Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Siebente Predigt. Die Zeit zwischen dem Straucheln und dem Fall.

Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Siebente Predigt. Die Zeit zwischen dem Straucheln und dem Fall.

1 Sam. 14.

Wir haben in der letzten Predigt Saul, den Felsen, wanken und schwanken sehen, haben auch die Macht erkannt, die im Stande war, ihn von dem festen Grunde zu bewegen, darauf er ruhte. Zwischen jenem ersten Straucheln und dem Fall liegt eine längere Zeit, als zwischen der letzten Predigt und dieser. Denn vom Gleiten und Wanken gehts bei Leuten, wie Saul, nicht sogleich zum vollendeten Fall, sondern dazwischen liegen mannigfache Stufen des inneren Lebens, liegt ein verkehrtes und eben darum fruchtloses, wenn auch noch so mühevolles Ringen, sich aufrecht zu erhalten. Gewöhnlich richtet der geistige Blick sich nur auf Anfang und Ende des Falls und übersieht die Zeit mitten inne. Und doch ist gerade diese von außerordentlicher Wichtigkeit. Wir müssen sie heute genauer kennen lernen.

Die Zeit zwischen dem Straucheln und dem ersten Fall.

Wir sehen in der verlesenen Geschichte bei Saul drei Stufen:

I. Wie Gottes Wunder-Treue Saul nicht zur Scham über seinen Unglauben, sondern nur zu fleischlichem Eifer treibt.
II. Wie er den halb gefühlten Mangel gründlicher Buße durch äußern Gottesdienst ersetzen will.
III, Wie darum die weitere Gnadenfrist und Hilfe Gottes nicht zum Aufrichten, sondern zur Sicherheit führte.

I.

Fröhlich singt die Christenheit von der Treue ihres Gottes:

Wenn Keiner treu Dir bliebe,
So bleibst du dennoch treu!

Und wer's mit den Worten dieses Liedes nicht singt, der rühmts mit den Worten Sankt Pauli: „Glauben wir nicht, so bleibt er treu; er kann sich selbst nicht leugnen“. Das muss uns auch der ungläubige, irre geführte König Saul bezeugen.

Samuel war, sobald er sein Strafamt ausgerichtet hatte, fortgeeilt und hatte den König allein gelassen, der wie wir schon neulich sahen, ungebeugt noch da stand, auf seine 600 Mann trotzend. Aber der Gnädige verließ den trotzenden König noch nicht, ging dem Verirrten in Treue nach, ob er ihn nicht möchte herumholen und vom Straucheln aufrichten. Lasst sehen, welche Mittel er ergreift. Saul hatte durch Unglauben gesündigt. Wenn seine Krieger, meinte er, sich von ihm verliefen, sei Alles verloren. Dagegen nun wollte der Allerhöchste ihm und Allen, die sehen wollen, zeigen, dass wo nur Glauben ist, da auch er selbst, der Allmächtige, sei, und dass wo Er einem Manne zur Rechten steht, die Hilfe nicht ferne bleibt, ob auch alle menschlichen Helfer sich abwenden. Darum erweckt er Jonathan, den Sohn Sauls. Während nämlich Saul unter einem Granatenbaum, der in der Vorstadt von Gibea war, rat- und tatlos lag, um ihn die sechshundert, da begab sich's eines Tages, dass Jonathan zu seinem Knaben, dem Waffenträger, sprach: „Komm, lass uns hinüber gehen zu der Philister Lager, das da drüben ist. Vielleicht wird der Herr etwas durch uns ausrichten!“ „Vielleicht!“ sagt er. Das ist nicht der Geist des Zweifelns, setzt er doch sofort jenes Wort hinzu, das nun seit Jahrtausenden das fröhliche Schiboleth wahrhaftigen Glaubens und Vertrauens ist: „denn es ist dem Herrn nicht schwer, durch viel oder wenig helfen!“ Das stand bei Jonathan fest, dass des Herrn Arm nicht verkürzt ist, dass er durch einen gebrechlichen, sündigen Menschen so viel ausrichten könne, als durch Legionen seiner Engel. Aber er wusste nicht, ob Gott durch ihn gerade seine wunderliche Macht beweisen wollte. „Bedarf Er meiner doch nicht“, sprach er wohl bei sich selbst, „sondern hat viel tausend Mittel und Wege seine Herrlichkeit zu offenbaren“. Darum sucht er dessen gewiss zu werden, ob Gott ihn, den Schwachen, der sich im Gewissen getrieben fühlte, für sein Volk etwas zu tun, als Rüstzeug gebrauchen wollte, darum machte er sich, wie Elieser und Gideon, ein Zeichen und sprach: „Wohlan, wenn wir hinüber kommen zu den Leuten und ihnen ins Gesicht kommen, werden sie dann sagen: Steht stille, bis wir an euch gelangen! so wollen wir an unserm Ort stehen bleiben und nicht zu ihnen hinauf gehen. Werden sie aber sagen: Kommt zu uns herauf! so wollen wir zu ihnen hinauf steigen, so hat sie uns der Herr in unsere Hände gegeben! Und das soll uns zum Zeichen sein“, zum Zeichen dass wir nicht eigenmächtig als Retter uns aufwerfen, unsere Hände nach einem Werk strecken, das uns zu hoch ist, sondern dass es Gott gefallen wird durch uns zwei Knaben sein Volk zu retten, wo alle Hilfe verloren scheint. Und gingen die Zwei im Namen ihres Gottes ihren Weg über zwei steile Felsen Bozez und Senne. Da sie nun der Philister Lager beide ins Gesicht kamen, sprachen die Philister im höhnenden Übermut: „Siehe, die Hebräer sind aus den Löchern gegangen, darin sie sich verkrochen hatten!“ Und die Männer im Lager antworteten Jonathan und seinem Waffenträger und sprachen mit wegwerfendem Spotte: „Kommt herauf zu uns, so wollen wir's euch wohl lehren!“ Da, als er den Übermut der Unbeschnittenen merkte und aus ihrer Antwort erkannte, dass Gott Ja und Amen zu seinem Rat gesagt hatte, sprach Jonathan zu seinem Waffenträger mit der unwandelbaren Gewissheit des Glaubens: „Steig mir nach, der Herr hat sie gegeben in die Hände Israels!“ Und Jonathan kletterte mit fröhlichem Mut und gewissem Herzen und Geist mit Händen und mit Füßen hinauf in das hochgelegene, kaum einnehmbare Lager der Unbeschnittenen und sein Waffenträger ihm nach.

Da fielen sie vor Jonathan darnieder und sein Waffenträger würgte ihm immer nach. Und geschah eine große Schlacht. Und es kam ein Schrecken ins Lager der unreinen Übertreter, das auf dem Felde war, und im ganzen Volk des Lagers, und die durch das heilige Land streifenden, Alles verheerenden Rotten erschraken auch, also dass das Land erbebte. Denn es war kein Schrecken, wie er vor mächtigen Helden hergeht, es war, sagt die Schrift, ein Schrecken von Gott, und der Haufe der Unbeschnittenen zerrann und verlief sich, und ward zerschmissen. Das war alles geschehen, ohne dass das Volk etwas nur ahnte, während Saul unter dem Granatenbaum ruhte. Ein Wink nur von Gott, vollendet steht Alles da vor dem Auge des ausgerüttelten Menschen. Saul will mit helfen. Aber seine Arbeit war keine andere, als wenn ein Mann von Israel die Mauern von Jericho hätte niederreißen wollen, da Gott sie umstürzte. Saul konnte kaum das Schwert ergreifen. Das heilige Volk war längst erlöst. Er wollte helfen, die Kerkertür einschlagen. Aber ehe er nahte, stürmten die Gefangenen schon in hellen Haufen in die Freiheit. Denn auch die Hebräer, die vorhin bei den Philistern gewesen waren und im Bund mit ihnen gegen das eigene Volk gekämpft hatten, taten sich zu dem Israel, das mit Saul und Jonathan war. Und alle Männer von Israel, die sich auf dem Gebirge Ephraim verkrochen hatten, da sie hörten, dass die Philister flohen, strichen hinter ihnen her im Streit. Also half der Herr zu der Zeit Israel. Also half er. Das ist die Weise Gottes, wenn er Einem seinen Unglauben unter die Augen stellen will. Merkt darauf! Diese Art der Hilfe war noch ganz unerhört. Durch Gideon hatte Gott auch wohl geholfen. Aber mit Gideon waren doch Dreihundert, dazu war er noch offenbar zur Hilfe berufen. Durch Simson, den Einen, hatte er wohl einmal auch schon die Philister zerschmettert, aber Simson war der von Mutterleib an Ausgesonderte, der Mann, über den längst der Geist Gottes gekommen war, bekannt in Israel als der gotterwählte Retter. Hier kommt die Hilfe durch einen Knaben, kaum erwachsen nur, denn Saul selbst, der Vater, war noch ein junger Mann. Hier kommt Hilfe durch Einen, an den Niemand gedacht, der kaum einen Namen hatte unter dem Volk. Er hatte einmal einen Wachtposten der Philister glücklich verjagt, hatte ein Schwert - das aber war auch bei seiner Jugend sein ganzer Ruhm. Außerdem hatte er nichts, als einen Knaben, seinen Waffenträger, und Glauben! Konnte Gott eine Weise der Hilfe wählen, die lauter, augenscheinlicher, als diese, zeugte: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt?“ Das sage mir. Und auch das sage mir: Um wes willen hatte er gerade also geholfen?

Als nun Saul unter dem Granatbaum diese Wundertreue des Gottes, den er verlassen, mit Augen sah, mit Ohren hörte, mit seinen Händen betastete, hat er da nicht endlich schamrot seine Augen niedergeschlagen, im Sack und der Asche Buße getan und mit einem, von der überschwänglichen Gnade zerschmetterten Herzen gerufen: „Ich ungläubiger Tor! Ich zitterte, dass sich alle verlaufen würden, und meinte, dann sei Israel dahin, und ward darum ungehorsam, ein Übertreter des göttlichen Gebotes! Nun muss ich's mit Augen sehen, mein Gott, und es brennt mir in die Seele hinein, wie du dem Glauben hilfst! Ja fürwahr:

Du kannst viel tausend Wege finden,
Wo die Vernunft nicht Einen sieht! -

„Darum schäme ich mich und scheue mich, meine Augen aufzuheben zu dir, mein Gott!“ Wohl wog die Treue Gottes schwer genug, den steifen Nacken, auf den sie sich niedersenkte, ein wenig zu beugen. Aber weil in Sauls Herzen noch jene Vermengung von Wahrheit und Lüge herrschte, die wir neulich kennen lernten, doch sehen wir selbst nach solcher Hilfe an ihm keine Spur von Beschämung, keinen Gedanken an seine Schuld, keine Demütigung um seines Unglaubens willen, auch nicht eine oberflächliche. Als er das Heil sah, das Gott gegeben, und die Männer Israels matt desselben Tages, da beschwor er das Volk und sprach: „Verflucht sei Federmann, wer etwas isst bis an den Abend, dass ich mich an meinen Feinden räche“. Fleischlicher, und darum verblendeter Eifer ergreift ihn. Er scheut nicht Mühe und Arbeit im Kampf gegen die Feinde. Im Sturm sollen sie ganz und gar vernichtet werden. Die Unruhe, die doch in ihm nagt, wirst sich mit Ungestüm nach außen hin, in die Zerstreuung hastiger, rastloser Arbeit. Von der Wunde im eignen Herzen wird der Blick immer mehr abgezogen. Das ist in der Tat der Zustand eines Dieners Christi in der ersten Zeit nach dem Straucheln, wenn er, den Geist der Wahrheit und Lauterkeit von sich stoßend, im Straucheln verharrt. Es ist das nichts Neues. Damals war's, wie jetzt es ist; jetzt ist's, wie damals. Gott begegnet mit seiner wunderbaren Treue seinen ungläubigen Knechten. Er stellt's ihnen recht greifbar unter die Augen, dass:

Sein Geist nie hängt an menschlichen Gesetzen,
So die Vernunft und gute Meinung stellt,

dass aber der Glaube immerdar der Sieg ist, der die Welt überwunden hat, stellt's noch dazu einem jeden in so besonderer Gestalt vor Augen, dass sie wie ausgewählt erscheint, die besondere Gestalt, die der Unglaube bei ihm angenommen hat, gründlich zu beschämen. Was will er durch solche Güte? Buße! gründliche Buße! Wer Buße tut, ist gerettet vom Straucheln. Aber wozu, lasst uns ehrlich sein! ist das Herz am meisten geneigt? Die Sünde des Unglaubens mit allem, was daraus geflossen ist, rund und rein zu bekennen? Es fährt viel leichter und lieber auf im fleischlichen Eifer; es tut ein Gelübde leise oder laut: „Ich will tüchtiger, treuer arbeiten, keine Mühe scheuen, durch unermüdeten Eifer den vorigen Fehltritt wieder gut machen! Was Eifer! Was gut machen! Buße sollst du tun, deinen Fehltritt einfach erkennen! All jener Eifer ist fleischlich. Wie mag der Sünde zudecken? Wie mag der vom Straucheln aufrichten? Ich habe eine Magd gekannt, die war, sonst nach dem Heil sich sehnend, der Versuchung unterlegen und hatte die Herrschaft treulos hintergangen. Das Gewissen regte sich. Aber anstatt nun rund heraus zu bekennen, wollte sie's, wie sie mir später unter Tränen erzählte, durch verdoppelten Eifer, durch dreifach tüchtige Arbeit wieder gut machen. Die Frau des Hauses bemerkte den Eifer bald, wusste aber nicht, woher er kam, und lobte darum noch die Unglückliche. Die aber sank unter ihrem Eifer immer tiefer und tiefer. So gestaltet sich die Sauls-Geschichte bei einer Magd. Wie sie sich bei dir gestaltet, das untersuche du selbst, und gestehe es dir ohne falsche Schonung. Ist aber das Beispiel einer Magd dir in deinem Stand zu niedrig, ei! so kann ich noch andere anführen. Der Meister hatte in der letzten Nacht zu Simon von der Gebrechlichkeit der Jüngertreue, auch der des Simon, ein ernstes Wort geredet. Aber Simon hat mit großer Unart seinem Herrn geantwortet und ihn schier zum Lügner gemacht. Als nun die Schar kam, Christum zu binden, wollte Simon, der wohl merkte, dass er dem Herrn wehe getan, sich sein Wohlgefallen wieder erwerben. Aber keine Buße für seine Vermessenheit und Unart, nichts als fleischlicher, ungestümer Eifer. Er schlug für seinen Herrn mit dem Schwerte drein.

Wie kann ich's leugnen, dass ich in gleicher Sünde, mehr wohl denn einmal, verstrickt bin! Dass ich, um die glühenden Kohlen des gnädigen Gottes nicht zu heiß auf dem Haupte zu fühlen und zu tief ins Gewissen brennen zu lassen, mit Hast in die Arbeit mich warf, und des Herzens Stimme durch den Lärm geräuschvollen Eifers übertönte?

Es zeigt sich sehr bald, dass solcher Eifer nur fremdes, unheiliges Feuer ist. Er verzehrt nur, und kann nicht heilen, noch heiligen. Wie er selbst Sünde ist, gebiert er Sünde. Denn der Schwur Sauls trieb das müde Volk zu jener Gier, mit welcher es am Abend über das erbeutete Vieh herfiel, und in der Hast des Hungers dasselbe wider Gottes Gebot in seinem Blut aß. Derselbe Schwur war Ursache der unwissentlichen Sünde Jonathans, und hätte den Mann, durch welchen Gott Heil gegeben hatte in Israel, dem Tode überliefert, wenn nicht Gott durch das Volk ihn gerettet hätte. „Mein Vater hat das Land geirrt!“ urteilt Jonathan vom Eifer Sauls, seht, wie wacker sind meine Augen geworden, dass ich ein wenig dieses Honigs gekostet habe. Dazu kommt, weil das Volk heute nicht hat müssen essen von der Beute seiner Feinde, die es gefunden hat, so hat nun auch die Schlacht nicht größer werden können wider die Philister“.

Ob nicht auch solche schon, die zu uns gehören, eben solchen Irrtum angerichtet und größere Siege verhindert haben, wenn die Wundertreue ihres Gottes sie nicht in die Selbsterkenntnis, sondern in Eifer und rastlose Arbeit trieb? Mein Freund, merkst du an dir solch unruhiges Zerstreuen in der Mühe und Arbeit für Gott und deinen Nächsten, frage dich ernst, ob es nicht die Zeit nach dem Straucheln ist, wo du vor der Buße dich scheust?

II.

Doch ist, was ich von Saul gesagt habe, nicht so zu verstehen, als ob er sich von Gott nun ganz habe losgerissen und mit keinem Faden mehr mit dem Allmächtigen habe zusammen hängen wollen. So leicht, Geliebte, kommt Einer, der einmal mit seinem Gott verbunden war, nicht von ihm los. Die alten Liebesseile können nicht mit einem Schnitt durchschnitten werden. Sie ziehen am Menschen noch lange und gewaltig nach, auch dann, wenn die Güte Gottes, die vom Straucheln aufrichten wollte, zurückgewiesen ist. Saul ist uns ein lebendiges Beispiel. Wenn ihm Einer den Vorwurf gemacht hätte: „Du hast Gott aus deinem Herzen gestoßen!“ so würde er mit halber Wahrheit haben erwidern können: „Du tust mir Unrecht, mein Freund!“ Dennoch kam ihm nicht der stolze, selbstgenügsame Gedanke: ich kann auch ohne Gott sein, ohne Gott siegen! Vielmehr fühlt er tief, dass Gott im Regimente sitzt, und ein Mensch Gotte geben muss, was Gottes ist. Er war darin, bemerkt es wohl, sogar noch eifriger geworden, als er früher war. Noch nie ist sein Gottesdienst so zu Tage getreten, als gerade nach dem Straucheln. Er gibt davon nicht einen einfachen oder zweifachen, sondern einen vier- oder gar fünffachen Beweis. Denn da auch er in die freilich von Gott schon gewonnene Schlacht eilen wollte, rief er den Priester Ahia: „Bring herzu die Lade Gottes!“ Er dachte dabei ohne Zweifel: „Gott, der über dem Cherubim wohnt, muss mir zur Seite stehen! Ohne ihn kann ich keinen Schritt tun“. Der Arme! Er bedachte nicht, dass Israel schon einmal mit der Lade des Herrn Zebaoth war gegen die Philister gezogen, und war doch geschlagen und die Lade genommen worden. Doch damals, könntest du sagen, setzte das Volk ein abergläubisches Vertrauen auf die bloße äußerliche Gegenwart der Bundeslade, sie als ein Zaubermittel gegen die Feinde betrachtend, wie alle Heiden ihre Zaubermittel hatten. Saul aber wollte ja nicht die äußere Gegenwart Gottes allein. Er hält ja mit großem Ernst darauf, dass die Heiligkeit Gottes von seinen Kriegern nicht angetastet werde, straft mit Unwillen die Sünder und verhindert mit Weisheit weitere Schuld. Denn da ihm verkündigt ward, dass das Volk sich versündigte an dem Herrn und Blut aß, sprach er: „Ihr habt übel getan!“ Und sprach weiter: „Schlachtet hier, dass Ihr's esset, und euch nicht versündigt an dem Herrn mit dem Blutessen“. Es ist das Alles wahr, und doch sage ich: „Saul, Saul, was siehst du Splitter in der Brüder Augen und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge. Bist du nicht Schuld mit deinem fleischlichen Eifer, dass das hungrige Volk in großer Gier des Gebotes vergessen hat?“

Saul hört nicht auf solche Ermahnung. Er zieht nicht den Balken aus seinem Auge. „Aber er baute dem Herrn einen Altar. Das ist der erste Altar, den er dem Herrn baute!“ Merkwürdiges Rätsel. In der Zeit nach dem Straucheln baut er den ersten Altar! Ist er nicht noch stark vom allmächtigen Gott gebunden? - Hört noch mehr!

Das Volk hat durch die Mahlzeit sich wieder gestärkt; da rief er: „Auf, den Philistern nach, bis dass lichter Morgen wird, dass wir Niemand von ihnen überlassen!“ Aber der Priester sprach: „Lasst uns hierher zu Gott nahen!“ Und Saul fragte Gott: „Soll ich hinab ziehen den Philistern nach? und willst du sie geben in Israels Hände?“ Aber der Herr antwortete zu der Zeit nicht. Saul hielt das nicht für ein blindes Ohngefähr. Er erkannte vielmehr im Schweigen Gottes, dass eine unbekannte Sünde, ein Bann auf Israel ruhen müsse. Darum sprach er: „Lasst herzutreten alle Haufen des Volks, und erfahrt und seht, an welchem die Sünde sei zu dieser Zeit; denn so wahr der Herr lebt, der Heiland Israels, und ob sie gleich an meinem Sohne Jonathan wäre, so soll er sterben“. Welch stürmischer Eifer wider die Sünde! und welch' ernster Eifer! Denn als es durch das Los an den Tag kam, dass Jonathan gegen des Vaters Schwur unwissend etwas vom wilden Honig gekostet hatte, sprach Saul: „Gott tue mir dies und das, Jonathan, du musst des Todes sterben!“ Und er hätte ihn im Grimm gegen die Sünde auch mit dem Tode gestraft, wenn Gott durch des Volkes Hand nicht ins Mittel getreten wäre.

Ihr seht aus allem dem, welche Macht die gewaltige Hand Gottes noch über Saul hatte, wie der strauchelnde König in allerlei Weise sich abmühte, wieder in das alte, nahe Freundesverhältnis zu seinem Gott zu kommen. Aber all sein Mühen und Ringen ist ganz und gar vergeblich. Ich darf euch nicht erst sagen warum? Ihr habt es gemerkt, dass er mit seinem äußeren Gottesdienst, mit seinem Bau des Altars, mit seinem verzehrenden Grimm gegen die Sünder sich der Einkehr in das eigene Herz, der Erkenntnis seines Unglaubens, als der Quelle alles Übels, der gründlichen Buße überheben will. Überall sucht er die Schuld, nur in sich nicht. Alle Mittel, Gott zu versöhnen, wendet er an; nur das Eine nicht, das allein versöhnen kann.

In diesen Zustand kann eine ganze Zeit und Gemeinde geraten, wie wir an Ephesus sehen. Sie war von der ersten Liebe gefallen, die aus der Vergebung der Sünden kommt. Selbsterkenntnis, Buße waren ihr unliebe Wörter geworden. Desto mehr mühte sie sich ab mit gottesdienstlichen Werken, arbeitete, ohne müde zu werden, nicht für sich, für ihren Herrn, konnte auch, aber so wenig wie Saul, die Bösen tragen, versuchte die falschen Apostel, hasste die Nicolaiten, die Sünder, mit großem Hasse. Aber alles das war vor dem Herrn der Gemeinde nicht angenehm. Er ruft in das geschäftige, ernste, gottesdienstliche Treiben hinein: „Tue Buße! und tue die ersten Werke!“ jene Werke, welche die begnadigte Sünderin tat, da sie zu Jesu Füßen sich hinwarf, mit ihren Tränen sie netzte und mit den Haaren ihres Hauptes sie trocknete und sie küsste und sie mit Salben salbte.

Es werden viele Werke und Dienste der Liebe für Gott getan. Sie kommen aus zwei Quellen. Entweder lieb' ich viel und tue viel, weil mir viele Sünden vergeben sind und alltäglich vergeben werden, das sind Dankopfer, Gott zu einem süßen Geruche, - oder ich liebe viel und tue viel, um durch den vielen Gottesdienst meine Sünde zuzudecken und der Buße überhoben zu sein. Diese Werke und Gottesdienste stinken vor Gott, wie man an Saul sieht, an Simon, dem Pharisäer, der Jesum zu Gaste lud, an jenem Pharisäer im Tempel, an der Gemeinde zu Ephesus.

Die Sünden werden noch immer viel gehasst und gestraft um Gottes willen. Auch dieser Hass hat zwei verschiedene Quellen. Entweder hasse ich die Sünde, weil ich sie an mir zuerst gehasst habe, oder ich hasse und verdamme sie, um sie an mir nicht zu hassen, wie du wiederum an Saul siehst und jenen beiden Pharisäern, welche die Sünderin und den Zöllner richteten, und an der Gemeinde zu Ephesus. Tue Buße! ruft der Herr drein; wo aber nicht, werde ich dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust!“

Buße also will Gott, Buße! ungeheuchelte Erkenntnis des ersten Fehltritts, durch den ich von ihm abgekommen bin. Aber was sträubt und windet und müht und zerarbeitet sich der alte Mensch, um der Buße überhoben zu sein, um vor dem einen Wörtlein vorüber zu kommen: „Ich habe gesündigt!“ Das Gewissen lässt ihm keine Ruhe. Er fühlt noch das Bedürfnis, wieder zu Gott zu kommen. Er rennt und läuft. Er wird im äußerlichen Gottesdienst desto strenger, klammert sich äußerlich fester an die Bundeslade Gottes, hält sich gewissenhafter zu seinem Tempel. Ein quälendes, gesetzliches Wesen ergreift ihn. Er baut Altar um Altar, bringt Opfer um Opfer, fastet, betet und kasteit sich. Er sieht die Sünden Anderer mit scharfen Augen, predigt Andern, straft sie, eifert gegen die Missetaten des Volkes, zeigt großen Ernst gegen allen heimlichen Bann: Alles vergeblich! Die Seele kommt dabei immer mehr von Gott ab, die innere Entfremdung wird immer größer, der Fall rückt immer näher. Ich weiß nicht, womit ich diesen Zustand besser vergleichen sollte, als mit dem Schiffbrüchigen, der die eine Hand emporstreckt und ruft: „Rette mich!“ während er mit der andern und mit den Füßen dazu nur tiefer in den Wirbel hineinschwimmt; oder mit einem Manne, der vor einem schönen, verschlossenen Garten steht, mit der einen Hand das Schloss ausschließend, mit der andern Riegel auf Riegel vorstoßend. Was soll das vergebliche, törichte Quälen! Hast du gesündigt, so stecke deine Hand in deinen Busen und ziehe den Aussatz ans Licht, der drinnen steckt. „Wohl dem Menschen, in des Geist kein Falsch ist! Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Darum bekenne ich dir meine Sünde, und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen; da vergabest du mir die Missetat meiner Sünde!“ Mensch, zögere nicht, bis dein Heulen auch deine Gebeine zerschlägt, bis dein Saft vertrocknet. Verschweige nicht! Rufe nicht die Bundeslade! Baue nicht Altäre! Es ist entsetzlich leicht, Altäre bauen und Opfer bringen, wenn dadurch der alte Mensch sein Leben fristen und das tötende Schwert wahrhaftiger Reue in den Winkel setzen kann. Strafe auch nicht und richte nicht! Predige nicht Andern, du wirst doch verwerflich! Fort mit allen Arzneien, du wirst doch nicht heil! Bekenne! Ich kenne kein ander Wort, was dich retten kann. Lern' es von Saul. Aber lern' auch das noch, wohin es führt, wenn du es fort und fort verschweigen willst, was dich zum Straucheln brachte.

III.

„Und Saul nahm das Reich über Israel ein und stritt wider alle seine Feinde umher, wider die Moabiter, wider die Kinder Ammons, wider die Edomiter, wider die Kinder von Zoba, wider die Philister, und wo er sich hinwandte, da übte er Strafe. Und er machte ein Heer und schlug die Amalekiter und errettete Israel von der Hand aller, die sie zwackten“. Wieder ein Rätsel. Saul ist mit seinem Herzen von Gott gewichen und von der Wahrheit. Doch wird er immer größer, mächtiger, herrlicher und seine Taten bedeutender. Sage nicht, wenn du solches hörst: „Ist das die Folge des Verschweigens, wer sollte da je das Bekennen üben, das bittere Bekennen!“ Du weißt, wenn das Erdreich Saft hat, bringt die wärmende Sonne die Frucht zur Reife. Wenn's aber dürre ist im Acker, verbrennen ihre heißen Strahlen die Pflanze. Wenn du gesund bist, erquickt dich der frische Himmelswind. Wenn aber eine Krankheit in deinem Blute zehrt, so tötet dich dieselbe Luft. Nicht anders ist's auch im Geistlichen. Was dem Einen ein Geruch zum Leben ist, das wird dem andern ein Geruch zum Tode. Wer durch die heilsame Gnade Gottes sich nicht beschämen und zur Wahrheit bringen lässt, dem wird dieselbe Gnade, die Gottes Geduld und Langmut noch übt, zur ernsten und schrecklichen Strafe. Sie führt ihn zur Sicherheit, in jenen Zustand, in dem der Mensch dem Verderben entgegen eilt und doch wähnt, auf dem Wege des Lebens zu wandeln.

Gedenkt an Saul. Die gnadenreiche Hilfe Gottes war noch mit ihm. Es gelang ihm Alles. Sein Werk vollführte er in Herrlichkeit. Sein Name wurde weit gepriesen. Aber das gerade machte ihn sicher. Der glückliche Erfolg seiner Arbeiten für Gott trieb die letzte Erinnerung an die verborgene, noch unerkannte, viel weniger gebüßte Schuld aus seinem Gedächtnis. Er hielt sich wegen der Hilfe, die er in allen seinen Unternehmungen von oben erfuhr, wieder für einen Freund Gottes, und er war doch sein Feind. Er wähnte die Kluft ausgefüllt, weil sie durch seine glückliche Regierung überdeckt wurde, aber innerlich riss sie immer weiter. Wie hernach Babel, lebte er in Wollust und saß so sicher und sprach in seinem Herzen: „Ich bin ein König ewiglich!“ Aber auch er hatte, wie Babel, bisher noch nicht zu Herzen gefasst, noch daran gedacht, wie es mit ihm hernach werden sollte. (Jes. 47, 7.) Er stand da wie ein Eichbaum, der im Mark längst von der Fäulnis angefressen ist, wiewohl man außen kein Gebrechen gewahren mag und den grünenden, mächtigen Baum anstaunt.

So wird's Jedem ergehen, dem die Freundlichkeit Gottes nicht das Haupt zu beugen vermochte. Der ewig Treue gibt noch eine Gnadenfrist, zieht seine helfende Hand noch macht ab, lässt das Werk noch gelingen, gibt Kraft noch, dass man das Amt ausführe. Vor den Leuten erscheint man dann als ein mit Gnade Gekrönter, und ihre Meinung, ihr Lob und Beifall muss einem dann ein Zeichen sein, dass auch Gott sein Wohlgefallen noch nicht entzogen habe. In solcher Selbstbetörung wandelt der Mensch sicher seine verderbliche Straße weiter. Mit dem Auge schaut er noch nach seinem Gott und Heiland hin. Aber er geht rückwärts Schritt vor Schritt, also dass er unmerklich, aber sicher immer weiter abkommt. Aber weil's nur Schritt vor Schritt geht, merkt er's nicht, oder will's nicht merken, und beruhigt sich damit, dass der Morgenstern ihm ja noch nicht aus den Augen entschwunden sei. Er ahnt vielleicht dann und wann den Nebel und Dunst, der den Stern ihm verhüllt, und die wachsende Entfernung. Aber weil er ihm noch nicht den Rücken zugekehrt hat, ruft er: „Friede! Friede!“ und ist doch kein Friede. An die alte Sünde wird nicht mehr gedacht. Das Gras ist längst darüber gewachsen. Sie kommt nicht mehr vor des Menschen Angesicht, ihn zu ängstigen. Sie legt ihm das weiche Kissen der Sicherheit unter das Haupt. Aber ob das unbußfertige und darum schwache Gedächtnis des Sünders seine Missetat begräbt, so ist sie doch darum nicht vor Gott begraben. Sie ist wie ein Feuerfunke, der in einem Hause irgendwo verborgen liegt, und der Hausvater weiß es nicht und lebt in ungestörter Sicherheit, bis die Flamme lichterloh aus dem Dache schlägt. „Ich weiß, spricht der Herr zur Gemeinde zu Sardes, ich weiß deine Werke; denn du hast den Namen, dass du lebst und bist tot!“ Tot sein und den Namen des Lebens haben! das ist ein verzweifelt böser Schade. Ich wenigstens wüsste nicht, was es Gefährlicheres für das geistliche Leben geben sollte, als jenen sichern süßen Lügenwahn, man stehe auf festem Grund, während man inwendig so zerfressen, so morsch und faul ist, dass der erste Sturm zum Fall bringen muss. Er hält ab, zur rechten Zeit noch den Arm zu umklammern, der auch das morsche halten kann, zu jenem „Zehma“ die Zuflucht zu nehmen, unter dem es sprossen wird, unter dem auch ein verdorrter, oder von der Fäulnis ergriffener Baum wieder gesund werden und sprossen kann, lieblich wie der Stab Aarons, der am Morgen Blüten trug und Früchte. „Sicherheit, sagt der alte Heinrich Müller darum, ist des Teufels Gift und Totentrank, damit bezaubert er uns, auf dass er uns unserer Seelen beraube und den besten Schatz fälle“. Und ein Mann selbst, der von den Weltkindern als ihr Apostel gefeiert wird, hat einmal gesagt:

Denn wie Ihr wisst, ist Sicherheit
Des Menschen Erbfeind jederzeit.

Noch steht Saul wie ein festes Haus. Aber der Felsen, darauf er sich jetzt gründet, ist loser Sand. Noch ist's heiterer Himmel. Aber was wird's werden, wenn nun der Platzregen fällt und ein Gewässer kommt und die Winde wehen und stoßen an das Haus? Noch ist Saul wie eine fest verschlossene Festung, darinnen der Verräter sich still hält. Aber wenn nun der Feind vor die Mauern rückt, wie bald werden die Tore geöffnet sein, wie bald die stolze in Schutt und Asche liegen! Wir stehen, ihr fühlt es mit Furcht und Zittern, hart vor dem Fall. Die Zwischenzeit vom ersten Straucheln bis zum Falle ist ganz durchlaufen. Wir ahnen den Sturz. Mensch, Mensch! hast du noch etwas vom Geiste der Wahrheit: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“ Amen.

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