Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Achte Predigt. Der Fall.

Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Achte Predigt. Der Fall.

Gehalten am Sonntage vor unserm Jahresfest.

1 Sam. 15, 1-21.

Will's Gott, so feiern wir morgen unser Jahresfest. Ein großer Haufe aus nah und fern ist schon hergewallt zum Hause Gottes mit Frohlocken und Danken. Euch allen, teure Mitarbeiter am Werk Gottes, wird es, ich zweifle nicht, ein ebenso großes Bedürfnis sein, wie mir selbst, mit ernstem Fleiß euch heute zum Feste zu rüsten. Ich habe mich darum gefragt, ob es nicht gut sei, heute von der Geschichte König Sauls abzugehen und einen andern, mit der morgigen Feier näher in Verbindung stehenden Text zu wählen. Aber ich habe keinen Grund dazu gefunden. Die verlesene Geschichte vom Fall und der Verwerfung Sauls scheint mir sehr geeignet, unsern Beruf und Erwählung fest zu machen, damit wir, für Andere arbeitend nicht selber verwerflich werden. Oder sollte solche Warnung für uns nicht nötig sein? So oft ich ein Fest im Reiche Gottes mitfeiere, muss ich an jenes Wort denken, das einst der König Tamatoa auf Rajatea bei einem Missionsfeste geredet hat. „Hört mir zu, ihr Kinder des Festes. Viele waren der Männer, die gebaut haben an der Arche der Sündflut. Aber acht nur sind der Seelen, die einstiegen in ihren Schoß. Untergegangen in den Wassern sind sie alle die anderen, unzählige Völker“. Und weiter redete der König: „Ich will euch fragen beide, Söhne und Töchter, bauen nicht eure Hände an der Arche des Ewigen? Wer wird denn, das sagt mir, seinen Fuß in sie setzen, dass er hinüberrudere in den Hafen?“ So sprach Tamatoa und dachte vielleicht an Simson und Saul und Salomo oder Jechanja, den König Judas, den Siegelring auf Gottes rechter Hand, der doch abgerissen ist und weggeworfen als ein verachtetes Gefäß. Ihr Bauleute des Herrn, baut! doch nicht also, dass ihr selbst ohne die ewige Hütte erfunden werdet.

Der Fall König Sauls soll diese Mahnung wie einen Nagel in unser Gewissen treiben, indem wir aus demselben erkennen:

I. Wie die unbereute, nur übertünchte Sünde bei der ersten schwereren Versuchung als offenbare, frevelhafte Selbstsucht hervorbricht.
II. Wie diese Selbstsucht so verblendet, dass sie sich und Andern vorlügt, sie sei ein Arbeiten für den Herrn.

I.

Wir haben Saul in großem Glücke verlassen. Was er angefangen hatte, war ihm gelungen. Sein Ruhm strahlte in blendendem Glanze. Für die Feinde ringsum tönte sein Name schrecklich, wie das Rollen des Donners, für sein Volk lieblich, wie das Sausen des frischen Windes. Wohl hätte ein Sohn Israels, mit kurzsichtigen Menschenaugen den König anschauend, seiner hoch sich rühmen und reden mögen: „Wo tragt ihr, Völker der Heiden, eine also köstliche Frucht in eurem Schoße, wie diese ist?“ Aber wir wissen es, ein verderblicher Wurm hatte schon längst die Frucht zerfressen. Sein geistliches Leben glich einem jener Menschen, die umher gehen, scheinbar prangend in der Fülle der Gesundheit, während in ihrer Brust längst der Tod sitzt. Wie lange wird dieses trügende Bild bestehen? Ein einziger rauer Nordwind, und der Tod tritt aus der verborgenen Tiefe auch auf das Antlitz. Wir sind bei Saul auf diesem Punkt. angelangt, wo ein Hauch aus dem Munde Gottes, ein Befehl, den Seelentod offenbarte, der unter glänzender Larve verborgen war. Mit jenem Gefühl, mit welchem man an das Bett eines Totkranken tritt, müssen wir uns heute dem Könige nahen.

Er sitzt da auf seinem Thron in stolzer, ruhiger Sicherheit, des Giftes nicht achtend, das in seinem Geblüte schleicht. Da tritt Samuel zu ihm heran. „Der Herr hat mich gesandt, spricht er, dass ich dich zum Könige salbte über sein Volk Israel!“ und will damit jene Stunde in ihm wachrufen, wo er ihm nach der wundersamen Nacht in der heiligen Stille die Salbung und den Kuss Gottes gegeben hatte. So höre nun, fuhr er dann fort, die Stimme der Worte des Herrn. So spricht der Herr Zebaoth. Ich habe bedacht, was Amalek Israel tat, und wie er ihm den Weg verlegte, da er aus Ägypten zog. So ziehe nun hin und schlage die Amalekiter und verbanne sie mit allem, was sie haben. Schone seiner nicht, sondern töte Mann und Weib, Kinder und Säuglinge, Ochsen und Schafe, Kamele und Esel! Es ist nicht zu leugnen: das ist ein strenger, unerbittlich harter Befehl. Aber Saul konnte keinen andern erwarten. Denn wenn die Gnadenfrist verstrichen ist, kommt die Offenbarung des gerechten Gerichtes. Dann ist's schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes fallen, des Gottes, der ein verzehrendes Feuer ist. Amalek, der dem Volke Gottes den Weg in seine Ruhe verrennen wollte, stand Jahrhunderte lang schon unter dem heiligen Zorn. Denn zu Mose hatte schon der Herr gesprochen: „Ich will den Amalek unter dem Himmel austilgen, dass man seiner nicht mehr gedenke“. Jetzt war er reif zum Gericht. Saul sollte der Vollstrecker der göttlichen Gerechtigkeit sein. Damit aber die Ausrottung dieser Feinde ganz als ein Werk der göttlichen Gerechtigkeit dastände, und auch nicht ein Schein menschlicher Willkür und räuberischer Habgier daran gefunden würde, sollte all' ihre Habe verbannt werden. Sie gehörte Gott. Saul durfte nicht einen Faden, noch Schuhriemen von der Beute nehmen. Er sollte als Gottes Werkzeug arbeiten und kämpfen, aber in den Mühen für seinen Gott sich nicht bereichern, noch seinen Vorteil suchen. Das war die Versuchung, die an den sicher gewordenen König heran trat. Ihr seht, nicht eine leichte Versuchung, denn im Dienst für Andere nebenbei das Seine suchen, dünkt der alten Natur süß, wie Honig und Honigseim, und doch eine notwendige, unerlässliche, keineswegs zu schwere Versuchung, denn wie die Leviten, so dürfen alle Diener des Herrn kein Erbe noch Teil haben, sondern der Herr ist ihr Teil. Lasst uns aufmerken, wie ein Mann, wie Saul damals war, in solcher Versuchung besteht.

Saul ist, als er gerufen wurde, zur Arbeit bereit, scheut nicht Mühe, noch Entbehrung. Er erscheint anfänglich sogar ganz als der alte, treue Streiter Gottes, wie wir ihn bei seiner ersten Königstat im Kampf wider den Ammoniter Nahas kennen lernten, voll verzehrenden Eifers und doch auch voll verschonender Sanftmut. Dem Keniter nämlich, der an den Kindern Israels Barmherzigkeit tat, da sie aus Ägypten zogen, ließ er sagen: „Weicht und zieht herab von den Amalekitern, dass ich euch nicht mit ihnen aufräume“. Auf die Amalekiter aber, die Sünder, wirft er sich mit zweihundert tausend Mann Fußvolk und schlug und zerstreute sie und verbannte alles mit des Schwertes Schärfe. Bis dahin haftet kein Tadel an ihm. Aber nun kommt die eigentliche Probe. Agab wird ihm vorgeführt, der Amalekiter König. Plötzlich ruht sein Schwert. Gedanken steigen in ihm auf, die nicht von Gott sind. „Das Volk habe ich treulich verbannt nach dem Befehl des Herrn. Es sind ihrer nicht zwei beisammen geblieben. Was ist denn ein König zu fürchten ohne Volk, ohne Land? Mag auch ein solcher gefährlich sein und schädlich für Gott und das Volk der Wahl? Wenn er, gebunden mit Ketten im Triumphe aufgeführt würde, und leben müsste als Sklave an meinem Hofe, inmitten Israels, gesehen mit Augen von allen Kindern des Volks und allen Heiden, würde er nicht ein furchtbareres Exempel der göttlichen Gerechtigkeit und Unantastbarkeit des heiligen Volkes sein, als wenn ich ihn jetzt verbannte mit des Schwertes Schärfe?“ So oder ähnlich, denn es wird uns nicht besonders erzählt, muss Saul gedacht haben. Jedenfalls dachte er aber dabei eigentlich an sich, wie er zu seiner Ehre, seinem Nutzen und Frommen Agag am Leben behielte. Ob er mit einem königlichen Sklaven hat prangen und seinen Ruhm vergrößern, oder ob er teuer Lösegeld für sich hat erpressen wollen, was verschlägt's, in welcher Weise er an sich dachte und seine Begierde? Genug er dachte, wiewohl ein Rüstzeug Gottes, an sich und seinen Nutzen, seinen Ruhm. Darum ließ er Agag gegen den ausdrücklichen Willen Gottes am Leben.

Und nach Agag wurde alle Beute an Vieh vorgeführt, fette und magere, schlechte und gute. Und es ging ihm und seinem Volk, wie ehedem Eva, der Mutter alles Fleisches, und wie Achan, dem Evaskinde. Er sah die gute Beute, und da gelüstete ihn. „Soll meine Arbeit und meine Mühe denn ganz umsonst sein? Ist nicht ein Arbeiter seines Lohnes und ein Streiter seines Soldes wert?“ So oder ähnlich sprach er bei sich. Und die Lust wuchs, und ging ihm nach dem königlichen Spruch: „Lass deine Augen nicht fliegen dahin, das du nicht haben kannst: denn dasselbe macht ihm Flügel, wie Adler, und fährt gen Himmel“. Denn „was gute Schafe und Rinder und gemästet war, und der Lämmer und alles, was gut war, schonte Saul und wollte es nicht verbannen; was aber schnöde und untüchtig war, das verbannten sie“. Da ist die Selbstsucht bar und offen in frevler, platter Gestalt hervorgebrochen. Hier ist kein Straucheln mehr, wie vordem in Gilgal. Dies ist der Fall. Er sucht nicht mehr, was Gottes ist, er sucht das Seine. Die Arbeit im Dienste Gottes ist ihm jetzt ein Vorwand, unter dem er die mannigfachen Lüste seiner Selbstsucht befriedigt. Gott hatte ihn zum Werkzeuge seiner heiligen Gerechtigkeit gemacht, und er macht Gott und Gottes Wahrheit und Heiligkeit zum Werkzeug seines Eigennutzes, seiner Fleischeslust, seiner Augenlust, seines hoffärtigen Wesens. Er hat sich ins Heiligtum geschlichen, um unter dem Mantel eines Dieners Gottes zu rauben, was Gottes ist. Diese eine Versuchung hat, gleichsam wie ein Sturmwind, den gleißenden Schafpelz, den er sich in der Zeit zwischen dem Straucheln und dem Fall noch zu bewahren gewusst hatte, abgerissen, und der Wolf steht enthüllt da, der giere, räuberische. Sie hat, wie ein Platzregen, die lose Tünche fortgeschwemmt, dass der innere Moder offen zu sehen ist. Bis dahin ist es mit dem Manne gekommen, der einstmals nur lebte, arbeitete, kämpfte, duldete für seinen Herrn und sein Volk, und dabei nichts, weder Großes, noch Kleines für sich wollte. Jetzt muss das Gute, Fette, Gemästete, und alles, was seinen Augen gefällt, für ihn sein. Was aber schnöde und untüchtig ist, das muss gut genug sein für den Allerhöchsten.

Wir wissen, so schnell und mit einem Male ist solche bare, frevle Selbstsucht nicht groß gewachsen. Dieser Wurm ist auch erst klein dem Ei, der unbereuten, mit Eifer und äußerem Gottesdienste übertünchten Sünde, entkrochen und in der langen Zeit der Sicherheit groß geworden, aber das alles wie im Schlafe. Jetzt, da ihm in der Versuchung so süße, lockende Speise vorgehalten wird, erwacht er plötzlich und regt sich, und ringelt sich in erschreckender Gestalt aus dem verborgenen Neste ans helle Tageslicht.

Diese räuberische Wolfsnatur ist in grober oder seiner Weise leider zu oft von Anfang an unter den Dienern Gottes gefunden und ihr Fall geworden. Hophni und Pinehas, die Söhne Elis dienten am Tempel und Altar und nahmen unter der priesterlichen Maske die besten Opferstücke für sich und trieben, verdeckt vom Mantel ihres Amtes, noch ärgeren Gräuel der Selbstsucht. Ihr wisst, dass das ihr Tod war. Viele sind Jesu nachgefolgt, weil sie satt geworden. Aber alle, die in seinem Dienst und seiner Nachfolge das Ihre suchten, wie zum Exempel Judas Ischarioth der Verräter, die sind jämmerlich eben dadurch zu Fall gekommen. Sind euch aber diese Beispiele zu grob, als dass ihr sie für euch zur Warnung geschrieben ansehen möchtet, so denkt an Ananias und Sapphira, wie sie die Brocken, den Abfall, das Schnöde, Untaugliche, das Geld, ihrem Gott hinwarfen, und unter diesem glänzenden Opfer doch nur das Ihre suchten, Nahrung für ihren geistlichen Hochmut, Vermehrung ihres Ruhmes der Frömmigkeit, des wahren Christentums. Oder denkt an Diotrephes, von dem St. Johannes schreibt in seiner Episteln einer, dass er wolle hochgehalten werden. Merkt, er mühte sich ab und arbeitete für Christum und die Gemeinde, damit er den Namen hätte, und als der erste geachtet würde und gepriesen in der Gemeinde. Dieser, wie jene sind mit ihrer Selbstsucht zu Grunde gegangen.

Ich habe schon in der vorigen Predigt gezeigt, wie es unserer Natur viel mehr zusagt, die Sünde durch scheinbaren Eifer und Festhalten an Scheinfrömmigkeit zu begraben, als sie gründlich zu bereuen. Wenn wir die Scheu vor der täglichen Reue und Buße in uns herrschen und einen Zustand der Sicherheit dadurch in uns aufkommen lassen, so kann das kein anderes Ende nehmen, als mit Saul. Es ist das auch in unserer Zeit an Manchem offenbar geworden. Er glühte Anfangs für seinen Gott. Er stand einmal in der Zeit der ersten Liebe. Da dachte er nicht mehr an sich, sondern an das, was Gottes und des Nächsten ist. Eine unbereute, verdeckte Sünde, ein. Bann im Gemüt macht das bald anders. Äußerlich arbeitet er fort. Es gelingt noch Vieles. Aber innerlich wächst der Basilisk der Selbstsucht. Er fängt in gröberer oder feinerer Weise an, nebenbei auch an sich zu denken, ein Erbteil zu begehren mit den Kindern der Welt, Behaglichkeit und Bequemlichkeit, gute Tage für das Fleisch, Frommen von seiner Mühe und Arbeit, Liebe und Zuneigung der ihm anvertrauten Seelen, Ansehen und einen Namen, der etwas gilt bei den Kindern des Volkes. Noch ist dieser Basilisk nicht aus der mit Blümlein der Gottseligkeit umsteckten Höhle gekrochen. Da kommt die Versuchung. „Verbanne Amalek mit der Schärfe des Schwerts!“ gebietet Gott. Amalek ist ein Abbild nicht aller Feinde Gottes und seines Volkes, sondern jenes besonderen, der wenn schon andere Feinde überwunden sind, den Weg ins verheißene Land uns noch versperren will. Es sind Überbleibsel der alten, bitteren Wurzel, Reste der bösen Lust, einzelne besondere Schwächen und Fehler, oder einzelne Neigungen, Gewohnheiten, Lieblingsdinge, die man mit Schonung hegt und pflegt, und die darum mit Recht Schoßsünden genannt werden. „Verbanne diesen Amalek und schone seiner nicht“. Lasst es uns frei gestehen, dass wir oft auf dem Wege zum Fall gewesen sind. Hundertmal schonen wir dessen, was uns so lange lieb war, was uns gut dünkt und uns wie ans Herz gewachsen ist. Wir können es nicht ausreißen. Es dünkt uns Schade sein. Das Beste unserer Kräfte und Gedanken muss für uns sein. Gott mag dann mit dem sich begnügen, was, uns gering erscheinend, überbleibt und leicht hingeopfert werden kann, mit dem Schnöden, Untüchtigen. Oder ist Einer nur von euch allen, der zu sagen wagt: „Ich habe nimmer das Gute und Fette für mich behalten und meinen Gott mit dem Untüchtigen und Schnöden abgelohnt!“ Wie Mancher, der den Schein eines gottseligen Wesens hatte und dabei in Sicherheit dahin ging, hat den Dienst des Herrn begehrt, um seiner eigenen Selbstsucht zu dienen, um sich ein Los und Erbteil zu erwerben, in der Meinung, es sei beim Tempel ein besserer Dienst, und im Weinberge des Herrn eine angenehmere oder ehrenvollere Stellung. Oder wer kann die zählen, welche wie Diotrephes arbeiten und Leid und Mühe tragen, damit sie hochgehalten werden und im Dienst Christi sich einen Namen machen bei den Menschen, ihre Liebe, ihr Wohlwollen, ihren Beifall für sich erwerben, oder wie Ananias und Sapphira, damit ihre Frömmigkeit, Uneigennützigkeit und Liebe bekannt werde, damit sie mehr scheinen, als sie sind. Aber ihr wisst es selbst, dass ich jene Wünsche und Phantasien nicht alle mit Namen nennen kann, die man als Knecht und Magd Christi hauptsächlich oder nebenbei verwirklicht sehen möchte. Wer's mit sich gut meint, nennt sie sich selbst.

Es ist ja wahr: wer seine Lust am Herrn hat und darum auch am Dienst des Herrn, der erhält, was sein Herz wünschet. Ein Arbeiter ist ja seines Lohnes wert nach der Schrift, und im Dienst und der Nachfolge Christi hat man nie keinen Mangel. Aber das selbstsüchtige Menschenherz kehrt diese Ordnung so entsetzlich leicht um. Um Lohnes teilhaftig zu werden, um zu erhalten, was das Herz wünscht, um nie keinen Mangel zu haben, lässt es sich dingen zum Dienst des Herrn. Das ist nichts anders, denn Selbstsucht, das ist der Weg zum Fall und der Fall selbst. Wer in dieser Selbstsucht beharrt, taugt nicht mehr zum Diener Gottes. Sein Urteil ist ihm nahe. Wir müssen es hören.

II.

Da geschah das Wort des Herrn zu Samuel und sprach: „Es reut mich, dass ich Saul zum Könige gemacht habe; denn er hat sich hinter mir abgewandt und meine Worte nicht erfüllt. Des ward Samuel zornig“. Es brannte und stach ihn in seinen Nieren und tat ihm weh in seinem Herzen, dass Saul, der Herrliche, so gefallen war. Und er schrie zum Herrn die ganze Nacht!“ Er betete mit dem Jammer eines Vaters für seinen geistlichen Sohn. Er rang mit Gott eine Nacht lang, beugte sich anstatt Sauls vor Gott und war zerschlagen und zerknirscht von der Sünde des einst Hochbegnadigten. Nach einer solchen Nacht, mit solch' bewegtem Herzen machte er sich am Morgen frühe auf, dass er dem Saul begegnete, ob er ihn nicht etwa wieder zurecht brächte.

Welch' ein anderes Bild tritt uns in Saul entgegen. Während Samuel wegen der Sünde Sauls wie zerschmettert ist, hatte sich Saul fröhlichen und guten Mutes ein Siegeszeichen aufgerichtet und zog mit demselben prangend im Lande umher bis gen Karmel und Gilgal. Die offenbare und schnöde Selbstsucht, der freche Raub, den er an Gott begangen, rührt schon sein Herz nicht mehr, rüttelt sein Gewissen nicht. Als wenn er etwas Böses auch nicht einmal gedacht hätte, zeigt er sein stolzes Angesicht Himmel und Erde. So verblendet die Selbstsucht! Erinnert euch an eure Jugendzeit. Wem Gott die Gnade gegeben hat, einen frommen Vater oder einen treuen Lehrer zu haben, dem mag's auch widerfahren sein, was ich von Saul erzählt habe. Sein Vater oder Lehrer, der von der aufkeimenden, hässlichen Selbstsucht Kunde erhalten hatte, lag vor Gott und betete und rang für ihn, als wenn er selbst die Sünde getragen hätte. Er aber ging unbekümmert umher, vielleicht noch siegprangend gar und fröhlich. Und da wir größer geworden und von Gott hierher in seinen Dienst geführt sind, müssen es nicht die stummen Wände manches Kämmerleins in unsern Häusern bezeugen, wie für manchen Knecht, für manche Magd des Herrn, da sie in Sicherheit und danach in offenbare Selbstsucht verirrt waren, viel und heiß zu Gott geschrien ist, dieweil sie selbst unbekümmert und guter Dinge umhergingen? Und bittet Christus nicht immer für uns, wenn wir nach einem, mit Selbstsucht befleckten Werke ein Siegeszeichen uns aufrichten und es in Berg und Tal zur Schau tragen?

Noch von größerer Verblendung muss ich melden. Das Antlitz Samuels, das ernste, vom Gebet der Nacht her noch geweihte, tritt vor Saul. Und Saul tritt ohne einen Anflug von Schamröte keck ihm entgegen und spricht: „Gesegnet seist du dem Herrn! Ich habe des Herrn Wort erfüllt“. Welche freche Stirn gehört doch zu einem solchen Selbstbetrug, zu einem solchen Betrug Gottes und seiner Knechte? Was soll man dazu sagen? Wusste er's denn nicht, was er getan? oder erkannte er's nicht als Frevel. Er wusste es, und er erkannte es auch. Aber die Selbstsucht, die ihr kennt, gab ihm den traurigen Mut zu jener Lüge. Noch Ärgeres. Während er sich rühmt, des Herrn Befehl getan zu haben, blöken die Schafe und brüllen die Rinder, die er dem Herrn gestohlen. Aber auch das macht ihn noch nicht rot. Samuel muss fragen: „Was ist denn das für ein Blöcken der Schafe in meinen Ohren und für ein Brüllen der Rinder, die ich höre?“ Da ist Saul doch überführt. Die Zeugen seiner Missetat schreien laut! Wie? Einer, der in solcher Selbstsucht verstrickt ist, soll sich überführen und den Mund stopfen lassen, keine Ausflucht mehr wissen, keine Tünche mehr erfinden können? Redefertig und ohne Verlegenheit antwortet Saul: „Von den Amalekitern haben sie sie gebracht; denn das Volk verschonte der besten Schafe und Rinder um des Opfers willen des Herrn, deines Gottes. Das andere haben wir verbannt“. Samuel lässt nach solcher verstockten Rede Sauls nicht länger auf Fragen und Beweise sich ein. Er nennt seine Tat nun gerade heraus einen Raub, und an frühere, selige Zeiten der Demut ihn erinnernd, wo er angenehm war vor Gott, verkündigt er ihm, dem stolz und steif gewordenen, nun die Strafe der Verwerfung. Auch das bricht die Selbstsucht noch nicht. Die Stirn bleibt noch keck, der Nacken noch steif, der Hals noch starr. Mit verwunderter Empfindlichkeit und fortgesetzter Verstellung antwortet er: „Was hab ich denn Übels getan, dass du mir solches sagst? Habe ich doch der Stimme des Herrn gehorcht und bin hingezogen des Weges, den mich der Herr sandte und habe Agag, der Amalekiter König, gebracht und die Amalekiter verbannt. Aber das Volk hat des Raubes genommen, Schafe und Rinder, das Beste unter dem Verbannten dem Herrn, deinem Gott, zu opfern in Gilgal“. Da muss die Sünde noch gar getan sein um Gottes willen. Der Raub ist ein Opfer, eine Selbstverleugnung. Um den Herrn mit dem Besten zu ehren, ist er ungehorsam gewesen, um ihm treu zu sein, treulos. Kommt es soweit in der selbstsüchtigen Verblendung, in der frechen Entschuldigung, in dem unverschämten Lügen und Trügen, geschieht der Verrat noch mit einem Kusse: dann ist der Fall vollendet. Wer will da wieder aufrichten?!

Mir zittert vor meinem eignen Herzen. Denn ich fühle, dass der alte Mensch in mir diesem Saul sehr verwandt ist. Ich spüre einige Ähnlichkeit, wenn ich auf mein vergangenes Leben sehe und die unheimlichen Tiefen meines Herzens durchforsche. Es tut sehr not, dass ich mit großem Ernste um Wahrheit flehe, dass ich durch Betrug der Sünde, des selbstsüchtigen Herzens nicht auch also verführt werde.

Ich kann hier nicht, wie's wohl unter vier Augen geschehen könnte, Jedem von euch aus seinem Leben dergleichen vor Augen stellen. Und auch was ich euch unter vier Augen nennen könnte und etwa genannt habe, es ist ja doch nicht ein Zehntel dessen, was, im Herzen verborgen, nur von dem gesehen wird, vor dessen Richterstuhl wir dereinst offenbar werden müssen. Aber ich bitte Jeden um Christi willen: erkenne, wie oftmals die Selbstsucht in ihrer mannigfachen Gestalt zur Arbeit dich trieb. Als du bekennen solltest, erinnere dich! da musste die Selbstsucht noch Aufopferung heißen; da war, was du für dich getan hattest, noch für deinen Herrn geschehen. Da war dein Mund auch nicht zum Schweigen zu bringen, und dein Herz nicht zu überführen. Du musstest doch Recht behalten gegen deinen Gott und das letzte Wort. Da warst du, ehedem so niedrig und gering, plötzlich so sehr groß und ein so gewaltiger Heiliger, wie der gefallene König, und warst im Gefühl der Unschuld, wie alle solche Heilige, noch sehr verwundert und noch mehr empfindlich über Gottes harte Rede. „Ist es nicht also, da du klein warst vor deinen Augen, wurdest du ein Haupt unter den Stämmen Israels, und der Herr salbte dich zum König?“ Warum wolltest du denn größer werden und mehr besitzen und höher steigen und gewaltiger glänzen, und hast dich darum zum Ungehorsam gewandt und zum Raube?

Wenn wir nun, liebe Mitknechte und Mägde, Jeder an seinem Teil heute ohne Falsch bekennen, wie oft wir im vergangenen Jahre in des Herrn Dienst das Unsere gesucht, das Schnöde und Untaugliche dem Herrn gelassen, das Fette aber und Gute, und was uns wohlgefiel, für uns genommen, es geschont und nicht verbannt haben mit dem scharfen Schwerte des Geistes, wenn wir auch das vor uns selbst und unserm Gott bekennen, dass wir in unserer Selbstsucht uns und andere täuschen wollten, dem räuberischen Wolfe in uns den Schafpelz umhingen: würde das nicht eine Zurüstung für das morgige Fest sein, die vor Gott wohlgefällig und für uns von heilender, aufrichtender Kraft wäre? Würde eine solche Zurüstung für alle, die irgendwie vom Herrn in seinem Weinberg gedungen sind, nicht für jeden Tag ihres Dienstes gut und notwendig sein?

Ich fürchte nicht, dass Jemand so heilig und groß ist in seinen Augen, dass er laut und offen sagte: „Ich bedarf solcher Zubereitung weder heute, noch je“. Ob aber der alte Adam Niemanden es leise ins Ohr flüstert? Seele, Seele, die du solch heimlich Geflüster hörst, gedenke an Saul, an seine erste Liebe und an seinen Fall, an seine frühere Demut und an seine jetzige Heiligkeit. Und hast du dann etwas noch von der Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt, und zu jener heimlichen Weisheit, die in der Herzensdemut besteht; dann lässt du deinen Herrn nicht vergeblich rufen: „Halte, was Du hast, dass Niemand Deine Krone nehme!“ Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/d/disselhoff/saul/disselhof_-_saul_-_predigt_8.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain