlich dürfte man bei der geringen Verbreitung des Menschengeschlechtes vor der Sündfluth in den unsern Naturforschern genauer bekannten Gegenden gleichsam nur durch einen glücklichen Zufall Menschenknochen zu finden erwarten - die Leichname der in der Fluth Umgekommenen mögen, da sich dieselben jedenfalls auf hohe Berge zu retten suchten, großentheils von Niederschlägen unbedeckt liegen geblieben und nach dem Herlaufen der Fluth verwest und zerfallen oder während der Fluth von Haifischen verschlungen worden sein; zweitens ist die Unmöglichkeit, daß die fossilen Menschenknochen, welche in einzelnen Höhlen mit fossilen Diluvialresten vermischt unter der Tropfsteindecke wirklich vorkommen, nicht aus der Diluvialzeit stammen könnten, noch weit weniger erwiesen, als die Möglichkeit, daß die Menschenknochen erst viel später in jene Höhle mitten unter die fossilen Knochen antediluvianischer Thiere und unter die gleichdicke Tropfsteinkruste gekommen sein könnten. Also darauf lege ich keinen Werth; desto mehr aber darauf, daß unmittelbar nach dem Diluvium eine neue Thierwelt entstanden ist, nach der Sündfluth aber nicht.

Wenn nun die Sündfluth mit den letzten der Diluvialfluthen nicht identisch sein kann, wie soll sie denn entstanden sein? Durch einen vierzigtägigen Regen und durch das Oeffnen unterirdischer Wasserbehälter, sagt die Schrift. Wäre nun die Fluth eine allgemeine gewesen, so hätte auch der Regen ein allgemeiner sein müssen. Regen entsteht durch Niederschlag der Dünste in Folge plötzlicher Abkühlung der Luft. Die Luft hätte also überall zugleich plötzlich entsetzlich viel kälter werden müssen, um Regen zu erzeugen. Eine solche allgemeine gleichmäßige Abkühlung ist physikalisch unmöglich. Es mußte ferner vor dem Regen die Luft so voll Wasserdampf sein, daß sie einen furchtbaren Druck übte, der hernach plötzlich wegfiel, ja man hat berechnet, daß die Menschen vor der Fluth den Druck von 5 1/2 Atmosphären zu tragen gehabt hätten. Wer konnte dies - wer eine solche Veränderung aushalten? In Folge der plötzlichen Verdichtung des Wasserdampfes hätte eine entsetzliche Temperaturerhöhung, eine große Hitze, stattfinden müssen. Ferner: woher kam die Wassermenge, um die Erdoberfläche 26.000 Fuß hoch oder meinethalben auch nur 16.000 Fuß hoch zu bedecken? Und welche Kraft hätte diese Wassermenge aus dem Innern der Erde hervortreiben sollen? Und da es im Innern der Erde sehr heiß ist, mußten nicht alle Fische sterben?

Weiter: Wie hatten alle Species der Säugethiere und Vögel (etwa 18.700 derselben kennen wir) in der Arche Platz? Wo kam die Zeit her, sie täglich zu füttern? Wo war Raum, das Futter aufzubewahren?

Und endlich: wie kamen nach der Fluth die verschiedenen Thiere auf die einzelnen, durch weite Meere getrennten Inseln?

Löse mir diese Fragen, wenn Du kannst! Du verdienst Dir damit den innigsten Dank

Deines Georg.


Winterthur, den 10. Jan. 1857.

Lieber Georg!

Fast wäre ich, als ich Deine gelehrten physicalischen Einwendungen gegen die Möglichkeit einer Sündfluth las, in den satyrischen Humor verfallen, und hätte Dir ein Lehrbuch der Logik geschickt, um Dich vor solchen Schlüssen zu bewahren, wie dieser ist: „Wäre die Fluth eine allgemeine gewesen, so hätte auch der Regen ein allgemeiner sein müssen.“ Hast Du noch nie gesehen, daß ein Fluß anschwillt, wenn auch nur an Einer Stelle ein Wolkenbruch fällt?

Oder ich hätte Dich darauf aufmerksam gemacht, wie wohlthätig doch die große Hitze, welche im Augenblick der Condensierung der Wasserdämpfe zu Wassertropfen entstand, auf Menschen und Vieh gewirkt haben müsse, da in eben dem Augenblick eine so entsetzliche Kälte geherrscht haben soll, welche eben jene Condensierung bewirkte.

Du nimmst mir den Spott nicht übel. Aber ich kann nicht anders, als zur Satyre greifen, wenn ich hören muß, wie ein Menschenkindlein Gott dem Herrn vorrechnen will, was Gott kann und was er nicht kann. Wenn sich die Frau Physik auf dies Gebiet versteigen will, wenn sie nachzuweisen sich unterfängt, was alles a priori unmöglich sei, so - muß sie sich's gefallen lassen, heimgeschickt zu werden.

Denn ich frage Dich - statt aller anderen Gegenbeweise - wo ist denn das Wasser zu den Diluvialfluthen hergekommen? Diese leugnest Du doch nicht! Daß der 5300 Fuß hohe Rigi und der 6000 Fuß hohe Pilatus und die hohe Rhone und der Speer und der Roßberg durch Tertiärfluthen angeschwemmt sind, steht ja fest, und daß jene Fluthen durch kein Becken nach Norden zu begrenzt waren, steht auch fest. Es waren also allgemeine Fluthen, die in solcher Höhe die Erdoberfläche bedeckten. Wo ist denn das Wasser zu ihnen hergekommen? Hat das die Physik schon herausgebracht? Hat sie dem lieben Gott für seinen Wasserbedarf sorgen müssen? Wie wenn er nun für gut gefunden hätte, ihrer Schwester, der Chemie, diese Sorge zu übertragen! Wie wenn große Mengen von Oxygen und Hydrogen sich damals erst zu Wasser verbunden, darnach aber wieder getrennt hätten! Bei solchen Katastrophen haben denn doch unbestritten Kräfte gewirkt und Bedingungen stattgefunden, über welche wir in unsern Laboratorien nicht zu verfügen haben. An Möglichkeiten hat es dem Herrn und Schöpfer der Welt einmal sicherlich nicht gefehlt, da er die Wirklichkeit - die wirklichen Tertiärfluthen - zu Stande gebracht hat.

Doch genug davon! Es bedarf dieser Art Polemik nicht. Ich schlage Dein ganzes Nest voll Einwürfe mit Einem Schlage todt. Erschrick nicht! Wo steht denn zu lesen, daß nach der Sündfluth keine neue Thierwelt entstanden sei?

Der christliche Naturforscher A. Wagner hat in bester Meinung und Absicht versichert, daß nach der Erzählung der Genesis mit dem natürlichen Mittel der Arche Noah's die Erhaltung der gesammten Thierwelt durchgeführt werden sollte. In meiner Bibel finde ich's aber anders.

Drei Arten von Landthieren - nicht nach wissenschaftlicher Eintheilung, sondern nach einer von der Lebenspraxis gebotenen - werden in der Genesis unterschieden, sogleich von Kap. 1, 24 - 25 an:

1) chajjath haârez, Thiere des Feldes, d. h. wild lebende größere Thiere, 2) b'hêmah, Vieh, Hausthiere, 3) remes, kleine kriechende Thiere. Dazu kommen als vierte Art, 4) die Vögel (z. B. 1, 28; 2, 19). Wie aber Noah Kap. 6, 19 den Befehl erhält, „allerlei Thiere von allem Fleisch“ in den Kasten zu thuu, da wird dieser Befehl V. 20 sogleich näher dahin bestimmt, daß er 1) von den Vögeln, 2) von dem Vieh und 3) vom remes je ein Paar in den Kasten thun solle, und dieser Befehl wird wiederum Kap. 7, 2-3 dahin näher bestimmt, daß er von dem reinen Vieh und den (reinen) Vögeln je sieben Paare, nehmen solle. Kap. 7, 8 wird nochmals erzählt, daß Noah von dem 1) Vieh, 2) den Vögeln und 3) dem remes je sieben Paare aufgenommen habe. Die chajjath haârez bleibt an beiden Stellen unerwähnt. Dagegen wo von den Thieren, die außer der Arche blieben und ertranken, geredet wird, V. 21, da wird recht ausdrücklich neben dem remes, den Vögeln und dem Vieh auch die chaâjah genannt (während dagegen Kap. 8, 1 chaâjah offenbar nur als allgemeiner Hauptbegriff: „lebendes Wesen“ gebraucht ist). Wo die Thiere aus dem Kasten gehen, fehlt wieder die chaâjah Kap. 8, 17, und werden wieder nur Vögel, Vieh und remes erwähnt. Sollte nicht schon dieser Umstand uns zu dem Schlusse berechtigen, daß Noah gar nicht den Befehl erhalten hat, alle, auch die wilden Thiere in seine Arche zu thun?

„Das ist zu kühn“, höre ich Dich rufen, „das heißt den Knoten nicht lösen, sondern zerhauen.“ Aber Geduld ein wenig! Weißt Du, was die hebräischen Wörter min - v'ad, „von“ - „bis zu“ bedeuten? Wenn es z. B. Jon. 3, 5 heißt: „die Leute in Ninive zogen Säcke an vom Großen bis zum Kleinen“, so heißt das: „sowohl die Großen als die Kleinen.“ Oder 1 Mos. 19, 11 „er schlug sie mit Blindheit vom Großen bis zum Kleinen.“ 1 Sam. 30, 19 „und fehlete an keinem, vom Kleinen bis zum Großen.“ Ueberall heißt min-v'ad auf deutsch „sowohl - als auch - .“

Nun gut. Nimm einmal Deine hebräische Bibel, und schlage 1 Mos. 9, 10 aus. Da sagt Gott, „ich richte meinen Bund auf mit aller lebendigen Seele, die bei euch ist, an Vögeln und an Vieh und an allem Thier des Feldes bei euch, von allen an, die aus der Arche gegangen sind, bis zu allem Thier des Feldes“, d. h. sowohl mit denen, die aus der Arche gegangen sind, als mit allem Thier des Feldes. - Zuerst werden die Klassen des gesammten nach der Sündfluth vorhandenen Thierreichs aufgezählt; dann wird dies gesammte Thierreich unterschieden in Thiere, die aus der Arche gekommen sind und in - Thiere des Feldes. Die „Thiere des Feldes“ sind also nicht aus der Arche gekommen. Sie stehen den aus der Arche gekommenen Thieren als eine zweite Hauptklasse gegenüber.

Die beiden Eintheilungen in V. 10 entsprechen sich nämlich folgendermaßen:

l. 2.
VögelThiere, die aus der Arche kamen
Vieh
Thiere des FeldesThiere des Feldes

Es ist schon aus dieser Stelle allein klar, daß das nach der Sündfluth vorhandene Gethier des Feldes nicht aus der Arche gekommen war, sondern daß Gott dasselbe neu hatte entstehen lassen (gerade so wie nach jeder geognostischen Katastrophe neue Species und selbst Genera entstanden sind, ohne daß 1 Mos. 1 dies Detail erzählt würde).

Welche Folgerungen sich hieraus ergeben, wirst Du nun leicht einsehen.

  1. Erstlich ist die nachsündfluthliche Thierwelt eine andere als die vorsündfluthliche, und damit fällt jedes Hinderniß hinweg, die Sündfluth mit der letzten Diluvialfluth zu identificieren.
  2. Ist die Sündfluth mit der letzten Diluvialfluth identisch, so brauchst Du nicht bange zu sein, woher Gott das nöthige Wasser bekam. Denn die Diluvialfluthen haben stattgefunden, und eine derselben muß nothwendig die letzte gewesen sein.
  3. Die in der Entstehung des Regens und Regenbogens sich bekundende Veränderung in der Beschaffenheit der Atmosphäre weist auf eine qualitative wesentliche Aenderung in den physicalischen Verhältnissen von Luft, Wasser und Land hin, die damals eintrat. Die (nachtheilige) Einwirkung dieser Katastrophe war so gewaltig, daß die Lebensdauer der Menschen von da an auf ein Achttheil herabsank.
  4. Durch jene Katastrophe wurde für Menschen und Thiere eine kritische Periode eingeleitet, in welcher eine Scheidung der Menschheit in Racen, eine Scheidung der Thierwelt (auch des Viehes) in neue Species erfolgte. Auf diese Periode der Differenzierung (die etwa zur Zeit Abraham's ihr Ende erreicht haben mag) folgte sodann die seitherige Zeit des ruhigen Fortbestehens der einzelnen Arten.
  5. Die Frage, wie 18,700 Species in der Arche Platz gehabt, sowie:
  6. Die Frage, wie die Thiere seither auf einzelne Inseln gekommen, sind nun von selbst weggefallen. Solche Genera und Species, welche einzelnen Inseln oder Contingenten eigenthümlich sind, sind nach der Sündfluth dort auf Gottes Ruf entstanden; andere sind auf Schiffen dahin gebracht worden oder (in nördlichen Klimaten) übers Eis dahin gekommen.
  7. Ist die Sündfluth mit der letzten Diluvialfluth identisch, so steht nichts der Annahme im Wege, daß bei ihr ebenso wie bei den älteren (vor Erschaffung des Menschen fallenden) Tertiärfluthen die qualitative Katastrophe in dem physicalischen Verhältniß von Wasser, Luft und festen Stoffen von einer geognostischen Katastrophe oder Eruption begleitet und verursacht gewesen sei. Möglich, daß der Himalaha und die Anden erst damals zu ihrer vollen jetzigen Höhe gehoben wurden, und daß hiemit ein rasches Versinken des Wassers in neu entstandene Höhlungen des Erdinnern zusammenhing. Doch ich will mich, in einem Gebiete, wo wir so wenig wissen können, nicht in luftige Hypothesen verirren. Die Hauptsache ist und bleibt, daß die Darstellung der heiligen Schrift uns ganz und gar nicht darauf führt, daß die ganze jetzige Thierwelt von den in Noah's Arche geretteten Thieren abstamme. Und damit Gott befohlen.

In alter Liebe Dein Heinrich.


Stäfa, den 12. Jan. 1857.

Lieber Heinrich!

Wäre ich Dir für Deine ebenso überzeugende als überraschende Lösung nicht so herzlich dankbar, so könnte ich Dir über Deinen herben sathyrischen Ton am Anfang Deines Briefes herzlich böse werden. Es war ja doch nicht die Sprache des superklugen Aberwitzes, sondern die des an Verzweiflung grenzenden Zweifels, die ich gesprochen hatte. Nun es soll Dir verziehen sein! Ich kenne Dich ja, und weiß, daß Du, auch wenn Du in Deiner Siegestrunkenheit ein wenig übermüthig wirst, dennoch es treu und herzlich meinst mit

Deinem dankbaren Georg.

1)
Wie wenn z. B. in der indischen Sage Gott in Gestalt eines Fisches sich vor Manu's Schiff spannen läßt und dasselbe zieht. Oder wenn der Noah der Irokesen das Unglück hat, den Gott, der ebenfalls als Fisch im Meere schwimmt, mit seinem Hamen zu spießen.
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