Calvin, Jean - Der Brief an Titus - Einleitung.
Nachdem Paulus auf Kreta nur den Grund zur Kirche gelegt hatte, eilte er auf ein anderes Arbeitsfeld – da er ja nicht nur der Hirte dieser einen Insel, sondern der Apostel der Heiden war – und übertrug dem Evangelisten Titus die Fortführung seines Werkes. Wir erfahren nun aus unserem Briefe, dass sogleich nach der Abreise des Paulus der Satan sich der Insel bemächtigte, um nicht nur die Leitung der Gemeinde umzustürzen, sondern auch die Lehre zu verderben. Es waren daselbst Leute, die aus Ehrgeiz nach der Vorsteherschaft in der Gemeinde trachteten; und da Titus deren unlauteren Bestrebungen nicht entgegenkam, so geriet er bei vielen Leuten in Misskredit. Andere wieder, aus der Zahl der Judenchristen, brachten unter dem Vorwand des mosaischen Gesetzes viele nichtige Dinge auf und fanden damit viel Beifall und Anhang. Daher schreibt Paulus seinen Brief in der Absicht, den Titus mit seiner Autorität zu stärken und ihm somit seine Last erträglich zu machen. Sonst hätte dieser bei etlichen so stark an Ansehen eingebüßt, dass sie ihn nur wie einen beliebigen Gemeindevorsteher geachtet hätten. Vielleicht waren über Titus auch Klagen im Umlauf, dass er sich mehr anmaße als ihm zustände, weil er zu Vorstehern der Gemeinden nur solche Männer nahm, die nach seinem Urteil sich bewährt hatten. Aus alledem dürfen wir wohl schließen, dass Paulus den Brief nicht sowohl für Titus persönlich, als auch für die kretischen Gemeindeglieder insgesamt geschrieben hat. Denn es ist nicht anzunehmen, dass er den Titus tadeln wollte, weil er zu leichtfertig Unwürdige zum Amt der Ältesten erhob, oder ihm als einem Unerfahrenen und Neuling vorschreiben wollte, wie er das Volk in der christlichen Lehre unterweisen sollte, vielmehr da ihm die gebührende Ehre nicht erwiesen wurde, so stattet ihn Paulus mit seiner Autorität aus sowohl für die Wahl der Ältesten, als für die Gesamtverwaltung der Gemeinden. Da eine große Zahl der Gemeindeglieder eine andere Gestalt der Lehre erstrebte als Titus sie ihnen übermittelte, so verwirft Paulus deren Vorgehen und billigt allein die Lehre seines Schülers, indem er ihn auch ermuntert, fortzufahren, wie er angefangen hat. Zunächst also zeigt er, welche Eigenschaften für die zu wählenden Ältesten erforderlich sind: neben anderen Gaben müssten sie in der unverfälschten Lehre unterwiesen sein, um auch den Gegnern widerstehen zu können. Bei dieser Gelegenheit streift der Apostel die besonderen sittlichen Schwächen der Kreter, namentlich aber erwähnt er die Juden, die die Frömmigkeit in die Unterscheidung der Speisen und andere äußerliche Vorschriften verlegten. Er widerlegt die törichte Auffassung derselben und stellt dieser die wahre Übung der Frömmigkeit und des christlichen Lebens gegenüber. Und um diese noch deutlicher zu machen, beschreibt er die Pflichten, die den einzelnen Ständen zukommen. Er weist den Titus an, auf die Erfüllung derselben mit Fleiß und Eifer acht zu haben, während er zugleich die anderen ermahnt, im Hören des Wortes nicht zu ermüden. Und er zeigt, dass auf solche Übung der christlichen Frömmigkeit die Erlösung und das Heilswerk Christi abzielt. Wer sich dem hartnäckig widersetzt und sich weigert zu gehorchen, den heißt er zu meiden. Wir sehen, wie Paulus nichts anderes im Auge hat, als sich der Sache des Titus anzunehmen und ihm zur Ausrichtung des Werkes des Herrn seine hilfreiche Hand zu reichen.