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Clemen, Adolf - Andachten über das Matthäus-Evangelium
Matth. 11,3.
Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten?
Geber aller guten Gaben,
Festen Glauben möcht ich haben,
Wie ein Meerfels unbewegt,
Wenn an ihn die Woge schlägt.
Das war eine dunkle Stunde, da Johannes also an seinem Meister irre wurde. Solche Stunden finden sich in dem Leben aller Kinder Gottes; Stunden der Anfechtung, wo die Seele das Antlitz des himmlischen Vaters sucht und nicht findet, wo sie ruft und betet, und doch Gottes Liebe nicht fühlt. Verzage nicht, wenn auch du solche Anfechtungen zu durchkämpfen hast. Es ist zu deinem Heil. Gott entzieht dir zu Zeiten seine Gnade, dass du seiner nur um so gewisser und seliger inne werden sollst. Er lässt dir den Glauben schwankend werden, nur um durch den Kampf und das Suchen ihn um so tiefer zu befestigen. Er lässt dich die trostlose Öde der Verlassenheit fühlen, nur dass du dich um so ungeteilter in seine Arme und an sein Herz werfen möchtest. Aber damit diese dunklen Stunden dir also zum Heil werden, musst du tun, was Johannes tat. Hin zu dem Herrn selber mit all deinen Zweifeln und quälenden Gedanken! „Herr, ich glaube; hilf meinem Unglauben“, so rufe ihn an. Sprich deine Zweifel und Fragen vor Gott aus, wie Johannes hier tut. Warte nicht, bis Licht und Glaube wieder ins Herz zurückgekehrt sind; sondern mitten in der Anfechtung wende dich in Einfalt an Den, an dem du irre geworden, und dessen Führung, dessen Wort du nicht mehr verstehst. Wenn auch mit zweifelndem Herzen, wenn auch mit gebrochenem Glauben flüchte dich doch zu ihm, zu ihm selber, zu ihm allein! Und du wirst seine Hülfe erfahren. Grade diese Stunden der Anfechtung werden zu recht seligen Adventsstunden werden, da es sich auch an uns erfüllt: „Ich habe dich einen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.“
Eigene Melodie.
Gib dich zufrieden und sei stille
Zu dem Gotte deines Lebens!
In ihm ruht aller Freuden Fülle,
Ohn' ihn müh'st du dich vergebens.
Er ist dein Quell und deine Sonne,
Scheint täglich hell zu deiner Wonne.
Gib dich zufrieden!
Matth. 11,28.
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.
Hier legt mein Sinn vor dir sich nieder,
Mein Geist sucht seinen Ursprung wieder;
Herr, dein erfreuend Angesicht
Verbirg vor meiner Armut nicht.
Wie viele Mühselige und Beladene gibt es in dieser Welt! Gehören wir nicht auch zu ihnen? Ist es nicht auch dein Bekenntnis: „Ich bin die Welt durchgangen, dass ich fast müde bin?“ Sieh doch dein eignes Herz an! Liegt es nicht wie ein Gefangener in Ketten? Bricht es nicht in einsamen Stunden hervor, wie ein heimliches Schluchzen? Ist nicht in dir eine tiefe Leere, und was du auch hineinwirfst, Arbeit und Genuss, Menschenliebe, Alles, Alles füllt die Leere nicht aus, und du suchst und suchst und findest nimmer, und wirst müde und alt darüber! Und nun stellt sich der Herr hin vor all die unaussprechliche Mühsal der Erde und ruft: „Kommt her zu mir, ihr Alle! Ich will euch erquicken.“ Was er gerufen mit seinem ganzen Leben, was er gerufen in deinem ganzen Leben, er ruft es heute aufs Neue jedem gedrückten Pilger zu: „Kommt her zu mir, ihr Alle!“ O, saget der Tochter Zion, saget es allen Mühseligen und Beladenen: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig. „Der Heil und Leben mit sich bringt, der alle Not zu Ende bringt.“ Er kommt mit Gnade und Vergebung, mit Trost und Erquickung. Er nimmt die Last dir ab, wie sie heiße. So gehe zu ihm, deine Seele hat zu lange gelitten.
Matth. 21,5.
Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig.
Hosianna! Davids Sohn
Kommt in Zion eingezogen.
bereitet ihm den Thron,
Setzt ihm tausend Ehrenbogen!
Streuet Palmen, machet Bahn,
Dass er Einzug halten kann.
Das ist die erste Botschaft, die das neue Kirchenjahr uns bringt: es soll ein Jahr des Heils und der Gnade für uns alle sein. Das ist die Überschrift der ganzen Adventszeit, in die wir heute wieder eintreten. Selige Zeit, über deren kurzen, dunklen Tagen etwas wie Glanz und Herrlichkeit aufgeht, näher und näher, bis in der heiligen Nacht die Klarheit des Herrn in vollem Glanz über uns leuchtet! Selige Zeit des Wartens und Hoffens aber wirklich selig doch nur dann für dich, wenn du ihn aufnimmst als deinen König, deinen Friedefürsten. Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig. Er bietet dir heute aufs Neue seine vergebende Gnade für Alles, was hinter dir liegt. Er bietet dir seine Kraft zu einem neuen, heiligen Leben. Er bietet dir Trost und Erquickung für jedes Kreuz, für jede Last. So nimm ihn auf in herzlicher Liebe und aufrichtigem Glauben. Leg ihm Alles zu Füßen, was dein ist. Weihe ihm deine Arbeit; schmücke zu seinem Empfang Herz und Haus mit den Palmzweigen des Friedens, mit den Blättern und Blüten eines neuen christlichen Lebens, Geduld, Freundlichkeit, Wahrheit. Barmherziger, ewiger Gott und Vater! Wir danken dir, dass du uns diese heilige Festzeit wieder hast erleben lassen. Hilf uns, dass wir immer fester an dich glauben und deiner Gnade in Jesu Christo immer zuversichtlicher uns getrösten. Getreuer Heiland, himmlischer Friedefürst, komme zu uns! Komme und richte in unsern Herzen deinen Thron auf, du unser sanftmütiger König. Vereinige Alle in diesem Hause, Alle, die wir lieb haben, in deinem heiligen Dienst und unter deiner gnädigen Hut, dass wir mit ihnen dein eigen seien und in deinem Reiche dir dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Amen.
Eigene Melodie.
Wie soll ich dich empfangen,
Und wie begegnen dir
O, aller Welt Verlangen,
O, meiner Seele Zier?
O Jesu, Jesu, setze
Mir selbst die Leuchte bei,
Damit, was dich ergötze,
Mir kund und wissend sei!