Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – Vorwort
Mit freudiger Hoffnung richten sich die Blicke der evangelischen Christen in unseren Tagen wieder nach Italien, wo die in der Schule der Leiden vielfach geprüften und bewährten Waldenser die ihnen von Gott zugeordnete Aufgabe als Verkündiger des reinen Evangeliums mit Ernst und Erfolg lösen. Ihre Väter hatten schon das Werk begonnen, wurden aber durch die Verfolgungen, die über sie hereinbrachen, darin gestört und unterbrochen. Jetzt aber betreten ihre Söhne die von ihnen gebahnten Pfade unter dem Schutze der Glaubens- und Gewissensfreiheit und bringen die Botschaft des Lebens den Kindern ihrer Dränger und Verfolger entgegen. Darum wendet sich die Teilnahme aller gläubigen Christen diesem Unternehmen zu und ihre Fürbitte unterstützt und fördert das Beginnen dieser evangelischen Glaubensboten. Auch nachfolgende Blätter wollen an ihrem Teile diese Teilnahme beleben und das Wirken der Waldenser fördern. Vielleicht mag Manchem meine Ableitung der Waldenser von jenen glaubensvollen in der Schule der Leiden bewährten Christen der Gemeinden von Massilia, Vienne und Lyon auffallend und unwahrscheinlich vorkommen. Für einstweilen mögen die in meiner Erzählung eingeflochtenen Gründe nebst folgender Tatsache meine Ansicht vertreten. Die böhmischen und mährischen Brüdergemeinden, welche die reine apostolische Lehre, die zuerst durch die griechischen Glaubensboten Cyrillus und Methodius unter ihren Vätern gepflanzt worden, ungetrübt und unverfälscht von römischen Irrtümern bewahrt hatten, waren auf der Synode zu Lhota 1467 hochbekümmert, was es mit ihrem Lehramte geben sollte, wenn ihre betagten Priester ausstürben und die Verfolgung sie ihrer bisherigen Lehrer beraubte. Da beschlossen sie, ein eigenes Lehramt unter sich zu begründen; und wenn auch die Schrift keinen Unterschied zwischen Presbyter und Bischof mache, so wollten sie doch um der Gegner willen die Ordination für ihre Bischöfe da suchen, wo dieses Amt eine apostolische Überlieferung sei. Sie sandten darum drei ihrer Priester zu den Waldensern und deren Bischof Stephanus weihte sie zu Bischöfen der Brüdergemeinde. Demnach waren die böhmischen und mährischen Brüdergemeinden überzeugt, dass die Waldenser die reine apostolische Lehre und Sitte, wie sie in der ersten Kirche gepflanzt worden, ununterbrochen, unverfälscht und ungetrübt bewahrt haben.
Wir flehen zum Schlusse zum Herrn, dass er mit seinem Segen das Wirken der Waldenser in unseren Tagen begleiten wolle, dass es zum Heile des Landes gereiche, in das er sie zu Boten und Verkündigern seines Evangeliums gesandt hat und noch sendet. Wintersingen im Herbste 1872.
R. Christoffel, Pfarrer.