Claussen, J. - Stephanus nach Apostel-Geschichte 6 und 7 - IV. Sein Tod.

Claussen, J. - Stephanus nach Apostel-Geschichte 6 und 7 - IV. Sein Tod.

Apostelgeschichte 7,54-8,4

Als Stephanus durch die Ungeduld und den Zorn in den Angesichtern seiner Zuhörer oder auch durch ihr unterbrechendes Geschrei zu einer anderen Wendung in seiner Rede veranlasst wurde, durch welche er mehr uns mittelbar auf das Herz der Hörer eindrang, heißt es von diesen V. 54: „Da sie solches hörten, ging es ihnen durchs Herz,“ denn das Wort Gottes ist ein zweischneidiges Schwert, es durchdringt, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens, Hebr. 4,12. Aber die Wunde dieses Schwertes trieb sie nicht zum Arzt, sondern zum Zorn. „Sie bissen die Zähne zusammen über ihn“ (ib.). Wie ein gebundener Hund, der den beißt, der ihn los machen will, so können die Gottlosen die Berührung derjenigen nicht ertragen, die sie retten wollen, und möchten sie verderben, um mit ihnen die Wahrheit zu begraben. Darum warnt der Herr davor, das Heiligtum den Hunden zu geben. In seinen Feinden steigt die satanische Wut, in ihm die Heilige Begeisterung, sie knirschten vor Wut mit den Zähnen, er sah den Himmel offen, sie schrien laut aus Bosheit gegen ihn und verlangen nach seinem Blut, er schrie laut aus Barmherzigkeit mit ihnen und verlangte nach ihrer Seelen Seligkeit. Darin steht ja eben die Macht der Finsternis, sie hasst die Wahrheit, weil diese eine Erneuerung des Lebens fordert, sie lässt das helle Licht nicht sehen, indem sie den Geist verblendet, und sie scheut auch die schändlichsten Mittel nicht, um ihrer Feindschaft gegen die Zeugen der Wahrheit zu dienen. Stephanus aber, voll Heiligen Geistes, sah auf gen Himmel. V. 55, denn was die Erde verstößt, nimmt der Himmel an. Wie die, welche nach fernen Zonen segeln, schon ehe sie die Küsten sehen, oft den würzigen Duft der fremden Welt einatmen, so erweist Gott vielen Sterbenden die Gnade, schon vor ihrem Abschied einen Vorgeschmack des ewigen Lebens zu genießen. Stephanus sah mit geöffneten innerem Auge die Herrlichkeit Gottes. So heißt es auch von einem Johann Arndt, dass er vor seinem Entschlafen mit erleuchteten Augen die majestätische Herrlichkeit Gottes und Christi gesehen. Stephanus sah die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rechten Gottes; er sieht Jesum stehen, sonst heißt es, Christus sitzt zur Rechten Gottes, z. B. 16,19: „Der Herr wird aufgehoben gen Himmel und sitzt zur Rechten Gottes.“ Mat. 26,64: „Ihr werdet sehen des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft, und kommen in den Wolken des Himmels.“ Eben so im apostolischen Glaubensbekenntnis. Dieses Sitzen Jesu Christi soll andeuten die Sabbatsruhe des Erlösers, denn wie der Schöpfer am siebten Tag, blickt er jetzt auf sein vollbrachtes Werk hinab. Als Mitregent Gottes, 1. Petri 3,22, sitzt er auf dem Herrscherthron, als Richter der Welt auf dem Richterthron. Stephanus aber sieht ihn stehen, weil er sich schon aufgemacht hat, seinen treuen Blutzeugen nach gut gekämpftem Streit in seine Arme aufzunehmen, denn Jesaia 30,13: Darum harrt der Herr, dass er auch gnädig sei, auch hat sich aufgemacht, dass er sich eurer erbarme, er sieht ihn stehen, weil er die Seinen gegen ihre Feinde schützen und letztere an sein Kommen erinnern will, Daniel 7,13. Stephanus ist ein Lehrer in der Sterbekunst, denn von dem Licht der nahen Ewigkeit als mit einem Heiligenschein umstrahlt, sieht er, der bald der Engel Genosse sein wird, mit Engelsangesicht am offenen Grab den offenen Himmel. Auch Johannes der Täufer sah einst bei Jesu Taufe den Himmel offen. Er sieht da des Menschen Sohn stehen, so nannte sich der Herr ja gern selbst, z. B. Mat. 8,20: „Des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.“ Er sieht die verherrlichte Menschheit Christi, insofern sie sichtbar ist. Zum letzten Mal im neuen Testament wird hier diese Bezeichnung des Herrn gebraucht, welche in der jungen christlichen Gemeinde von Christo her gebräuchlich sein mochte. Auch zur Rechten Gottes ist Christus noch des Menschen Sohn, ein trostvoller Gedanke für die Menschen. Stephanus sieht den Himmel offen und Christum dort stehen, denn Christus ist ja die Tür, Joh. 10,9: nur in Christo ist uns der Himmel offen im Leben und Sterben.

Stephanus erklärt seinen Gegnern seine Vision, aber dadurch wird ihre Wut gesteigert. Sie hielten ihre Ohren zu, schrien laut, stürmten einmütig auf ihn, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn V. 56. Auch mit Christo ginge zur Stadt hinaus. Sie stießen ihn zur Stadt hinaus; wirft uns aber die Welt aus ihrem Schoß, so fallen wir in Abrahams Schoß. Nach 5. Mose 13,6. soll der, welcher zum Götzendienst verführen will, gesteinigt werden, und des Zeugen Hand soll die erste über ihm sein, danach die Hand des ganzen Volks. Nach 3. Mose 24 wurde der Sohn der Selomith, aus dem Stamme Dan, und eines ägyptischen Vaters, welcher im Zank mit einem Israeliten lästerte und fluchte, nach dem von Mose ausgesprochenen göttlichen Urteil vor das Lager geführt, die es gehört hatten, legten die Hände auf sein Haupt und die Gemeinde steinigte ihn. Nach Analogie dieser Stellen wollte man jetzt mit dem Stephanus verfahren. Die Tötung des Stephanus aber, so wenig sie selbst vom strengeren jüdischen Gesichtspunkt aus, aus diesen Stellen zu rechtfertigen war, war auch nicht einmal der Form nach eine Hinrichtung, sondern tumultuarischer Mord, nicht einmal also ein Justizmord, da es gar nicht zu einem richterlichen Ausspruch kam, wie solches doch bei Christi Kreuzigung der Fall war. Der hohe Rat hatte freilich das Recht, ein Todesurteil zu fällen, deshalb war auch Saulus mit Blutbriefen nach Damaskus geschickt, aber die Bestätigung und Vollziehung desselben gehörte den römischen Landpflegern. Jetzt werden die Zeugen Christi nicht mehr mit Steinen, wohl aber mit dem Kot der Lästerungen beworfen. Solche Steine, welche die Wahrheitszeugen töten, sind aber Denkmale der Schmach für die Feinde der Wahrheit, es sind Edelsteine in der Krone der Märtyrer, und Saatkörner des neuen Lebens für die Zukunft.

Die Zeugen aber, welche die erste Hand an den Märtyrer legen sollten, legten ihre Kleider ab zu den Füßen eines Jünglings, des damals etwa 30 jährigen Saulus V. 57, und steinigten den Stephanus. Wenn Saulus also auch nicht unmittelbaren Anteil am Mord des Stephanus nahm, so doch mittelbaren, denn er verwahrte nicht bloß den Mördern ihre Kleider, sondern hatte auch Wohlgefallen an seinem Tode 8,1, und doch sollte er, was er freilich damals noch nicht ahnte, in mehrfacher Beziehung sein Nachfolger werden. bringt das Weizenkorn, wenn es erstirbt, seine Frucht. So geht der junge Phönix aus der Asche des alten hervor. Während der eine christliche Zeuge für die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit gesteinigt wird, wird der andere schon zugerichtet. Stephanus aber stirbt mit den Gebeten seines sterbenden Erlösers auf seinen Lippen, nur macht er dessen letztes Wort zu seinem ersten und dessen erstes Wort zu seinem letzten. Jesus hatte gebetet: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Stephanus erbittet sich dasselbe von seinem Heiland, was dieser von Gott, und betet: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf.“ Die Soccinianer1) übersetzen „Herr des Jesu“, doch wer Jesum im Leben gläubig anrief, der kann ihn auch im Sterben anrufen. Seinem Herrn befiehlt er seinen Geist. Ach Mancher wird es leider erst in seinem letzten Augenblick sich bewusst, dass er einen Geist hat, der nicht mit dem Fleisch denselben Weg gehen kann. Diese Seele muss er dann irgendwohin befehlen, da fragt es sich dann: „Wohin? Zur Welt zurück?“ die Tür ist verschlossen. Dem Satan? das wäre entsetzlich. In die Hand des Allmächtigen? der aber ist ein verzehrendes Feuer Hebr. 12,29. In Jesu Hände übergibt der Märtyrer sein unsterblich Teil. Er konnte sagen:

Mein Jesus ist mein Leben,
Und Sterben mein Gewinn,
Ihm hab' ich mich ergeben,
Im Frieden scheid' ich hin.
Im Himmel mit den Frommen
Werd' ich mich ewig freu'n,
Zu Christo werd' ich kommen
Und ewig bei ihm sein.

Stephanus aber kniete nieder und schrie laut: „Herr behalte ihnen diese Sünde nicht.“ Ganz ähnlich hatte ja auch das erste der sieben Worte Jesu am Kreuz gelautet: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ Andere hätten wohl lieber die Mörder durch Gottes Zorn vertilgt gesehen und darunter denn auch den zum Vater der Kirche bestimmten Saulus. Stephanus aber betet für sie alle: „Stelle ihnen nicht fest,“ d. h. lass ihnen nicht stehen bleiben im Schuldregister diese Sünde. So scharf er in Gottes Namen Buße gepredigt hatte, so sanftmütig ruft er diesen Namen an im Gebet um Vergebung. Sein Eifer gegen ihre Sünde war mit Liebe gegen die Sünder eins gewesen, wie er es bei seinem Herrn und Meister gelernt hatte. Nur wenn die Liebe so auf heiligem Boden ruht, hat sie wahren Wert. Diese Fürbitte des Stephanus gereichte der Gemeinde und dem Volk zum größten Segen, denn auch für Paulus hatte Stephanus hier gebetet; und ist vielleicht um des ersten Märtyrers Fürbitte willen der Kirche ihr größter Apostel geschenkt worden, um jenes Märtyrerspezifische Charismata zu übernehmen. Herr behalte ihnen diese Sünde nicht, das war das Gebet eines sterbenden, eines sich selbst verleugnenden, eines nach dem Reiche Gottes trachtenden Mannes; das war des Stephanus Letztes: Sein letzter Blick war nach oben, sein letztes Zeugnis für seinen Glauben, seine letzte Sorge seiner Seelen Seligkeit, sein letztes Gebet um Barmherzigkeit für seine Feinde. Damit kennen wir denn auch seinen letzten Willen.

So sollte aber eines jeden Gläubigen Testament lauten, nicht über irdische Güter, die sind ja nicht sein, sondern über das, worüber er zu disponieren hat; seinen Leib vermacht er der Erde, von der er genommen ist, seinen Geist vermacht er Gott, denn aus Gottes Mund ist sein Geist ein Hauch; seine Sünden vermacht er dem Lamm Gottes, welches gekommen ist, die Sünden der Welt zu tragen, seine Freunde vermacht er dem Schutz Gottes und seine Feinde dessen Erbarmung, aber seinen letzten Lebensseufzer dem heiligen Geist, dass dieser ihn vertrete mit unaussprechlichen Seufzen. Wie ähnlich war Stephanus seinem Meister, sowohl in seiner Schmach als in seiner Herrlichkeit. Beide wurden vor dem hohen Rat verklagt, beide durch falsche Zeugen beschuldigt, beide ungerecht verurteilt, beide aus der Stadt hinausgestoßen zum Tod. Beide aber gingen ihren Weg voll Mut, beide voll Sanftmut und Feindesliebe, beide voll Himmelshoffnung.

Wie aber Stephanus sein letztes Wort gesprochen, entschlief er V. 59; er starb, als wenn jemand sanft einschläft. Zeitlich und leicht waren ihm die Todesschmerzen und nicht Wert der Herrlichkeit, die ihm offenbart werden sollte. Ihm ging nach Jesu Wort Johannes 8,51: „So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“ Wie es Joh. 11,11. heißt, Lazarus unser Freund schläft, so durfte auch Stephanus erfahren, dass noch eine Ruhe vorhanden ist dem Volk Gottes, Hebr. 4,9, anders als die im irdischen Kanaan. Er starb ohne die Bitterkeit des Todes zu schmecken, denn Jesaja 57,2: „Die richtig vor sich gewandelt haben, kommen zum Frieden und ruhen in ihren Kammern.“ Die Toten, die in dem Herrn sterben, ruhen von ihrer Arbeit. Vom Tod der Heiligen sagt das Neue Testament, sie entschlafen, darum sagt Luther: „Der Tod ist ein Schlaf worden,“ denn Ermüdung ging ihm vorher, Ruhe bringt er, und eine Auferstehung wird ihm folgen. Entschlafen aber können die Menschen, weil Christus nicht entschlafen, sondern bitter gestorben ist. Selig aber, wem durch Christum der Tod ein Schlaf geworden ist,

Unsere Brüder, die einst glaubten,
Können und ein Beispiel sein,
Denn sie ließen sich enthaupten,
Schliefen unter Steinen ein.

Der unter Steinen entschlafene Stephanus erbte aber jene Krone, von der geschrieben steht Offenb. 2,10: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben.“ Dreifach aber war die Krone des Lebens, die dem Stephanus wurde für seinen siegreichen Kampf; schon während seines Wandelns auf Erden die Gnadenkrone, bei seinem Tod von der Hand der Finsternis die Dornenkrone, im ewigen Leben aber die Ehrenkrone. Saulus konnte noch mit Wohlgefallen seinen Tod ansehen, also nicht einmal des Stephanus erbauliches Ende hat ihn bekehrt. Später freilich hat er es anders betrachtet, als er Hebr. 13,7. in Bezug auf die Lehrer die Forderung stellt, „welcher Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach.“ Von seiner damaligen Feindschaft gegen das Christentum sagt er später 1. Timoth. 1,13: „ich habe es unwissend getan.“ Er war also damals blind bei seiner Weisheit, und ein Feind Gottes bei seinem Eifer um Gott.

In Folge der Steinigung des Stephanus erhob sich jetzt aber eine große Verfolgung über die Gemeinde zu Jerusalem, denn wie der Löwe, der einmal Blut geschmeckt hat, immer blutgieriger wird, so wurde auch die Wut dieser Mörder durch das Blut des ersten Zeugen nur zu neuen Ausbrüchen angereizt. Andererseits aber war der Eindruck seines Todes so mächtig, dass Niemand seine feierliche Bestattung zu hindern wagte. „Es beschickten den Stephanus gottesfürchtige Männer und hielten eine große Klage über ihn“ V. 2. Der Ausdruck „Gottesfürchtige“ bezeichnet ja Proselyten. Er hatte also einen tiefen Eindruck auf diese nicht christlichen Judengenossen gemacht, denn niemand konnte ja widerstehen dem Geist und der Weisheit, aus welcher er redete (6,10). Diese segensreichen Spuren seines Wandelns konnte selbst der hohe Rat mit seinem Zorn nicht auslöschen. Eine große Klage folgt dem Stephanus nach. Welche sich so um die Kirche verdient gemacht haben, denen mag selbst der Tod wohl tun, der Gemeinde tut er weh, Gottesfürchtige vermissen und betrauern sie, wenn auch die Welt sich über ihren Tod freut. Noch nach ihrem Tod rühren die echten Zeugen Christi die Herzen. So kann es denn vom Stephanus heißen wie von seinem Meister: „Gestorben als ein Gottloser und begraben als ein Reicher.“

Die Gläubigen aber zerstreuten sich in die Länder Judäa und Samaria V. 1, und verbreiteten hier das Christentum, wie wir es namentlich von Philippus in Samarien wissen. So bewährte sich schon an diesem ersten Fall das Sprichwort: „sanguis martyrum est semen ecclesiae“2). Der Sturm dieser Verfolgung musste dazu dienen, das Feuer des Glaubens anzublasen, und den Funken der Wahrheit weiter zu tragen, wie Luther aus seiner Zeit von den beiden Märtyrern in Brüssel singt:

Die Aschen will nicht lassen ab,
Sie stäubt in allen Landen;
Da hilft kein Bach noch Grub noch Grab,
Sie macht den Feind zu Schanden.
Die er im Leben durch den Mord
Zu schweigen hat gedrungen,
Die muss er tot an allem Ort
Mit aller Stimm' und Zungen
Gar fröhlich lassen singen.

So töne denn fort du Stimme des gemordeten Stephanus auch in unsere ferne Zeit und in unsere fernen Gegenden hinüber, schreie o Blut des ersten Märtyrers, schreie laut, auf dass wir erwachen, und die schon Erweckten wach bleiben!

1)
Antitrinitarier
2)
Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Kirche
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/claussen/claussen_stephanus/claussen-stephanus-kap_4.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain