Claussen, J. - Stephanus nach Apostel-Geschichte 6 und 7 - III. Seine Verteidigung.
Apostelgeschichte 7,1-53.
Der Hohepriester wendet sich jetzt in Bezug auf die Anklage an den Stephanus mit der Frage: Ist dem also? und Stephanus verantwortet sich jetzt in Gemäßheit des Wortes 1. Petri 3,15.16: „Seid aber allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist. Und das mit Sanftmütigkeit und mit Furcht, und habt ein gutes Gewissen, auf das die, so von euch afterreden als von Übeltätern, zu Schanden werden.“ Er redet den hohen Rat und seine Gegner vor demselben als liebe Brüder und Väter an, obgleich sie nicht brüderlich und väterlich gegen ihn gesinnt waren und gehandelt hatten, redet also sanft und mit Ehrfurcht ohne geistlichen Stolz und menschlichen Eifer, so dass von dieser Rede das Wort Jakobi 3,2 gelten kann: „Wer aber auch in keinem Wort fehlt, der ist ein vollkommener Mann.“ Bengel nennt diese Rede auch noch deshalb eine kostbare Urkunde des Geistes, weil es die einzige uns aufbehaltene ausführliche Rede eines Nichtapostels ist. Sie fing so weitläufig an, um zuvörderst die Tobenden zu beschwichtigen, darauf wollte er durch sie seinen Israelitensinn beweisen und endlich zur Buße leiten. Sie ist ja extemporiert, darum nicht künstlich, sondern aus dem Bewusstsein seiner Lage gequollen; obgleich entschieden antipharisäisch, schließt sie sich doch genau an die jüdische Tradition, wie in einer damaligen judenchristlichen Gemeinde zu erwarten war. Zuweilen findet sich ein Sprung, wo sich der Zuhörer selbst den Zusammenhang denken muss. Das Alte Testament ist nicht wörtlich zitiert, sondern aus dem Stegreif, welches für die Authentie spricht, eine später ersonnene untergeschobene Rede hätte natürlich das kanonische Alte Testament wörtlich zitiert. Auch ist der paulinische Standpunkt nicht unhistorisch antizipiert1), denn Jesus hatte schon Mat. 24,26.61. Joh. 2,19. 4,21. eben so über das Ende des Tempels, und Matth. 23, Joh. 12,42, eben so über sein Verhältnis zu den Pharisäern gesprochen. Diese Seite des Lehrtypus Jesu musste auch in seiner Gemeinde lebendig bleiben, und an seiner Stelle zur Entfaltung kommen. Die Sprache wird gegen Ende hin aufgeregt und scharf, im Gegensatz zu dem milden Ton eines Petrus am Pfingstfest, der Ehrerbietung, womit sich die Apostel Apost. Gesch. 4 u. 5 verteidigen, und der Ruhe, womit Paulus Kap. 13 eine ähnliche Rede hielt. Durch diese Rede wurde zuerst der Gegensatz des Christentums gegen das statutarische Judentum mit Bewusstsein ausgesprochen, und da jene mit Märtyrerblut versiegelt wurde, konnte dieser nicht leicht vergessen werden, und da sie zugleich der Ausgangspunkt einer Christenverfolgung wurde, diente sie nicht bloß der Entwicklung, sondern auch der Ausbreitung des reinen Christentums. Der junge2) feurige Stephanus überblickt die Geschichte des Alten Testaments, und vom apologetischen Gesichtspunkt aus bekennt er seinen Glauben an dessen Offenbarungen, wenn er hervorhebt, dass Gott mit den Patriarchen einen Bund gemacht, den Mose berufen, ihm das Gesetz gegeben und den Tempelbau angeordnet habe. Schon durch seine beständige Berufung auf das Alte Testament dokumentiert er ja prinzipiell seinen Zusammenhang mit dem alttestamentlichen Standpunkt, und nimmt seinen Feinden den eigentlichen Grund der Anklage unter den Füßen hinweg, aber es kam ihm auch darauf an, die 4 einzelnen von den falschen Zeugen genannten Anklagepunkte in ihrer Grundlosigkeit nachzuweisen.
Zunächst war er der Lästerung Gottes, d. h. hier natürlich des im israelitischen Volk sich offenbarenden Jehovas angeklagt. Dem gegenüber bezeichnet er denselben als einen Gott der Herrlichkeit. Mit dieser Bezeichnung Jehovas war doch wohl die Beschuldigung der Lästerung Gottes zum Schweigen gebracht! Ja wir wagen zu behaupten, Jehova stand viel herrlicher da in den Augen des Stephanus, als in den seiner Feinde, er kennt auch seine Herrlichkeit weit besser als sie, denn in Christo hat der Glanz seiner Herrlichkeit Hebr. 1,3 die Welt erleuchtet. Dessen Lästerer waren ja grade die Gegner des Stephanus, denn von ihm sagt ja Paulus 1 Kor. 2,8: „Wenn die Obersten die heimliche, verborgene Weisheit Gottes erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“ Aber als ein Gott der Herrlichkeit ist er auch frei, also unabhängig von Zeit und Raum, daher auch vom Tempel, und alles, was er tut, hier zunächst in der Regierung seines Volkes, tut er aus unbeschränkter Machtvollkommenheit mit freier Gnade und Weisheit.
Der Anklage der Lästerung des Moses gegenüber erkennt Stephanus dessen göttlichen Beruf an, dem er zu seiner Verteidigung besonders weitläufig hervorhebt. Gott habe zum Mose gesagt: Ich habe das Leiden meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Seufzen gehört, und bin herabgekommen, zu erretten. Und nun komm her, ich will dich in Ägypten senden. Je größer die Not, desto näher ist Gott. Er sieht, er hört, er hilft zur rechten Zeit, und sendet dazu seine Knechte aus. Und dieser Moses ging nicht bloß auf göttlichen Befehl, sondern auch mit Allmachtskraft zu Wundern und Zeichen an sein Werk, V. 36, ja er hat Umgang gepflogen mit Gott selbst und dem Engel des Herrn, und empfing auf dem Sinai das lebendige Wort von Gott, es uns zu geben. Das war ja nämlich der dritte Klagepunkt, Stephanus sollte das Gesetz verlästert haben, deshalb hebt er auch besonders dessen Ansehen hervor. Es ist dem Mose von Gott gegeben V. 38, und zwar durch der Engel Geschäfte V. 53, es sind lebendige Worte V. 38. Einen so hohen Namen gibt er dem Gesetz und er kann es so nennen, erstlich für den Stand der Unschuld, weil es ein Ausfluss des lebendigen Gottes ist, weil es ewig ist, eine unvergängliche fortschreitende Lebensenergie hat, und weil es das Leben normiert. Lebendige Worte kann das Gesetz heißen auch für den Stand der Sünde, weil es den geistlichen Tod offenbart und den ewigen droht. Darum heißt auch der Buchstabe nicht tot, sondern es wird von ihm gesagt, dass er tötet, weil er wie ein Feuer brennt und wie ein Schwert haut, das Gewissen weckt, indem der Heilige Geist uns durch das Gesetz erleuchtet, uns zu dem hinzuführen, der das Leben ist. Aber auch für den Stand der Gnade bringt das Gesetz lebendige Worte, weil es in Christo leibhaft lebendig geworden, enthüllt und erfüllt ist, und durch ihn als Liebestrieb in Herz und Leben aufgenommen wird, so dass hier das Wort Schillers seine Anwendung findet:
Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
Sagt doch selbst Christus zu dem Schriftgelehrten, der ihm das höchste Gesetz, das Gesetz der Liebe entgegenhält: „Tue das, so wirst du leben.“ Und dieses Gesetz ist durch der Engel Geschäfte gegeben, denn Gott wird ja von Engelscharen bei jeder herrlichen Offenbarung bedient, und das Gesetz wurde auf so feierliche und majestätische Weise gegeben, die jedem Schrecken und Ehrfurcht einflößen sollte, mit Donner, Blitz, Posaunen und Rauchen des Berges. Daher sehen wir das Volk ängstlich fliehen 2. Mose 20,18. Schon im Alten Testament ist die Vermittlung der Engel bei der Gesetzgebung hervorgehoben. Nach 5. Mose 33,2 ist der Herr vom Sinai gekommen mit viel tausend Heiligen; zu seiner rechten Hand ist sein feuriges Gesetz an sie. David sagt Ps. 68, 18: Der Wagen des Herrn ist viel tausend mal tausend, der Herr ist unter ihnen im heiligen Sinai.“ Aber noch bestimmter hebt das Neue Testament die Vermittlung der Engel bei der Gesetzgebung hervor. Paulus sagt Galat. 3,19: „Das Gesetz ist gestellt von den Engeln durch die Hand des Mittlers“, und Hebr. 2,2. „Das Wort ist fest geworden, das durch die Engel geredet ist, und eine jegliche Übertretung und Ungehorsam hat empfangen den rechten Lohn.“ Wegen dieses göttlichen Ursprungs des Gesetzes sind die Übertreter desselben um so strafbarer, da selbst die beiden wegen Übertretung ihres Naturgesetzes gestraft worden Röm. 2,12-15.
Noch war Stephanus endlich beschuldigt, den Tempel gelästert zu haben, dagegen bezeugt er V. 44: „Es hatten eure Väter die Hütte des Zeugnisses in der Wüste, wie er ihnen verordnet hatte, da er zu Mose redete, dass er sie machen sollte nach dem Vorbild, das er gesehen hatte“, und fügt dann hinzu V. 46, dass David Gnade bei Gott fand, eine Hütte für denselben zu (er) finden, die Salomo baute. Nach dem Vorbild des himmlischen Heiligtums, welches Gott dem Mose im Urbild gezeigt hatte, und das der verheißene Same in Gnade und Wahrheit auf Erden bauen will, wird die Stiftshütte, die Zeugnishütte, oder das Versammlungszelt in der Wüste gebaut. So richtet Gott Religion und Gottesdienst auf Erden nach dem im Himmel ein, jener ist ein Abriss, ein Abbild von diesem, wie wir in der dritten Bitte bitten: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden.“ David aber hatte die Jebusiter aus Kanaan vertilgt und fand jetzt Gnade vor Gott, weil er nicht bloß etwas äußerlich Herrliches wollte, nach Ps. 132 wollte er seine Augen nicht schlafen lassen bis er eine Stätte fände für den Herrn zur Wohnung dem Mächtigen Jakobs; und freilich erbaute er auch ein besseres festeres Zelt, aber noch keinen Steintempel, den baute erst Salomo. David ist hierin ein Vorbild Christi in seiner Erniedrigung und Salomo ein Vorbild desselben in seiner Erhöhung; denn wie David das in blutigen Kriegen Erworbene sammelt, und zum Tempelbau bereitet, so sammelt Christus in seiner Erniedrigung den Vorrat seines blutigen Verdienstes zusammen, wie aber erst Salomo den Tempel baut, so baut auch erst Christus im Stand seiner Erhöhung die Kirche auf, und nur Salomos, d. h. friedsame Herzen können dem Herrn Tempel erbauen in der Menschen Seelen.
Doch die Apologie des Stephanus ist nicht bloß negativ, die vier ihm Schuld gegebenen Lästerungen abweisend, sondern auch positiv, das wirklich von ihm im Gegensatz gegen den Pharisäismus Gelehrte begründend. So ist schon in Bezug auf den ersten Punkt der Anklage darauf hingewiesen, wie Stephanus die Herrlichkeit Gottes erst in Christo recht vollkommen erkannt habe. Jehova fällt ihm zusammen mit dem Gott, den er in Christo hat. Darauf deutet hin die Theophanie V. 2: „Gott der Herrlichkeit erschien unserm Vater Abraham.“ Klingt das nicht grade so, als wenn Paulus spricht Tit. 2,11: „Es erschien die heilsame Gnade Gottes allen Menschen;“ oder Tit. 3,4: „Es erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes.“ Stephanus lässt Gott reden zu den Patriarchen, wie ein Bruder zu dem anderen spricht V. 3 und V. 6. Das Wort Gottes wohnte also unter diesem Stamm; das ist grade so, als wenn Johannes spricht 1,14: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.“ Und wenn es heißt Hebr. 11,24: „Durch den Glauben wollte Mose nicht mehr ein Sohn der Tochter Pharao heißen, sondern erachtete die Schmach Christi für größeren Reichtum, denn alle Schätze Ägyptens,“ So liegt der Keim zu diesem Ausspruch schon in dieser Rede, denn sie lässt den Mose durch den Ägyptermord V. 24 mit Entschiedenheit sich stellen auf Seiten des geknechteten Volkes, seines Bundesgottes, und erwählt statt des Kindesverhältnisses zur Thermutis3) in der Wüstenflucht seines Bundesgottes Schmach, B. 29. Und nun scheint ihm gar der maleach4) Jehova in einer Feuerflamme im Busch auf Sinai. Dieser Engel des Herrn ist der Offenbarer des verborgenen Gottes. Durch das ganze Alte Testament hindurch zieht sich nämlich der Unterschied zwischen einem verborgenen und offenbaren Gott, welcher letzterer Leiter der Patriarchen, Erwecker des Moses, Führer durch die Wüste, Vorkämpfer der Israeliten in Kanaan und Regierer des Bundesvolks war. Bei Jesaja heißt er Engel des Angesichts, bei David Michael, bei Zacharia misst er den Bau des neuen Jerusalems, bei Maleachi heißt er Engel des Bundes. Gott selbst sagt von ihm 2. Mose 23,21: „Mein Name, d. i. mein geoffenbartes Wesen ist in ihm“; er ist dasselbe, was im neuen Testament Wort, Sohn, Ebenbild, Glanz Gottes heißt. Diesen Engel des Herrn, der mit der Stimme des Herrn V. 31 zu Mose redet: „Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs,“ ist nichts anderes, als der künftige Messias, vor ihm erzittert Moses V. 32 nicht in knechtischer Furcht, sondern in frommer Demut. Dieses zittern Mosis soll der Diener am Wort kennen an heiliger Stätte, und nicht bloß am Anfang seines Lehramts; es wird ihm ein Riegel sein gegen unnütze Worte und sündliche Dinge, es wird ihm ein Sporn sein, vor Gott, in Gott, und aus Gott zu reden und zu handeln. Hier soll er die Weisung vernehmen V. 33: „Ziehe deine Schuhe aus, denn die Stätte, da du stehst, ist heiliges Land,“ d. h. tue ab irdische Befleckung und eingebildeten Hochmut, der Prediger in seinem Studierzimmer und auf der Kanzel, der Hörer bei seinem Kirchgang und beim Gottesdienst. Derselbe Engel des Herrn tritt noch einmal auf V. 38, wo es von ihm heißt, dass er mit dem Mose in der Gemeinde in der Wüste war, und mit ihm redete auf dem Berge Sinai und mit unsern Vätern. Stephanus sagte also seinen Gegnern: Freilich verehre ich euren Jehova, dessen Lästerer ihr mich nennt, aber in Christo sehe ich seine herrlichste Offenbarung.
Aber eben so sagt er ihnen ferner: freilich erkenne ich des Moses göttlichen Beruf an, aber er war ein Vorbild Christi. Hatte er doch selber zu den Kindern Israel gesagt V. 37: „Einen Propheten wird der Herr euer Gott euch erwecken aus euren Brüdern, gleich wie mich, den sollt ihr hören.“ S. 4. Mose 18,15. In diesen Worten hat Moses nicht allein selbst das lauteste und stärkste Zeugnis für Christum abgelegt, sondern seine vom Stephanus angeführten Schicksale beweisen auch wirklich, dass sein Leben ein Vorbild des Lebens Christi war, darum denn der ganze Passus, der vom Mose handelt, V. 17-42, ein Beweis des V. 37 berichteten Ausspruchs des Moses ist, denn es liegt darin: 1) wie Christus ist auch Moses von Gott beglaubigt, und 2) wie Christus ist auch Moses vom Volk verworfen.
Zunächst heißt es hier nun V. 17: „Da nun die Zeit der Verheißung nahte, die Gott Abraham geschworen hatte,“ denn schon Abraham hatte die Verheißung der 400jährigen Gefangenschaft in Ägypten erhalten 1. Mose 15,135). Diese Worte des Stephanus erinnern unwillkürlich sogleich an das Pauluswort Galat. 4,4: „Da die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn.“ Moses bringt also wie Christus eine lange verhießene Gabe, ist der Erfüller aller Verheißungen Gottes. Denn 2. Petri 3,9: „Der Herr verzieht die Verheißung nicht, wie es Etliche für einen Verzug halten.“ Der treue Gott erfüllt sie stets, wenn auch lange nach des Menschen Tod, der sie empfing. Darum, wenn auch die betrübten Diener am Worte keine Früchte ihrer Arbeit sehen, legen sie sich auch, wie Abraham, darüber schlafen, über ihren Gräbern sprosst die Saat, die sie säten. Moses ist, wie Christus, ein Verheißener, er musste kommen, denn
„Was Gott spricht, das wird erfüllt,
Wärs auch Jahre lang verhüllt.“
Nur dass die Zeit der Verheißung bei Christo 4000 Jahre währte, während sie beim Mose nur 400 Jahre dauerte. Damals, um die Zeit der Erfüllung, herrschte ein dem Volk Gottes feindseliger König, der nichts mehr von Joseph wusste, denn eine Wohltat wird bald vergessen, der behandelte das Volk übel, eben wie zu Christi Zeiten das Volk den schweren Druck der Fremdherrschaft erfahren musste. Pharao war nicht besser, als Herodes, denn er ordnete den abscheulichen Kindermord an V. 19; der ägyptische Kindermord war so schlimm als der bethlehemitische; er ließ die Kindlein hinwerfen. Das ist ja die giftigste Unterdrückung der Kirche, ihre geistlichen Kinder zu unterdrücken. Da ward seinen Eltern Moses geboren, ein feines Kind vor Gott V. 20. Ein frommes Angesicht ist allezeit das schönste, das schauten seine Eltern an dem Moses, und im Glauben meinten sie, Gott müsse wegen seiner Holdseligkeit etwas besonders Gottseliges mit ihm vorhaben. Wenn sie ihn daher auch aus natürlicher Liebe mochten zu erretten suchen, so doch auch, weil sie bei diesem besonders von Gott begabten Kind Glauben fassten an die Errettung des Volks durch es, denn Hebräer 11,23: „Durch den Glauben ward Moses, da er geboren war, 3 Monate verborgen von seinen Eltern.“ Da er aber hingeworfen ward, nahm ihn die Tochter des Pharao, der seinen Tod suchte, auf, und zog ihn auf zu einem Sohn V. 21. So macht der Herr oft die Feinde seiner Auserwählten zu ihren Dienern. nach Psalm 2,4: Der im Himmel wohnt, lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer.“ Denn:
Was Gott will erquicken,
Kann kein Tyrann ersticken.
So wurde eben wie Jesus auch Moses in seiner Kindheit von einem Tyrannen verfolgt, eben wie Jesus wird auch Moses aus einem großen Kindermord wunderbar errettet, und wie Jesum Ägypten in seinem bergenden Schoß verwahren musste, so den Moses die ägyptische Fürstin. Zweimal 40 Jahre V. 23 und V. 30 werden dem Moses als Wartezeit gegeben, in denen er still und unbemerkt, teils als ein Sohn der Prinzessin am königlichen Hof zu Ägypten, teils als ein Fremdling in der Wüste Madian lebte, bis er feierlich von Gott auf dem Berg Sinai berufen und aus der Verborgenheit gezogen wurde. Dies erinnert an die 30 Jahre, die Jesus eben so still und unbemerkt und seinen Eltern gehorsam zu Nazareth hinbrachte, bis auch er, durch die Taufe im Jordan feierlich geweiht, zu seinem Erlöseramt öffentlich auftrat. Solche Wartezeiten sind Zeiten verborgenen Reifens der Widersacher zum Gericht, der Gläubigen zur Ergebung in Gott und der Rüstzeuge Gottes zum Dienst des Herrn. Wie aber die Emmausjünger Luk. 24,19. Jesum einen Propheten nannten, „mächtig an Taten und Worten vor Gott und aller Welt,“ so sagt Stephanus vom Moses, er war gelehrt in aller Weisheit der Ägypter, und war mächtig in Werken und Worten, V. 22. Freilich hatte Moses eine schwere Zunge, d. h. Aussprache, aber dies wird auch dem Demosthenes nachgesagt, es lag doch viel Nachdruck und Kraft in seinen Worten. Moses war als ein rechter Gottesmann auch ein rechter Volksmann, denn er war aus dem Volk nach Fleisch und Blut, er stand über dem Volk nach Geist und Charakter, er handelte für das Volk durch Wort und Tat, er stand wider das Volk in seinen bösen Gelüsten. Aber er war auch ein rechter Reformator, denn er hatte gründliches Wissen und lebendige Herzenserfahrung, er hatte einen hellen Blick in die Zeit und ein warmes Herz für das Volk, er zeigte Mut gegen die Welt und Demut vor Gott, aber er hatte auch 80 Lehrjahre durchgemacht; durch Gefahren und Errettungen, durch menschliche Belehrung und göttliche Erleuchtung, durch Welterfahrung und stille Einkehr bei sich selbst, durch tiefe Demütigungen und hohe Gnadenzeugnisse war er das geworden, was er war. So konnte er ein Vorbild Christi sein, denn Christus war auch ein Volksmann und ein Reformator, aber mehr als das, er war mehr als Moses, denn er war ein Herr und Moses ein Knecht, er erlöste aus einer geistlichen Knechtschaft, Moses aus einer leiblichen, er erlöste die Menschheit, Moses nur Israel, seine Erlösung war ewig, die des Moses nur zeitlich, wenn auch wunderbar beide.
Zur Beglaubigung des Moses müssen wir auch das rechnen, dass Gott den Undank gegen ihn wie den gegen Christum bestraft. Gott gab eure undankbaren Väter dahin V. 42, dass sie dienten des Himmels Heer, Gott straft die Sünde durch Sünde nach dem Worte Schillers:
Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Dass sie fortzeugend Böses muss gebären,
Und dann die babylonische Verbannung V. 43: „Ich will euch wegwerfen jenseit Babylon.“ Musste diese Bestrafung der Juden für die Verwerfung des Moses nicht erinnern an ihre Bestrafung für die Verwertung Christi? Das Heil sollte von den Juden genommen und den Heiden gegeben werden, das war die Bestrafung in geistlicher Beziehung, ihre Stadt sollte zerstört und sie selbst sollten in alle Weltenden getrieben werden, ein Gegenbild der Wegwerfung jenseit Babylon. Die Bestrafung des gegen Moses undankbaren Volkes bestand also zunächst darin, dass es von Gott abfiel, dem Heer des Himmels diente und nach Amos 5,25 die 40 Jahre in der Wüste kein Opfer dargebracht hat. Das ist die größte Strafe in der Hand Gottes, wenn er seine Menschen ihrem verkehrten Sinn dahin gibt, wie Gott in vergangenen Zeiten alle Heiden ihre eigenen Wege hat wandeln lassen Apost.-Gesch. 14,16. Andererseits ist es der tiefste Schade eines Volks, wenn unter demselben die öffentlichen Opfer der Andacht in Buße, Betrachtung und Gebet aufhören. Freilich opferten die Juden ihrem Jehova in der Wüste, aber nicht ihm allein, nicht stets, nicht gern und nicht bußgläubig. Diese halbherzigen Opfer lässt der Prophet Amos nicht als Opfer gelten. Die Sünde an sich selbst ist der Leute eigentliches Verderben, aber auch die äußere Strafe folgt nach. Ich will euch wegwerfen jenseit Babylon, sagt Stephanus nach dem Amos, welcher 5,27 eigentlich sagt, jenseit Damaskus, welcher Ausdruck beide Exile, das assyrische und babylonische umfasst, während Stephanus durch seinen Ausdruck recht deutlich an letzteres erinnern will. So pflegt Gott die Menschen durch das zu bestrafen, womit sie gesündigt haben. Hier bestraft er die Abgötterei durch Hingabe an abgöttische Völker, wie er im Anfang dieses Jahrhunderts die Deutschen für ihre Gallomanie6) durch Unterjochung unter die Franzosen bestrafte. V. 43 versetzt Gott seines Volkes Wohnungen im Zorn, wie er V. 3 ihres Stammvaters Wohnung in Gnaden versetzte. Hatte das Volk ein Recht, den Stephanus wegen seiner Androhung kommender Gerichte der Gotteslästerung zu beschuldigen, nun dann war auch Amos ein Gotteslästerer, denn eben so gewiss dessen Prophezeiung von der Wegführung des Volks eingetroffen ist, eben so gewiss ist auch die des Stephanus eingetroffen. Moses ist ein Vorbild Christi, denn wie Christus wurde ja auch Moses beglaubigt durch Vorherverkündigung, wunderbare Errettung in der Kindheit, stilles Heranreifen, feierliche Berufung, reichliche Erweisung des Geistes und der Kraft, sein Erlösungswerk und Gottes Gericht über das undankbare Volk, und dennoch wurde gleich Christo auch Moses von diesem Volk verworfen. Die Verwerfung des Moses wird zunächst dadurch gezeigt, dass das Volk seine göttliche Sendung bei dem Ägyptermorde verkennt V. 23-28. Moses gedachte nämlich, als er 40 Jahr alt war, seine Brüder zu besehen. Er nahm also Anteil an ihrem Geschick, und den können wir keinen treuen Moses nennen, der sich nicht um das Elend seiner Kirche und die Not seiner Brüder bekümmert. Moses sah einen seiner Brüder durch einen Ägypter Unrecht leiden und erschlägt den Ägypter. So durchsticht Pinehas den Hurer samt der Midianitin, so schlachtet Elias die Baalspfaffen. Der Ägyptermord des Moses ging aus einem tiefen heiligen Mitgefühl mit der Schmach seines Volkes und dem Bewusstsein seines Helferberufs hervor, aber auch wohl aus fleischlichem Eifer, welcher auf Gottes Zeit nicht warten wollte. Deshalb musste die lange Demütigung folgen, in welcher sein Lebensberuf untergegangen zu sein schien, so dass er bei wirklicher Berufung nach 40 Jahren nicht gesandt sein wollte. Wohl war die Sünde tief, die ihn in dieser Tat von Ägypten trennte, doch noch tiefer war sein Glaube und Gottes Gnadenratschluss, an dem er sich hielt. Moses wollte, seine Brüder sollten in seiner Tat, da er den Hebräer gegen den Ägypter in Schutz nahm, ein Vorspiel davon sehen, dass Gott durch seine Hand das Volk aus Ägypten erretten wollte. Aber sie vernahmen es nicht, die Sündenknechtschaft und der Fleischesdienst unter den beiden war ihnen lieber, als die Freiheit der Kinder Gottes. Eben so ward die Hilfe des Heilandes verworfen. Christus kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Die Verwerfung des Moses von Seiten seines Volks offenbarte sich später am anderen Tag V. 26; als er zwei sich streitende Israeliten mit einander aussöhnen wollte, da stieß ihn der Ungerechte von sich mit den Worten: „Wer hat dich über uns gesetzt zum Obersten und Richter, willst du mich auch töten, wie du gestern den Ägypter tötetest.“ So wird seine reine Gesinnung verlästert. Wo er Errettung bringen wollte, schob man ihm Herrschsucht und feindselige Mordgedanken unter. So sprachen die Juden zu Jesu: „Was machst du aus dir selbst?“ Joh. 8,53, und kreuzigen ihn, weil er Gott gelästert und sich selbst einen König genannt habe. So kennt der Kranke nicht seinen Arzt, der Untertan nicht seinen Fürsten, der Sklave nicht seinen Befreier, der Heilsbedürftige nicht seinen Heiland. Moses flieht V. 29. Gott straft den Undank des Volks, welches die Stunde des Heils versäumte, mit noch 40 Jahre Druck. Der Knecht Gottes aber, der schon durch die menschliche Weisheit der Ägypter gebildet war, kommt nun auch in die Schule Gottes in der Stille; wollte er sich anfangs vielleicht voreilig in sein Amt hineindrängen, jetzt lernte er warten. Sein Volk wollte ihn nicht zum Obersten und Richter haben V. 27, aber Gott machte ihn zum Obersten und Richter über selbiges Volk, eben wie Gott den Jesum, den Israel gekreuzigt hatte, zu einem Herrn und Christ gemacht hat. Die Freiheit, die Moses seinem Volk bringen wollte, wird verschmäht; so verwirft Israel die Freiheit der Kinder Gottes, die Christus ihm bringen will und bleibt ein Knecht noch manches Jahr, bis zuletzt auch seine Stunde kommt, gerettet zu werden durch keinen anderen Messias, als den einmal verworfenen, denn diesem Volk ist auch jetzt die Freiheit bestimmt durch Christum; wie damals durch Mosen.
Verworfen wird Moses auch vom Volk in der Wüste V. 39. Da wollten ihm die Israeliten nicht gehorsam sein, sondern stießen ihn von sich, und wandten sich um mit ihrem Herzen gen Ägypten. Aber der Unglaube der Väter darf die Zeitgenossen des Stephanus nicht entschuldigen, und auch die Späteren nicht, wenn sie sich mit ihrem Herzen von Christo zurückwenden zur Welt, die sie verlassen hatten, denn es ist ja eben ein Fallstrick des Teufels, durch Erinnerung an die im Sündendienst gehabten sinnlichen Vergnügungen erweckte und angefasste Seelen wieder zurückzuziehen. Die Juden ließen den Aaron Götter machen, die sie wieder zurückführen sollten nach Ägypten, denn, sprachen sie, wir wissen nicht, was diesem Moses, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, widerfahren ist, V. 40. Dieser Moses, der von Gott so kräftig beglaubigt war, wird vom Volk so bald vergessen, schnöde verleugnet. Wie blind war es gegen die Offenbarungen, wie undankbar gegen die Barmherzigkeit und wie leichtsinnig gegen das Gericht Gottes! Auch zu Stephanus Zeiten und jetzt noch mögen viele sagen: Christus ist fortgegangen, wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist, sein Name ist verklungen, sein Gedächtnis ausgetilgt von einem undankbaren Geschlecht, statt dessen wird dem goldenen Kalb geopfert V. 41, und schändlicher wie damals in der Wüste; aber eine Wüste ist es jedenfalls, wo solches geschieht, man freut sich des Werks seiner Hände, denn ein solches ist der Menschen Gott geworden, das Volk setzt sich wie damals nieder zu essen und zu trinken und steht auf zu spielen 2. Mose 32.6. Aber mögen die Seinen ihn lebenslang vergessen, weil er fortgegangen ist, ach; sie wissen es nicht, dass er inzwischen für sein Volk auf dem ewigen, dem himmlischen Sinai steht und für die Seinen mit seinem Vater redet.
Das Gesetz hat Stephanus nicht gelästert, sondern vielmehr anerkannt in seiner göttlichen Bedeutung, aber das muss er doch vom Gesetz sagen, es ist nicht von Anfang an da gewesen, viel älter sind die Gnadenwege, die Gott mit seinem auserwählten Volk gegangen ist, viel älter sind auch die Verheißungen, die Gott demselben gegeben hat. Er verhieß dem Samen Abraham das Land Kanaan zu geben, obgleich dieser damals nicht einen Fußbreit Landes daselbst besaß und keinen Sohn hatte, V. 5; und diese Verheißung ist Wahrheit geworden, wie sie denn auch vom Abraham mit dem Glauben erfasst war, welcher ist eine feste Zuversicht des, das man hofft und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht. Schon vor dem Gesetz war die Verheißung der 400jährigen Dienstbarkeit im fremden Lande, V. 6, wie denn der Väter Frömmigkeit kein Privilegium gibt gegen Landplagen und Erdenleiden, aber der Ausgang ist ein anderer, als bei den Bösen; denn verhießen war auch die Errettung. Das Volk, dem sie dienen werden, will ich richten, sprach Gott; und durch zehn Plagen hat er dieses Volk gerichtet, denn die ausgebrauchte Rute wird ins Feuer geworfen und der stumpf gekehrte Besen in den Kehricht V. 7. Schon vor dem Gesetz hatte Gott dem Volk als ein Vorbild des christlichen Taufbundes den Bund der Beschneidung gegeben V. 8, wodurch die Menschen auch ohne das Gesetz waren aufgenommen in Jehovas Volks-Gemeinde 1. Mose 17.10, wodurch sie ihm als ein Volk seines Eigentums auserkoren, von den unreinen Völkern ausgesondert wurden, was indes den Stephanus nicht hinderte, seine Gegner als Unbeschnittene an Herzen und Ohren zu bezeichnen V. 51. Durch Vorherverkündigungen und Vorbilder ist auch der Heiland schon vor dem Gesetz vorher verkündigt, wie wir schon am Moses sahen, aber auch am Joseph sehen können V. 9-15. Joseph ist ja ein rechtes Vorbild Jesu. Auch Joseph war des Vaters lieber Sohn, an dem er Wohlgefallen hatte, aber seine Brüder beneideten ihn, er war ihr Spott und Ärgernis; denn der Menschen Feinde sind seine Hausgenossen, Brüder am Geblüt sind selten Brüder am Gemüt, und der Frömmigkeit folgt gern der Hass der Welt noch. Auch Joseph war sich schon in seiner Niedrigkeit seiner künftigen Würde wohl bewusst, auch mit ihm gings durch Leiden zur Herrlichkeit, auch er wird verkauft, auch er besteht die Versuchung, auch er wird fälschlich verklagt, auch er wird unter die Übeltäter gerechnet, ungerecht verurteilt, zwischen zwei Verbrecher gestellt, von denen der eine begnadigt wurde, auch er wird zuletzt mit Ehre gekrönt. Gott war mit ihm und Jesus war selber Immanuel7). Gott gibt dem Joseph Gnade und Weisheit; ja erst Gnade, dann Weisheit empfängt der Mensch von Gott, nicht in umgekehrter Ordnung, so ist Gnade und Wahrheit durch Jesum Christum worden Joh. 1,17. Auch Joseph herrscht über die beiden und versorgt die beiden, ehe die Seinen ihn suchen und finden. Und während Joseph nicht bei den Seinen ist, kommt eine große Teuerung und Trübsal über das ganze Land, eben wie da Dürftigkeit herrschen muss am wahren Brot, wo Jesus Christus nicht ist, das Brot des Lebens. Zuletzt aber suchen auch den Joseph seine Brüder und zum anderen Male wird er von ihnen erkannt; so ist auch Christus das erste Mal von seinen Brüdern nicht erkannt, zum anderen Mal aber wird er von ihnen erkannt werden. Ja mit Zittern erkennen ihn seine Verfolger, aber mit Gnade wird er denen lohnen, die ihm übel taten. Ist's nicht, als wenn das Bild des Erlösers hier vorgezeichnet wäre? aber diese sinnbildliche Verheißung ist älter als das Gesetz.
Wohl ehrt Stephanus das Gesetz, aber es kann doch nur denen nützen, die es halten; nun aber zeigt er seinen Feinden, ihr habt es nicht gehalten. Er sagt vom Gesetz V. 39: „welchem nicht wollten gehorsam werden eure Väter.“ Stephanus sagt nicht unsere Väter, sondern eure Väter, denn er sagt sich der Gesinnung nach von ihnen los, während seine Gegner nicht bloß leiblich, sondern auch geistlich von diesen Ungehorsamen abstammen, in der Weise, wie Christus von seinen Gegnern sagte Math. 23.29,31: „Ihr baut den Propheten Gräber und seid die Kinder derer, die die Propheten getötet haben.“ Die Herzen des Volks wurden ägyptisch, d. h. dem Götzendienst und der Fleischeslust Ägyptens zugeneigt, damit war das erste Gebot des Gesetzes im Prinzip gebrochen. Anfangs hatten sie dem unsichtbaren Gott unter dem Bild eines Kalbes gegen das zweite Wort des Gesetzes dienen wollen, deshalb gab Gott sie dahin, dass sie den Naturkräften und Himmelskörpern dienten, wodurch das erste Gebot auch äußerlich gebrochen wurde. Die, welche Moses und Christus verwerfen, opfern den Götzen ihres Herzens, ihrer Phantasie und Vernunft, und je geistiger der Götzendienst ist, desto gefährlicher wird er. Zuletzt sagt Stephanus es seinen Gegnern gerade heraus mit derben Worten V. 53, dass sie selbst das göttliche Gesetz nicht gehalten haben; sie gleichen also ganz und gar ihren ungehorsamen Vätern in der Wüste, wie die natürlichen Kinder ihren natürlichen Vätern.
Nur von Einem ist das Gesetz erfüllt, den nennt Stephanus deshalb den Gerechten, dessen Verräter und Mörder seine Gegner geworden sind V. 52. Aber auch in ihm ist das Gesetz erfüllt, darum ist er des Gesetzes Ende. Nachdem eure Väter zuvor die Propheten verfolgt und getötet haben, welche seine Zukunft vorherverkündigten, ist auch der Gerechte selbst und zwar von euch selbst gemordet. Dieses Strafwort von dem Mord der heiligen, welche Christum predigen, sollte Stephanus bald durch einen Tod bestätigen. Davon redet auch deshalb das Evangelium am Stephanustage8) Mat. 23,34-39. Christus heißt der Gerechte als des Gesetzes Vollender, so sagt der Prophet von ihm Jesaja 53,11, dass der Gerechte durch sein Erkenntnis viele gerecht machen werde und Zacharias 9,9: dass der König zu Jerusalem kommt als ein Gerechter. Johannes sagt von ihm 12,1, dass er unser Fürsprecher beim Vater ist, welcher gerecht ist. Petrus predigt von ihm an der schönen Pforte Apost.-Gesch. 3, 4: „Ihr verleugnet den Heiligen und Gerechten,“ und das ist um so schlimmer, denn er ist das Psalm 118,20 genannte Tor des Herrn, durch welches die Gerechten werden hineingeben. Durch seine Verwerfung haben also die Israeliten ihr eigenes Gesetz abgetan, denn Christus war das vollkommen erfüllte Gesetz selbst.
Stephanus hatte endlich die Heiligkeit des Tempels anerkannt, aber er restringiert9) diese Konzession sogleich, indem er darauf hinweist, wie doch der Tempel bei alledem zeitlich und vergänglich und etwas Äußerliches sei, und wie ihre Väter selbst einst ein heidnisches Götterhaus dem Tempel gleich geachtet hätten.
Ja der Tempel ist nicht immer gewesen, das geht deutlich aus der Rede des Stephanus hervor, er wird darum auch nicht immer sein. Das Gesetz ist jedenfalls viel älter als der Tempel, und lange hat es gedauert, bis der erste Tempel gebaut werden durfte. Erst mussten die Heiden ausgestoßen werden aus dem Land V. 45, ehe ein festes Haus dem Herrn gebaut werden konnte, eben wie da, wo Gott in einem Herzen wohnen will, zuvor das Unreine aus demselben Herzen muss hinausgestoßen werden. So lange musste sich das Volk mit einem tragbaren Zelt begnügen. Ist vielleicht deshalb Gott weniger in seinem Volk gewesen, hat dasselbe nicht vielmehr, ehe es der Tempel, ja ehe es die Stiftshütte hatte, die herrlichsten Taten seines Gottes aufzuweisen? Ist doch der herrliche Gott sogar dem Abraham in einem fremden, in einem heidnischen Land, in Mesopotamien erschienen, und hat ihm seinen Auftrag erteilt V. 2 u. 3. Er erschien sogar in der Wüste auf dem Berg Sinai, V. 30, dem Moses im brennenden Busch, und nannte jene Stätte ein heiliges Land, wo Moses seine Schuhe ausziehen sollte. Wiederum war er bei dem Moses auf demselben Berg V. 38 und redete dort die ewig gültigen, lebendigen Worte. Wo war damals der Tempel oder auch nur die Stiftshütte? Abraham soll aus seinem Lande ziehen, eine Selbstverleugnung, die stets der Glaube fordert, sich abzuwenden von der Weltfreundschaft und dem Trost der Kreaturen mit seiner Liebe und mit seinem Vertrauen hin zu Gott allein. Abraham wandert den rauen Pfad, denn er hat den guten Stab des Glaubens in seiner Hand und ein seliges Ziel vor Augen. Von Ur geht es nach Haran, und von Haran nach Sichem und dem Hain Moore, denn beständiges Wandern als in der Fremde ist hienieden des Gläubigen Aufgabe, nach jedem Ruhepunkt ein neuer Aufbruch bis zum Einzug in das himmlische Kanaan. Und Abraham hatte in Kanaan keinen Fußbreit Landes, denn das Kind Gottes ist auf Erden nicht zu Hause, sondern wohnt hier nur zur Miete. Wem aber Gott alles ist, der hat Eigentum genug, auch wenn er hienieden wie Abraham keinen Fußbreit Landes besäße. Hatte unser Herr doch auch nicht, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Am Abraham können es die Feinde des Stephanus sehen, dass man in Kanaan vor Gott in Gnaden leben kann, ohne auch nur das geringste davon durch Gott selbst zu besitzen. Selbst die heiligen Stätten, wo die Gebeine der Patriarchen ruhen, sind ja nicht von Gott gegeben, sondern durch Kauf10) von Nichtjuden erworben. Im brennenden Busch unter dem freien Himmel einer Wüste beruft Gott seinen größten Propheten da, wo niemals Tempelmauern standen. Der brennende Busch mag Israel bedeuten, brennend und doch nicht verzehrt in der Glut des Ziegelofens und in der Hitze der Anfechtung. Der brennende Busch mag den Messias bedeuten mit seiner menschlichen und göttlichen Natur, welche wie Busch und Flamme in unzertrennlicher Einheit verbunden sind, ohne dass die Gottheit die Menschheit verzehrt. Der brennende Busch bedeutet in unserer Märtyrer Geschichte doch zunächst die christliche Kirche, die selbst in ihrer Kreuzgestalt unverwüstlichen Lebensstoff birgt. Schon 2000 Jahre brennt dieser Busch, und noch haben wir seine Asche nicht gesehen. Gott hat geboten V. 7, dass das Volk, wenn es aus Ägypten gezogen wäre, ihm auf dem Horeb11) dienen sollte, also auch der Horeb ist, wie durch Gottes spezielle Gegenwart geheiligt, so auch von ihm zum Gottesdienst bestimmt.
Der äußerliche Tempel ist es also gar nicht, an den das Heil sich unbedingt knüpft, hatte doch Salomo selbst bei der Einweihung des Tempels gesagt 1. Könige 8,27: „Denn meinst du auch, dass Gott auf Erden wohne? Siehe der Himmel und aller Himmel Himmel mögen dich nicht versorgen, wie sollte es denn dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ Und Stephanus weist V. 48 und 49 auf das Prophetenwort hin Jesaja 66,1: „So spricht der Herr: der Himmel ist mein Stuhl und die Erde ist meine Fußbank, was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen wollt, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen soll.“ Selbst fügt er die Bemerkung hinzu: „Der Allerhöchste wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.“ Nein, Gott baut seinen Tempel nicht aus Gold und Silber, weltlicher Macht und Pracht, nicht aus Holz und Stein, äußerem Gewohnheitschristentum und totem Werkdienst, nicht aus Papier und Pergament, äußeren Bekenntnisnormen und Verfassungsformen, sondern aus lebendigen Herzen, die im Glauben auf den Herrn gegründet, in Liebe unter einander verbunden sind und in Hoffnung der himmlischen Vollendung entgegenwachsen.
Zudem haben die Israeliten auch sogar offenkundig heidnische Götzentempel heilig gehalten. Denn eben wie nach Apost.-Gesch. 19,24. kleine Tempel von Silber, welche dem prächtigen Tempel der Diana von Ephesus, einem der sogenannten 7 Weltwunder, nachgebildet waren, von den Silberarbeitern verkauft, und von den Verehrern derselben in ihren Häusern aufgestellt und auf Reisen mitgenommen wurden, eben so hatten die Israeliten in der Wüste nach Amos 5,26, welche Stelle Stephanus nach der LXX. angeführt V. 43, den ägyptischen und arabischen Sterndienst nachgeahmt, einen Stern unter einem Bild verehrt, und dessen Fußgestell und Tempelzelt mit sich herumgeführt. Dieser von ihnen angebetete Stern war nach der Übersetzung der griechisch redenden Juden in Alexandrien der Saturn, ein Planet, der den Alten, besonders den Arabern für unheilbringend galt, und dessen langsamem Lauf um die Sonne noch heute viele abergläubische Juden das lange Ausbleiben des Messias Schuld geben. In ähnlicher Weise mochte auch die Hütte Moloche, als ein kleines tragbares Zelt im Gegensatz zur Stiftshütte, in der Wüste mit herumgetragen sein.
So hat denn auch das Recht des Tempeldienstes sein Maß.
Durch die ganze Rede des Stephanus aber zieht sich der Grundgedanke: nicht Christus hat den alten Bund gebrochen, sondern die Juden haben es getan durch ihren Widerstand gegen das Heil. Nicht Stephanus lästert Gott, sondern die Juden, die seine höchste Offenbarung in Christo verwerfen, nicht Stephanus, sondern die Juden lästern Moses, indem sie seine Weissagung von Christo missachten. Die Juden selbst sind es, die die mosaischen Sitten geändert haben. So fallen die Anklagen auf die Kläger zurück; voll Heiligen Geistes und Kraft wandte Stephanus das von seinen Feinden gegen ihn gerichtete Schwert auf diese selbst. Die Apologie wird allenthalben zur Polemik. Sie nennen sich Abrahams Samen, wohnen in dem dem Abraham verheißenen Land, in Christo hat sich ihnen der Gott Abrahams noch herrlicher offenbart, aber den Glauben Abrahams haben sie nicht. Wie Aaron durch die Verfertigung des Götzenbildes sich an die Spitze der Feinde Gottes stellt, so stellte sich in ihren Tagen das hohepriesterliche Amt an die Spitze der Feinde Christi. In dem stets hervorgekehrten Gegensatz zwischen Jehova und dem Volk ist der Beweis gegeben, dass die Verwerfung Christi von Seiten eben dieses Volkes für ihn zeugt. So preist ja auch Christus Luk. 6,22.23 die um seines Namens willen Verfolgten deshalb selig, weil die Väter dieser Verfolger ebenso an den Propheten getan. Es findet sich nämlich eine großartige Konsequenz in der Geschichte des Reiches Gottes, auf Seiten Gottes die Konsequenz der Wahrheit, auf Seiten der Menschen die der Blindheit und Herzenshärtigkeit. Je größer nun auf der einen Seite die Gnade Gottes, desto größer wird auf der anderen die Undankbarkeit der Menschen. Hierin können seine Zuhörer ein Vorbild ihrer jetzigen Gesinnung gegen das Evangelium sehen, hatte sich doch von jeher das Volk da am unlenksamsten bewiesen, wo Gott es am offenbarsten zu seinem Heil führt.
Die so recht weitläufig, gleichsam ab ovo12) angefangene Rede hatte das Volk anfangs aus Achtung vor dem Wort Gottes und den Kenntnissen des Stephanus ruhig angehört, dies wird jedoch anders, als das Volk herausfühlt, dass es auf eine Bußpredigt abgesehen ist. Stephanus sieht ihren Grimm und ihre Ungeduld, und bricht darum V. 51 die historische Darstellung ab und wendet sich unmittelbar an seine Zuhörer, denen er das Zeugnis der ganzen Geschichte, als die Moral seiner Rede, ans Herz legt: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, ihr widerstrebt gleich euren Vätern stets dem heiligen Geist.“ Die Unbeschnittenheit ist ein Bild der Unreinigkeit, denn Gott spricht zu Mose V. Mose 10,16: „So beschneidet nun eures Herzens Vorhaut, und seid förder nicht halsstarrig,“ und Jeremia sagt 9, 6: „Alle Heiden haben unbeschnittene Vorhaut, aber das ganze Haus Israel hat ein unbeschnittenes Herz.“ Wenn aber das Herz unbeschnitten ist, so sind es auch die Ohren. Die Hörer des Stephanus wollten das Evangelium nicht ans Herz kommen lassen, darum schließen sie ihre Ohren vor demselben zu. Nun erlangt die Polemik ihre Spitze und ihren Ausgang in der Erwähnung der Verwerfung Christi, denn das ist ja die höchste Frucht und der Gipfelpunkt alles früheren Sündigens gegen Gott und sein Wort.