Chalmers, Thomas - Die Liebe zu Gott aus sittlicher Wertschätzung.
Psalm 27, 4.
In unserer letzten Predigt machten wir auf die Wirkung einer gewissen theologischen Spekulation über die Liebe aufmerksam, indem sie die Freiheit des Evangeliums verdunkelt und den direkten Einfluss seiner Erklärungen und Mahnungen auf den Geist eines Suchenden abschwächt. Ehe wir die Liebe aus Dankbarkeit gegen einen Andern in uns aufnehmen können, müssen wir bei ihm die Liebe des Wohlwollens gegen uns wahrnehmen; und so geschieht es, dass von denen, die es unterlassen haben, zwischen der Liebe der Wohltat und der Liebe des Wohltäters einen Unterschied zu machen, die Tugend der Dankbarkeit auf die Eigenliebe zurückgeführt worden ist. Und sie haben gedacht, dass es gewiss eine reinere Liebe als diese sein muss, die den Beginn des Überganges von der Sünde zur Gerechtigkeit bezeichnet; und diejenige, die sie als solche gekennzeichnet haben, ist die selbstlose Liebe zu Gott. Sie haben dieser letzteren Gesinnung eine so hervorragende Stellung zugewiesen, dass die Aufmerksamkeit des Suchenden von derjenigen abgelenkt wird, die zuerst kommt. Die Einladung: „kommt und kauft ohne Geld und ohne Kaufpreis,“ wird von dem Sünder nicht gehört, so lange man an ihn die Zumutung stellt, Gott um seiner selbst willen zu lieben, ihn um seiner Vorzüge willen zu lieben, ihn zu lieben, weil er liebenswert ist. Lasst uns darum versuchen es festzustellen, ob eben diese Liebe aus sittlicher Wertschätzung dem Glauben an das Evangelium nicht untergeordnet sei und ob daraus folgt, dass, weil diese Gesinnung einen so wesentlichen Bestandteil der Frömmigkeit ausmacht, der Glaube aus diesem Grunde von der Stelle des Vorrangs, der ihm zukommt, sollte verdrängt werden.
Und hier lasst uns bereitwilligst und ohne Einschränkung zugestehen, dass wir in dem Ganzen von Gottes Willen nicht vollkommen, nicht untadelig sind, bis die Liebe aus sittlicher Wertschätzung sowohl, als die Liebe der Dankbarkeit in uns ist, bis jener Grundsatz, dessen wir von Natur gänzlich bar sind, in unserem Herzen auflebt und vollständig von demselben Besitz ergreift, bis wir Gott lieben nicht nur um seiner Liebe zu unserer Person willen, sondern um der Herrlichkeit und der innewohnenden Vortrefflichkeit willen, die das Auge des geistlichen Beschauers wahrnimmt, auf Grund seines eigenen Wesens. Wir bereiten uns nicht für den Himmel vor, wir werden gänzlich unfähig sein, an den edelsten seiner Freuden Teil zu nehmen, wir werden uns selbst im Paradiese nicht von einem Element der Gesinnungsverwandtschaft umgeben fühlen, es wird kein Glück für uns geben, auch nicht in der nächsten Nähe des Thrones Gottes und trotz des uns sichtbar gemachten sittlichen Glanzes der Gottheit, -wenn wir das Gefühl, Gott um seiner selbst willen zu lieben, nicht kennen, wenn ganz abgesehen davon, dass Gott mit Wohlgefallen auf mich schaut, ich mich nicht von der Schönheit seines Wesens gerührt und angezogen fühle, indem ich ihn mit dem Auge andächtiger Verehrung ansehe. Ich ermangle der wesentlichsten aller sittlichen Tugenden, wenn ich keine Wertschätzung für die sittlichen Tugenden eines Andern habe; und wenn mein Herz von solcher Beschaffenheit ist, dass nichts im Wesen Gottes meine Bewunderung oder meine Verehrung für ihn erregt, dann bin ich, wiewohl hereingelassen in die Tore der Stadt, die unerschütterlich steht und fern von den Höllenqualen, doch gänzlich ungeeignet für die Genüsse und Freuden des Himmels. Ich könnte eine Ewigkeit frei von allen Schmerzen hinbringen, aber ohne eine einzige Erregung positiven Glückes, sie zu verschönern. Der Himmel würde mir tatsächlich eine Wildnis sein und inmitten seines jauchzenden Dranges würde ich schmachten und schwermütig sein im Gefühl einer immerwährenden Auflösung.
Und dadurch wollen wir uns überzeugen lassen von der mächtigen Umwandlung, die von den Menschen dieser Welt muss durchgemacht werden, ehe sie für die andere Welt der Geister von gerechten, vollkommen gemachten Menschen geeignet sind. Man kann nicht behaupten, dass von dieser Umwandlung in zu großen und zu erhabenen Ausdrücken gesprochen werde, wenn man sagt, sie müssen wiedergeboren und zu neuen Geschöpfen gemacht und aus der Dunkelheit ans wunderbare Licht gezogen werden. Die Wahrheit zu sagen kann außerhalb des Kreises lebendigen Christentums unter all den Verschiedenheiten des Geschmackes, des Begehrens und der gefühlvollen Bewunderung keine Liebe zu Gott, wie er ist, gefunden werden, kein Gefallen an der Heiligkeit seines Wesens, kein Echo in der Brust des gottentfremdeten Menschen, welches Zeugnis ablegt für das, was im Wesen der Gottheit lieblich oder verehrungswürdig ist. Für die Schönheit dessen, was man sehen oder fühlen kann, mag er die größte Empfänglichkeit besitzen. Das Schauspiel der äußeren Natur kann ihm reizend erscheinen. Die Erhabenheit der ihn umgebenden körperlichen Welt kann ihn mit Bildern der Größe entzücken und begeistern. Sogar die sittlichen Vorzüge eines Mitmenschen können ihn fesseln, und diese zusammen mit den Werken des Genies können ihn bezaubern. bis zu einer abgöttischen Verehrung menschlicher Macht oder menschlicher Tugend. Aber während er solchermaßen schwelgt und sich selbst an den Formen einer abgeleiteten Vortrefflichkeit entzückt, ist in seinem Herzen kein reges Gefühl für Gott vorhanden. Er liebt es mehr, sich an die geschaffenen Dinge zu halten und von ihnen umgeben sich im Vergessen des Schöpfers zu vergraben. Er ist am meisten in seinem Element, wenn er in seinem Denken oder Handeln am weitesten von Gott entfernt ist. Da ist eine Kühle oder ein Widerwille oder ein Schrecken, der sich mit allen Betrachtungen über die Gottheit vermischt und seinen Geist in eine Bahn leitet, wo er mehr mit dem Gefühl als mit dem Verstand sogar das Denken an Gott vermeidet. Er würde gerne immer in der Welt leben und mit jenem Glücke zufrieden sein, das sie zu geben vermag und sich keine Sorgen machen, könnte er nur bekommen, worauf sein Herz gerichtet ist und wäre es ihm nur erlaubt sich desselben immer zu erfreuen, auch wenn er die lange Ewigkeit hindurch auf das Schauen Gottes und auf die Gemeinschaft mit ihm verzichten müsste. Das Ereignis, dem er
vor allen Andern mit dem stärksten Gefühl des Widerwillens und der Abneigung entgegensieht, ist jenes, welches ihn in nähere Berührung mit Gott bringen, welches seine gegenwärtige enge Verbindung mit dem Geschöpf aufheben und seinen, der Leiblichkeit entkleideten Geist in die unmittelbare Gegenwart des Schöpfers stellen wird. Nichts gibt es am Tode, dem grausigen, verhassten, furchtbaren Tode, das er weniger begehrt oder wovor er sich mehr fürchtet, als eine deutlichere Offenbarung der Gottheit. Die Welt, die warme, wohlbekannte Welt, ist in der Tat seine Heimat; und die Menschen die in ihr leben und in Betreff des göttlichen Wesens so sorglos sind wie er selbst, bilden seine ganze Gesellschaft. Geschähe es nicht aus Furcht vor der Hölle, so würde er vor dem Himmel als vor einem langweiligen und melancholischen Verbannungsorte zurückschrecken. Alle Lobgesänge auf ihn, der auf dem Throne sitzt, würden seinem Herzen eine Bürde und eine Last sein; und so geschieht es, dass die Wurzeln jedes natürlichen Menschen in dieser vergänglichen Erde liegen, von der der Tod ihn bald hinwegraffen und die der auflodernde Zorn Gottes zuletzt in Flammen wird aufgehen lassen; und hinsichtlich des Wesens, das für immer bleibt und mit dem allein er es zu tun hat, so sieht er in ihm weder Schönheit noch Lieblichkeit noch irgend einen Reiz, dass er danach begehren sollte.
Und nun, rührt das nicht ebenso sehr von der natürlichen Finsternis als von der natürlichen Verkehrtheit her? Es gibt bei unserer krankhaften Beschaffenheit ebenso sehr eine geistliche Blindheit gegen die Vorzüge der Gottheit, als ein geistliches Missfallen an ihnen. Die Wahrheit zu sagen gehen diese beiden Elemente in dem traurigen Verlauf der menschlichen Entartung zusammen. Der Mensch wollte seines Gottes nicht mehr gedenken und Gott überließ ihn einem verworfenen Geiste; und hinwiederum der Mensch, der in Eitelkeit dahin wandelte und durch seine verkehrten Werke ein Feind Gottes geworden war, hatte seinen Verstand verdunkelt und wurde durch Unwissenheit und Blindheit des Herzens heimgesucht. Wir begreifen Gott nicht und darum müssen wir in seiner Erkenntnis erneuert werden, ehe wir zur Liebe gegen ihn gebracht werden können. Der natürliche Mensch kann die Gottheit in den Finsternissen, von denen er umgeben ist, ebenso wenig bewundern, als er eine nie gesehene Landschaft, die zur Zeit seiner Ankunft ins Dunkel der Mitternacht gehüllt ist, bewundern kann. Er kann trotz aller Anstrengungen, ihrer mächtig zu werden, ebenso wenig einen beseligenden Anblick der Gottheit gewinnen, als sein scharfes Auge durch den verdunkelten Firmament zu den Umrissen jener irdischen Lieblichkeit, die vor ihm und rings um ihn ausgebreitet ist, hindurchdringen kann. Sie muss für ihn beleuchtet werden, wenn er sie lieben und sich an ihr freuen soll; und sagt uns, bis zu welchem Grade er für die Landschaft eingenommen sein würde, wenn sie, statt vom dämmernden. Tageslicht eines friedlichen Sommermorgens beleuchtet zu sein, plötzlich mit aller ihrer Kultur und ihren Wohnstätten durch die leuchtenden Flammen eines ausbrechenden Vulkans sichtbar werden müsste. Sagt uns, ob alle Herrlichkeit und Lieblichkeit der Landschaft, die so in unseren Gesichtskreis trat, den Beschauer nur für einen Augenblick beglücken würde, während die Schrecken der herannahenden Verheerung ihm Furcht einjagte? Sagt uns, ob es für ein fühlendes Wesen möglich wäre, unter solchen Umständen einem andern Gedanken Raum zu geben als dem seiner eigenen Erhaltung! O würde nicht das Gefühl der Furcht um das eigene Leben jedes Gefühl der Liebe zu dem, was wir eben sahen und worauf wir, sobald wir uns in Sicherheit befänden, mit Wonne schauen würden, aus uns vertreiben? Und ob auch die Schönheit noch so ausgesucht wäre, würde nicht alles Vermögen und alles Vergnügen, sich daran zu erquicken, aus unserer Brust verschwinden, so lange wir sie nur durch die verzehrende Glut der unser Leben bedrohenden Elemente anschauen dürften?
Lasst uns nun annehmen, dass durch jenen dichten Schleier geistlicher Finsternis, von dem jedes Menschenkind eingehüllt ist, sich ihm eine Erscheinung des göttlichen Angesichtes aufdrängte; dass die Vollkommenheit Gottes sichtbar gemacht würde und dass das göttliche Wesen, auf das die Engel des Paradieses mit Entzücken schauen, weil sie dort alle Züge der sittlichen Größe und Lieblichkeit in deutlicher und überzeugender Offenbarung erkennen, vor das Auge seines Geistes gestellt würden. Es ist ganz wahr, dass in dem, was er hat schauen dürfen, alles Schöne und Prächtige sich vereinigt hat; dass, was immer an Größe, was immer an Schönheit in der Schöpfung gefunden werden kann, nur eine schwache und schattenhafte Kopie jener originalen wesentlichen Vortrefflichkeit ist, die in den Gedanken dessen ruht, der der Urquell des Daseins ist; dass all das Einnehmende der Güte und all das Verehrungswürdige des inneren Gehaltes und all das Erhabene und Gebieterische der sittlichen Würde in der Person Gottes verbunden und verwirklicht ist; dass im ganzen Kreis des Universums nicht ein einziger Zug der Vortrefflichkeit erdacht werden kann, der nicht dazu dient, das Wesen dessen zu bereichern, der alle Dinge erhält und allen Dingen das Dasein gab. Kein Wunder, dass das reine Auge eines Engels aus diesem entzückenden Anblick eine solche Freudenfülle schöpft. Aber gesetzt nun, das Auge eines Sünders werde von alle dem getroffen und die Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes ohne Christus trete zusammen mit der übrigen ihm anhaftenden Herrlichkeit seines Wesens in sichtbarer Schaustellung vor dasselbe hin: die Liebe aus sittlicher Wertschätzung, werdet ihr sagen, muss in seinem Herzen erwachen; aber sie kann nicht. Die Liebe ist unter solchen Umständen unmöglich. Der Mensch ist voll Schrecken. Und er kann ebenso wenig mit Wohlgefallen seinen Gott anschauen, als er an den lieblichen Formen einer Landschaft, die sich beim Ausbruch eines darüber sich erhebenden Vulkanes seinem Anblick darbietet, ein Vergnügen haben kann. Das Schauen jenes Antlitzes, auf dem er die Absicht, sich an ihm als einem Kinde der Ungerechtigkeit zu rächen wahrnimmt, kann bei ihm nicht das süße und köstliche Gefühl wachrufen, das wir Liebe nennen. Die Furcht, welche Qual in sich birgt, schließt diese Gesinnung vollständig aus. Für sie ist in der Brust eines fühlenden Wesens kein Raum vorhanden, so lange es von Furcht und Aufregung ergriffen ist. Das ist es, was die Abneigung seiner fündigen Natur vor dem Gedanken an Gott erklärt. Das Gefühl der Schuld kommt in sein Herz und zugleich machen die Qualen und Beunruhigungen der Schuld sich geltend. Denn nun sieht er, wie die Gerechtigkeit Gottes ihm droht, wie die Wahrheit Gottes nicht anders kann, all ihre Drohungen ausführen, wie die Heiligkeit Gottes so verlegt ist, dass sie nicht ohne Abscheu auf ihn herabschaut und wie alle die geheiligten Eigenschaften einer Natur, die eifersüchtig und unwandelbar ist, sich mit einander zu seiner immerwährenden Vernichtung verbinden. Er kann das Wesen nicht lieben, mit dessen bloßer Vorstellung schon ein Gefühl der Gefahr und die Furcht der Verdammnis und alle die Bilder einer unglückseligen Ewigkeit vermischt sind. Wir können Gott nicht lieben, so lange wir ihn als unsern Feind ansehen, der sich bewaffnet hat, uns zu verderben. Ehe wir ihn lieben, müssen wir das Gefühl der Sicherheit haben, und indem wir uns selbst außer der Gefahr wissen, darf kein Druck auf uns lasten. Lasst ihn seine Rute von mir nehmen und lasst nicht die Furcht vor ihm mich erschrecken, dann werde ich ihn lieben können, ohne ihn zu fürchten; aber bei mir steht es nicht also.
Aber lasst ihn, der dem Lichte gebot, aus der Finsternis hervorzuleuchten, in unsere Herzen scheinen, um uns das Licht der Erkenntnis seiner eigenen Herrlichkeit im Angesichte Jesu Christi zu geben lasst uns nur auf ihn schauen, als den Gott, der in Christo die Welt mit sich selbst versöhnte und ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete, lasst ihn, ohne die wesentlichen Züge der Wahrheit und Majestät von jenem einzigen Anblick vollkommener Vortrefflichkeit, der ihm zukommt, auszulöschen, - lasst ihn in seiner eigenen unergründlichen Weisheit einen Weg ersinnen, auf dem er beides erreichen kann: sie in noch strahlenderem Lichte den Sündern vorstellen und zugleich in ihnen das Gefühl erwecken, dass sie sicher sind - lasst ihn von den Menschen dieser schuldigen Welt die Bürde der Übertretung seines Gesetzes wegnehmen und machen, dass sie von einem Andern getragen wird, der dieses Gesetz verherrlichen und zu Ehren bringen kann, lasst ihn eine vollkommene Freisprechung von allen Strafen derselben verkündigen, aber in einer Weise, dass die Wahrheit, welche dieselben androhte und die Gerechtigkeit, welche dieselben zur Ausführung bringen sollte, unter dieser Erzeigung des Erbarmens unangetastet bleiben, lasst ihn, statt das Schwert der Rache gegen uns zu ziehen, es gegen einen Dulder von solchem Wert und solcher Würde zücken, dass sein Blut die Versöhnung für eine Welt sein wird und dass, indem er seine Seele hingibt in den Tod, er die Vergebung des Übertreters mit der ewigen Gerechtigkeit Gottes in Eins zusammenbringt kurz, anstatt dass das Wesen Gottes für das Auge des Sünders durch das Feuer seines eigenen Zornes erleuchtet wird, lasst es durch den Beweis des Geistes erklärt werden und lasst das milde und friedliche Licht der Sonne der Gerechtigkeit darauf scheinen und dann kann der Sünder in Frieden und Sicherheit auf das geoffenbarte Wesen der Gottheit schauen. Befreit von der Bürde der Furcht kann er nun sein ganzes Herz den Einflüssen der Liebe öffnen. Und jene Liebe aus sittlicher Wertschätzung, die vor dem Eintritt des Glaubens an das Evangelium sicherlich durch das Gefühl der Verdammnis weggewischt worden wäre, ist nun frei und kann ihren Platz neben der Liebe aus Dankbarkeit einnehmen und sich damit zugleich zur Darbringung des Einen Opfers erheben, das einem versöhnten Vater geweiht ist. So sollte es denn deutlich sein, dass die Liebe aus sittlicher Wertschätzung auf jeden Fall um ebenso viel dem Glauben nachgesetzt und ihm untergeordnet ist, wie die Liebe aus Dankbarkeit. Um im Stande zu sein, Gott zu lieben, sei es in der einen oder anderen Begründung, müssen wir vorher wissen, dass Gott uns geliebt. Wir können diese Gesinnung durchaus nicht in irgendeiner Form in uns aufnehmen, so lange der Argwohn und die Furcht vor einem noch unerledigten Prozess zwischen Gott und uns besteht. Der Friede mit unserem beleidigten Gesetzgeber ist nicht die Frucht unserer Liebe, sondern unseres Glaubens; und der Glaube, wenn er anders eine Realität und nicht ein Schein ist, ist durch die Liebe tätig. Wir haben Frieden mit Gott durch Jesum Christum unsern Herrn. Und wir lieben viel, wenn wir wissen und glauben, dass uns unsere Sünden vergeben sind.
Gott erwartete keine Erwiderung der Zuneigung Seitens der schuldbeladenen Welt, ehe er selbst eine solche für sie empfand. Zu jener Zeit, da er also die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn dahingab, war sie anzusehen wie ein unermessliches Gefängnis voll Gottlosigkeit. Unter den Menschen darin war Freundschaft des einen für den andern, aber daneben zeigte sich eine ungebrochene Feindschaft wider Gott. Indem sie sich selbst nach eigenem Maßstabe maßen, zeigten sie oft eine wechselseitige Achtung für solche Tugenden, deren man zum Wohl der Gesellschaft bedurfte; aber was bei den Menschen in hoher Achtung steht, ist bei Gott ein Gegenstand des Abscheus; und wenn man an dem Maß jener vollkommenen Gerechtigkeit maß, die die Grundlage und Richtschnur für das Regiment des Himmels bildet, zeigte es sich, dass unser Geschlecht durch alle seine Generationen hindurch seine Verpflichtungen unerfüllt gelassen hatte und so weit von der gehorsamen, noch nicht gefallenen Schöpfung abgekommen war, wie eine Verbrecherkolonie von dem Lande, das sie aus seinen Grenzen verwiesen hat. Und es geschah zu einer solchen Zeit, als die Menschen kein Gedächtnis mehr an Gott haben wollten, als alles Fleisch verkehrte Wege wandelte, als kein Fragen mehr nach Gott war, als kein Gedanke, kein Wunsch, keine Bewegung um zu ihm zurückzukommen sich kund tat, dass er mit Erbarmen auf unser gefallenes Geschlecht herabsah und in der Fülle der Zeiten seinen Sohn in die Welt sandte, uns zu suchen und selig zu machen.
Und das Gleiche gilt von jedem Einzelnen, dem dies Anerbieten der Versöhnung gemacht worden ist. Gott wartet auf keinen Wechsel der Gefühle in unserem Herzen, bis wir aus seinen Händen die Gnade annehmen. Aber er bittet einen Jeden unter uns, die Versöhnung anzunehmen und unser Herz und unseren Charakter den Einflüssen jener Gnade hinzugeben, die er uns zu gewähren bereit ist. Im Evangelium verkündigt er einen Frieden, der für euch bereitet ist, einen Akt der Freisprechung, den er eben jetzt euch zur Annahme hinhält, ein zuvorkommendes Anerbieten der Gnade, aus dem ihr, wenn ihr glaubet, dass es ernst gemeint sei, die Überzeugung schöpfen werdet, er sei euer Freund, und in dieser Überzeugung werdet ihr euch nicht getäuscht finden. Er erwartet von euch keine Liebe aus Dankbarkeit, bis ihr die großen Dinge erkannt und geglaubt habt, die er für euch getan. Aber er erwartet von euch, dass ihr seiner Wahrhaftigkeit die Ehre gebt. Er erwartet von euch nicht die Liebe aus sittlicher Wertschätzung, bis ihr, befreit von der Furcht, ihn zum Feinde zu haben, mit all der ruhigen Stille bewusster Sicherheit die Herrlichkeit und Lieblichkeit seines geoffenbarten Wesens betrachten könnt. Aber er erwartet von euch Glauben an seine Verheißung, dass er nicht euer Feind sei, dass er kein Gefallen an eurem Tode habe, dass er euch bittet, in Christo euch versöhnen zu lassen, und euch die Hand zum Willkommen entgegenstreckt.
Das Erste, was also zwischen Gott und den Sündern in Ordnung gebracht werden muss, wenn das Werk der Versöhnung zu Stande kommen soll, ist dies, dass sie an ihn glauben. ist dies, dass die große Freudenbotschaft von ihnen mit Vertrauen und Verlangen aufgenommen werden soll. Es ist dies, dass sie die Aussprüche von dem Worte des Lebens für glaubwürdig erachten. Es ist dies, dass sie in die Kunde, die Gott von seinem Sohne gegeben, Vertrauen setzen und wenn sie dieses tun, so werden sie glauben, dass Gott ihnen ewiges Leben gegeben hat und dass dieses Leben in seinem Sohne ist.
Es gibt eine gewisse Philosophie betreffs der selbstlosen Liebe zu Gott, die dazu gedient hat, diesen Vorgang zu verdunkeln und mit Schwierigkeiten zu umgeben. Sie hat einen unverdienten Makel auf die Liebe aus Dankbarkeit gebracht. Aber bei weitem ihre schlimmste Wirkung ist die, dass sie die Freiheit der Anerbietung des Evangeliums gehemmt hat. Sie hat dem Beginnen. manch eines Suchenden Verwirrung bereitet. Sie hat ihn veranlasst, in seinem eignen Geiste nach den Beweisen einer Liebe zu suchen die er nie in sich finden kann, bis er die Anerbietungen des Neuen Testamentes annimmt und sich auf seine Verheißungen verlässt. Sie hat den Glauben um jene gebietende Stellung, die ihm zukommt, gebracht und jenes große Prinzip, auf dem beides, die Liebe aus Dankbarkeit und die Liebe aus sittlicher Wertschätzung beruht, von seiner Stelle gerückt.
Wir wollen uns deshalb nicht mehr darüber wundern, warum der Glaube im Neuen Testamente so sehr den Platz des entscheidenden Anfanges einnimmt. Er ist so zu sagen der große Ausgangspunkt der Jüngerschaft Christi. Gebt nur dem Glauben Raum und die Liebe mit all der Kraft und all der Fröhlichkeit, die sie dem Gehorsam verleiht, wird aus seinem Lebendigsein hervorgehen. Es gibt tatsächlich keinen andern Weg, die Liebe ins Dasein zu zaubern; und die Dankbarkeit, die mich in den Dienst eines versöhnten Gottes stellt und die Liebe zu seinem Wesen, die mich im Himmel für die Freude an ihm geschickt macht, kann erst in meiner Brust entstehen, nachdem ich geglaubt habe.
Schließt eure Herzen durch diese Betrachtung für den Glauben auf. Lasst ihn in eurer Schätzung die hohe Wichtigkeit eines Prinzips gewinnen, ohne welches es weder hienieden eine Heiligung geben kann, noch eine Errettung im Jenseits. Haltet es nicht für genug, dass ihr ihn in euren Geist aufnehmt, nur damit er darin sei. Wisst, was es ist, ihn in gewohnheitsmäßige Übung umzusetzen, um bei den Wahrheiten, die er in sich schließt, zu verweilen und im Empfinden und im Tun sich seinen reinen Wirkungen hinzugeben. Das ist die einzige Weise, in der ihr je ein Leben des Glaubens an den Sohn Gottes leben, oder durch die Kraft der zukünftigen Welt leben, oder euch selbst in der Liebe Gottes erhalten könnt, indem ihr seht, dass nur, wenn ihr erkennt und glaubt, dass Gott euch zuerst geliebt, ihr dazu gebracht werden könnt, ihn wieder zu lieben.
Im Verlaufe dieser Bemerkungen sind uns einige Gedanken aufgestiegen, von denen wir hoffen, man werde sie von genügender Wichtigkeit erachten, um ausgesprochen zu werden, und die wir jetzt vorbringen, indem sie eine Ergänzung zur ganzen Beweisführung bilden.
Es wird bemerkt worden sein, dass wir den Menschen nicht für ganz unfähig der Liebe aus sittlicher Wertschätzung hinsichtlich irgendeines Wesens halten. Es gibt gewisse Charaktervorzüge, welche die Bewunderung und Hingebung sogar unserer verderbten Natur hervorlocken, wenn sie anderswo als in der Person der Gottheit sich finden. Was immer unsere Sündhaftigkeit sein mag, es wäre aller Wahrnehmung zum Trotz, wollte man behaupten, dass der Mensch bei seinem Mitmenschen die Wahrheit nicht lieber hat als die Lüge, und das Mitleid lieber als die Grausamkeit, - und es tritt die interessante Frage an uns heran: wie kommt es, dass diese Eigenschaften alle die ihnen naturgemäß zukommende Kraft, unsere Aufmerksamkeit zu erregen, zu verlieren. scheinen, sobald wir sie an Gott wahrnehmen, während wir sie doch bei ihm in einem Grade entwickelt sehen, der sich nicht in Worte fassen lässt?
Es wird uns teilweise zur Lösung dieser Frage verhelfen, wenn wir bei unserem Menschen mit den sittlichen Vorzügen darauf achten, dass gerade seine Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit und sein Mitleiden ihn dahin bringen, in der Verteidigung der unterdrückten oder verunglimpften Unschuld die ganze Heftigkeit seines Unwillens gegen das Haupt eines Unterdrückers zu kehren; und wenn wir dann an das Gefühl denken, das folgerichtig im Herzen des letzteren entstehen wird. Es wird ein Gefühl des Haffes und der Abneigung sein. Und doch würden wir nicht tief in die Geheimnisse des menschlichen Charakters blicken, wenn wir nicht begriffen, dass in vollkommener Übereinstimmung mit diesem Gefühl persönlicher Abneigung gegen den tugendhaften Menschen, der ihm feindselig gesinnt ist, in seiner verdorbenen Seele die Liebe sittlicher Wertschätzung hinsichtlich der Tugend, die irgendwo anders sich findet oder von Jemand anders geübt wird, vorhanden sein kann. Lasst diese Tugend, statt dass sie von Jemandem, der mein Feind ist, geübt werde, durch Beschreibung zu meiner Kenntnis kommen und zwar von Jemandem, der in einem fernen Lande lebt oder in einem entlegenen Zeitalter lebte, und lasst den Gedanken an meinen besonderen Gegner nicht in herausfordernder Weise bei dieser Betrachtung in mir angeregt werden, und ich werde mit all den Ausschreitungen, die mir den Tadel meines rechtschaffenen Nachbars zugezogen und in meinem Herzen einen entsprechenden Hass gegen ihn wachgerufen haben, dem Bilde sittlicher Vortrefflichkeit, das mir vor Augen gemalt worden ist, den Tribut meiner Achtung und Verehrung entrichten. Dies mag als ein widerspruchsvolles Gebaren unserer Natur erscheinen; aber es ist es gewiss nicht mehr als die wohlbekannte Geschichte von dem Sklavenhalter, der bald seine Laune und seine Grausamkeit an lebenden Menschen seiner Umgebung auslässt und bald in aller Weichheit leidenschaftlicher Empfindung über das Elend einer erdichteten Erzählung weint. Das Elend am einen Orte kann unser Mitleid erregen. Das Elend an einem andern kann von der eigenen Hand verursacht sein, um unseren rachsüchtigen Neigungen ein Genüge zu tun. Die sittliche Würde in der Person von Jemandem, der uns gleichgültig ist und noch mehr von Jemandem, der uns freundlich gesinnt ist, kann uns zu warmer und aufrichtiger Anerkennung veranlassen. Die sittliche Würde in der Person eines Andern, der gerade durch seine Charakterfestigkeit dahin gebracht wurde, unseren Stolz zu verlegen oder unsere Selbstsucht anzutasten, kann ihn zum Gegenstand unseres leidenschaftlichsten, entschlossensten und unerbittlichsten Hasses machen.
Und so kommt es, dass ich eine natürliche Vorliebe für etliche der Vorzüge, die dem göttlichen Wesen eignen, und zugleich einen Widerwillen gegen die Person der Gottheit haben kann. Diese natürliche Vorliebe kann man als ein Element auffassen, das mich in meinem Herzen zum Voraus zur Liebe Gottes bestimmt; aber so lange ich ihn mit Gerechtigkeit umgürtet sehe, um mich zu verderben, wird dies die aufkeimende Zuneigung so wirksam darnieder
halten, als schliefe sie fest in den Tiefen des Nichtvorhandenseins. Wir geben gerne zu, dass es gewisse einzelne Charakterzüge der Gottheit gibt, welche, wenn sie getrennt von seinem Zorne gegen uns die Kinder des Ungehorsams zu unserer Kenntnis kommen, in unserer Brust ein Gefühl von freudiger Bewunderung erregen. Aber die Furcht oder der Verdacht seines Zornes lässt dieses Gefühl gar nicht aufkommen; und wie sehr wir auch etwas wie Liebe für sein Wesen zu haben scheinen, wenn wir bloß gewisse Züge desselben, losgelöst vom Ganzen, ins Auge fassen, so stimmt das doch vollkommen mit der Tatsache überein, dass der Geist von Natur die Person der Gottheit hasst, dass der natürliche Geist voll der Feindschaft gegen Gott ist. Und dies sollte uns davon überzeugen, dass, auch wenn von vornherein um seines Wertes willen ein Zug der Liebe zu ihm in uns vorhanden wäre, es doch unumgänglich notwendig ist, dass wir, um unseren Hass in Zuneigung zu verwandeln, Gott nicht mehr als Zürnenden schauen, sondern ihn angetan mit all der Zärtlichkeit einer anerbotenen und einladenden Freundschaft sollten sehen können. Es gibt einen Zauber, mit dem dieser Liebeszug verwachsen zu sein scheint und der nie kann weggetan werden, bis Gott mich durch einen Beweis seines Wohlgefallens für Freundschaft und Vertrauen gewinnt. Der Glaube an das Kreuz Christi ist der erste Schritt bei dieser Annäherung. Eine selbstlose Liebe zu Gott von Jemandem zu verlangen, der Gott als seinen Feind ansieht, und das auch dann, wenn in seiner Brust ein unentwickelter Keim der Verehrung für den sittlichen Wert oder den Charakter des Höchsten sich finden sollte, heißt an ein fühlendes Wesen ein Verlangen stellen, das es eben vermöge seiner Beschaffenheit nicht zu befriedigen im Stande ist. Und ist dies Verlangen nicht noch mehr unangebracht, wenn es von einem Orte kommt, wo man den Fall des Menschen für so vollständig hält, dass ihm kein einziger geheimer oder zum Voraus einnehmender Liebeszug zu Gott zugeschrieben wird? Ist es nicht ein noch törichteres Verlangen zu meinen, dass er unter so hoffnungslosen Umständen wie diesen vor dem Ergreifen des Geschenkes der Erlösung die Tugend einer reinen und geistlichen Zuneigung in seinen Charakter aufnehmen soll; dass trotzdem die Furcht aus seiner Brust noch nicht weggenommen wurde und das Angesicht Gottes so strenge als je auf ihn niederschaut, mitten in all dieser Unruhe eine Liebe zu jenem Wesen entstehen soll, an das man nie ohne ein Gefühl der Unsicherheit auch nur denken kann, oder dass ein schuldiges Geschöpf, das auch dann, wenn es die Keime der sittlichen Verehrung gegen die Gottheit in einer Art Schlummerzustand in sich hätte, dieselben unter der Bürde des noch unbesänftigten Zornes aus ihrer Untätigkeit nicht hervorlocken könnte, dass es sogar ohne diese Keime in sich zu tragen, unter dieser Last im Stande sein sollte, dieselben aus dem Zustande des Nichtvorhandenseins hervorzuzaubern?
Und dies mag beiläufig dazu dienen, zu zeigen, welchen Grad jene geschmackvolle Sentimentalität erreicht habe, vermöge deren eine vorübergehende, aber trügerische und inhaltslose Verehrung für die Gottheit in den Herzen derer gefunden werden kann, die den ganzen Geist und Gehalt des Evangeliums zunichtemachen. Sie lassen in ihre Betrachtung nur so viel von dem göttlichen Wesen eindringen, als dazu dienen kann, eine zärtliche oder gewinnende Vorstellung von ihm zu erwerben. Sie mögen den Grundstock seiner natürlichen Eigenschaften unangetastet lassen; aber bei jedem Überblick, den sie hinsichtlich der sittlichen Natur der Gottheit machen, weigern sie sich, auf alle Eigenschaften in ihrer gegenseitigen Verbindung zu sehen, und heften ihren Blick nur auf eine derselben, nämlich die der Nachsicht. Sie können den Anblick seines ganzen Wesens nicht ertragen und sollte dieser Anblick je sich ihnen aufdringen, so macht er all dem Pathos und der Zierlichkeit einer bloß natürlichen Frömmigkeit ein Ende. Sie sehen die Wahrheit gegen sie selbst gerichtet, die Heiligkeit einem Zusammenwohnen mit ihnen in friedlicher oder zustimmender Gemeinschaft abgeneigt, die Gerechtigkeit außer Stande, ihnen etwas Anderes als eine strenge und unwiderrufliche Vergeltung zu Teil werden zu laffen: alle diese Eigenschaften werden in dem Augenblicke nicht von ihnen bedacht, wenn sie, die Anhänger eines poetischen Theismus, gegen ihre eingebildete Gottheit eine schwache Blut der Liebe oder Verehrung empfinden. Aber Wahrheit und Gewissen mischen sich immer in diesen Genuss, und die Frömmigkeit, die auf einem so schwachen und einseitigen Grunde ruht, kann nie einen bleibenden Einfluss auf den Charakter gewinnen; und was im besten Falle erdichtet ist, kann und soll nicht mehr als eine seltene kurze Stunde der Gefühlserregung eingeräumt erhalten; und daraus ist es zu erklären, wie es kommt, dass beim gleichen Individuum eine gelegentliche Wiederkehr von andächtiger Empfindung und ein Leben voll entschiedener tatsächlicher Gottlosigkeit sich finden kann. Eine illusorische Vorstellung von Gott wird unsere Neigungen von der Welt nicht mehr abziehen oder uns zu dem festen im Leben sich bewährenden Tun des Gehorsams gegen unseren Schöpfer verpflichten, als die Geschwätzigkeit eines Romans die Gewohnheiten der Natur oder der Gesellschaft praktisch beeinflussen wird. Und so geschieht es, dass die Religion ohne das Christentum so sehr hinter der wahren Religion zurückbleibt, wie die Humanität, von der wir vorhin sprachen, von der wahren Humanität in den Schatten gestellt wird.
Aber kommen wir wieder zur Sache. Wir haben bereits gesagt, dass sogar dann, wenn im Herzen eines Menschen eine angeborene Verehrung für gewisse erhabene Seiten des göttlichen Charakters vorhanden wäre, doch ein Beweis von Wohlwollen vorausgehen müsste, damit die Person der Gottheit ihm teuer werde. Und die Notwendigkeit für ein solches Vorangehen wird noch viel deutlicher, wenn es bei weiterer Prüfung der Sache an den Tag kommt, dass tatsächlich keine solche angeborene oder zum Voraus einnehmende Verehrung vorhanden ist, dass es gewisse sittliche Vorzüge gibt, die, wenn sie an einem Menschen sich zeigen, die Liebe und Hochachtung auch unserer fündigen Natur gewinnen und die, wenn sie in Gott zur Vollkommenheit erhoben werden, deshalb, wie man meinen sollte, von der Natur, unter günstigen Umständen, die Huldigung einer noch zarteren Liebe und einer noch tieferen Verehrung erlangen sollten. Es gibt indessen eine große und umfassende Eigenschaft, von der die sittliche Beschaffenheit der Gottheit durchdrungen ist und wofür wir ganz und gar keinen angeborenen oder verwandten Zug der Zuneigung im Wesen unseres Geschlechtes entdecken können. Wir denken an die Heiligkeit Gottes. Würde man von uns verlangen, diese Heiligkeit zu definieren, so würden wir fühlen, dass wir dem Begriff nicht seine volle Bedeutung geben, wenn wir sagten, dass er lediglich in der absoluten Vollkommenheit aller sittlichen Vorzüge der Gottheit bestehe. Es ist ein Begriff, der in seiner eigentümlichen Kraft Gegensatz oder Absonderung bedeutet. Er kam aus diesem Grunde den Tempelgefäßen zu und zwar gerade, weil sie vom gewöhnlichen Gebrauche abgesondert waren. Hätte man sie für den gewöhnlichen Gebrauch bestimmt, so würde man sie damit unrein oder unheilig gemacht haben. Hätte man sie zu alltäglichen Zwecken verwendet, so würde man ihnen damit ein solches Zeichen der Entweihung aufgedrückt haben, dass ihre Heiligkeit von ihnen geschwunden wäre. Wäre das Bewusstsein Gottes voll und ganz in jedem Hause und in jedem Herzen gewesen, wäre die Gegenwart der Gottheit von seinen Geschöpfen zu allen Zeiten und an allen Orten gefühlt worden, hätte der Wille der Gottheit einen so bestimmenden Einfluss über das Alltagstreiben gehabt wie über den Dienst bei festlichen und außergewöhnlichen Gelegenheiten, dann würde es vielleicht keinen Tempel und keine rituellen Gebräuche und folglich auch keinen Platz für die Anwendung des Begriffes Heiligkeit gegeben haben. Ein Ding wird dadurch nicht geweiht, dass man es von dem absondert, welches gleicherweise wie es selbst rein und geheiligt ist; und würde eine gleichmäßige und allgemeine Reinheit durch das ganze System der Natur Platz greifen, so würde die Absonderung nicht notwendig sein. Unter diesen Umständen würde es keinen Gegensatz und also kein Bedürfnis nach einem solchen Begriff wie dem der Heiligkeit geben.
Dies mag dazu dienen, die Kraft und die Wichtigkeit des Begriffes, wenn angewandt auf das Wesen Gottes, zu verdeutlichen. Er bezeichnet nicht die sittliche Vollkommenheit seines Wesens im absoluten Sinne genommen. Er bezeichnet diese Vollkommenheit mit Rücksicht auf ihr Gegenteil. Wenn wir die Heiligkeit des göttlichen Wesens betrachten, so tun wir es in Hinsicht der erhabenen Scheidung von allem dem, was sie entweder beflecken oder erniedrigen kann. Wir betrachten sie in ihrem unversöhnlichen Gegensatz zur Sünde. Wir betrachten die unerreichbare Höhe, in der sie über allen möglichen Errungenschaften der geschaffenen Natur steht, so sehr, dass der, der sie besitzt, sogar seine Engel der Torheit beschuldigt: und wenn die geschaffene Natur nicht nur unvollkommen, sondern sündig ist, dann sehen wir, wie die Gottheit von aller Berührung und von aller Annäherung sich zurückzieht. Wir denken an die Augen, die zu rein sind, als dass sie die Ungerechtigkeit anschauen könnten und an die Gegenwart, die so geheiligt ist, dass das Böse nicht vor ihr bleiben kann. Wir denken an jenes Heiligtum, in das nichts gelangen kann, das trügt oder eine Lüge tut, - ein Heiligtum, das bewacht wird von all dem Eifer der göttlichen Natur und der Annäherung von Befleckung so sehr abgeneigt ist, dass, wenn dieselbe nahe kommen will, das Feuer eines verzehrenden Unwillens ihr entweder Einhalt tut oder sie vernichtet.
Wäre nun diese Eigenschaft in ihrer ganzen Strenge gegen die Verstöße wider die Liebe oder die Gerechtigkeit der Menschen unter einander gerichtet, so würden wir zugeben, dass eine fertige Übereinstimmung damit in den Grundzügen unserer natürlichen Konstitution vorhanden sei. Aber wenn sie nach dem Charakter der lebhaften Regungen der Natur forscht und da das eigentliche Wesen der Sündhaftigkeit entdeckt; wenn sie über die Bevorzugung, die alle Kinder Adams dem Geschöpfe vor dem Schöpfer geben, zu Gerichte sitzt und darob mit Recht erzürnt ist; - wenn sie durch eine Gesellschaft menschlicher Wesen hindurchschaut und trotz all der Gerechtigkeit, womit ihre Interessen gewahrt und der Menschlichkeit, womit ihre Übel gelindert oder beseitigt werden, den Ausspruch tut, dass sie ganz der Weltfreude hingegeben, auch ganz erfüllt sei von einem Götzendienst, durch den die Eifersucht des erhabenen Gottesgeistes aufs äußerste gereizt wird, wenn die Heiligkeit sich solchermaßen nicht nur in ihrem Widerwillen gegen das Verbrechen, das ja nur gelegentlich und selten vorkommt, sondern auch in ihrem Widerwillen gegen eine Neigung offenbart, deren tiefgewurzelte Hartnäckigkeit und zunehmende Stärke allgemein sind, dann sehen wir, statt des erwarteten Beifalls und der Übereinstimmung unserer Natur, vielmehr unsere verlegte und gereizte Natur sich empören. Daraus, dass ein Mensch die Grausamkeit oder die Ungerechtigkeit seines Mitmenschen verabscheut, folgt ebenso wenig, dass er deshalb in seinem Herzen zum Voraus für die Verehrung des eigentlichen Wesens Gottes eingenommen sei, wie aus der Tatsache, dass ein Mensch von den Gräueln eines Gefängnisses sich mit Schauder abwendete, folgen würde, dass er deshalb in der demütigen Frömmigkeit eines Konventikels sich wohl und heimisch fühlte. Ein edel denkender und ehrenhafter Kaufmann findet in seinem Herzen Raum für beides, für die Liebe der Wahrheit und die Liebe der Welt. Die eine ist indessen eine Eigenschaft Gottes, während die andere der Liebe Gottes entgegengesetzt ist.
„So Jemand die Welt lieb hat, sagt ein Apostel, so ist die Liebe Gottes nicht in ihm.“ Er mag die Kopie der Wahrheit und manch anderer Tugend auf dem Antlitz des Geschöpfes lieb haben, aber den Schöpfer liebt er nicht. Er kann die nur zum Teil vorhandenen und unvollkommenen Umrisse der unfertigen Kopie anstaunen und dies sogar mit Entzücken, aber er meidet den Anblick des ganzen Originals. Er kann einen Verkehr sehnsüchtiger Gedanken und heißen Verlangens mit dem abwesenden Gegenstand seiner irdischen Verehrung unterhalten, aber er hat weder Lust noch Fähigkeit zur Gemeinschaft mit seinem Vater im Himmel. „Heilig, heilig, heilig, Herr Gott, Allmächtiger“, ist der Gesang der Himmlischen, aber ihre Freude ist von einer Art, dass er nicht daran teilnehmen kann. Und so gewiss als sein Leib müsste umgestaltet werden, ehe er aufhören würde mitten in den Qualen der Hölle Schmerzen zu empfinden, so gewiss müsste sein Geist umgewandelt werden, ehe er aufhören würde sich mitten unter dem Halleluja des Paradieses beengt und belästigt zu fühlen.
So sehr also ein Mensch in seinem Herzen eine aufkeimende Liebe für das Wesen Gottes spürte, so würde diese darum doch noch nicht zu einer Liebe gegen seine Person werden können, weil diese durch ein Gefühl der Schuld und der daraus folgenden Furcht vor Gott als eines Feindes darnieder gehalten würde. Auch könnte die Liebe zu Gott nicht in seinem Herzen Wurzel fassen, bis durch den Glauben an die Versöhnung des Evangeliums das Hindernis aus dem Wege geräumt würde. Wenn aber, wie wir eben bewiesen haben, keine solche wachsende Liebe zum göttlichen Wesen vorhanden ist, so ist der Versuch noch viel mehr aussichtslos, eine Liebe zu pflanzen, die dem Glauben vorherginge, oder die Meinung, dass die Zuneigung von dem Herzen Besitz ergreifen sollte, ehe die Furcht daraus gewichen ist. Sogar wenn es durch die Wirksamkeit einer Kraft, von der man bei der Beschaffenheit des Menschen nichts weiß oder durch irgend eine Anstrengung, deren Erfolg man noch nie in keinem einzigen Falle erfahren hat, möglich wäre, in der Seele die Liebe für die Heiligkeit zu erwecken, ohne dass vorher der Glaube an den dargebotenen Heiland zu Stande gekommen wäre, so würde ein Schrecken vor Gott, der ohne diesen Glauben das instinktive und allgemeine Gefühl der Natur ist, gerade so wirksam die Liebe zur Heiligkeit darnieder halten, wie dies bei der Liebe der Wahrheit oder des Mitleidens oder der Gerechtigkeit der Fall ist, so dass wir uns nicht zur Verehrung der Person der Gottheit erheben könnten. Die Liebe zum Wesen Gottes in ein Herz zu pflanzen, das sich dem Glauben an das Evangelium noch nicht aufgeschlossen hat, würde geradezu heißen, sie in ein Gefängnis zu versetzen und sie zur Unfruchtbarkeit und Untätigkeit zu verurteilen, wo sie ganz außer Stande wäre, Gott selbst zu lieben. Das Vertrauen muss dieser Liebe vorangehen, sogar dann, wenn ein Herz bereits zum Voraus einen Keim der Liebe in sich aufgenommen hat; und wie viel mehr ist es von Wichtigkeit, dass es zuvor in ein Herz einkehren sollte, wo diese Elemente ganz und gar fehlen? So wird es noch unwiderleglicher bewiesen, dass der Glaube eine Sache ist, die zu allervorderst steht und unumgänglich notwendig ist. Ohne ihn würde auch die Saat irgendeines warmen Gefühls für die Gottheit schon im Keime erstickt und nicht zu blütenreicher Entfaltung gelangen. Und wenn unsere Natur solch eine Wildnis wäre, dass keine solche Saat sich dort fände, wenn das, was man brauchte, das Keimen eines neuen Prinzipes wäre und nicht die Entwicklung eines alten, wenn es durch einen schöpferischen und nicht durch einen bloß erhaltenden Prozess geschähe, dass wir zur Bereitschaft für den Himmel umgeschaffen würden, - wenn das treibende Moment, das mit der menschlichen Seele in Berührung gebracht wird, sowohl die Kraft wiederzugebären als wiederherzustellen haben müsste, und wenn die Verheißung dieser Kraft nur denen, die da glauben, gegeben wäre, dann lasst uns nicht mehr länger in jenem Abgrund der Hilflosigkeit, aus dem der Glaube allein den Suchenden herausreißen kann, mit Entsetzen verweilen, lasst uns nicht länger das Auge des Vertrauens vor jenem Beweis der Güte verschließen, der auch dem am weitesten entfremdeten Sünder entgegen gehalten wird, sondern lasst uns eilen, uns auch jetzt auf jenen Grund des Vertrauens zu stellen, wo allein wir zum Werke Gottes in Christo Jesu gemacht sind und die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen wird durch den heiligen Geist.
„Brecht diesen Tempel ab, sagt der Heiland, und ich will ihn in drei Tagen wieder aufrichten.“ Dort allein können wir die Schönheit des Herrn schauen und sicher sein. Dieser Ort der größten Sicherheit ist auch der Ort der größten Herrlichkeit. Wenn wir in dies größere und vollkommenere Zelt aufgenommen werden, dann können wir die Majestät anschauen ohne Schrecken und die Heiligkeit ohne das überwältigende Gefühl der Verdammnis. Der Sünder der von Erbarmen umgeben ist, schaut in stiller Andacht Alles, was furchtbar und verehrungswürdig im Wesen der Gottheit ist und nie erscheinen Wahrheit und Gerechtigkeit und Reinheit vor ihm in reinerer Gestalt, als wenn er die ganze Bürde ihrer Rache, fern von seiner eigenen Person, auf das Haupt des großen Opfers gelegt sieht.
„Eins bitte ich vom Herrn, sagt der Psalmist, das hätte ich gerne, dass ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu besuchen.“ Nicht bis wir innerhalb der Tore des Zufluchtsortes sind, kann dies Verlangen seine Erfüllung finden. Die Selbstsucht kann die Bewegung veranlasst haben, die uns dorthin gebracht hat. Die Furcht vor dem zukünftigen Zorne kann unsere Schritt beflügelt haben. Ein frohes Gefühl der Befreiung mag sich unser bemächtigt haben, ehe wir die Herrlichkeit des göttlichen Wesens in strahlender und überzeugender Offenbarung erblickten. Die Liebe aus Dankbarkeit mag in uns entzündet worden sein, - und wir mögen mit dem Psalmisten zu suchen und zu forschen und täglicher Übung und Betrachtung obzuliegen haben, ehe die Liebe aus sittlicher Wertschätzung die gebietende Stellung erlangt hat, die ihr zukommt. Nichts desto weniger ist es die vornehmste Bestimmung des Menschen, Gott zu verherrlichen und sein zu genießen immerdar. Dies ist die wirkliche Bestimmung jedes Einzelnen, der aus der Hand der Menschen erlöst ist. Dies sollte der Hauptgegenstand all seiner Gebete und aller seiner Vorbereitung sein. Dies ist es, was ihn für die himmlische Gesellschaft geschickt macht; und wenn die Vorliebe für Gott und seine herrlichen Vorzüge für Gott in der Schöne seiner Heiligkeit - nicht im Wachsen begriffen ist, so gibt es kein Reifwerden und kein Vollkommenwerden für die Wohnungen der Unsterblichkeit. Wie wohl ihr also zu kämpfen habt mit der Trägheit der Sinne und mit der tatsächlichen Abneigung gegen jede geistliche Übung, so müsst ihr doch die Gewohnheit des Umgangs mit Gott versuchen und eifrig pflegen. Und da kein Mensch den Vater kennt, ohne dass der Sohn ihn offenbare und da es durch den Geist geschieht, dass Christus denen Licht gibt, die an ihn glauben, so tut für die Erreichung dieses großen sittlichen und geistlichen Zweckes, was der Apostel euch heißt, indem er sagt: „Bewahrt euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr bittet im heiligen Geiste.“ Eure ersten Anstrengungen mögen schwach und ermüdend und fruchtlos sein.. Aber Gott wird den Tag der kleinen Dinge nicht verachten, noch wird das Licht seines Angesichtes stets denen verborgen bleiben, die sich danach sehnen, noch wird die Seele, die da dürstet nach Gott, für immer unbefriedigt sein, und das Leben und der Friede, der des geistlich Gerichteten Teil ist, wird seinem Gefühl in reicher Erfahrung zukommen, und die ganze Art seiner Vergnügungen und Freuden wird in geradem Gegensatz zu derjenigen der Weltkinder stehen, indem Gott die Quelle ist, aus der er beständig schöpft, und Gott die Kraft seines Herzens wird und sein Teil immer und ewig.