Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Erstes Kapitel.
Der Verfasser zeigt mit vielen Beispielen, wie die ganze Welt mit unnöthigen Dingen sich belästige, durch Mühseligkeiten abmatte, und durch Einbildungen selbst betrüge.
§ 1. Der Mensch, welcher nach Gottes Ebenbild erschaffen, und zu einem Herrn über diese Welt gesetzt worden, steht in dreifacher Beziehung zur Schöpfung. Zunächst insofern, daß er die geschaffenen Dinge betrachtet, um zu erkennen, was ein jegliches sei, ferner, daß er etwas mit demselben vornimmt, um sie zu seinem Gebrauche auf diese oder andere Weise geschickt zu machen, endlich, daß er sie gebraucht und genießt zu seinem Vergnügen. Dies lehrt selbst die Beschreibung der Schöpfung, wenn es heißt, Gott habe den Lustgarten gepflanzt (1 B. Moses 2, 8) und den Menschen dahin gesetzt, damit er ihn baue und bewahre; auch habe er allerlei Thiere, die er geschaffen, zu dem Menschen gebracht, damit er sie anschaue und nenne (V. 19). Hieraus ist zu schließen, daß des Menschen Glückseligkeit bestehe:
- In einem klaren Licht des Verstandes, den Unterschied der Dinge recht zu erkennen.
- In dem glücklichen Fortgang seiner Bestrebungen und fortlaufenden Handlungen.
- In einem ruhigen Genusse der Güter, zur wahren Befriedigung und Ruhe des Gemüths.
§. 2. Eben deshalb ist im Gegentheil der Zustand der Unglückseligkeit ein dreifacher:
- Der Irrthum und Wahn in dem Verstande.
- Der Zweifel, der Fehler und die Unbeständigkeit in den Handlungen.
- Der Betrug, und ein stets neuer und beschwerlicher Hunger und Durst nach den Gegenständen des Verlangens in dem Genusse.
Diese drei Stücke (Irrthümer im Verstande, Unrichtigkeiten in den Handlungen, und Selbstbetrug im Verlangen) werden durchgehends bei dem menschlichen Geschlechte leider! angetroffen, sogar von dem ersten Menschen an, als unserem Stammvater. Denn weil dieser wegen schändlichen Mißbrauchs der Dinge und seiner selbst aus dem Paradiese auf die wegen der Sünde des Menschen nunmehr entweihte Erde ausgestoßen, und von den Erhöhungen zur Arbeit und Schweiß, zu Dornen und Disteln, die ganze Zeit seines Lebens, bis zu seinem Tode, verdammt zu werden verdient hat; (1 B. Mos. 3, 47 u. f.) so ist es daher gekommen, daß wir alle, als seine Nachkommen, diese Strafen der Sunden empfinden müssen.
§. 3. Denn von allen Zeiten her sind der Gottseligen und weisen Leute hierüber geführte Klagen bekannt, wie nemlich
- alles Thun der Menschen verwirrt,
- die Arbeiten voller Beschwerden und ohne Nutzen,
- anstatt der Ergötzungen Schmerzen und Beängstigungen des Geistes vorhanden seien.
Mit dergleichen Klagen hat Salomo, der Weiseste unter den Menschen, seine Bücher, aber auch selbst sein Leben mit Beispielen von Irrthümern, Beschwerden und Büßungen angefüllt. Denn er hat sich beklagt, daß er weder Anfang noch Ende der Werke Gottes habe finden, (Pred. 3, 11) auch keine Ursachen der Dinge, die unter der Sonne geschehen, ausforschen können: sondern je mehr er solches zu erforschen sich bemühet, desto weniger habe er gefunden (K. 8, 17). Dieses allein habe er gefunden, daß Gott zwar den Menschen aufrichtig geschaffen habe, die Menschen aber sich in unendliche Sachen einmischten und dadurch eitel würden (K. 7, 30). Ferner klagt er, daß der Mensch von aller seiner Arbeit nichts als Mühe habe; denn das verkehrte Wesen könne nicht verbessert, noch die Fehler und Gebrechen gezählt werden (K. 1, 14 15) und da er sich zu allen seinen Werken, welche seine Hände gemacht, (nemlich weit vortrefflicher, als andere Menschen ihre Werke machen) gewendet, habe er gefunden, daß alle seine Arbeit eitel, weil nichts unter der Sonne beständig sei (K. 2, 11). Er habe daher vergeblich und in den Wind gearbeitet, (K. 5, 15) weil zum Laufen nicht schnell, zum Streit nicht stark, zur Nahrung nicht geschickt, zum Reichthum nicht klug sein, noch Kunst helfe, daß einer angenehm sei (K. 9, 11). Ja, öfters geschehe das Gegentheil, daß die Arbeit Schaden bringe; z.B. daß der, welcher Steine zusammenträgt, von denselben verletzt, und der, welcher Holz spaltet, dadurch verwundet werde (K. 10, 9). Endlich hat er geklagt, daß auch in den ergötzlichen Dingen keine Sättigung sei, (K. 1, 8) und da er alles ersinnliche Wohlleben seinen Augen vergönnt, und dies Alles seinem Herzen keine Freude gewährt, habe er doch in allen Dingen unter der Sonne so viele Eitelkeit angetroffen, daß er aus Ueberdruß dieses Lebens alle seine Arbeit verworfen (K. 2, 1. 6. 7. 8. 10. 17) und diejenigen glückselig geschätzt habe, welche entweder, um nicht des Bösen, das unter der Sonne geschieht, inne zu werden, gar nicht (K. 4, 3) oder unzeitig geboren sind (K. 6, 3). Eben dergleichen Klagen sind durch die ganze Heilige Schrift zu finden - wer nur darauf merken will.
§. 4. So haben auch die Weisen unter den Griechen nichts Anderes gewollt, da sie ihre Lehren in Fabeln eingekleidet, und ihren Zeitgenossen von Labyrinthen, (Irrgärten) Steinen des Sisyphus, und Wollüsten des Tantalus eben so verständig und nachdenkend, als treffend erzählt haben. Damit dieses desto besser erhelle, und wir unser Uebel desto besser erkennen, auch desto williger die Mittel dagegen ergreifen, so wollen wir bei den Erdichtungen vom Labyrinth, Sisyphus und Tantalus ein wenig verweilen.
§. 5. Die Dichtung von dem Labyrinth ist folgende: Minos, ein mächtiger König der Insel Creta, hatte eine Gemahlin, Namens Phasiphae, ein sehr unzüchtiges Weib, welche, in Folge eines unnatürlichen Triebes, eine Mißgeburt, halb Mensch und halb Stier (Minotaurus genannt) zur Welt gebracht habe. Darauf habe der König, durch Hilfe des sinnreichen Künstler Dädalus, einen Labyrinth, d. h. einen Irrgarten, mit unzähligen Umgängen, Höfen, Kreuzgängen, Auf- und Niederwegen bauen lassen, so daß, wer einmal dahinein geschickt worden, stets in demselben herumirren müsse, und nicht wieder heraus kommen könne. Als er nun jene Mißgeburt dort habe verschließen lassen, befahl er auch andere zum Tode verurtheilte Uebelthäter dahin zu verstoßen, so daß sie entweder von dem Ungeheuer verzehrt würden, oder durch Hunger zu Grunde gingen. Dem Theseus allein, einem atheniensischen Königssohne, sei es durch das Mitleid der Ariadne, des Königs Minos Tochter, geglückt, daraus zu entkommen, da sie ihn, auf Anrathen des Dädalus, mit einem Knäuel Garn versehen habe.
§. 6. So verhält sich die fabelhafte Erzählung der Alten von dem Labyrinth, welche die Ausleger solcher Fabeln auf das Leben der Menschen beziehen, als welches allenthalben so verwirrt, und mit so unauflöslichen Schwierigkeiten angefüllt sei, daß kein Mensch dieselben zu entwirren vermöge, wo nicht Gott allein ihn mit Weisheit ausrüste. Aber besser wird dieses Geheimniß erhalten, wenn man unter dem Minos, dem Könige der ganzen Insel Creta, Gott, als den König der ganzen Welt, und unter der Pasiphae den Menschen, als dessen Ebenbild, verstehen will, welche vom höllischen Stier zum Ehebruch verführt, eine schändliche Mißgeburt hervorgebracht hat - den Minotaurus, d. i. eine aus göttlichem und satanischem Saamen vermischte Weisheit, die zwar oben etwas Wohlgefälliges und Himmlisches, eine Gottähnlichkeit, unten aber etwas Irdisches und Mißgestaltenes, des Satans eigentliches Bild, vorstellt. (Denn wir haben wollen Götter sein, aber in teuflischer Gestalt: Gott gleich durch den Besitz der Allwissenheit, und dem Teufel ähnlich durch Ungehorsam.) Deshalb hat der König Himmels und der Erden, uns zur Strafe, den Schauplatz seiner Weisheit, nemlich die unseretwegen geschaffene Welt in ein Labyrinth verwandelt, in den wir alle verstoßen sind, und ohne Aufhören umher irren, wie dies aus dem Zeugniß Salomo's und aller Weisen, ja, aus der traurigen und täglichen Erfahrung selbst erhellt. Denn die ganze Welt ist ein großer Irrgarten in welchem unzählig viele kleine eingeschlossen sind, so daß es keinen Menschen giebt, der nicht in einem derselben, oder daß nicht in einem und demselben Irrgarten Viele herum irren. Könnte man aller Menschen Gemüther erforschen, so würde man die verwirrtesten Umschweife der Gedanken und Phantasien die wundersamsten Krümmungen erblicken.
Wollte man die Strafen der Völker beachten, so würde man ein überaus großes Gemisch der verwirrtesten Töne und Reden vernehmen. Wollte man die vielen Arbeiten, womit sich Alle unter dem Himmel beschäftigen, beschauen, so würde man ebenfalls unbeschreibliche Vewirrungen und blinde Ausschweifungen, bald auf- bald nieder-, bald vor- bald hinterwärts, bald zur linken bald zur rechten antreffen. Denn wenn selbst Salomo, dem Weisesten, seine Verrichtungen ein Irrgarten gewesen (er selbst hat es uns zum Öftern bekannt und schmerzlich beklagt, auch haben es seine Nachkommen vielfältig erfahren) welcher König, Fürst und Herr, geschweige Privatmann, sollte sich unterstehen, sich eine Befreiung von den immer fortwährenden Irrthümern und Verdrießlichkeiten zu versprechen? -
§. 7. Was soll aber Sisyphus sein? - Man erzählt, er sei gewisser verwegener Thaten wegen von den Göttern dazu verurtheilt worden, einen großen Stein in der Hölle bergan zu wälzen, welcher aber, wenn er ihn bis an des Berges Spitze gewälzt, allezeit wieder herunterfalle, und müsse er also unaufhörlich mit neuer Arbeit aufwärts getrieben werden. Was bedeutet dies Gleichniß? Es wird dasselbe von unserer eigenen Person, nur mit veränderten Namen, gesagt. Denn es werden die beschwerlichen Arbeiten darunter verstanden, mit welchen die elenden Menschen sich stets ermüden, und doch kaum jemals irgend ein Ende davon finden, indem das Ende einer Arbeit allezeit der Anfang einer anderen ist. Gleichwie nemlich die Sonne nach ihrem Untergange, schon wieder zu ihrem Aufgange sich rüstet, und wie die Flüsse in's Meer, als zu ihrem Ziele, laufen, damit sie ihren Ursprung daselbst wieder nehmen und zurückstießen: also begiebt sich ein jeder Mensch täglich zur Ruhe, damit er wieder zur Arbeit aufstehe. Jährlich erntet der Ackersmann das Land ab, aber auch jährlich muß er dasselbe wieder besäen. Bisweilen meint man, eine Arbeit mit glücklichem Fortgang verrichtet zu haben, deren Nutzen man kurz darauf verloren gehen sieht, indem entweder ein Anderer kommt, der das vor jenem Aufgebaute wieder über den Haufen wirft, oder man baut wohl selber, des vorigen Werkes überdrüssig, ein anderes, und auf eine andere Art, oder das Werk vergeht von selbst, und nöthigt, daß man ein anderes aufbaue. Wie viele Uneinigkeiten, Streitigkeiten und Kriege scheinen glücklich beigelegt zu sein, welche doch wieder auf neue Uneinigkeiten und Kämpfe hinauslaufen! Auch die in der Welt berühmten Werke, von denen das Gerücht ein großes Aufsehn erhoben, die aber bald wieder verfallen sind, bezeugen eben diese Wahrheit. So viele Monarchien, von so vielen Helden gegründet und befestigt, wo sind sie jetzt? - Sie sind untergegangen, so daß man ihrer kaum noch gedenkt. Siehe, so sind wir alle Sisyphus geworden! Alle unsere Arbeiten sind Sisyphische Steine. (Ps. 90. Pred. 6).
§. 8. Endlich erzählt man, wie Tantalus wegen unmäßigen Schweigens (oder wie Andere sagen, wegen ungezähmter Zunge) zu einem immerwährenden Hunger und Durst dergestalt verurtheilt worden sei, daß er zwar unter den schmackhaftesten Baumfrüchten sitze, und ihm das klarste Wasser bis an die Lippen reiche, dennoch aber er keines von beiden genießen könne, weil beide von seinem Munde sich zurückziehn. Daher Ovidius: „Wasser begehrt im Wasser, und hascht nach enteilenden Früchten Tantalus; dadurch jetzt büßt er der Zunge Geschwätz.“
Abermals ein sehr wahres Bild des elenden Zustandes der Menschen! Gerade diejenigen, welche am meisten nach Gütern, oder Ehren, oder Vergnügungen dieses Lebens streben, hungern und dürsten am meisten, weil man der Begierde und Vergnügungen nicht satt werden kann. Sie essen, um wiederum zu essen, und sie trinken, um wiederum trinken zu können. Gleichwie der Aussätzige einen unaufhörlichen Reiz zum Kratzen empfindet; also trachtet ein Wollüstiger unaufhörlich nach Wollust, ein Ehrgeiziger nach Ehren, und ein Reicher nach Reichthum: denn jede Begierde ist unersättlich, und regt nach Befriedigung seiner selbst das Verlangen an. Wie die Erde niemals des Wassers satt wird, und das Feuer nicht spricht: es ist genug; (Sprüchw. Sal. 39, 16.) also ist das Gemüth des Menschen in den Dingen, die es begehrt. Daher sind denn alle Wollüstige, Ehrsüchtige und Geizige, wieviele ihrer auch in der Welt leben, solche zu ewigem Tode verurtheilte Tantali. Und weil wir alle (der eine mehr, der andere weniger) an Begierde leiden, und Niemand durch dieselben in diesem Leben gesättigt werden kann, so sind wir alle elend Verdammte.
§ 9. Es kann aber auch insonderheit der Labyrinth auf dieses gegenwärtige Leben, die Steine des Sisyphus auf den Tod, und das Schau-Essen des Tantalus auf eines jeglichen Zustand nach dem Tod gedeutet werden. Denn so lange wir leben, hat ein jeder unter uns seinen Labyrinth, nemlich seine beschwerlichen Verrichtungen, da immer eine aus der andern sich entspinnet. Im Tod ist diß das vornehmste, daß man die Last des Gewissens abzulegen weiß, oder nicht weiß, um die ewige Ruhe zu finden, oder nicht zu finden. Endlich, was wir nach dem Tod zu erwarten haben, ist entweder die Fülle des ewigen Wohllebens im Paradies GOttes, oder ewiger Hunger und Durst bey denen, die von dem Paradies ausgeschlossen sind. Wehe dem, der nicht vor dem Ende des Lebens sich aus den weltlichen Labyrinthen gewickelt hat! Wehe dem, der im Tode die Sünden-Last nicht weiß abzulegen! Wehe dem, der nach dem Tode empfindet, daß er in die Gesellschaft des Tantalus gekommen sey!
§ 10.
Doch wieder auf den mühseligen Zustand des gegenwärtigen Lebens zu kommen, so sage ich, daß, wenn einer die Alter der Menschen, die Geschlechte, Stände und Ordnungen durchzugehen belieben wollte, er nichts als Labyrinthe, Steine und stete Betrügereyen der Begierden antreffen würde. Denn die Jünglinge und die Alten haben ihre Labyrinthe, auch sind die Männer und die Weiber davon nicht befreyet. Es haben die Ackerleute, die Handwercker, die Kauffleute, die Soldaten ihre Beschwerlichkeiten; und wer hat sie nicht im gantzen Leben?
§ 11.
Die Philosophi, und andere der Weisheit ergebene suchen Artzeney-Mittel wieder die Irrthümer des Gemüths und die Beschwerden des Lebens; wieviel sie aber deren finden, bezeugen theils ihre eigenen Klagen, theils die steten Streitigkeiten deutlich genug. Aristoteles widerlegte aller derer Meinungen, die vor ihm der Weltweisheit oblagen, und hoffte, Alles in eine strenge Ordnung bringen und hiermit eine beständige Philosophie aufrichten zu können: aber er fand, noch bis auf den heutigen Tag, Widerspruch. Andere versuchten andere Wege einzuschlagen, wie, noch in späterer Zeit, Patricius, Telesius, Campanella, Baco von Verulam, Cartesius; allein was haben sie ausgerichtet? Die Streitigkeiten währen fort, und es ist Niemand, der sie beilege. Zwar vermeinte der Letztgenannte einen sicheren Weg, den ewigen Irrthümern zu entgehn, gefunden zu haben, indem er angerathen, man solle alle Vorurtheile von der schon gefundenen Wahrheit ablegen, alle Dinge aufs Neue untersuchen, und nichts annehmen, was nicht unumstößlich bewiesen werden könne: worin ihm auch viele beipflichteten. Weil aber göttliche und menschliche Dinge in Zweifel zu ziehn als gefährlich, und von Allem eine genaue Untersuchung anzustellen als unerträgliche Arbeit erschien, so sah man bald hierin nichts als die Erbauung eines neuen, und zwar so verwickelten Labyrinths, daß auch Dädalus selbst keinen Ausweg noch Anderen einen Faden zeigen könnte. Z. B. hat er den Körper des Weltgebäudes aus einigen Wirbeln zusammengesetzt, von denen er selbst weder Anfang noch Ende, weder Gestalt noch Zahl und Nutzen anzugeben, noch zu behaupten sich erkühnt hat, daß es also sei, sondern nur, daß es also scheine. Wenn er aber die Form des Weltstoffes, einer metaphysischen Ansicht folgend, als auf dem Gesetze der Dichtheit oder Lockerheit beruhend, zu erklären sucht, so wird die Wahrheit dieser Behauptung durch die Natur aller Elemente, (welcher Probe man sie auch unterwerfen mag) und durch allerlei Werkzeuge der Kunst offenbar widerlegt.
§. 12.
Die Dialectik wird für den Schlüssel der Weisheit und die Regiererin der Alles durchdringenden Vernunft gehalten; sie wird mit so vielem Fleiße gelehrt und so hoch gerühmt, daß man ohne sie keines richtigen Verständnisses fähig zu sein glaubt: nicht anders als wäre sie der Faden der Ariadne selbst, der allein den Ausgang aus allen Labyrinthen des hin und her irrenden Gemüths zeigen könnte. Bemerkt man aber das Gewirr und Gezanke der Schlußredner, so wird man gewahr, daß man nichts als ein Labyrinth gefunden habe, wie dem auch jetzt noch ist.
§. 13.
Wer will alle Labyrinthe der Astronomen, Geographen, Geschichtsschreiber, Chronologen, der Arzneikunst, Chemie, und anderer Wissenschaften aufzählen? Sobald man in eine derselben tiefer eindringt, geräth man in unauflösliche Gebiete.
§. 14.
Die Politik nebst ihrer Rathgebern, der Rechtswissenschaft, ist die Kunst, menschliche Gesellschaften zu regieren; ihr Endzweck ist, die menschlichen Dinge und das Menschengeschlecht selbst in Ordnung, Friede und Ruhe zu erhalten. Wie aber dies geschehe, bezeugen alle Gerichtsstuben, Schöffenstühle und Rathhäuser, welche niemals müßig, sondern stets mit Streitenden angefüllt sind. Noch mehr bekräftigen dies die steten Kriege zwischen den Völkern und Königreichen, womit die Welt sich furchtbar verwüstet.
§. 15.
Die Religion, als das Band der Gemeinschaft des erschaffenen Geistes mit dem unerschaffenen, sollte in allen Verwirrungen dieser Welt Trost gewähren, und wider die ungestümen Stürme irdischer Sorgen einen sichern Hafen nicht bloß zeigen, sondern auch in denselben führen: aber wie vollbringt dies die Religion? Sie selbst ist zu einem solchen verwirrten Labyrinthe geworden, als nur einer in der Welt sein kann. Denn zunächst sind anstatt einer, unzählige Religionen, und eine jede, die sich wiederum in viele einzelne gespalten hat, ist nichts anderes als ein Labyrinth. Dies ist, namentlich den spitzfindigen, zweifelsüchtigen Köpfen so offenbar, daß die Meisten das Dasein aller wahren Religion bestreiten und sie nur für erdichtet erklären. Daher sie Gott selbst und die Furcht Gottes verwerfen und zu Gottesleugnern herabsinken, so daß sie in der Finsterniß das Licht, in der Verstockung des Gewissens die Sicherheit, und in dem Tod das Leben suchen. Ach des Elends!
§ 16.
Das Heydenthum zwar ist wahrhaftig ein von Vielheit derer Götter und Götzen thörichtes Gedichte. Aber auch nicht viel besser ist das Judenthum zu schätzen, welches, ob es wohl von dem wahren GOtt, als unserm allgemeinen Schöpffer, seinen Ursprung führet, doch durch die eingeschlichenen verderbten Meynungen in eine Pharisäerey, d.i. in einen verwirrten Hauffen allerley Aberglauben, verwandelt ist: gleichwie auch die aus dem Juden- und Christenthum zusammengeflickte Türckische Religion, die eine finstere Höhle aller Irrthümer ist.
§ 17.
Allein die Christliche Religion, welche den zum Führer hat, der da ist der Weg, und die Wahrheit, und das Leben, (Joh. 14, 6.) wird dafür gehalten, daß sie sey (sie sollte es allerdings seyn), derselbige durch die Propheten verheissene heilige Weg Zions, der so gerade ist, daß auch die Thoren nicht irren mögen. (Jes. 35, 8.) Ist sie es aber? Ach! Ach! kaum wird ein verwirrterer Labyrinth in der gantzen Welt gefunden, als die Christliche Religion, so wie sie jetzt ist. Ich sage, daß sie so vielerley und unterschiedlich, in so viel Secten zerrissen, in so viel tausend Fragen über den Glauben, und Meynungen über jegliche Fragen, und Strittigkeiten über die Meynungen zertheilet sey, daß in der gantzen Welt kein dergleichen verwirrtes Wesen zu finden ist. Und was noch wunderlicher ist, so sind nirgends in der gantzen Welt, wegen ungleicher Religionsmeinungen, so bitterer Haß, so hartnäckiger Zank, so blutige Verfolgungen, so grausame Märtyrer und so erschreckliche Kriege, als eben bei der christlichen Religion.
§. 18.
Zwar vermeint ein Theil der Christen außerhalb des Labyrinths zu sein, und rühmt, daß Alles unter ein Haupt, so wohl zusammengebracht sei, daß nicht leicht Uneinigkeiten die bei anderen Sekten anzutreffen, entstehen könnten. Allein, prüft man die Gesetze dieser Eintracht genauer, so wird man zwar einen zierlich, und vorzugsweise künstlich erbauten Labyrinth erblicken; aber es ist doch ein Labyrinth und noch ein größerer als irgend ein anderer.
Daher sagt Jemand nicht mit Unrecht: man könne seinem ärgsten Feinde nichts Schlimmeres wünschen, als daß er Pabst werde, und zwar wegen der gräulichen Verwirrung der Geschäfte, der großen Last der herumwälzenden Steine, und der vergeblich gehofften Ergötzungen.
§. 19.
Was unter der Sonne wäre demnach von Labyrinthen, Sisyphischen Steinen, und Tantalischen Täuschungen befreit? - Zur Zeit noch gar nichts. Diese drei Uebel, Irrthümer des Verstandes, unablässige Ermüdung der Kräfte, und fast stete Betrüglichkeiten der Begierden, sind mit der Welt von gleichem Alter und stete Gefährten des menschlichen Geschlechts, so daß ihrem Aufhören die menschliche Ungeduld allezeit entgegenharrt, und mit Gott es fleißig suchen soll, bis es gefunden werde. Denn es ist nicht nur Salomo's, sondern auch unser Aller Gemüthe die Begierde nach besseren Dingen nicht vergeblich angeboren, so wie auch ein stetes, nur durch den Tod zu stillendes Bemühen, aus den Labyrinthen zu kommen, die Steine zu überwältigen, und das Verlangte einmal zu erreichen.
§. 20.
Denn wir müssen also denken: Wenn Jemand aller frommen, klugen und weisen Menschen, die von Anfang der Welt je gelebt, Gedanken erkennen, ihre Reden hören, ihre Schriften lesen, und ihre Thaten erwägen könnte: so würde er hierin lauter Bemühungen entdecken, entweder aus einem Labyrinthe heraus zu kommen, oder eine Arbeit zu Ende zu bringen, oder endlich der erworbenen Güter ruhig zu genießen. Ja, auch der übrige Haufe der Menschen hat nichts anderes vor, als diese drei Stücke; obschon die Meisten nicht verstehn, was sie thun. Niemand will seinen Verstand betrogen und verführt, seine Kräfte unnütz abgemattet, dieses oder jenes Verlangen seines Willen geäfft sehen: sie erfahren aber alle einmal, daß ihr Verstand betrogen, ihre Früchte vergeblich angewandt, ihre Wünsche getäuscht werden. Nichts desto weniger wünschen alle wieder aufs neue, in ihrem Verstande nicht zu irren, die Ruhe von der Arbeit zu finden und das Verlangte endlich zu erringen.
§. 21.
Und warum sollten wir verzweifeln, daß die angeborenen Begierden nach etwas Besserem, und das stete Streben darnach nicht endlich einen erwünschten Ausgang gewinnen sollte? Denn wenn Gott und die Natur nichts vergeblich thun, wie die Weltweisen als einen untrüglichen Grundsatz feststellen: warum hätte es denn Gott gefallen, so tief eingewurzelte Begierden dem menschlichen Herzen einzupflanzen, wenn er dieselben nicht einst erfüllen wollte? Ungereimt wäre die Annahme, es folge nothwendig daraus, Gott verstehe entweder den Zweck unserer Begierden nicht, oder könne und wolle uns dahin nicht gelangen lassen. Dies hieße, Gott des Lobes der Allmacht, der Allwissenheit und der vollkommensten Güte berauben wollen. Denn wollen wir das dem unsterblichen Gott absprechen, was wir doch einem sterblichen Menschen beilegen? Wenn nämlich Dädalus, der Künstler der Irrgänge, die Kunst, nicht zu verirren, wußte und zeigen wollte, um auf beiderlei Art eine Probe seines guten Verstandes zu geben; wie sollte Gott ein herrliches Beispiel seiner ewigen Weisheit an uns, durch Befreiung von unendlichen Irrthümern nicht erwiesen wollen oder nicht können? Und wenn es dem Dädalus leicht gewesen, dem Theseus ein einfaches Mittel gegen das Fehlgehn, einen Faden zu geben; wie sollte es unserm Gott nicht leicht sein, dem Menschen, der zwar aufrichtig erschaffen worden, sich aber selbst muthwillig in unzählige und unauflösliche Labyrinthe der Irrthümer verwickelt hat, sowohl ein heftiges Streben mitzutheilen, als auch einen richtigen Weg zu zeigen? Einen solchen Weg, meine ich, den jeder Mensch nur zu erkennen und zu gehen braucht, um ebenso geschwind, wie jener Theseus, aus seinen ewigen Irrthümern zurecht zu finden. Und wenn Archimedes, ein sterblicher Mensch, dem Könige die Kunst zeigen wollte, mit einer Hand ein Schiff auf das Meer zu treiben, welches tausend Händen zu thun unmöglich schiene; sollten wir denn Gott die Kunst absprechen, unsere Sisyphischen Steine stehend zu machen? Oder an seiner Weisheit und seinem gnädigen Willen zweifeln, uns wieder in sein Paradies einzuführen, wo die Bäche des Wohlbehagens stießen, und ewige Fülle alles Guten ist? Das sei ferne, so gotteslästerlich zu denken!
§. 22.
Zumal da Gott niemals unterlassen, diese Hoffnung durch herrliche, zu verschiedenen Zeiten wiederholte Verheißungen dem. menschlichen Geschlechte einzustoßen. Je näher wir daher das Ende der Welt und die Erfüllung aller Verheißungen glauben, desto mehr werden wir unsere Häupter erheben, uns nach der Erlösung aus unsern Labyrinthen sehnen und nach allerhand Fäden der Ariadne umschauen.