Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Fünftes Kapitel.

Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Fünftes Kapitel.

Beispiele, wie jeder Mensch Christi Lehre von dem allein Nothwendigen anwenden, und im Leben, wie nach dem Tode zur Glückseligkeit gelangen könne.

§ 1.

Ich sage, wenige Beispiele werden genügen, den Sinn dieser Vorschrift zu eröffnen und den sich weit erstreckenden Nutzen darzuthun. In wie fern dieser letztere den Menschen selbst betrifft, soll dieses Kapitel zeigen.

§. 2.

Fragst du, was dem Menschen am ersten und meisten nothwendig sei, so ist die Antwort: Er sich selbst: daß er lerne sich selbst kennen, sich selbst regieren und sein selbst genießen.

§. 3.

Was will das sagen? Zunächst muß der Mensch sich selbst kennen, daß er wisse, er sei nicht schlechthin ein Geschöpf, wie der Himmel, die Erde, die Sonne, der Baum, der Elephant, u. s. w. sondern ein Mittelwesen zwischen dem Schöpfer und den andern Geschöpfen: er sei gleichsam seines Schöpfers Ebenbild, Statthalter und Knecht, der anderen Geschöpfe aber Regent und Herr; eine kleine Welt und ein kleiner Gott. Zweitens muß der Mensch sich selbst zu regieren wissen, wie ein kleiner Gott seine kleine Welt. Daher jener Weise weislich gesagt hat: Wenn du ein König sein willst, will ich dir ein Königreich geben: regiere dich selbst. Endlich muß der Mensch sein selbst recht zu genießen wissen, d. i. auf kein Geschöpf mehr sich verlassen, als auf sich selbst, noch aus einem Wesen mehr Vergnügen zu suchen, als aus sich selbst, nach dem Sprichwort: Jeder ist sich selbst eine Welt, und darf sie nicht außerhalb suchen.

§. 4.

Wie ist der Mensch sich selbst eine Welt? Antwort: So daß er all das Seine in sich selbst hat, und nichts von dem Seinigen außer sich läßt, gleich wie ein Zirkel oder eine Kugel. Darum wird der Mensch sich selbst am besten in sich selbst finden, und nicht anderswo, weil er alsdann gar leicht auch Gott und Alles in sich selbst finden wird. Gott also kann, wie jedes Ding, in seinem Bildniß gefunden werden; alles Uebrige ebenso wie ein Ding an seinen Merkmalen erkannt zu werden pflegt, weil alle Geschöpfe Merkmale des Schöpfers sind. Weiß der Mensch sich selbst, wird er auch Andere zu regieren wissen, die gleicher Regierung bedürfen. Hat er sein selbst zu genießen gelernt, so wird er auch anderer ihm mitgeteilter Güter zu genießen wissen. Sich selbst nun kennen, regieren, besitzen und genießen ist dem Menschen das erste Erfordernis

§. 5.

Noch deutlicher ausgedrückt, so darf der Mensch seine Glückseligkeit mehr von sich selbst und von seinen wesentlichen Theilen, dem Leibe, dem Gemüthe und der Seele erwarten, als von äußeren zufälligen Dingen, der Nahrung, der Kleider, Wohnungen, Gütern, der Menschen Gunst und dergleichen Zugaben, die gemeiniglich mehr zur Last als Erleichterung, mehr zum Hinderniß als zur Beförderung dienen, wenn sie unklug angewendet werden. Denn sie vermehren ungemein die Labyrinthe, Sisyphischen Steine und Tantalischen Täuschungen, und zerstören dadurch ohne Zweifel die wahre Glückseligkeit, Sehr wohl wirst du thun, wer du auch seist, wenn du deine wesentliche Theile, Leib, Seele und den unsterblichen Geist, welchen du vor allen sichtbaren Geschöpfen empfangen, recht werth hältst, sie als dein Eigenthum erkennst, als deinen Acker, Garten, Paradies bauest, und davon die Früchte deiner ersehnten Glückseligkeit einsammelst.

§. 6.

Was wird aber zur Sammlung dieser Früchte aus mir selbst nothwendig sein, um zu erkennen, woher sie kommen, und was zu thun sein, ihr glücklicheres Hervorkommen zu befördern? - Ich verlange darin unterrichtet zu werden.

§. 7.

O Mensch! All dein Gutes kommt dir her aus dem Ebenbilde Gottes, wozu du geschaffen bist, und es wird desto glücklicher daraus hervorgehn, je mehr du Gott, deinem Erzmeister, gleichförmig wirst, wozu auch eine Herzensneigung dich antreibt. Denn gleich wie Gott ist und lebt, kann, was er will, Alles weiß und versteht, das Gute will und erwählt, wirkt, was er will, Alles besitzt und genießt, über alle seine Geschöpfe emporragt, mit ihnen in seiner Offenbarung redet, sie liebt und geliebt werden will, und ewig in der Fülle seiner Güter selig ist: Also begehrt der Mensch natürlich zu leben, gesund zu sein, zu wissen und zu verstehen, was da ist, was er will zu wählen, und was er kann zu verrichten, das Erwählte zu erlangen, das Erlangte zu genießen, zu Ehren emporzukommen, durch die Rede sich Anderen mitzutheilen, Anderer Gunst zu erwerben und einen gnädigen Gott zu haben. Wem dies Verlangen fehlte, der wäre eine Mißgeburt, und kein Mensch.

§. 8.

Es fehlt auch dem Menschen hierzu nicht die Kraft, wenn er die Mittel wohl in Acht nimmt. Das leibliche Leben gleicht einem Werkzeug und kann, wie dies, erhalten und verderbt werden, wie auch die Gesundheit; ferner stehen dem Menschen fünf Sinne, gesunder Verstand, freier Wille, tüchtige Werkzeuge zu Gebote. Jeder kann des Guten genießen, und trotz der allerdings Alles verderbenden Sünde, dienen denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten. (Röm. 9, 28.) Nach dem „Rechte der Schöpfung überragen wir die ganze sichtbare Schöpfung: durch die Wohlthat der Erlösung die Engel; durch die Heiligung endlich werden wir sogar zur Theilnahme der göttlichen Natur erhoben: wie wichtig ist dies! (Ps. 7, 6. 7. Hebr. 2, 16. 2 Petr. 1, 4.) Die Werkzeuge der Rede, Verstand, Zunge und Ohren, hat fast Jeder; auch die Gunst der Menschen wird ihm bei feinen Sitten und bei Beobachtung der Gesetze der Ehrbarkeit nicht fehlen. Liebe und Gehorsam endlich wird Jeden mit Gott vereinigen, der den göttlichen Ausspruch versteht: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ (Ps. 34, 9.)

§. 9.

Darum bleibt noch übrig, die Möglichkeit dieser wichtigen Dinge zu erleichtern; ob dies durch Christi Lehre vom allein Nothwendigen geschehen könne, laßt uns versuchen.

Zum Genuß des Lebens und der Gesundheit bedarf es des Eifers in Stärkung derselben und in Verhütung des Gegentheils, des Nachtheiligen. Die Gesundheit verderben von außen Wunden, Schläge, Fall und Zerstoßung; von innen aber jedes Uebermaaß, als heftige Hitze oder Kälte, allzuviele Bewegung oder Ruhe, Ueberfüllung mit Speise und Trank, oder im Gegentheil Schwächung durch Hunger, Fasten, Arzeneien u. s. f. Das Wohlsein entsteht durch gute Diät und Ehrerbietigkeit gegen Gott und Menschen. Die Diät ist eine kluge Mäßigung im Essen und Trinken, in der Bewegung, im Schlafe, und anderen jetzt genannten Dingen. Die Ehrerbietung gegen Gott und Menschen ist ein ernstes Bestreben, Niemandem Schaden zuzufügen. Gewährst du also deinem Magen bequeme Nahrung, dem Leibe Bewegung und Ruhe, dem Gemüthe aber Erholung und anständige Freude, und Gott, als dem Herrn deines Lebens, Anbetung und Gehorsam, den Menschen, was Jedem gebührt; warum solltest du nicht das beste hoffen? Sind nicht in diesem Fleiß, das Leben und die Gesundheit zu erhalten, selbst Christus und seine Heiligen uns vorangegangen?

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Will man Gutes wissen, Böses aber nicht, so muß man ersteres den Sinnen darbieten, letzteres aber vor ihnen verbergen. Denn Ohr, Auge und andere Sinne verfallen alsbald auf das ihnen Dargebotene; nur mußt du sie damit nicht überladen.

§. 11.

Damit man von dem, dessen Dasein man weiß, auch wisse, was es sei, ist die genaue Kenntniß der Ursachen nöthig. Um eine Sache zu verstehen, forsche nach ihrem Zwecke, ihren Bestandtheilen, und der Art des Zusammenhangs dieser Theile. So wird dir die Sache klar, und nach Verwerfung des Unnützen, Fleiß genug für das Nöthige vorhanden sein.

§. 12.

Um die Freiheit des Willens recht zu gebrauchen, muß man sich unzulässiger Dinge enthalten, bei den zulässigen aber erst fragen, ob sie nützen. Dies ist die höchste der Tugenden, indem Niemand frei ist, der seiner selbst nicht mächtig ist. Dagegen heißt es: „Stärker ist, wer sich selbst, als wer die festesten Mauern überwindet, es kann höher die Tugend nicht gehen.“

§. 13.

Auch die Tugend wirksam zu machen, trägt die Regel Christi bei. Denn die menschliche Natur hat Lebhaftigkeit, Bewegung und Wirksamkeit genug, bald mehr bald weniger, und braucht nur eine kluge Leitung. Denn wie das Gemüth allezeit etwas zu denken, der Wille etwas zu wählen trachtet: so können die übrigen Kräfte das Erdachte und Erwählte ausüben. Besonderer Anreizungen bedarf es hierzu nicht, nur einer guten Leitung, um nicht die Schranken zu überschreiten. Wird also unsere Thätigkeit von unnützen Dingen abgezogen, wendet sie sich desto kräftiger den nothwendigen zu, mit denen sie allein zu thun haben soll. O wie wichtig ist das!

§. 14.

Eben diese Regel Christi ist im Stande, uns, statt Mangels, Ueberfluß zu gewähren. Denn der gute Gott theilt stets Wohlthaten aus, wenn es uns nur nicht an Händen fehlt, sie anzunehmen. Auch die Natur ist nicht so unersättlich, wie Manche sich bisweilen einbilden. Der Genügsame lebt daher bei Wenigem glückseliger, weil er weniger zerstreut wird. Wem dagegen Gott und seine Tugend nicht genügt, dem ist nichts genug, und wird er darben, ob er auch die ganze Welt besäße. Es besteht daher die Kunst, reich zu werden, in Beten und Arbeiten, in Sparsamkeit oder Mäßigkeit.

§. 15.

Desgleichen bewirkt jene Regel, daß ein Mensch, der auf Gott und Tugend sich gründet, seine Güter in Ruhe genießt, und nichts Böses sich zu gewärtigen hat. Mit dem Nöthigen genügsam und mäßig, überhäuft er sich nicht mit dem Ueberfluß unnützer Dinge; eines Anderen Begier, ihn wegen seines schlechten Zustandes zu beneiden und ihm nachzustellen, reizt er nicht; er lebt in Gott und sich vergnügt, lobet ihn, und vom Tumulte der bewegten Welt fern, thut er stets Gutes. Mischt sich aber auch manche Beschwerde mit ein, duldet er Alles, in Betracht des menschlichen Elends und der göttlichen, in Allem waltenden Vorsehung.

§ 16.

Auch bleibt der Gottergebene stets auf dreifachem Wege. 1) indem er gegen sich oder Andern nichts Unrechtes begeht; 2) nicht sucht, gut zu scheinen, sondern zu sein; und 3) hierin, nicht sowohl auf Menschen, als auf Gott und sein Gewissen, den innerlichen Zeugen, hält. So wirst du in Gottes, seiner Engel und frommen Leute Augen als Gottes rechtes Ebenbild, geehrt dastehen: denn ob dich das gemeine Volk achte, thut nichts, da sie oft einen Cloac für einen Altar anbeten. Achte darauf nicht, sondern suche die wahre Ehre, die auf dem Throne der Tugend sitzet.

§. 17.

Auch wird die Regel Christe ihre Anhänger beredt machen, wenn man darunter nicht eine erzwungene Schwatzhaftigkeit, sondern die Fertigkeit, seine Gedanken mitzutheilen versteht. Denn wer Nothwendiges vom Unnützen zu unterscheiden weiß, wird nichts Unnützes vorbringen, die Wahrheit reden, auch seine Rede so zusammenfügen, daß sie nicht sei wie Kalk ohne Sand. So werden durch diese Kunst die Einfachsten wahrhaft beredt werden, gegen Gott wahr durch innere Seufzer des Herzens, gegen die Menschen aber durch einfache und aufrichtige Rede, welche ja, ja, nein, nein ist, wie der himmlische Lehrmeister uns gelehrt.

§. 18.

Die Menschengunst ferner anlangend, so wird auch sie durch jene Regel befördert werden; denn wer wird denjenigen beunruhigen, der selbst, an sich haltend, Niemandem in den Weg tritt.

§. 19.

Vor allem aber ist dies die sicherste Anleitung, die Gunst des höchsten Gottes zu suchen und zu finden. Denn muß man in der einzelnen Sache den Kern ihres Wesens in dem allein Nöthigen suchen, so kann beim Allgemeinen dieser Grund nichts anders sein als der erste Ursprung aller Dinge, Gott, der Zweck aller Zwecke, die Form aller Formen, und der Wirker aller wirkenden Dinge. Ein gottseliger Schüler von Christi Regel wird in Gott das Höchstnothwendigste aller nothwendigen Dinge erkennen. Und mußte er vorher von äußeren Dingen dem Unentbehrlichen sich zuwenden, so muß er jetzt nothwendig aus sich selbst gehen, und in Gott, seinen Ursprung zurückkehren. er geht daher von sich aus, um die rechtmäßige Herrschaft über sich selbst an Gott zu übergeben. Alsdann steht es wohl, mit dem Menschen, und gilt von ihm, was Gott zum Vater aller Gläubigen sagt: „Fürchte dich nicht, ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.“ (4 Mos. 15, 1.)

§. 20.

Kann alles dies noch mit besonderen Beispielen erläutert werden? Warum nicht? ich will es thun. - Willst du dein Leben ohne Labyrinth führen, so menge dich niemals in fremde Händel, weder mit That, noch Worten, noch Gedanken, wenn es sein kann. Beachtest du dies sorgfältig, so wirst du einer unglaublichen Menge von Labyrinthen entgehen. Den Labyrinthen aber in den eigenen Sachen wirft du durch Mäßigkeit entgehen d. h. durch Genügsamkeit in Kleidern, Kost, Bedienung durch Vermeidung alles Ueberflusses. Auch mit vielen Freunden überhäufe dich nicht.

§. 21. 22. Die verschiedenen Lebensjahre betreffend, so ist es ein Hauptbedürfniß der Jugend, wohlerzogen d. i. frühzeitig in dem Nothwendigen unterrichtet, vom Unnöthigen befreit werden. Hier ist der Grund der Glückseligkeit des ganzen Lebens, weil Alles nach dem Anfange sich richtet. Wie der Baum gepflanzt und gewartet wird, also wächst er; und wie er wächst, wird er hart, gerade oder krumm, trägt diese oder jene Frucht; darum sagt Salomo: „wie man einen Knaben gewöhnt, davon läßt er im Alter nicht.“ (Sprüchw. 22, 6. rc. Jer. 13, 23.) Denn du wirst leichter zerbrechen, als besser machen, was im Bösen verhärtet ist. Man kann füglicher gläserne oder irdene Gefäße vor dem Zerbrechen bewahren, als die zerbrochenen wieder machen; ebenso die Gesundheit des Leibes u. s. f.

§. 23.

Frühzeitig muß die Jugend jeden Tag nur als ein kleines Theilchen der Zeit betrachten lernen, das bald vorübergeht. Dies dient dazu, daß sie diesem vergänglichen Leben nicht zu viel trauen, vielmehr auf das Künftige sich vorbereiten lernen. Zu sterben aber sollen sie nicht weniger lernen, als zu leben; damit sie vor der größten Gefahr gewarnt werden. Denn das größte Unglück ist, wenn der Mensch, jung oder alt, unvorbereitet hinweggerissen wird, nach dem weisen Ausspruch: wir sterben, wenn wir geboren werden, und unser Ende hängt vom Anfang ab. Uebrigens werden wir, vom Unnöthigen ganz eingenommen, das Nothwendige hintansetzen. Wichtig daher, dies Leben in Gottesfurcht mit dem Vorsatze zu beginnen, zu bewirken, daß das einstige Ende desselben kein böses werde.

§. 24.

Seneca giebt den Rath, daß man sich einen recht tugendhaften Menschen, als wie den Scipio, vorstelle, ihm nachzufolgen sich vornehme, ihn stets als gegenwärtig sich denke, damit man, aus Schaam, nicht sündige. Dieser Rath war gut. Allein wir Christen wissen einen besseren - daß wir Christum stets vor Augen haben, als das vollkommenste Bild der Vollkommenheit, als den steten Beobachter, als den zukünftigen Richter.

§. 25.

Dem Einwand, daß dies Wenige beachten, begegne damit: Wer es nicht beachtet und sorglos dahin leben will, muß solche Schlupfwinkel aufsuchen, wo ihn weder Gott noch Engel noch ein Geschöpf sieht. Denn so ihn Gott sieht, wird er ihn richten, wie er ihn findet. Sieht ihn ein Geschöpf, wird es ihn anklagen, auch ein Vogel, (Pred. 10, 20.) auch die Steine in der Mauer werden schreien, und die Balken am Gesparre werden antworten. (Habac. 3, 11.) Wo wirst du aber einen solchen Winkel, der zum Sündigen schlechterdings nöthig ist, antreffen? Nirgends. Darum sei eingedenk, daß du nirgends sündigen könnest, und sündige nicht, sondern befleißige dich stets, völliger in der Tugend zu werden.

§. 26.

Was ist dem nothwendig, der diesen guten Vorsatz gefaßt hat? - Anzufangen, und zwar bald und ernstlich anzufangen. Beginnst du nie in der That, wird das Wissen dir nichts nützen, und wer heute geschickt, wird morgen ungeschickt sein. Was ist aber einem Anfangenden nothwendig? Fortzufahren, bis die ersten Schwierigkeiten, die nie ausbleiben, überwunden sind. Was aber dem Fortfahrenden? Auszuharren; weil denen allein, die bis ans Ende ausharren, die Seligkeit versprochen worden ist. (Mat. 16, 22.) Hierzu aber gewöhne dich von Jugend auf mit Ernst und ohne Heuchelei, weil die Wahrheit des Herzens der Gott der Wahrheit erfordert. Darum, wenn dich die Menschen also sehen, wie dich Gott und dein Gewissen sieht, so. wirst du allenthalben sicher sein. Sonst ist all dein Thun Falschheit: und was ist es denn? Wie der Wind die losen Blatter aufbläst, so bläst die Einbildung die eitelen Menschen auf.

§. 27.

Was ist zu thun, daß das männliche Alter, das vielen Arbeiten unterliegt, nicht ein Labyrinth werde? - Antwort: die unnützen und wenig nöthigen Dinge beiseite zu setzen; die nöthigen aber zu sammeln in eine kleine Zahl, und nach der Reihe, nach dieser dreifachen Regel, zu verrichten: 1) In keiner Verpflichtung warte auf Andere, sondern thue sie selbst, und verlaß dich nächst Gott auf keinen Menschen weiter als auf dich selbst. 2) Was heute geschehen kann, schiebe nicht bis morgen auf. 3) Was du thust, das thue mit Ernst, daß es nützlich sei.

§. 28.

Zur Verrichtung der Geschäfte ist nothwendig: 1) immer ein bestimmtes und festes Ziel zu haben, oder unter mehreren, dem ersten die anderen nachzusetzen. Wer zwei Hasen auf einmal jagen will, fängt keinen. 2) Ein einziges sicheres Mittel, oder, wo mehrere nothwendig scheinen, sie einander unterzuordnen, damit sie sich nicht einander hindern sondern befördern. Närrisch nennt der obengedachte Seiler den Wandersmann, der sich mit vielen Stecken beladet; ebenso wer mit unnützen Lasten oder vielem Geräth sich beschwert. 3) Eine einzige bestimmte Art, die Mittel zu gebrauchen, und zwar eine durch Uebung und Gewohnheit gekräftigte, oder eine Weise, die es auf neue Art, mit dem besten Verstande versucht.

§. 29.

Bei vielen Geschäften ist, mit Hintansetzung der übrigen, das nöthigste zuerst zu treiben; sind mehrere zugleich zu verrichten, muß man Helfer haben, und, geht das nicht, so thue man das Erste zuerst, das Vornehmste sodann.

§. 30.

Bei großen, außerordentlichen Geschäften ist ein großer Muth, große Kräfte und Klugheit, oder wenn du an dir selbst allein verzagst, großer Rath und Gottes Gnade, den Segen zu erlangen und Neid abzuwenden, hochnothwendig. Unternimmst du ohne dies Alles etwas Großes, so wird die Reue schwerlich ausbleiben.

§. 31.

Treten aber gleichzeitig Gefahren und Verwickelungen ein, daß du nicht, weißt, wohin du dich wenden sollst - Eins ist übrig, die Zuflucht zu Gott zu nehmen, mit Josaphat sprechend: „In mir ist Kraft gegen diesen großen Haufen, der wider mich kommt. Ich weiß nicht, was ich thun soll, sondern meine Augen sehen nach dir, o Gott. (2. Chron. 20, 12.).

§. 32.

Um in unseren Handlungen unüberwindlich zu sein, muß man nichts anfangen, was unsere Kräfte übersteigt, sonst unterliegen wir, und müssen mit Schanden ablassen. Wer daher klug ist, folge dem David, dessen Herz und Augen nicht hoffärtig waren und der nicht in zu hohe Dinge sich einließ. Ps. 131. Gefällt es Gott, dich zu etwas Außerordentlichem zu gebrauchen, wird er selbst mit eigener Hand dich dazu führen, wie den David, nach dessen Beispiel der Herr selbst, wenn du deine Sorge auf ihn wirfst, es wohl machen wird. Ps. 37, 5. Willst du seiner Führung vorlaufen, so wirst du deine Geschäfte und dich selbst in's Verderben stürzen.

§. 33.

In fremden, unserer Treue überlassenen Pflichten ist das Nothwendigste: treu zu sein d. i. ernst, hurtig und verschwiegen, je nachdem es die Sache erfordert. Sage deshalb nicht, daß du es thun wollest, sondern thue es, und rühme dich nicht, daß du es gethan habest, sondern laß die wohlverrichtete Sache selbst reden.

§. 34.

Was ist in fröhlichen Zeiten nothwendig? Fröhlich zu sein und Gott mit Gesang zu loben. (Jac. 5, 13.) Das lachende Glück anzulachen, ist erlaubt, sagt ein Heide. Was Christus den Seinen gleichfalls gestattet, doch so, daß ihre Freude nicht muthwillig sei, und mehr nach dem Fleisch, als nach dem Geist schmecke.

§. 35.

Was ist bei traurigen Dingen nothwendig? - Traurig zu sein, zu seufzen und zu beten. (Jac. 5, 13.) Denn so wird alles Böse zum Guten ausschlagen, wenn es uns zur Quelle des Guten, zu Gott, die Zuflucht zu nehmen, antreibt,

§. 36.

Ein Geiziger bedarf eines Bodens, wo seine Begierde sich festsetze. Welches aber ist dieser Boden? die Zufriedenheit, Genügsamkeit. Niemals wird der arm sein, dem das, was er hat, genügt; niemals reich der mit dem Seinen Unzufriedene.

§. 37.

Will man sein Lebelang ohne Verlegenheiten sein, muß man beständig in sich selbst die Laster, außer sich selbst die Menge der Geschäfte und Menschen vermeiden. In sich selbst die Laster zu meiden, was bedarf es? Ist es eine Versuchung des Fleisches, so fliehe, wie Joseph. (1. Mos. 39, 22.) Giebt der Satan andere Versuchung ein, so widerstehe, nach Christi Beispiel, bis der Satan flieht, (1. Petr. 5, 9. Jac. 4, 7.) Den Lärm vermeidest du, wenn du nur mit Wenigen, und nur in nothwendigen Dingen umgehst; und sobald du das Nöthige gethan, wieder in dich selbst und zu dem Deinigen zurückkehrst. Und dies beobachte dein ganzes Leben hindurch.

§. 38.

Was ist einem Alten zur Glückseligkeit nothwendig? Plato nennt den glückselig, der auch noch in seinem Alter von seinen Angelegenheiten richtige Ansichten zu erlangen das Glück hat, weil er glaubte, die Jugend und das Mannesalter werde fast immer mit Irrthümern zugebracht. Da sich aber Irrthümer nicht allein des Gemüths und Verstandes, sondern auch des Willens und der Handlungen finden: so ist der Alte glückselig, der das Ende seines Lebens gefunden, seine Steine zur Ruhe gebracht, und die Sättigung seines Verlangens erlangt hat. Darum preist David den Greis selig, dem Gott verleiht, daß er wieder jung werde, wie ein Adler. (Ps. 103, 5.) Daß nemlich, was er verrichtet, kräftig, hoch und himmlisch sei: gleichwie die alten Bäume, ob sie schon weniger tragen, doch reifere und süßere Früchte tragen, weil diese besser ausgekocht sind. Was daher für Irrthümer des Lebens ein Greis, sei es an sich oder Anderen, wahrnehmen kann, die soll er vor seinem Lebensende verbessern, damit ihn nicht der Tod ungebessert überfalle und den ganzen Werth seines Lebens verderbe. Denn gleichwie die Wettläufer den Siegespreis erst an dem Ziele haben: also ist das Siegeszeichen eines tugendsamen Lebens erst im Tode. Ist dieses verscherzt worden, so ist kein Raum der Besserung, sondern ewige Reue übrig.

§. 39.

Demnach wird die Kunst, wohl zu sterben, eine Kunst über alle Künste sein? Ja freilich: denn der Tod ist das letzte Ziel der Dinge; dann ist aber Alles gut, wenn das Ende gut ist. Unglückselig wären wir, wenn unsere höchst mühevolle Zeitlichkeit mit dem Tode aufhörte; noch Unglückseliger aber, wenn die zeitlichen Trübsale in ewige sich verwandelten.

§. 40.

Um wohl zu sterben, bedarf es daher der Vorbereitung auf diese unvermeidliche Stunde, damit man nicht wider Willen ausgestoßen werde, sondern der göttlichen Schickung sich gehorsam unterwerfe und willig folge. Denn ein Weiser soll ehrbar und bescheiden aus diesem Leben abscheiden, wie von einem Gastmahle; und es kann keiner einen guten Tod hoffen, als wer ein gutes Leben geführt hat. Wohl sterben wollen, und doch zuvor nicht gut leben wollen, ist ein thörichter Wunsch, weil es wider die Gesetze der Gerechtigkeit, auch an sich selbst unmöglich ist. Da nun der Tod der Punkt ist, an welchem die Ewigkeit hängt, so ist im ganzen Leben nichts sorgfältiger zu thun, als sich auf einen schönem Abschied recht vorzubereiten.

§. 41.

Worin besteht diese Vorbereitung? Daß du anordnest, was noch anzuordnen ist mit dir, mit dem Nächsten, und mit Gott selbst. Mit dir, daß du vor dir sterben läßt die Ursachen des Todes; die Sünden, damit nichts in der Stunde des Todes dich schrecke. Denn so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott. (1. Joh. 31, 21.) Mit dem Nächsten - daß wir uns mit Allen gänzlich versöhnen, da wir noch auf dem Wege sind. (Mat. 5,25.) Mit Gott - daß wir durch den Glauben gewiß seien, er sei uns gnädig in Christo. (Röm. 5, 1. 2). Erst wenn du erkennst, daß, was in diesem Leben zu verrichten war, verrichtet worden sei, kannst du mit Christo, da er seinen Geist dem Vater befahl, sagen: „Es ist vollbracht.“ Und mit Paulus: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit.“ Erst wenn du gewiß bist, daß nichts mehr zu thun übrig sei, wirst du gern eilen, von der Arbeit zur Ruhe zu kommen, und mit dem Apostel sagen: „Ich begehre abzuscheiden und bei Christo zu sein.“ So wirst du mit Stephan den Himmel vor dir offen, und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes sehen, und sagen: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf! (Ap. Gesch. 7).

§. 42.

Was ist nach dem Tode dem Menschen nothwendig? Der Seele nach die Engel, die sie in den Himmel begleiten; dem Leibe nach die Freunde, die das Begräbniß besorgen; und endlich ein hinterlassener ehrlicher Name. Doch wenn die beiden letzten bei den Menschen auch nicht erfolgen, wie bei dem Martertode der Knechte Gottes geschehen, so ist das Erste hinreichend genug und das allein Nothwendige. -

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